Eva-Maria Faber stellt das Projekt „Für eine Kirche mit den Frauen“ vor. Die umwegige Formulierung „nicht ohne“ erschliesst sie mit Hilfe von Michel de Certeau.
Die doppelte Negation „nicht ohne“ bedeutet dem Sinn nach dasselbe wie „mit“. Warum es kompliziert sagen, wenn es auch einfach geht?
„Nicht ohne“
Die doppelte Negation erweist sich als umwegige Formulierung: Sie macht den Umweg über das Gegenteil. Was ist, wenn das „Ohne“ gilt? Konfrontiert mit der als Mangel erkannten „Situation ohne“ gewinnt die Formulierung „nicht ohne“ einen flehentlichen, aber auch entschiedeneren Charakter: „Bitte, um Himmels willen, nicht ohne …“.
Michel de Certeau: „Nicht ohne“, denn „du fehlst mir“
Der französische Philosoph und Theologe Michel de Certeau verwendet die umwegige Formulierung „nicht ohne“ in mehrfacher Hinsicht.
In der mystischen Sprache gehört das „nicht ohne“ zum Glaubensbekenntnis und Liebesgeständnis der Mystiker und Mystikerinnen, die Certeau als solche beschreibt, die Gott beharrlich vermissen und ebenso beharrlich suchen: „‚Du fehlst mir.‘ Zwei Wörter – eine doppelte Negation – zeigen den springenden Punkt dieser Erfahrung an: ‚nicht ohne‘. Es ist unmöglich ohne dich. Diese doppelte Negation bezeichnet gleichermassen die Glaubensbeziehung und die Liebesbeziehung“1.
Zwei Wörter – eine doppelte Negation – zeigen den springenden Punkt dieser Erfahrung an: ‚nicht ohne‘. Es ist unmöglich ohne dich.
Certeau beschreibt mit derselben Formulierung auch zwischenmenschliche Beziehungen, nicht zuletzt in der Kirche. In einer Reflexion auf Autorität unterscheidet er „zwischen der Autorität, die sich im Singular dekliniert (indem sie sich als die einzige ausgibt), und den Autoritäten im Plural, die aufeinander verweisen. Erstere verschliesst eine Gruppe oder ein Wissen in sich selbst; die letzteren ‚erlauben‘ anderes“. Die Autorität im Singular läuft in Gefahr, dass sie „sich für den lieben Gott hält“ oder ihn „in eine befestigte Stadt“ einsperrt.
Hingegen „rückt eine Autorität auf ihren wahren Platz, wenn sie sich als einen der Termini einer pluralen Verbindung erkennt. Dann verknüpft sie sich mit anderen. So manifestiert sie, dass sie nicht ohne andere ist, und diese notwendige Beziehung bezeichnet bereits ihre Rolle in der kommunitären Struktur der Kirche“2.
Certeau: Sendung der Kirche bedeutet, „zu anderen Generationen, zu fremden Kulturen, zu neuen menschlichen Strebungen zu sagen: ‚Du fehlst mir‘ – nicht so, wie ein Grundbesitzer über das Feld seines Nachbarn spricht, sondern wie ein Liebender“
Es ist hier nicht nur an amtliche Autoritäten zu denken, sondern letztlich an die Autorität jeder Stimme, die im Leben der Kirche (wie auch der Menschheit) ihre unverwechselbare Perspektive einzubringen hat. Dies bedeutet auch, dass die Kirche sich nie und nimmer in sich verschliessen darf. In diesem Sinne legt Certeau schliesslich die missionarische Sendung der Kirche aus. Sie bedeutet, „zu anderen Generationen, zu fremden Kulturen, zu neuen menschlichen Strebungen zu sagen: ‚Du fehlst mir‘ – nicht so, wie ein Grundbesitzer über das Feld seines Nachbarn spricht, sondern wie ein Liebender“3.
