Die Sprache liturgischer Feiern ist in der Kritik. Zu Recht meint Birgit Jeggle-Merz und mahnt eine größere Nähe zu den Menschen von heute an.
Wenn das Thema Liturgie ins Blickfeld von Umfragen gerät, sei es beispielsweise im Rahmen des synodalen Prozesses wie in den Deutschschweizer Bistümern in den letzten Monaten geschehen oder zur Analyse der Auswirkungen der Corona-Pandemie auf das kirchliche Leben, dann wird häufig auf ein bestimmtes Problemfeld verwiesen, nämlich: auf die liturgische Sprache. Zu weltfremd sei sie, zu sehr am täglichen Leben der Menschen vorbei. Auch in vielen Diskussionen über liturgische Fragen wird oft eine lebendigere, mehr zeitgemäße Sprache angemahnt. Für nicht wenige Zeitgenoss:innen klingen Worte wie «Heil», «Gnade» oder «Reich Gottes» wie schwer verständliche Fremdwörter, mit denen sie nichts (oder nicht viel) verbinden können. Auch der Gebetsduktus mutet ihnen altertümlich an. Es fällt ihnen schwer, sich darin einzuschwingen.
Das Ritual Liturgie greift nicht mehr (selbstverständlich).
So ist die liturgische Sprache für nicht wenige zu einem Stolperstein geworden. Sollten also die Gebetstexte, die überkommenen liturgischen Formeln, ja: vielleicht sogar die Verkündigungstexte aus der Bibel sprachlich überarbeitet werden? Würde es dafür genügen, einfach bestimmte Begriffe durch andere zu ersetzen und den Sprachduktus an das heutige Empfinden anzugleichen? Zweifellos wäre das ein wichtiger, aber vermutlich doch nur erster Schritt. Vielmehr erscheint die Klage über eine lebensferne, wenig verständliche Sprache eine Stellvertreterfunktion dafür zu haben, dass das Ritual Liturgie nicht mehr (selbstverständlich) greift, es also – theologisch gesprochen – nicht als ein Geschehen erfahren wird, das Gott und Mensch miteinander in Beziehung bringt.
Liturgie von den Feiernden her denken und weniger aus dem Blick der Tradition
Mit Blick auf alarmierende Ergebnisse aus jüngsten Umfragen zur Akzeptanz liturgischer Feiern in Pandemiezeiten treten Benedikt Kranemann und Dominik Abel für ein Umdenken ein und fordern dazu auf, Liturgie mehr vom Kontext und von den Feiernden her zu denken[1] und – so kann man hier ergänzen – weniger von der Tradition her.
Soweit die Liturgiereform im Zuge des Zweiten Vatikanischen Konzils auch einen Umbau der liturgischen Feiern vorsah, um die volle, bewusste und tätige Teilnahme aller Mitfeiernden zu ermöglichen, so sehr ging es doch auch um die Wahrung einer in der Tradition verankerten Gebets- und Feierkultur, die aus der Schatzkiste vergangener Jahrhunderte gehoben und wieder neu in das liturgische Leben der Kirche aufgenommen werden sollte. Damit wollte man den Zeitgenoss:innen den Reichtum liturgischen Betens und Feierns früherer Zeiten zurückgeben und ihnen eine Tiefe liturgischen Feierns vermitteln, die man in den Quellen herauslas.
Liturgisches Beten lässt sich nicht auf einen historischen Stand einfrieren.
Allerdings geriet dabei zu oft aus dem Blick, dass die Kirche zu allen Zeiten die Formen von Verkündigung und Sprache je neu finden muss, um in ihnen das Evangelium weitergeben zu können. Die Tradition zu wahren, darf nicht heißen, zuvorderst am Althergebrachten festzuhalten. Liturgisches Beten lässt sich nicht auf einen historischen Stand einfrieren, sondern braucht die stete Fortschreibung, nimmt man ernst, dass Gebet immer ein aktuelles Geschehen ist, genauer: ein Handeln Gottes und des ihn ansprechenden Menschen im Medium der Sprache. Im Gebet realisiert sich die Beziehung zwischen Gott und Mensch.
Der konkrete, jetzt vor Gott stehende Mensch ist in der Sprachhandlung Gebet also kein zu vernachlässigender Faktor. Nimmt man ihn mit seinen Kontexten und Ausdrucksmöglichkeiten nicht ernst, fördert dies die Entfremdung vom liturgischen Geschehen. Ohne Zweifel lernt der Mensch das Beten wie das Sprechen selbst zunächst durch Nachsprechen. Deshalb wird man kaum auf die Gebete der Überlieferung, die die christliche Weisheit aus Jahrhunderten atmen, verzichten können. An den Grundgebeten des Christentums kann der nach dem Glauben fragende oder der suchende Mensch lernen, in das Beziehungsgeschehen zwischen Gott und Mensch einzutreten. Aber wer eine gewisse Fertigkeit darin gewonnen hat, den drängt es danach, sich selbst in seiner oder ihrer eigenen Weise auszudrücken und in das Beziehungsgeschehen mit Gott einzutreten.
Es braucht eine liturgische Sprache, an die Menschen von heute anknüpfen können.
