Geschlechtergerechtigkeit und Kirche – nur ein westliches Problem? Erfahrungen und Erkenntnisse einer Teilnehmerin am vatikanischen jugendsynodalen Prozess 2017-2019. Von Eva Wimmer.
Der vatikanische jugendsynodale Prozess von 2017 bis 2019 umfasste die Vorsynode im März 2018, an der 300 junge Menschen aus der ganzen Welt teilgenommen haben, die Synodenversammlung selbst im Oktober 2018 sowie das nachsynodale Treffen im Juni 2019. An ihm nahmen erneut ca. 300 junge Menschen aus der ganzen Welt teil.
Meine persönliche Involviertheit in all diese Prozesse und die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit dem jugendsynodalen Prozess haben bei mir besonders das Thema Geschlechtergerechtigkeit in den Mittelpunkt gestellt. Der Ausgangspunkt für diesen Themenschwerpunkt war eine Rede, welche ich als Vertreterin der jungen Menschen aus Europa gehalten habe, die unter anderem die Frauenordination thematisiert hat, und die unterschiedlichen Rückmeldungen und Reaktionen auf diese Rede. Auf Grund dieser Erfahrungen haben sich mir vier Thesen zum Thema Geschlechtergerechtigkeit herausgebildet.
Die Globalität des Themas
These 1: Das Thema Geschlechtergerechtigkeit ist für die Weltkirche relevant und nicht auf Mitteleuropa oder einzelne andere Regionen beschränkbar.
Es zeigt sich, dass das Thema Geschlechtergerechtigkeit für junge Menschen hohe Relevanz hat. In der Vorsynode der Jugendlichen wurde das Thema sehr vielfältig und intensiv diskutiert und war eines der dominanten Themen überhaupt. Dabei ging es einerseits um Frauen in Führungspositionen, weibliche Vorbilder in der Kirche und auch um die Frage, wie Frauen ihre Berufungen in der Kirche finden und leben können. Diese Fragestellungen wurden von 300 jungen Menschen aus der ganzen Welt diskutiert und als wichtig erachtet. Bei der Nachsynode der Jugendlichen wurde ebenfalls über Geschlechtergerechtigkeit diskutiert und besonders die Rückmeldungen, die ich auf meine Rede erhalten habe, zeigen die globalen Dimensionen dieses Themas auf.
Offener Austausch
These 2: Junge Menschen reden, diskutieren und tauschen sich über das Thema Geschlechtergerechtigkeit aus. In der Gesprächskultur und Intensität ist ein Unterschied zur Bischofssynode erkennbar.
Bei der Analyse der unterschiedlichen Dokumente der Vorsynode, der Bischofssynode selbst, des Vorbereitungs- und Abschlussdokuments sowie von Christus vivit ist erkennbar, dass manche Begriffe wie z.B. Gender, LGBT, Frauen, Missbrauch, Sexualität unterschiedlich oft vorkommen. Manche sind im Verlauf des synodalen Prozesses gänzlich verschwunden oder unterlagen einer Bedeutungsverschiebung. Ein Beispiel dafür ist, dass besonders von den jungen Menschen viel über gender/Geschlecht gesprochen wurde. Das Thema Sexualität wurde von den jungen Menschen ebenfalls diskutiert, jedoch hatte dieses Thema weniger Gewicht. In den Dokumenten der Bischöfe hingegen kommt das Thema Sexualität öfter vor als das Thema gender und Frauen. Einzelne Bischöfe setzten sich in ihren Beiträgen bewusst für das Thema Frauen in der Kirche ein, jedoch wurde weniger über das Thema gesprochen, als dies z.B. bei der Vorsynode der Fall war.
Unterschiedliche Kommunikationsweisen
These 3: Die Themen der jungen Menschen auf der ganzen Welt sind sehr ähnlich, jedoch unterscheiden sich die Arbeits- und Kommunikationsweisen, dies trifft gerade auch beim Thema Geschlechtergerechtigkeit zu.
