Oliver Wintzek setzt sein Plädoyer gegen ein Willkürkonzept vom gestrigen Tag fort.
Ein subjektives Berufungsbewusstsein kann selbst nicht dergestalt kontrolliert werden, ob ihm ein realer göttlicher Grund entspricht. Nimmt man es dennoch für bare Münze, verböte sich zudem eine äußere Kontrolle durch Dritte. Diese wäre letztlich anmaßend und verginge sich an der Berufungshoheit Gottes. So weit geht es angesichts innerkirchlicher Reglementierungen nun in der Tat nicht. Es gibt hier gewissermaßen eine Wahrheitskommission, die autoritativ über die Gültigkeit einer Berufung entscheidet. Nicht nur, dass sie Frauen in grundsätzlicher Weise eine priesterliche Berufung abspricht, sondern sie setzt sich auch über die gewissermaßen herangezüchtete subjektive Berufungsgewissheit hinweg. Die zahlreichen aus den Priesterseminaren entlassenen Alumnen können hiervon ein Lied singen.
Berufung – machtmissbräuchlich diskriminierend.
Es geht mir hier nicht darum zu fragen, ob und inwieweit solche Entscheidungen berechtigt sind. Positiv ist zu vermerken, dass es sich hier im Idealfall um begründete Entscheidungen handelt, die sich an kontrollierbaren Kriterien orientieren, etwa was soziale Kompetenz, kritische Loyalität zur Kirche und nicht zuletzt theologische Kenntnisse anbelangt. Erfreulich ist dies alles insofern, als dass hier die übernatürliche Ebene des theologisch Vagen und Strittigen eines berufenden Gottes verlassen wird, und es stattdessen mit natürlichen Dingen zugeht.
Es wäre in höchstem Maße wünschenswert, wenn namentlich die Ausschlusskriterien, was die Zulassung von Frauen zum Priestertum angeht, theologisch entzaubert würden. Die theologische Redlichkeit verlangt es, die reichlich wackeligen Konvenienzargumente als das zu dechiffrieren, was sie sind, nämlich zeitgebundene Annahmen, die nicht für sich in Anspruch nehmen können, göttlich legitimiert zu sein. Der Versuch, diese dem kritischen Diskurs dadurch zu entheben, dass man sich auf die Immunisierungsstrategie zurückzieht, die Kirche habe keine Vollmacht, lässt einen bestenfalls ratlos zurück.
Spiegelverkehrt zur gewissermaßen unfehlbar aufgeladenen Berufungssubjektivität tritt hier eine Berufungsverweigerung lehramtlicher Art, die ebenso unkontrollierbar ist, mag sie sich auch noch so sehr durch eine übernatürliche göttliche Infomationspolitik absichern wollen. In willkürlicher Weise, durchaus machtmissbräuchlich und diskriminierend entbirgt sich hier eine Bezugnahme auf den göttlichen Willen, der sich den Standards freier Selbstbestimmung und der Verpflichtung nachvollziehbarer Argumentation widersetzt und sich stattdessen auf die Ebene göttlicher Uneinsehbarkeit verlagert – nach dem Motto: Wer wären wir Menschen, dass wir die göttlichen Willensentscheide und seine Gnadenwahl zu beurteilen hätten.
Berufung – gnadentheologisch desaströs
Die Berufung auf ein göttlich verbürgtes Sonderwissen, die Berufung auf ein unfehlbares Gewahrwerden, was der göttliche Wille für das Leben erheischt, die zu suchende Absicherung der ungewissen Lebensläufe durch eine vorverfügte Planung Gottes haben ihren theologischen Nukleus in einer bestimmten Form der Gnadenlehre. Für den Kenner und die Kennerin stellt dieser dogmatische Traktat über weite Strecken eine Quadratur des Kreises dar. Menschliche Autonomie – Freiheit – und göttliche Heteronomie – Gnade – sollen hier kombiniert werden. Die immer subtiler gewordenen Gnadensysteme offenbaren, dass dies nicht so recht gelingen will, worüber auch eine vernebelnde Theologensprache nicht hinwegzutäuschen vermag. Die letzte Ausflucht ist dann stets der Verweis auf das göttliche Geheimnis, womit nichts erklärt wird.
Ich äußere den Verdacht, dass die Vorstellung einer göttlichen Berufung sich die desaströsen Konsequenzen der schon im Ursprung falsch justierten Gnadentheologie nolens volens einkauft und einkaufen muss. Seit den Tagen des Augustinus, des doctor gratiae oder des Erfinders der Gnadenlehre, betont die westliche Theologie in unterschiedlicher Vehemenz den Vorrang und die Unwiderstehlichkeit der Gnade. Sie – so ein dogmatischer Spitzensatz – wirke in uns ohne uns, sie bewege mich, ohne dass ich mich selbst bewege. Es sei allein Gottes Walten anheimgestellt, welcher Mensch erwählt und welcher verworfen wäre.
