Die „Christians For Future“ nehmen die Kirchen und ihre Leitungen in den drängenden Entscheidungen der Klimadebatte in die Pflicht und werden von Georg Sauerwein und Edith Wittenbrink vorgestellt.
Am 16. September bekamen Bischöf*innen, Kirchenpräsident*innen und weitere Mitglieder katholischer und evangelischer Kirchenleitungen in ganz Deutschland Besuch und Post: Die Christians For Future, unterstützt von den Fridays und weiteren Organisationen aus der For Future Bewegung, haben an über 30 Orten 12 Forderungen zu mehr Einsatz für Klimagerechtigkeit an die Kirchenleitungen übergeben. Mit der Forderungsübergabe solidarisieren sich über 80 bekannte Unterstützer*innen aus dem Umfeld der Kirchen. Warum diese Aktion?
Der Klimawandel nähert sich entscheidenden Kipppunkten
Nach aktuellem Stand bleiben der Menschheit noch 8 Jahre, bis bei gleichbleibenden Emissionen das CO2-Budget verbraucht ist, bei dem das 1,5 Grad-Ziel noch mit hoher Wahrscheinlichkeit eingehalten werden könnte. Je stärker dieses Ziel verfehlt wird, desto mehr Leid wird das für Menschen und andere Lebewesen bedeuten. Die am schlimmsten Betroffenen werden die sein, die heute bereits zu den global Abgehängten gehören. Das Risiko steigt, Kipppunkte oder sogar Kipppunktkaskaden zu erreichen. Diese Fakten sind bekannt, genau wie klar ist, was schnellstmöglich passieren muss, um wenigstens noch das Schlimmste zu verhindern.
Die Kirchen setzen andere Prioritäten?
Mehr oder weniger deutlich betonen die Kirchen das hehre Ziel, die Schöpfung zu bewahren. Doch an den wenigsten Orten scheint das Anliegen wirklich oben auf der Prioritätenliste zu stehen. In allen katholischen Diözesen gibt es Initiativen zu Klimagerechtigkeit, aber nirgends genug – und meistens ohne System. Die meisten Diözesen haben keine Klimaziele, auch wenn es mit Freiburg, Köln und Augsburg drei Ausreißer mit dem ambitionierten Ziel von Klimaneutralität 2030 gibt. Divestment, also das öffentliche Ausschließen von Investitionen in Unternehmen, die mit Kohle, Öl oder Gas Umsatz machen, wird nicht wirklich praktiziert. Der Personaleinsatz im Umweltbereich ist in allen Diözesen unzureichend – oft gibt es sogar gar keine Stelle. Das größte Problem auf katholischer Seite ist aber das fast flächendeckende Unvermögen, sich öffentlichkeitswirksam für Klimagerechtigkeit auszusprechen. Natürlich gibt es hier bereits Vorreiter*innen – wie Hilfswerke und einige Verbände.
Kirche verliert sich im Vagen
Aber auch die Bischöfe hätten gerade als Personen, die in der Öffentlichkeit stehen, großes Potential, den Einsatz für Klimagerechtigkeit mit ihren eigenen Stimmen zu stärken. Es wäre kein großer Aufwand, zu den Klimaaktionstagen aufzurufen und selbst teilzunehmen, zum Kohleausstieg klar Stellung zu beziehen und Politiker*innen auf das Thema anzusprechen. Davon passiert leider kaum etwas, mit wenigen Ausnahmen. Selbst in dem YouTube-Video, das Umweltbischof Lohmann (Weihbischof im Bistum Münster) am Morgen des letzten Klimaaktionstages veröffentlicht hat und das kaum wahrgenommen wurde, ruft er nicht explizit zur Teilnahme auf. Die Kirche verliert sich im Vagen, um nicht anzuecken, und ist deshalb kaum eine politisch wahrnehmbare Stimme für Klimagerechtigkeit.
Klimaziele für Landeskirchen
für das Jahr 2050?
In der evangelischen Kirche läuft letzteres besser: Viele rufen rechtzeitig vorher zur Teilnahme an Klimaaktionstagen auf und es nehmen auch Landesbischöf*innen teil. Insgesamt kommuniziert man mehr und konkreter zu Klimagerechtigkeit, auch wenn leider die Positionen, die dabei vertreten werden, oft inhaltlich nicht mit einem 1,5-Grad-Ziel übereinstimmen, zu dem sich die EKD auch immer noch nicht klar bekannt hat. Die EKD hat mehr konkrete Klimaziele, sowohl ein gemeinsames auf EKD-Ebene – 2050 – als auch in einigen Landeskirchen. Allerdings entsprechen diese Ziele nicht dem normativ gebotenen 1,5-Grad-Ziel – das Ziel 2050 liegt nun sogar hinter dem des Bundes. Einige Landeskirchen haben ambitionierte Ziele, auch wenn nicht das erforderliche Ziel 2030; andere haben nicht einmal 2050 beschlossen. Dabei ist die Personalausstattung in den Landeskirchen größtenteils besser als in den katholischen Bistümern.