Unabhängig von den Problemen, die junge Menschen in ihren Herkunftsländern haben, wurde festgestellt: „Wir wollen mehr Platz in der Kirche haben, wollen besser gehört werden und wollen mehr Verantwortung übernehmen!“ Dieses gemeinsame Anliegen war die Grundlage für alle weiteren Diskussionen in der Vorsynode. Beim Thema Geschlechtergerechtigkeit wurden besonders die unterschiedlichen Arbeits- und Kommunikationsweisen spürbar. Das bedeutet, dass manche Diskussionen über das Thema nicht in die Protokolle aufgenommen wurden oder dass manche junge Menschen nur im privaten Gespräch ihre Meinung zu dem Thema gesagt haben.
Es hat sich gezeigt, dass die unterschiedlichen Arbeits- und Kommunikationsweisen in allen Bereichen aufzufinden und damit gewisse Herausforderungen verbunden sind, jedoch gibt es gemeinsame Anliegen. Die Herausforderungen haben dabei die unterschiedlichsten Ursachen und beziehen sich zum Teil auf die Zusammenarbeit unter den jungen Menschen und zum Teil auch auf die Zusammenarbeit mit Klerikern.
Verhinderung des Dialogs durch Strukturen
These 4: Manche Strukturen und Gegebenheiten in einzelnen Ländern oder Gebieten verhindern, dass die Diskussionen und die Gesprächsbereitschaft von jungen Menschen erkennbar oder für die Öffentlichkeit sichtbar werden.
Diese These hat sich während des jugendsynodalen Prozesses entwickelt und wurde dann durch meine Erfahrungen bei der Nachsynode, nachdem ich meine Rede gehalten hatte, in einer Dichte bestätigt, die ich mir zuvor nicht vorstellen konnte. In der Rede habe ich mich zu den Themen Geschlechtergerechtigkeit, Frauenordination und Nachhaltigkeit geäußert.
Nachdem ich die Rede gehalten hatte, kamen über 30 Frauen aus der ganzen Welt zu mir und bedankten sich bei mir oder gaben mir eine längere persönliche Rückmeldung. Einige dieser Frauen sagten dabei, dass sie nicht applaudieren konnten, da dies die zweite Person ihres Herkunftslandes hätte sehen können, und wenn das zu Hause bekannt werden würde, dann hätte dies weitreichende Folgen. Eine andere Frau meinte: „Im Herzen habe ich gejubelt, in echt konnte ich es leider nicht. Ich möchte, dass du das weißt!“
Einige Personen betonten in ihren Rückmeldungen, dass sie nichts zum Thema Geschlechtergerechtigkeit sagen könnten, denn die Machtstrukturen in ihren Diözesen funktionieren noch so gut, dass Missbrauch kein vergangenes Thema ist, sondern ein hoch aktuelles. Die Frauen hätten Angst, dass sie selbst unter Druck gesetzt oder missbraucht würden, wenn sie so etwas offen ansprechen würden. Die Reaktionen zeigen, dass diese Frauen ihre eigene Meinung nicht mitteilen und ihre Zustimmung nicht äußern konnten. Etwas zugespitzt formuliert könnte man behaupten, dass diese Frauen in der Kirche nicht nur keinen Platz finden, wo sie sich entfalten und etwas mitgestalten können, sondern vielmehr noch, dass die kirchliche Struktur den Frauen ihre Sprache nimmt. Was bleibt nun von der Jugendsynode und welche Schlüsse ziehe ich aus all diesen Erfahrungen?
Prophetische Kraft der Jugend?![1]
Im Abschlussdokument der Synode wird in Zusammenhang mit den jungen Menschen von einem locus theologicus gesprochen, an welchem Gott ein Stück weit erfahrbar oder erkennbar ist.[2] Außerdem wird im Sinne des II. Vatikanischen Konzils von den „Zeichen der Zeit“ gesprochen, welche unter anderem durch junge Menschen erfahrbar werden können. Es wird also die prophetische Kraft der Jugend von der Bischofssynode selbst festgehalten und im Abschlussdokument verschriftlicht.