Um Spuren im Alltag der Menschen setzen zu können, braucht es eine liturgische Sprache, an die Menschen von heute anknüpfen können. Um diese zu finden, muss man auf die Geschichten und die Wirklichkeiten der Menschen der Gegenwart hören und mit ihnen in einen Dialog treten. Nicht anders sind auch in früheren Jahrhunderten die liturgischen Vorlagen entstanden. Auch in ihnen spiegelt sich der Zeitgeist sowie das jeweilige Verständnis des Verhältnisses von Mensch und Gott, von Welt und Mensch und vom Menschen generell. Die Liturgie, ihre Formen und auch ihre Sprache veränderte sich immer, wenn die Mentalitäten sich wandelten. Das ist fast eine Art ungeschriebenes Gesetz. Denn nur so kann gewährleistet bleiben, dass die Feier der Liturgie den Raum bietet für die intendierte Begegnung zwischen Gott und Mensch.
Der harzige Weg zum Prinzip der dynamischen Äquivalenz
Folglich müsste im Grunde jede Generation in einem Prozess des Aufeinanderhörens die liturgischen Vorlagen, also die liturgischen Bücher – verstanden als Partituren für ihre liturgischen Feiern – anpassen, korrigieren und ergänzen. Aber das ist wohl blanke Utopie. Jede:r, die und der je mit der Entstehung liturgischer Bücher zu tun hatte, weiss, wie mühsam und langwierig solche Prozesse sind. In den letzten Jahrzehnten gestaltete sich die sprachliche Erarbeitung der liturgischen Bücher besonders schwierig. Die Übersetzerinstruktion Liturgiam authenticam (2001) setzte jeder Übersetzung der lateinischen Liturgiebücher in die verschiedenen Muttersprachen enge Grenzen, indem sie eine große Nähe zum lateinischen Text verbindlich vorschrieb. Nur so sahen die römischen Dikasterien die Einheit der Kirche gewahrt und die «gesunde Lehre» vor jeglicher Ideologie geschützt (LA 3). Dieses Prinzip der formalen Äquivalenz hat maßgeblich dazu beigetragen, dass das Liturgiedeutsch «immer mehr an die Grenze zur toten Sprache»[2] geriet.
Das Ziel von Übersetzungen ist Verständlichkeit, nicht einfache Wortwörtlichkeit in Anlehnung an den lateinischen Text.
2017 kehrte Papst Franziskus mit dem Motu proprio Magnum Principium wieder zum Prinzip der dynamischen Äquivalenz zurück. Sprache habe die Aufgabe, Kommunikation zu ermöglichen und die überaus wichtige Aufgabe, die tätige Teilnahme aller Mitfeiernder zu ermöglichen. Das Ziel von Übersetzungen ist Verständlichkeit, nicht einfache Wortwörtlichkeit in Anlehnung an den lateinischen Text. Im letzten Herbst hat die Gottesdienstkongregation mit dem Dekret Postquam Summus Pontifex (2021) Ausführungsbestimmungen zu der Übersetzerinstruktion erlassen, die unterstreichen, dass es Ziel liturgischer Bücher sein müsse, die Mitfeier aller zu ermöglichen. Für die Übersetzung der lateinischen Modellbücher solle man auch das Sprachverständnis der jüngeren Generation heranziehen.
Über eine lebendige, zeitgemäße Sprache hin zu mehr Akzeptanz liturgischer Feiern
Die Bischöfe und die Verantwortungsträger:innen werden nun mit viel Mut und Elan dafür eintreten müssen, dass diese Prinzipien nicht nur in Dekreten formuliert, sondern sich auch in liturgischen Büchern wiederfinden lassen. Es müsste der ganzen Kirche ein Herzensanliegen sein, den Menschen von heute einen Zugang zur Liturgie zu ermöglichen. Ein Meilenstein auf diesem Weg ist die liturgische Sprache. Selbstredend geht es natürlich nicht nur um eine möglichst zeitgemäße Sprache in den Übersetzungen aus lateinischen Vorlagen. Es betrifft alle Formen der Kommunikation in liturgischen Feiern. Das meint Formeln, Redesequenzen wie Einleitungen, Hinführungen und insbesondere Predigten und darüber hinaus natürlich auch Zeichenhandlungen. Menschen wollen sich angesprochen, berührt und verstanden fühlen. Sie wollen die Fragen ihres Lebens gedeutet wissen und Nahrung für ihren Alltag erhalten. Eine erhöhte Sensibilität für die Wirklichkeiten der Gegenwart in Sprache und Gestalt der Liturgie würde ihnen helfen, dies alles in den ihnen oft fremden und unbekannten liturgischen Feiern zu finden.
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Prof. Dr. Birgit Jeggle-Merz ist Liturgiewissenschaftlerin an der Theologischen Hochschule Chur und an der Universität Luzern.
Beitragsbild: Pixabay
[1] Benedikt Kranemann/Dominik Abel, Gipfel und Höhepunkt?, in: Gd 56 (2022) 82f.
[2] Stefan K. Langenbahn, In erstarrter Sprache? Zur Liturgiesprache des Messbuchs, in: Gd 45 (2011) 16.
Vgl. zur Liturgischen Sprache z.B. auch: