In dem Kinofilm „Nicht ganz koscher“ geht Wolfgang Sigler auf die Suche nach humorvollen Impulsen für das Gespräch der Religionen.
„Nicht ganz koscher“ ist ein Roadmovie der anderen Art. Weil er seinen Flug verpasst hat, ist der New Yorker Benjamin auf dem Landweg unterwegs von Jerusalem nach Alexandria. Er hat Pech. Denn als orthodoxer Jude ist er deutlich erkennbar und es gibt Streit im vornehmlich ägyptisch besetzten Bus, ob er mitfahren darf. Der Busfahrer löst die Frage demokratisch: Solange die Mehrheit im Bus dafür ist, dass er mitfährt, fährt er mit. Von Haltestelle zu Haltestelle fallen die Perlen auf dem Abakus, und irgendwann steht er auf sich gestellt mitten in der Wüste Sinai. Der Beduine Adel ist eigentlich auf der Suche nach seinem entlaufenen Kamel und nimmt den vom Glück Verlassenen im Auto mit. Der holprige Beginn einer Männerfreundschaft. Eines Weges, auf dem die Frage verhandelt wird, ob und wie die beiden ihren Traditionen verpflichtet sind. Ein umgekehrter Exodus, der gleichwohl in ein Mehr an Freiheit führt. So viel sei bereits hier verraten: Es geht gut aus. Der Film ist eine Komödie.
Religiöse Identitätsbestimmungen
Bereits die Rahmenhandlung des Films ist religiös bestimmt: In der geschrumpften jüdischen Diasporagemeinde in Alexandria ist der zehnte Mann gestorben. Den bräuchte es nach traditioneller Auffassung jedoch, um Pessach zu feiern.[1] Eine Katastrophe, denn es gibt eine alte Vereinbarung, dass alles Eigentum der Gemeinde an den ägyptischen Staat fällt, sobald die Gemeinde nicht mehr feiert. Eine Frau als Zehnte zu nehmen kommt augenscheinlich nicht in Frage.[2] Weil das Fest herannaht, wird also nach Jerusalem telefoniert und Benjamin macht sich auf den Weg.
Die beiden sind ein ungleiches Paar.
Adel ist Muslim und, wenngleich ihn die Fülle der 613 Mitzwot irritiert, die Benjamin zu erfüllen hat, verrichtet auch er seine Gebete. Seine Identität ist vor allem durch beduinische Ideale geprägt. Es sind Grundsätze beduinischer Gastfreundschaft, die ihn verpflichten, drei Tage für Benjamin zu sorgen. Die beiden sind ein ungleiches Paar – vor allem ist es Adel, der sich um Benjamin kümmert. Denn der jüngere Jude erweist sich Mal und Mal als eher unbedarft und hilflos. Wie unhinterfragt ernst Benjamin religiöse Traditionen nimmt, zeigt sich in einer wiederkehrenden Szene: Obwohl er unvorbereitet in der Wüste gelandet ist, nutzt er das knappe, wertvolle Wasser immer wieder für rituelle Handwaschungen. Davon lässt er auch später nicht ab, sodass irgendwann der Wassertank hinten auf dem Truck leer ist – und Adel kein Kühlwasser für das Auto mehr hat. Jetzt laufen beide zu Fuß weiter. Die übertriebene religiöse Observanz hat in eine prekäre Situation geführt.
Es wird immer deutlicher, dass das, womit sich die beiden (über-)identifizieren, sie in ihren Entfaltungsmöglichkeiten beschränkt.
Der Film positioniert sich ambivalent in Bezug auf den Wert religiös-weltanschaulicher Identitätsbestimmungen. Zum einen scheinen rituelle Formen insbesondere Benjamin einen gewissen Halt in der Ausnahmesituation der unverhofften Wüstenwanderung zu geben. Er wirkt über ganze Passagen geradezu unbeschwert.[3] Zum anderen wird im Verlauf der Handlung immer deutlicher, dass das, womit sich die beiden (über-)identifizieren, sie in ihren Entfaltungsmöglichkeiten beschränkt. Anders als sein Vater, der zum Tomatenzüchter wurde, will Adel ein Beduine vom alten Schlag sein. Einer wie sein Großvater, der den Wüstenluchs noch kannte. Daran hält sich Adel fest und hat dafür sogar in Kauf genommen, dass seine Frau und seine Kinder weggegangen sind. Benjamin ruft seinerseits die Frau seiner Träume täglich an, bleibt aber stumm in der Leitung. Er hört nur ihre Stimme, wagt aber nicht, darüber hinauszugehen. Denn Ihre Art, jüdisch-liberal in New York zu leben, wäre mit den strengen Prinzipien seines Vaters nicht vereinbar.
Eine allmähliche Wandlung der Hauptcharaktere.