Forderungen, die nicht utopisch sind
Diesen Flickenteppich versuchen wir als Christians For Future mit unseren Forderungen anzugehen, mit denen wir gezielt die ansprechen, die in den Diözesen und Landeskirchen die meiste Macht haben und die Forderungen entweder selbst umsetzen oder in manchen Fällen an Synoden weitergeben könnten. Wir fordern nichts Unmögliches, sondern fast nur Dinge, die schon irgendwo gemacht werden: Die Forderungen finden sich, eine tiefergehende Erklärung und Analyse .
Suche nach unbequemen Kirchen
Im ersten Teil fordern wir ein entschiedenes Eintreten für Klimagerechtigkeit – in öffentlichkeitswirksamem Handeln, aber auch in der Advocacyarbeit, also der politischen anwaltschaftlichen Arbeit der Kirchen. Die Kirchen sollten beim Einsatz für die Opfer der Klimakrise den Mut haben, unbequem zu sein. Dabei kommt es uns besonders darauf an, dass die Kirchen auch auf Leitungsebene ernst machen mit der Zusammenarbeit mit allen Menschen guten Willens und mit den engagierten Akteur*innen innerhalb wie außerhalb der Kirchen die konstruktive Zusammenarbeit suchen. Für die politische Advocacyarbeit der Kirchen fordern wir eine klare Prioritätensetzung auf Klimagerechtigkeit. Zentral ist gerade in diesem Bereich die globale Perspektive. Die internationale Zusammenarbeit muss im Blick auf die Klimakrise gestärkt werden und die globale Klimaungerechtigkeit darf in der Kommunikation der Kirchen mit den Gläubigen wie mit politischen Akteur*innen nie ausgeblendet werden.
Forderung nach konkreten Maßnahmen in Diözesen und Landeskirchen
Im zweiten Teil fordern wir Klimaneutralität bis 2030. Für die Bundesrepublik ergibt sich aus dem 1,5-Grad-Ziel das Datum 2035, Kirchen sind aber leichter zu dekarbonisieren als beispielsweise die Stahlindustrie. Die Diözesen Freiburg, Köln, Augsburg, die Jugendverbände oder die Verwaltung der Bundesrepublik haben schon dieses Ziel. Zudem fordern wir öffentliches Divestment von Kohle, Öl und Gas, wie es einzelne Landeskirchen schon verkündet haben. Solche Ziele brauchen auch die entsprechenden Ressourcen, daher fordern wir eine Stelle im Umweltbereich pro 100.000 Gläubige, wie sie die Nordkirche schon hat. Außerdem sind verpachtete Flächen ein wichtiges Thema, bei dem wir Kriterien nach den Regeln des Ökolandbaus und Klimapositivität bis 2035 fordern. Gerade in dem zweiten Teil ist es aber wichtig, sich nicht im individuellen Klein-klein zu verlieren: Alle diese Maßnahmen sollen klare Zeichen an Gesellschaft und Politik sein. Zudem ergeben sich an vielen Stellen bei der Umsetzung – wie Photovoltaik auf Dächern – viele Möglichkeiten, positive Entwicklungen im gesellschaftlichen Umfeld anzustoßen.
Kirchliche Bildungsarbeit zur Bewusstseinsbildung
Im dritten Teil der Forderungen beschäftigen wir uns mit dem Nachdenken und Reflektieren in den Kirchen selbst. Wir brauchen eine Stärkung von Netzwerken wie dem Ökumenischen Netzwerk Klimagerechtigkeit oder der Klimaallianz. Wir brauchen Fortbildungen für Beschäftigte in Pastoral und Verwaltung – zur Klimakrise, aber vor allem zu Wegen, mit dieser umzugehen.
Verstärktes theologisches Nachdenken
über die Klimakrise
Wir brauchen auch ein verstärktes theologisches, pastorales und spirituelles Nachdenken über die Klimakrise. Wir können keine bestimmte Theologie einfordern, sondern nur, Raum für diese Debatten und Experimente zu schaffen und das Bestehende, wie Schöpfungstage, sichtbarer in das kirchliche Leben zu integrieren. In vielerlei Hinsicht ist gerade die theologische Debatte entscheidend: Hinter all den angesprochenen Punkten stecken tiefe Fragen dazu, was Christentum und Kirche ausmacht. Wir stellen uns dieser Debatte als akademische Theolog*innen, aber auch z.B. in Andachten von Christians For Future. In einem zweiten Teil möchten wir einige der theologischen Gedanken, die wir beide hinter den Forderungen sehen, aufzeigen.
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Autor*innen:
Georg Sauerwein (@GeorgSauerwein) ist Physiker und Theologe, Promotionsstudent in Fundamentaltheologie an der Universität Innsbruck.
Edith Wittenbrink ist wissenschaftliche Mitarbeiterin in der Sozialethik an der Johannes Gutenberg-Universität in Mainz.
Beide Autor*innen sind bei Christians For Future engagiert.
Foto: Lucas Myers / unsplash.com