Ein Wallfahrtsort bietet für die heutige Zeit, Kirche und Welt verschiedene Chancen und Herausforderungen. Olivia Forrer stellt dar, was dies für das Benediktinerkloster Mariastein bedeutet.
Wallfahrten gibt es länger als das Christentum besteht. Wallfahren ist auch nicht etwas spezifisch Christliches. Im Benediktinerkloster in Mariastein ist die Wallfahrt eine zentrale Aufgabe, die Chancen bietet, aber zugleich auch eine Herausforderung ist. Für eine Wallfahrt muss die Voraussetzung gegeben sein, dass an diesem spezifischen Ort Gott mit seinem Licht und seiner Gnade den Menschen, die Heil suchen, besonders nahesteht. Davon geht man in Mariastein aus.
Die Überlieferung zeigt, weshalb gerade da ein Wallfahrtsort entstanden ist. Ein Knabe soll an der Stelle, an der sich heute die Gnadenkapelle (eine Felsgrotte) befindet, ins Tal gestürzt sein. Auf die Fürbitte der Mutter Gottes blieb er auf wunderbare Weise unverletzt. Daraus bildete sich eine reich ausgeschmückte Legende, wie sich alles genau zugetragen hat. Bald zog dieser Ort als Pilgerort scharenweise Gläubige aus nah und fern an.
Dies zeigen die vielen von Gebetserhörungen zeugenden Votivtafeln, die den langen unterirdischen Gang, hinunter in die Gnadenkapelle, säumen. Auch heute noch kommen viele Pilgerinnen und Pilger nach Mariastein und suchen bei Maria, unserer Lieben Frau im Stein, Trost; eine Tatsache, die vor allem die Mönchsgemeinschaft fordert, manchmal fast überfordert.
Im Mittelalter und noch lange danach mussten Wallfahrten als Sühne für begangenes Unrecht unternommen werden! Heute ist es anders, und es ist eine grosse Chance für die Kirche, dass Menschen „von sich aus“ an einen christlichen Wallfahrtsort pilgern und so den Weg in die Kirche finden.
Menschen pilgern „von sich aus“ an einen christlichen Wallfahrtsort.
In Mariastein gibt es eine explizite Wallfahrtsleitung, die sich aus Pater Ludwig Ziegerer und mir zusammensetzt. Diese Zusammensetzung wurde bewusst gewählt, damit nicht nur das „Klösterliche“, sondern auch das „Weltliche“ bei der Ausrichtung des Angebotes der Wallfahrt vertreten ist, und bewusst in den Blick genommen werden kann. So haben wir einen schriftlichen „Begleiter durch die Basilika, Kapellen und Umgebung“ erstellt, mit dem man das Wichtigste und Interessanteste sich selber aneignen kann, und nicht eine Führung organisieren muss. Man erfährt auch gleichzeitig etwas über das Mönchsleben und den Heiligen Benedikt.
Nicht allen Menschen, die nach Mariastein kommen ist klar, dass der Pilgerort eng mit den Benediktinermönchen zusammenhängt, oder sie wissen nicht, auf wen und welche Regel sich die Mönche hier beziehen. In nächster Zeit, soll es einen Trail geben „Mit Benedikt unterwegs“ der auf Familien und Jugendliche abgestimmt ist, und die gleiche Idee hat: Den Pilgerinnen und Pilgern die Basilika, die Kapellen in der Umgebung und den Hl. Benedikt näherbringen. Im Moment denken wir über die Neugestaltung der Führungen nach. Gerade bei all diesen Projekten ist es gut, wenn eine Innen- und Aussensicht aufeinandertreffen.
Ins Gespräch kommen und zuhören.
Wir von der Wallfahrtsleitung sowie die gesamte Mönchsgemeinschaft haben die Möglichkeit mit Menschen in Kontakt zu kommen, die sonst der Kirche eher fernstehen. Wir können mit ihnen ins Gespräch kommen und ihnen zuhören, ihre Fragen und Zweifel wahrnehmen. Wir erfahren direkt, welche Probleme sie haben, was sie brauchen, an Unterstützung, Gebet, oder Begleitung.
Da kommt der Familienvater, der auf Kurzarbeit ist und nicht weiss, wie er seine Familie ernähren soll. Oder jemandem wurde die Wohnung gekündigt und die Person weiss nicht, wie sie eine zahlbare Wohnung finden soll. Eine Mutter erzählt von ihrer Angst, dass die Tochter keine Lehrstelle findet. Einmal kamen Eltern die baten darum, für ihren Sohn zu beten. Er sei schwer drogenabhängig und habe sich entschieden einen Entzug zu machen. Sie wissen wie schwer das ist und wie schwer es sei danach clean zu bleiben. Es gibt auch immer wieder Menschen, die das Gespräch suchen, weil sie mit dem Tod eines nahegestandenen Menschen nicht zurechtkommen. Und ganz oft kommen Leute, die einfach nur einen Segen wünschen.
Wir müssen die Menschen nicht suchen, wir müssen nur bereit sein, sie zu empfangen.
Mit Menschen den Weg des Suchens gehen.
Neben den Menschen, für welche Wallfahrt, Pilgern eine lange Tradition hat, gibt es auch solche, die das gerade erst für sich entdecken, Menschen, die vielleicht nicht einmal getauft sind, mit Religion „nichts am Hut haben“. Daraus kann eine neue Art von Katechese entstehen. Wir sind gefordert Fragen zu beantworten, auch unangenehme, schwierige wie z.B. „Warum arbeiten sie noch in dieser Kirche, wo es so viele Skandale und Ungerechtigkeiten gibt?“ – „Wieso setzen sie sich nicht für das Priesteramt der Frau ein?“ – „Warum lässt Gott eine solche Pandemie zu? Wie können sie da von einem guten Gott reden?“ – „Warum ist gerade mir das passiert?“ – „Wo ist der Friede, den Jesus versprochen hat?“
Wir sind gefordert mit diesen Menschen den Weg des Suchens zu gehen und Glaubenszeugnis zu geben.