Das zugrundeliegende Wegmotiv unterstreicht die allmähliche Wandlung der Hauptcharaktere, und tatsächlich machen beide eine gewisse Öffnung durch. Innerhalb der skurrilen Verwicklungen, die dieser Film zu bieten hat, werden Benjamin die alten Zöpfe (hier die Schläfenlocken) im Schlaf abgeschnitten und schließlich ringt er sich durch, seiner Angebeteten seinen Namen zu nennen. Ebenso versöhnen sich innerhalb Adels Selbstkonstruktion der väterliche und der großväterliche Zug, sodass der Film mit einer Tomatenlieferung zum restaurierten Wüstenboot des Großvaters enden kann.
Politische Dimension
Der Topos der Freiheit wird im Film in einem Wechselspiel zwischen Makro- und Mikrosphäre verhandelt. Die eingangs geschilderte Szene im Bus thematisiert die negative Stimmung der ägyptischen Bevölkerung gegenüber Benjamin als orthodoxem Juden. Obwohl er nicht einmal aus Israel stammt, ist Benjamin Vorurteilen ausgesetzt. Er ist erkennbar, auch weil er sich selbst markiert durch Kleidung, Bart- und Haartracht. Einige Passagiere stehen für ihn ein: In einem freien Land müsse jeder Bus fahren dürfen, der ein Ticket hat. Andere wollen nicht „mit so einem“ im Bus sitzen. Es kommt zu Gezeter, aber zu keinem Gewaltausbruch. Denn der Busfahrer lässt einen Schrei los und schlichtet – demokratisch, wie er sagt. Demokratie bedeutet nach seinem Verständnis, dass dafür und dagegen abgezählt werden, immer wieder, die ganze Busfahrt hindurch. Der Schutz Benjamins als Minderheit im Mikrokosmos Omnibus hängt von den Mehrheitsverhältnissen ab – und als der Wind sich dreht, muss er aussteigen.
Eine Religionsausübung ohne politische Implikationen?
Adel tritt ebenfalls immer wieder für Benjamin ein und stellt ihn gegenüber anderen Männern der Wüste unter seinen Schutz. Am Ende macht sich der Druck der verlorenen Situation der beiden doch bemerkbar und in einem hitzigen Wüstengespräch macht Adel Benjamin für politische Maßnahmen Israels verantwortlich. Demgegenüber hält Benjamin an einem unabhängigen Nebeneinander von Religion und Politik fest: „Das sind nicht ‚wir‘. In meiner Sprache gibt es gar kein Wort für Rakete oder Kampfjet.“ Er möchte sich auf eine Religionsausübung ohne politische Implikationen zurückziehen. Ganz hält er das allerdings nicht durch. Denn als es Schabbat wird, darf er sein Gepäck nicht tragen. Das wäre verbotene Arbeit. Damit sie weitergehen können, trägt am Ende Adel das Marschgepäck von beiden. Die religiöse Freiheit des einen bedeutet im politischen Mikrokosmos der Wüstenwanderung handfeste Lasten auf den Schultern des anderen. Zugleich macht die Vielschichtigkeit der Erzählung aus, dass Adel sich, wenn auch unter Murren, entschieden hat, Benjamins Gepäck zu tragen. Er trägt die Last des anderen letztlich freiwillig mit.
Im Zentrum steht die persönliche Begegnung der beiden Protagonisten.
In diesem Film geht es um die Vision einer Freundschaft, die politische Grenzziehungen überbrücken kann. Im Zentrum steht die persönliche Begegnung der beiden Protagonisten. Nach und nach nähern sie sich einander an, bis sie sich schließlich – abgestürzt ins kalte Nass einer Zisterne – sogar mit nackten Oberkörpern umarmen, um die kalte Wüstennacht zu überleben. Adel wird für Benjamin eintreten, auch nachdem die drei Tage der Gastfreundschaft vorüber sind. Schön ist in diesem Zusammenhang eine Nebenerzählung: Von Alexandria aus verfolgen der dortige Rabbiner und der ägyptische Behördenchef Benjamins Rennen gegen die Zeit mit. Er wird zu einem Läufer auf dem Brett ihrer langjährigen Schachpartie. Als der Behördenchef den Rabbiner aber endgültig mattsetzen könnte, verzichtet er darauf – und das Spiel kann weitergehen.
Symbolträchtiges Synapsenfeuerwerk
Für Menschen, die mit der religiösen Symbolwelt der südlichen Levante einigermaßen vertraut sind, gibt es in diesem Film beständig Neues zu entdecken. Symbolischer Grundstoff des Films ist natürlich der auch explizit benannte „umgekehrte“ Exodus, vom gelobten Land zurück nach Ägypten. Aber darin erschöpft sich die Bildsprache des Filmes nicht. Die Kombination aus einem Schiff im Wüstenmeer und einer gefangenen Taube erinnert etwa stark an die Motivik der Arche Noah.[4] An anderer Stelle finden sich Adel und Benjamin in einer Zisterne wieder, wie Josef, der von seinen Brüdern nach Ägypten verkauft wurde.[5]
Adels entlaufenes Kamel und der Dornbusch lassen sich schließlich als Leitmotive ausmachen. Der Dornbusch als Wüstengewächs taucht immer wieder auf. Er verweist auf Mose, der am Brennenden Dornbusch im Tetragramm den Namen Gottes empfängt. Im Film wird er nach jüdischer Sitte mit haschem („der Name“) paraphrasiert. Nur ein anderes Mittel, um auszudrücken, was sich auch aus den 99 Namen ergibt, die der Islam für Gott kennt. Es geht um ein Kennen, das sich vormachen muss, den Anderen vollkommen zu erfassen. Namen spielen auch in diesem Film eine wichtige Rolle: Dass sie sich – wenn auch verzögert – namentlich vorstellen, ist der erste größere Schritt hin auf die Freundschaft der beiden Protagonisten. In einer impliziten relecture der Mose-Erzählung lassen sich gerade die Freundschaft und das Einander-Verstehen-Lernen als Ort der Offenbarung aufzeigen: Mose legt am Brennenden Dornbusch seine Schuhe ab, denn der Ort, wo er steht, ist heiliger Boden (Ex 3,5). Die eigenen Schuhe abzulegen ist aber zugleich die erste Voraussetzung für ein „walking in another man’s shoes“, und genau hier – in der persönlichen Begegnung religiöser Menschen und im Eintreten füreinander – liegt ein Lösungsansatz zur Verständigung zwischen den Religionen. An dieser Stelle weiter zu erklären, würde zu viel verraten.
