Kirgistan ist kaum am Horizont Mitteleuropas – und schon gar nicht auf jenem der christlichen Kirchen. Die Jesuiten sind jedoch schon längere Zeit vor Ort. Susanne Kleinoscheg war zum zweiten Mal mehrere Sommerwochen im Freiwilligeneinsatz am malerischen Issyk Kul – See. Über einen geplanten Kirchenbau in Bishkek und die Rolle der Christen.
Kirgistan (auch Kirgisien genannt) liegt in Zentralasien, mit einer Bevölkerung von ca. 6 ½ Millionen Menschen; davon sind 34% jünger als 15 Jahre. Die Lebenserwartung ist jedoch geringer als in Europa. Das Land grenzt an China, Kasachstan und Usbekistan und besitzt großen Wasserreichtum. Die Bevölkerung zählt zu den Turkvölkern und es gibt zwei Amtssprachen: Kirgisisch und Russisch. Kirgisistan liegt im Hochgebirge des Tianshans, und über 80% des Landes liegt höher als 1500m.
Ein tolles Beispiel, wie mit Basisarbeit der Religionsdialog gelingen kann
Das Jesuiten-Camp als Schule von Toleranz
Zum zweiten Mal nach 2019 durfte ich als Freiwillige im Sommer mitarbeiten – in einem Camp, das vor allem armen Familien und Familien mit behinderten Kindern die Möglichkeit bietet, einmal zu entspannen. Im Alltag schwer belastete Frauen können hier zumindest kurzzeitig aufatmen.
Am Issyk Kul beim Feriencamp der Jesuiten treffen sich alle Volksgruppen und alle Religionen des Landes und leben friedlich miteinander. Es ist ein tolles Beispiel, wie mit Basisarbeit der Religionsdialog gut gelingen kann. Leider ist das nicht im ganzen Land so, daher ist eine Stärkung des Zentrums und eine Stärkung der Christen umso wichtiger, damit die Initiativen des Miteinanders gestärkt werden.
Die Stellung und der Umgang mit Frauen hängt vor allem mit der Tradition zusammen.
Die schwierige traditionelle Rolle der Frau
Die Rolle der Frau in Zentralasien ist schwierig. Dies möchte ich an ein paar Beispielen veranschaulichen. Die jüngste Tochter des Hauses hat bei allen Essen jeden zu bedienen und darf selbst erst essen, wenn alle den Tisch verlassen haben. Sie steht die ganze Zeit neben dem Tisch und schaut, wer etwas benötigt. Sollte nicht mehr viel zum Essen da sein, ist das allen egal. Bringt eine Frau ein gehandicaptes Kind zur Welt, wird dies als ihre Schuld angesehen, da sie in ihrem Leben sicher einen schweren Fehler begangen hat oder sogar vom bösen Geist in Besitz genommen wurde. Die Stellung und der Umgang mit Frauen hängt in dieser Region weniger mit der Religion zusammen als mit der Tradition. Mit über 25 Jahren als Frau noch nicht verheiratet zu sein und noch keine Kinder zu haben, also selbständig zu leben, ist fast unmöglich und nur in den Großstädten möglich.
Nachdem das Schulsystem in Kirgistan sehr überlastet ist, wird in den Städten in einer Vormittags- und einer Nachmittagseinheit unterrichtet, damit möglichst viele Kinder unterrichtet werden können. Der Staat kontrolliert die Schulpflicht jedoch überhaupt nicht, daher besuchen manche Kinder nie die Schule oder manche nur einige Jahre. Dies wiederum bremst mögliche Veränderungen in der Gesellschaft. In der ländlichen Region gibt es einige Halbnomaden, die vom Mai bis im September zu ihren Weideplätzen in den Bergen mit der ganzen Familie ziehen und in ihren Jurten leben, was wiederum für das Bildungssystem schwierig ist.