Wenn ich all diese Textpassagen und Eindrücke kombiniere, dann entsteht das Bild von einem neuen Blickwinkel, der nicht mehr davon bestimmt ist, dass junge Menschen die Zukunft der Kirche sind, sondern auch ihre Gegenwart, dass sie daher ernstgenommen und ihre Meinungen gehört und bedacht werden und sie in Entscheidungsprozessen eine Rolle spielen.[3]
Durch die persönlichen Erfahrungen rundum die Jugendsynode habe ich gemerkt, dass synodale Prozesse immer ein Drahtseilakt zwischen Handlungsfähigkeit und Handlungsunfähigkeit sind. Durch den Weg der Synodalität, den Papst Franziskus eingeschlagen hat, könnte sich grundsätzlich vieles ändern. Bereits im jugendsynodalen Prozess waren viele Momente gegeben, in denen das Gefühl von Aufbruch, Umbruch und Neuanbruch vorhanden war.
Was bleibt?
Persönlich bleibt mir vor allem, dass mir die Jugendsynode aufgezeigt hat, warum der Einsatz für Geschlechtergerechtigkeit in der Kirche unumgänglich ist. Für mich bleibt auch die Frage, wie die in den vier Thesen aufgezeigten Prozesse sichtbar gemacht werden können und wie es ermöglicht werden kann, dass alle Menschen ihre Meinungen äußern können, ohne dass sie daraus negative Folgen ziehen.
Die prophetische Kraft der jungen Menschen und die Bestimmung als locus theologicus[4] müssen ernst genommen werden. Durch junge Menschen werden die Zeichen der Zeit erkennbar und für die Kirche können sich neue Wege eröffnen. Die Forderung nach Geschlechtergerechtigkeit darf daher nicht mehr als mitteleuropäische Thematik abgewertet werden, sondern es braucht einen dreifachen Unterscheidungsprozess im Wahrnehmen – Interpretieren – Wählen, welcher die Stimmen der Gegenwart und der Zukunft der Kirche mit etwas Risikobereitschaft für eine junge Kirche verbindet, damit die unbedingte Liebe Gottes, welche allen Menschen entgegenkommt, neu erfahrbar wird und die christliche Botschaft nicht durch strukturelle Gegebenheiten für manche Menschen überschattet oder in der verfassten Kirche nicht erkennbar wird.
Es braucht einen vielfältigen Dialog sowie Diskurs, die prophetische Kraft der Jugend und einen gemeinsamen Unterscheidungsprozess, damit dies gelingen kann und die Kirche als „Zeichen und Werkzeug der Liebe Gottes“ erfahrbar wird (vgl. LG 1/GS 42).
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Die Inhalte des Artikels basieren auf der Diplomarbeit „Zur Globalität der Frage nach Geschlechtergerechtigkeit. Erkenntnisse aus dem vatikanischen jugendsynodalen Prozess 2017-2019“ , welche die Autorin im Zuge ihres Theologiestudiums an der Universität Graz verfasst hat.
Mag.a Eva Wimmer war auf der Vorsynode der Jugendlichen sowie dem nachsynodalen Treffen Vertreterin der österreichischen Bischofskonferenz. Während der Synodenversammlung 2018 war sie als Jugendkorrespondentin und Beraterin des österreichischen Jugendbischofs Stephan Turnovszky in Rom. Von 2018 bis 2020 war sie Bundesvorsitzende der Katholischen Jugend Österreichs. Aktuell ist sie als pastorale Mitarbeiterin in der Diözese Linz tätig.
[1] Eine Literaturempfehlung zu diesem Thema: Fuchs, Ottmar: Prophetische Kraft der Jugend?, Freiburg/Br. 1986.
[2] Bischofssynode: Abschlussdokument, 27.10.2018, Nr. 64.
[3] Vgl. CV Nr. 64.
[4] Vgl. Bischofssynode: Abschlussdokument, 27.10.2018, Nr. 64.