Die Menschen, die den Weg nach Mariastein finden, kommen aus ganz unterschiedlichen Kulturkreisen. So feiert die Albanische Gemeinschaft dreimal im Jahr bei uns ihren Gottesdienst. Die Tamilische Gemeinschaft feiert jeden Monat einen Gottesdienst hier und auch ihre grosse Wallfahrt, das Madhu Mathafest, das Fest der Mutter von Matha (Matha ist ein Dorf ungefähr 300 km von Colombo, der Hauptstadt von Sri Lanka, entfernt) findet jeweils im August in Mariastein statt. Da Maria nicht nur im Christentum eine wichtige Rolle spielt, sondern auch in andern Religionen, sind in Mariastein beim Gebet zu Maria nicht nur Christinnen und Christen anzutreffen. Wir begegnen zum Beispiel vielen Buddhist:innen. Oft sprechen wir nicht einmal die gleiche Sprache, und trotzdem können wir uns verständigen und verstehen, auf eine andere Art, eine spirituelle, religiöse.
Unterschiedliche Kulturkreise und Sprachen
Viele fremdsprachige Missionen[1] und Gruppierungen feiern bei uns regelmässig ihre Gottesdienste oder machen ihre Wallfahrten nach Mariastein. Vielleicht erweckt all das den Eindruck, dass es ein Einfaches ist, eine Zusammenarbeit aufzubauen, miteinander am Reich Gottes zu bauen und Projekte in Angriff zu nehmen. Dem ist leider nicht so.
Wie schön wäre es man könnte zum Beispiel am Tag der Völker gemeinsam einen Gottesdienst feiern. Oder die verschiedenen Gruppierungen wären an unserm Adventsmarkt mit einem eigenen Stand vertreten. Und wie wäre es doch ein wunderbares Zeichen, wenn die Ankunft des Friedenslichtes nicht nur von uns in Mariastein vorbereitet und durchgeführt würde, sondern wenn auch Menschen von andern, fremdsprachigen Gruppierungen mitfeiern würden.
Unser Bedürfnis oder unsere Meinung, was wir alles anbieten sollten, für die Pilger:innen machen könnten, entsprechen den Erwartungen der anderssprachigen Pilgergruppen oft nicht. Ihr Wunsch ist es einen Ort zu haben, an dem sie den Gottesdienst in ihrer Sprache, nach ihren Vorstellungen und so feiern können wie in ihrem Heimatland. Wichtig ist für sie das Zusammensein. Es ist eine Frage der Identität und der Heimattraditionen, und die findet im Rahmen eines Gottesdienstes statt. Da ist Integration kein Thema, und die Chancen, diesen Menschen wirklich zu begegnen, sind sehr gering.
Verschiedene Erwartungen
Gleichzeitig stehen wir mit der Wallfahrt auch vor anderen grossen Herausforderungen, die uns Kopfzerbrechen bereiten. Viele Pilger:innen, die nach Maristein kommen, wünschen sich, einem Mönch zu begegnen und vielleicht sogar spontan ein paar Worte mit ihm zu wechseln. Gruppierungen, die eine Führung buchen, wünschen sich einen Mönch als Begleiter. Angesichts der immer kleiner und älter werdenden Mönchsgemeinschaft wird das sehr schwierig. Und für die Mönche ist es ein Balanceakt. Einerseits möchten sie die Erwartung der Menschen von Präsenz und Offenheit erfüllen, andererseits will der Weg der Benediktinermönche zu einem Leben nach innen führen.
Ich selbst verspüre noch eine weitere ganz persönliche Herausforderung. Als Theologin und Mitarbeiterin Wallfahrt wünsche ich mir, diese Aufgabe voll und ganz ausfüllen zu können. Dem ist aber bei Weitem nicht so. Mariastein ist ein Benediktinerkloster. Das heisst: Mönche, Männer und meist Priester. Da kann ich mit bestem Willen und grösstem Einsatz nicht mithalten. Viele unserer Pilger:innen legen mehr Wert darauf einem Mönch zu begegnen, der zwar nicht Priester ist, auch nicht Theologie studiert hat, als einer Frau, einer Theologin, die genauso kompetent Auskunft geben könnte. In erster Linie zählt die „Hülle“. Etwas plakativ gesagt: Hauptsache Mann und schwarze Kutte. Eine Tatsache, die leider auch an anderen Orten der katholischen Kirche und ebenfalls in der Gesellschaft in ähnlicher Art anzutreffen ist.
Etwas plakativ gesagt: Hauptsache Mann und schwarze Kutte.
Es schmerzt zu sehen, wie sich Vieles nicht oder nur sehr zögerlich entwickelt und keinen Schritt vorwärtsgeht. Ich hoffe schwer, dass die nötigen Veränderungen sehr bald möglich sein werden, nicht nur hier im Kloster Mariastein, auch in der gesamten katholischen Kirche sowie in der Welt. Vielleicht kann gerade die Tatsache, dass ich hier in Mariastein als weltliche Theologin für die Wallfahrten mitverantwortlich bin, ein bisschen zur Gleichstellung der Frau in Kirche und Gesellschaft beitragen. Möge Maria, die Mutter vom Trost, mich und uns auf diesem Weg bestärken und helfen.
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Text und Fotos: Dr. Olivia Forrer, Chemikerin und Theologin
[1] Dieser Begriff bezeichnet in der Schweiz die nach Sprachen bzw. Herkunft organisierte Migrationspastoral.