Die Rolle der Christinnen und Christen
Die ersten Christen in Zentralasien gehörten zur Gruppe der Nestorianer. Im 7. Jahrhundert erreichten ostsyrische Christen China und zogen entlang der Seidenstraße. Im heutigen Kirgistan gibt es unterschiedliche Routen der Seidenstraße, aber beide Strecken führen am Issyk Kul vorbei. Von diesen frühen christlichen Kulturen findet man heute nur mehr Bruchstücke. Nicht zuletzt die Herrschaft der Sowjetunion verdrängte viele unterschiedliche Formen der Religion. Heute gibt es 16% Christ:innen in Kirgistan. Diese setzen sich aus russisch-orthodoxen (11%), evangelischen, neuapostolischen und röm.-kath. Christ:innen zusammen.
Die Ökumene funktioniert sehr gut, da man sich immer wieder gegenseitig bei Problemen mit den Behörden hilft und beisteht. Es gibt heute vier Zentren, in denen röm.-kath. Christen und alle anderen Bewohnerinnen dieser Region regelmäßig von Schwestern und Priestern pastoralen Beistand und soziale Unterstützung bekommen. In Osch, der zweitgrößten Stadt im Süden von Kirgistan, sind seit 2021 nun auch drei Schwestern („The Congregation of the Consolata Missionaries“) zur Unterstützung der Menschen ständig vor Ort. In Talas arbeitet ein sehr erfahrener Priester sehr eng mit der Bevölkerung zusammen. In Bischkek und am Issyk Kul sind die zwei größten Zentren.
Es wird in der jetzigen Situation immer wichtiger, dass wir auch sichtbar sind.
Warum ich für einen neuen Kirchenbau in Bischkek bin
Als ich vor drei Jahren für zweieinhalb Monate in Kirgistan auf Sozialeinsatz war und die kleine Kirche in Bischkek sah, fand ich das passend für die kleine Anzahl von röm.-kath. Christ:innen in der Stadt. Drei Jahre später ist die Kirche nicht nur zu Festen, sondern auch an „normalen“ Sonntagen zu klein, da sie bis auf den letzten Platz gefüllt ist. Dies wäre für mich noch kein Grund, eine große Kirche zu bauen.
Die Situation hat sich jedoch verändert, da der Einfluss der türkischen Muslime und das Geld aus Saudi Arabien einiges in der Gesellschaft verändert haben. Nach der Statistik gibt es heute nicht mehr Muslime als vor drei Jahren; aber durch den vermehrten Moscheenbau und Prediger aus der Türkei sind die Menschen anders geprägt worden. Der röm.-kath. Administrator von Kirgistan, Anthony Corcoran SJ, sagt ganz klar: „Jetzt haben wir eine Genehmigung, im Stadtzentrum von Bischkek eine Kirche zu bauen. Ich glaube nicht, dass wir diese in drei Jahren bei dieser Entwicklung noch bekommen werden.“
Die Schulschwestern in Bischkek leisten Unsagbares an sozialer Arbeit. Sie besuchen die Ärmsten der Armen und bringen ihnen immer wieder Lebensmittel und Kleidung. In einem langen Gespräch mit Schwester Emilia über die Situation in Kirgistan und die Lage der röm.-kath. Kirche befürwortet sie den Kirchenbau: „Gern möchte ich jeden Cent, den wir von den Leuten gespendet bekommen, für die armen Menschen verwenden. Aber es wird in der jetzigen Situation einfach immer wichtiger, dass wir auch sichtbar sind, denn dann können wir nicht so leicht unterdrückt werden.“ Für die Schwestern ist es auch von großer Bedeutung, dass das neue Zentrum eine Schule haben wird. Sowohl der Administrator wie Schwester Emilia wissen, dass Bildung der beste Weg ist, um die Situation von Menschen zu verbessern.
Susanne Kleinoscheg, Dr. theol., unterrichtet Kath. Religion und Ethik am Wirtschaftskundlichen Gymnasium (Wiku) in Graz.