Selbst eine freie gläubige Bezugnahme auf Gott wäre nicht eigentlich Werk des Menschen, sondern Werk der göttlichen Gnade – in uns ohne uns. Bezogen auf das zunächst harmlos klingende, wenn auch oben bereits kritisch sezierte Berufungskonzept hieße dies, dass auch das angemahnte Suchen nach der göttlichen Bestimmung für das Leben von Gott bestimmt, initiiert und geleitet wäre. Es hieße fernerhin, dass von einer freien Lebenswahl nicht die Rede sein könne, dass vielmehr eine souveräne Vorherbestimmung seitens Gottes anzunehmen wäre, die ihrerseits wiederum undurchschaubar wäre, selektiv, entmündigend und letztlich willkürlich. Es ist nicht so, dass die desaströsen Konsequenzen für das Gottes- und Menschbild von der theologischen Tradition nicht gesehen wurden, doch opferte man lieber die menschliche Freiheit, statt dass man die universale Bestimmungsmacht Gottes hinterfragte.
Die enigmatischste Variante der gnadentheologischen Quadratur des Kreises findet sich etwa bei Thomas von Aquin und hat bis in die Gegenwart ihre theologischen Vertreterinnen und Vertreter – ich gehöre nicht dazu. Gott bewege uns gnadenhaft so, dass wir uns selbst bewegen können, seine Fremdbestimmung meint meine Eigenbestimmung, je heteronomer ich von Gott her bin, desto autonomer bin ich. Berufung wäre göttliches Diktat unter dem Anschein der eigenen Biographie, Entmündigung des Selbst. Aber „antworte“ ich hier dann eigentlich noch?
Berufung – willentlich aus Gründen.
Ich komme zur angekündigten Alternative. Priestertum kann man sich selbst heraussuchen. Man kann es sich ausdenken als eine Art, wie man in seinem Leben Sicherheit erlangen, sich sein Brot verdienen, eine soziale Stellung erreichen kann. Man kann es sich wählen als etwas, womit man Sicherheit, Freundschaft, Geborgenheit findet; wie man sich ein Leben bauen möchte. Es kann niemals bloß eigene Versorgung, eigene Wahl sein, denn diese Wahl erfolgt ja nicht im luftleeren Raum.
Sie ist motiviert, weil man gerne Seelsorgerin oder Seelsorger ist, weil man gerne sozial-caritativ tätig ist, weil man gerne die uralten Gottesgeschichten weitererzählt und im Heute bewährt, weil man gerne gottesdienstliche Erinnerungsgemeinschft pflegt, weil man gerne das göttliche Lebenspotential lebendig hält, weil man gerne wissbegierig in der theologischen Wissenschaft unterwegs ist. Dazu braucht es keine übernatürlich-unfehlbare Gottesplanung über meinen Kopf hinweg – und darf es auch nicht geben. Dazu darf es Gott nicht als Movens geben, der mich ohne mich bewegt, dazu reicht es, Gott als Motiv für meine Biographie zu wählen – mit Gründen, willentlich, nicht, weil Gott es vermeintlich für mich will oder immer schon gewollt hat.
Gott ist keine fixe Größe.
Dem Personalmangel in der Kirche wird nicht durch Gebete um Berufungen abgeholfen, sondern durch grundlegende Reformen, die die Sozialgestalt Kirche inhaltlich wie strukturell mit der Gegenwart, ihren ungeahnten Möglichkeiten freier Entfaltung, ihren aufgeklärten Wissenswelten und ihrem nicht versiegten Sinnbedürfnis versöhnen und korrelieren. Gott ist keine fixe Größe, sondern ein unendlich andockfähiges Sinnpotential, ein attraktives Motiv, ein Warnschild vor ideologischen Verkennungen einer offenen Zukunft, ein unendliches Gerücht, das den Menschen in Atem hält und atmen lässt.
Das kann man wollen, begründet und begründbar wollen – in der Haltung theologischer Bescheidenheit, dass der prinzipiell strittige Gott sich im Leben bewährt. Gott wäre so nicht willkürlich wählend, sondern ich wählte ihn willentlich. Nicht Gott beruft, ich berufe mich auf ihn in meinem Lebensentwurf. Ich sehe nicht, warum auch ein solchermaßen gesuchtes Priestertum nicht recht wäre, es wäre Antwort auf dieses göttliche Motiv, das ich für das Leben will. Das müssten prinzipiell alle wollen können.
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Text: Oliver Wintzek, Prof. Dr. theol., Lehrstuhl für Dogmatik und Fundamentaltheologie an der Katholischen Hochschule Mainz.
Bild: Gerd Altmann, Pixabay.
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