Ähnlich wie Bileams Esel vermag dieses Kamel, Theolog:innen nachdenklich zu stimmen.
Und was ist mit dem Kamel? Mit Vorliebe knabbert es an Dornbüschen herum (noch lieber nur an Büchern). Es ist eigensinnig und davongelaufen. Adel jedoch sucht nach ihm. Denn während das Auto vom Menschen beständige Aufmerksamkeit verlangt, so führt er aus, gibt das Kamel alles, was es hat. Zu seinem Kamel steht Adel in Beziehung, deswegen lohnt jeder Aufwand es zu suchen. Diese Suche wiederum lässt ihn auf Benjamin stoßen. In der Funktion eines Deus ex Machina schließlich zieht Adels Kamel seinen Besitzer und dessen neuen Freund, zwei, die es durch sein Verschwinden erst zusammengebracht hatte, an einem Seil aus der Zisterne heraus. Ähnlich wie Bileams Esel vermag dieses Kamel, Theolog:innen nachdenklich zu stimmen. Es wird gesucht, aber nicht gefunden. Im Moment der letzten Not kommt es von selbst – und bringt Rettung.
Empfehlung für heiße Sommermonate
Christen kommen übrigens nur am Ende der Erzählung vor, in Form der Mönche vom Sinaikloster. Sie stellen einen Ort der Hilfe und Unterstützung zur Verfügung, bleiben im Übrigen aber am Rande. Der Film nimmt so den (für uns Westeuropäer:innen vielleicht interessanten) Blickwinkel einer Verständigung zwischen Judentum und Islam in den Blick, ohne dass das Christentum eine zentrale Rolle spielen müsste. Schon allein deswegen ist er empfehlenswert. Hinzu kommt eine humorvolle und stellenweise fast philosophische Behandlung der Stellung der Religionen zueinander, der Frage der strengen Orthodoxie sowie des Verhältnisses von Gesellschaft und Religion. So bietet sich der Film, ganz oder in Ausschnitten, als Unterlage für den Religionsunterricht geradezu an. Mit „Nicht ganz koscher – Eine göttliche Komödie“ haben sich Stefan Sarazin und Peter Keller sowohl den Deutschen Drehbuchpreis (bereits 2011!) redlich verdient als auch, gemeinsam mit Fritjof Hohagen, den Produzentenpreis des Bayerischen Filmpreises (2022).
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Autor: Wolfgang Sigler OSB ist Benediktinermönch der Abtei Münsterschwarzach und studiert Theologie in Frankfurt/Sankt Georgen.
Twitter: @hellerewelt
www.junges-muensterschwarzach.de
Bilder: enigma Film
[1] Für verschiedene Teile des jüdischen Gottesdienstes braucht es nach traditioneller Auffassung die Anwesenheit von zehn mündigen Juden (minjan), vgl. die Mischna IV,3 (abrufbar unter https://www.talmud.de/tlmd/die-mischnah-megillah/).
[2] Überhaupt fällt auf, dass Frauen in der Storyline nur als Seitencharaktere auftreten, etwa als starke Frau Adels, die mit den Kindern ein anderes Leben gewählt hat, ihn aber freilich zurücknimmt, als er sich anders entscheidet, oder als Angebetete Benjamins, die nur auf seinen Anruf zu warten scheint, um ihr Leben mit ihm zu verbringen. Das lässt sich kritisieren.
[3] Er hat noch nicht einmal realisiert, dass er sich in einer Notsituation befindet, die ihn grundsätzlich von Waschungspflichten und selbst der Schabbatruhe befreien würde.
[4] Vgl. Gen 8,8-12. Noahs Taube mit dem Ölzweig im Schnabel wird zum allgemeinen Friedenssymbol.
[5] Dass „Benjamin“ gerade nicht „Josef“ heißt, sondern wie der zurückbehaltene letzte Sohn des Patriarchen Jakob (Gen 35,18), stellt eine weitere Windung dar, die zum nachdenklichen Schmunzeln anregt.