„Nicht mehr ohne Frauen“
Das Projekt „Für eine Kirche mit den Frauen“, das in seinem Namen prominent das positive Wörtchen „mit“ trägt, wählt in der ausführlicheren Beschreibung der eigenen Anliegen die umwegige Formulierung: „Wir wünschen, dass Männer der Kirche in Zukunft nicht mehr ohne Frauen über deren Stellung, Rolle und Funktion einerseits und über die Belange der Kirchen im Allgemeinen andererseits nachdenken und entscheiden“. Es ist die Bitte, dass die Autorität der Entscheidung und Leitung in der römisch-katholischen Kirche, die heute mehrheitlich oder sogar fast ausschliesslich durch Männer wahrgenommen wird, sich für die von Certeau thematisierte plurale Verbindung öffnet, um der kommunitären Struktur der Kirche besser zu entsprechen.
„Wir wünschen, dass Männer der Kirche in Zukunft nicht mehr ohne Frauen über deren Stellung, Rolle und Funktion einerseits und über die Belange der Kirchen im Allgemeinen andererseits nachdenken und entscheiden“
Papst Franziskus, der mit seinem Werben für den synodalen Weg unmissverständlich für die Pluralität der Autoritäten eintritt, äusserte bereits 2013 sein Bedauern über eine unangemessene Beteiligung der Frauen in der Kirche. „Ich leide – ich sage die Wahrheit –, wenn ich in der Kirche oder in einigen kirchlichen Organisationen sehe, dass die Rolle des Dienens – die wir alle haben und haben müssen –, dass die Rolle des Dienens der Frau in Richtung einer Rolle des ‚servidumbre‘ [Fronarbeit] abgleitet. Ich weiss nicht, ob man auf Italienisch so sagt. […] Wenn ich Frauen sehe, die Dinge des ‚servidumbre‘ tun, das bedeutet, dass man nicht recht versteht, was eine Frau tun soll“. Daraufhin stellt er die Frage: „Welche Präsenz hat die Frau in der Kirche? Kann sie stärker gewürdigt werden?“4
Die Präsenz der Frauen wurde auch bei der Bischofssynode im Oktober 2015 vermisst, als angesichts der Repräsentation des Dachverbandes der Männerorden die Frage aufgeworfen wurde, ob nicht auch die Frauenorden eine Vertretung erhalten müssten. Das Synodensekretariat lud dann zwar drei Ordensfrauen ein, sie waren aber nur als Beobachterinnen ohne Stimmrecht zugelassen. Dies fiel umso mehr auf, als einer der zehn für die Synode gewählten männlichen Ordensvertreter kein Priester war und dennoch mit Stimmrecht zugelassen worden war.
nur als Beobachterinnen ohne Stimmrecht
Der Generalprior der Kleinen Brüder Jesu Hervé Janson machte in seinem bemerkenswerten Redebeitrag auf den ungleichen Status der Ordensfrauen aufmerksam.5 Grundsätzlicher trat der kanadische Bischof Paul-André Durocher an der Bischofssynode für mehr Verantwortlichkeit für Frauen in der Kirche ein.6
Die Herausforderung ist benannt – das Projekt „Für eine Kirche mit den Frauen“ wirbt dafür, „nicht ohne“ die Frauen über ihre Lösung nachzudenken. Frauen sind nicht Objekte, über die beschlossen werden könnte. Gerade im Dialog mit Frauen wird überdies das Problem erst im vollen Ausmass erkennbar: „Die Frauen heute sagen deutlicher als je, dass sie ihren Platz in der Kirche von morgen noch nicht gefunden haben“7.
Frauen sind nicht Objekte, über die beschlossen werden könnte.
Allerdings gilt die Dringlichkeit, Frauen zu beteiligen, darüber hinaus für alle Belange der Kirche. Beim II. Vatikanischen Konzil wurde den ersten Beobachterinnen mitgeteilt, sie könnten an den „für Frauen interessanten Sitzungen teilnehmen“. Eine der ernannten Auditorinnen, Sr. Mary Luke Tobin, äusserte daraufhin: „Gut, dann kann ich ja an allen teilnehmen“8.
