Am Katholikentag in Stuttgart wurde der Initiative GottesSuche ein Preis überreicht. Flora-Nike Göthin, eine Betroffene, bedankt sich für die Initiative mit sehr persönlichen Erfahrungen.
Es gibt Menschen, bei denen ich das Gefühl habe, kein Dank und keine Auszeichnung werden je das ausdrücken können, was sie eigentlich verdienen. Für ihr Engagement und die da hinein investierte Kraft, Zeit und das Gute, das sie wie eine schön gedeckte Tafel mit wohltuenden Speisen anrichten, um in einem Kriegsgeschehen trotz allem Momente des Trostes, der Ruhe, der Geborgenheit und der Regeneration zu schenken.
Ich bin als Kirchenkriegskind mehrfach verletzt worden, sowohl in meiner Kindheit als auch in jüngster Zeit. Von gefühlsbetäubten Ordensschwestern ebenso wie von allen Hierarchieebenen eines Bistums. Die Täter von damals und heute sind nicht dieselben, gehören aber demselben System an. Ein System, das Gott verspricht und alle Versprechen bricht.
Fast wie ein verbotener Radiosender im Krieg, denn umfassendes und strategisches Wissen schien allein den Machthabern in der Kirche vorbehalten.
Als ich vor zweieinhalb Jahren begann, mich wieder der Kirche anzunähern, weil sie Aufklärung, Aufarbeitung und Wiedergutmachung für Betroffene sexueller Gewalt in ihren Reihen versprach, stieß ich auch auf das Portal GottesSuche, das mich täglich und kompakt mit den wichtigsten bundesweiten Entwicklungen zu diesem Thema versorgte. Fast wie ein verbotener Radiosender im Krieg, denn umfassendes und strategisches Wissen schien allein den Machthabern in der Kirche vorbehalten.
So konnte ich die Entwicklung in meinem Bistum mit den bundesweiten Ereignissen abgleichen, und mir jederzeit einen Gesamtüberblick verschaffen, den kein einziges Medium sonst in dieser Komplexität anbietet.
Die reich gedeckte Tafel der GottessucherInnen war ein Labsal für viele Seiten meiner Seele.
Zudem wurde ich auf hilfreiche Bücher, lehrreiche Veranstaltungen, Vernetzungsmöglichkeiten mit überregionalen Betroffeneninitiativen und auch auf unaufdringliche Begleitung auf dem für mich schweren Weg zurück zu einem vertrauensvollen Gott aufmerksam. Die reich gedeckte Tafel der GottessucherInnen war ein Labsal für viele Seiten meiner Seele, und ich konnte die Wiederannäherung an die römisch-katholische Kirche mit allen Risiken nur wagen, weil es diesen Rückhalt gab.
So auch nach meiner Entlassung aus dem Betroffenenbeirat im Januar diesen Jahres, begleitet von den entsprechenden Medienverzerrungen, die nur berichten, was Sensation verspricht, egal, welch neue Wunden und Unwahrheiten damit in die Welt transportiert werden.
Wäre mir in dieser Zeit nicht Frau Kerstner mit ihrer verständnisvollen Empathie zur Seite gestanden, weiß ich nicht, wo ich heute stünde.
Ihre Worte im persönlichen Austausch waren Halt und Trost, gaben mir Kraft und neuen Mut zum Weitergehen und -leben, wo das Bistum eklatant versagte. Denn von dort gab es kein einziges Seelsorgeangebot, keine Nachfrage, wie ich das verkraftete, bis heute keinerlei Unterstützung.
Das führte in den letzten Monaten dazu, dass ich mich, soweit es ging, von allen römisch-katholischen Machtstrukturen und den, wie sich herausgestellt hatte, falschen Versprechungen entfernte. Bei jeder Priesteransprache im Radio, Fernsehen oder Internet rebelliert mein Magen, weil die Selbstdarstellung des Apparats mit seinen gezielten Täuschungsmanövern für mich mittlerweile unverdaulich ist. Und die täglich neuen ans Licht kommenden Verfehlungen, vom Missbrauchsbeauftragten bis hin zum Vorsitzenden der DBK, geben meinen empfindlich gewordenen Magennerven recht.
Die kritischen Betroffeneninitiativen, ohne die kaum etwas aufgedeckt würde, wurden an einen Außenplatz gesetzt, in der Hoffnung, dass dort niemand vorbeikäme.
Während Herr Bätzing sich auf der zentralen Bühne des Katholikentages wortreich für seine neuesten Verfehlungen und Falschannahmen mit den üblichen Floskeln entschuldigte, wurden die kritischen Betroffeneninitiativen, ohne die kaum etwas aufgedeckt würde, an einen Außenplatz gesetzt, in der Hoffnung, dass dort niemand vorbeikäme. Und die GottesSucherInnen wurden ausgezeichnet, während sie gleichzeitig wieder in ihrem Portal dafür sorgten, dass die BIs an ihrem gerichtlich verfügten Un(sichtbarkeits)platz sichtbar blieben.
Und es wurde ebenfalls sichtbar, wovon die Laien der ZDK so gerne mit ihrer Preisverleihung abgelenkt hätten … nämlich, dass Betroffene DIE Aufarbeitung leisten, jederzeit wo es möglich ist und ihre Kraft zulässt, den Finger in die Wunde legen, auch wenn der eigene Finger dabei wund wird. So auch in die Wunde der bisherigen Untätigkeit noch zu vieler christlicher Laien, die lieber Unterschriften für die Wiedereinsetzung eines rechtskräftig verurteilten Pfarrers sammeln (wie letztes Jahr in Bad Bocklet) als den Betroffenen Glauben zu schenken und an ihrer Seite für Klarheit und Transparenz zu kämpfen. In Wort UND Tat. Die elegante Zurückhaltung und das Schweigen der ChristInnen in den Gremien (ausgenommen der engagierten Frauen von Maria 2.0 ) ist nicht mehr angebracht und richtet mehr Schaden an, als eine einzelne Preisverleihung wieder gut machen kann … Reden ist Silber, Wahrheit ist Gold!
Sie zeigen mir, wie eine gute, GLEICH-berechtigte, fürsorgende und traumasensible christliche Seelsorge aussieht.
Woher die Frauen und Männer der GottesSuche (unter der Last ihrer eigenen Betroffenenheit!!) ihre Kraft für diese umfassende Arbeit mit vielen Gleichzeitigkeiten und das Aushalten von 20 Jahren entmutigender Ohnmacht durch die Ignoranz der Kirche nehmen, weiß ich nicht … wahrscheinlich hat der echte Gott sie mit einem besonderen Schutzpanzer gesegnet, damit sie uns anderen Licht sein können. Oder sie sind direkt vom Himmel in die Menschengestalt gesteckt worden.
Sie zeigen mir, immer wieder von Neuem, wie eine gute, GLEICH-berechtigte, fürsorgende und traumasensible christliche Seelsorge aussieht. Ich brauche keine andere Kirche mehr. Sogar an den Feiertagen finde ich dort alles, was mir wichtig ist.
Auch Segen, wenn ich ihn aushalte.
Danke für all das an Frau Kerstner und das gesamte GottesSuche-Team!
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Autorin: Flora-Nike Göthin, eine Betroffene, die sich – trotz allem – ein Gespür für das wirklich Gute erhalten konnte.
Leserinnenbrief zum Beitrag:
Menschen mit Missbrauchserfahrung im Mittelpunkt: Aggiornamento-Preis für GottesSuche