Ein Prozess nicht ohne Dialog
Das Projekt „Für eine Kirche mit den Frauen“ äussert einen zweifachen Wunsch, aber es hält dabei das Prinzip „nicht ohne“ auch umgekehrt durch: Es stellt keinen Forderungskatalog auf, weil es nicht ohne Dialog auf Lösungen vorgreifen will. Das mag dem Projekt als mangelnde Konkretheit ausgelegt werden. Tatsächlich lässt sich das Anliegen medial weniger gut vermitteln, als wenn klar abgesteckte Ziele formuliert würden. Das Projekt geht aber den umwegigen Weg: Selbst wer berechtigte Anliegen vertritt, kann nicht ohne andere ans Ziel kommen.
Nicht ohne Dialog. … Das Projekt geht den umwegigen Weg: Selbst wer berechtigte Anliegen vertritt, kann nicht ohne andere ans Ziel kommen.
Insbesondere in der Kirche gilt, dass Wege gemeinsam begangen werden müssen, selbst wenn dies Prozesse verlangsamt. „Autoritäten im Plural“ im Sinne Certeaus verweisen aufeinander und müssen in Verbindung miteinander wirksam werden. Deswegen formuliert das Projekt „Für eine Kirche mit den Frauen“ nicht Zielvorstellungen, sondern bittet um die Initiation eines gemeinsamen Prozesses.
Die Zeit drängt
Dabei tritt das Projekt jedoch entschieden dafür ein, dass die Zeit drängt. Ein Motiv für das Projekt ist die Wahrnehmung: „Viele Frauen fühlen sich in unserer Kirche fremd, nicht ernst genommen oder unwillkommen, weil sie zu wenig in verantwortlichen Gremien eingebunden und an Entscheidungsprozessen beteiligt sind“. Für Frauen unserer Kultur ist es selbstverständlich, formal in allen Bereichen gleichberechtigt mitwirken und in entsprechenden Funktionen mitentscheiden zu können, und sie erwarten und erfahren in der Gesellschaft, dass verbleibende Benachteiligungen beobachtet und bearbeitet werden.
Beide Erfahrungen (selbstverständliche Partizipation oder wenigstens Bearbeitung von Benachteiligungen) vermissen Frauen in der Kirche, die in ihren Strukturen sehr stark männlich geprägt ist und in der diesbezüglich kaum Veränderungen erkennbar werden. Bei vielen Frauen führt dies zur Entfremdung. Sr. Margareta Gruber diagnostiziert mit Blick auf das Selbstverständnis jüngerer Frauen: „Junge Frauen führen keinen Erlaubnisdiskurs mehr, wie es meine Generation getan hat, sondern einen Ermöglichungsdiskurs: Das bedeutet, sie bieten ihre Begabungen und Fähigkeiten an, wenn sie damit jedoch in der Kirche keinen Ort finden, dann gehen sie stillschweigend woanders hin“9.
„Junge Frauen führen keinen Erlaubnisdiskurs mehr,… sondern einen Ermöglichungsdiskurs.“
Diejenigen, die sich im Projekt „Für eine Kirche mit den Frauen“ engagieren, wollen sich mit der Abwendung vieler Frauen nicht abfinden. Sie wollen nicht ohne diese Frauen sein, die innerhalb der Kirche, an ihren Rändern und nicht selten schon ausserhalb der Kirche die Verbundenheit mit der Kirche verlieren oder verloren haben, weil sie sich als Frau darin nicht repräsentiert fühlen und ihren Ort nicht sehen.
Den Weg beginnen
In dieser Entschiedenheit will das Projekt ein Zeichen setzen. Es postuliert nicht nur, dass die Kirche sich dringend auf den Weg machen muss, um Frauen besser an Entscheidungsprozessen zu beteiligen. Im Rahmen des Projektes machen Frauen und Männer sich bereits jetzt auf den Weg. Für das Miteinander von Männern und Frauen auf allen Ebenen, für eine geschwisterliche und dialogische Kirche nimmt eine Pilgergruppe zeichenhaft 1000 km unter die Füsse.
Am 2. Mai 2016, dem Festtag der hl. Wiborada, wird die Pilgergruppe in einer Segnungsfeier mit Bischof Markus Büchel in St. Gallen auf den Weg nach Rom ausgesandt. Auf vielen Etappen werden Mitpilgernde die Kern-Pilgergruppe begleiten. In manchen Pfarreien haben sich parallele Projekte entwickelt, um vor Ort für dasselbe Anliegen einzutreten und zu beten.
Für das Miteinander von Männern und Frauen auf allen Ebenen, für eine geschwisterliche und dialogische Kirche nimmt eine Pilgergruppe zeichenhaft 1000 km unter die Füsse.
Am 2. Juli 2016, dem Fest Mariä Heimsuchung, findet nach dem Eintreffen der Pilgergruppe in Rom ein Pilgertag statt, der auf den Petersplatz münden wird. Sr. Margareta Gruber OSF, die Bischöfe Felix Gmür von Basel und Markus Büchel von St. Gallen sowie Abtpräses Jeremias Schröder OSB haben ihre Präsenz und ihre Mitwirkung zugesagt. Der Wunsch wäre, dass der Tag nicht ohne Papst Franziskus ausklingt: die Pilgernden hoffen, ihm begegnen und ihm die Anliegen des Projektes persönlich mitteilen zu können. Ob dies möglich sein wird, ist noch offen.
Glaubens- und Liebesgeständnis: „Es ist unmöglich ohne dich“.
Die Pilgernden und diejenigen, die sich ihnen verbunden fühlen (darunter zahlreiche Ordensgemeinschaften), sind im Geist des Gebetes unterwegs. Dazu dienen Impulse, die seit letztem Mai täglich auf der Internetseite aufgeschaltet sind. So kommt auch die von Certeau beschriebene mystische Dimension zum Tragen. Die Engagierten im Projekt sind Pilgernde, die für ihre Anliegen mit dem Glaubensbekenntnis und Liebesgeständnis vor Gott auf den Weg gehen: „Es ist unmöglich ohne dich“.
(Eva-Maria Faber)
Hier finden sich Angaben zum Projekt „Für eine Kirche mit den Frauen“ inkl. Hinweise für Reisemöglichkeiten.
- Michel de Certeau: GlaubensSchwachheit. Stuttgart: Kohlhammer, 2009 (ReligionsKulturen 2), 103. ↩
- Certeau, GlaubensSchwachheit 110f. ↩
- Certeau, GlaubensSchwachheit 105. ↩
- Ansprache von Papst Franziskus an die Teilnehmer eines vom Päpstlichen Rat für die Laien veranstalteten Seminars zum 25. Jahrestag des Apostolischen Schreibens „Mulieris Dignitatem“, 12.10.2013: http://w2.vatican.va/content/francesco/de/speeches/2013/october/documents/papa-francesco_20131012_seminario-xxv-mulieris-dignitatem.html (7.2.2016). ↩
- Vgl. den Redebeitrag von Bruder Hervé Janson am 19.10.2015: https://www.commonwealmagazine.org/print/37743 (7.2.2016); siehe auch: http://de.radiovaticana.va/news/2015/10/07/synode_kardinal_marx_h%C3%A4lt_stimmrecht_f%C3%BCr_laien_f%C3%BCr_machbar/1177441 (7.2.2016). ↩
- Siehe seinen Redebeitrag vom 6.10.2015: http://chanteetmarche.blogspot.it/2015/10/jour-3-synode.html (7.2.2016). ↩
- Margareta Gruber: „Frau, dein Glaube ist gross“. Ermutigung zu einer Konversio. In: Franz-Josef Bode (Hrsg.): Als Frau und Mann schuf er sie. Über das Zusammenwirken von Frauen und Männern in der Kirche. Paderborn: Bonifatius, 2013, 37-54, 53. ↩
- Joseph A. Komonchak: Unterwegs zu einer Ekklesiologie der Gemeinschaft. In: Giuseppe Alberigo (Hrsg.); Günther Wassilowsky (Hrsg. der dt. Ausgabe): Geschichte des Zweiten Vatikanischen Konzils (1959-1965). Bd. 4: Die Kirche als Gemeinschaft. September 1964 – September 1965. Mainz: Grünewald; Leuven: Peeters, 2006, 1-108, 27, v.a. Anm. 70. ↩
- Gruber, Frau 48. ↩