Herzlichen Dank, Helga Kohler-Spiegel, für Ihre Gedanken zu traumasensibler Pastoral! Sowohl in der Praxis als Klinikseelsorgerin an psychosomatischen Kliniken und einer Frauen-Sucht-Klinik als auch in der Hochschulpastoral in der Begleitung von Studierenden begegne(te)n mir immer wieder Menschen, die unter ihren traumatischen Erfahrungen leiden. Die Perspektive traumatisierter Menschen in der Pastoral mitzudenken ist mir selbstverständlich geworden. Je mehr ich jedoch versuche mich darauf einzustellen und safe spaces zu schaffen, desto stärke realisiere ich, dass dies eine Illusion ist – und manchmal denke ich: vielleicht sogar eine gefährliche.
Die Sehnsucht nach der Schaffung von safe spaces kann ich gut nachvollziehen – genauso ging es mir auch. Sie entspringt bei mir dem Wunsch, wenn dem traumatisierten Menschen schon nicht die Erfahrung des Traumas genommen werden kann, so zumindest heute andere Erlebnisse zu ermöglichen. Die Vergangenheit ist nicht zu verändern, aber neue Erfahrungen von gelingenden Beziehungen können dazu beitragen, dass sich langsam eine neue Realität neben den alten Verwundungen aufzeigt. Doch kann ich überhaupt safe spaces schaffen? Ich weiß schließlich nicht, was bei meinem Gegenüber die traumatischen Erfahrungen reaktiviert. Und manchmal weiß es auch mein Gegenüber erst, wenn es geschehen ist, weil erst der Auslöser wieder bewusst werden lässt, was im Unbewussten verborgen war. Ein paar Beispiele aus meiner Praxis:
Da gestalte ich ein meditatives Gebet mit einem Segen mit Nardenöl und dem Zuspruch: „Du bist für Gott kostbar und wertvoll“. Bewusst ließ ich jeden und jede für sich das Ritual durchführen, um nicht jemanden zu berühren, der nicht berührt werden möchte bzw. jemandem zuzumuten sagen zu müssen, dass er/sie nicht berührt werden möchte. Einen Tag später meldete sich eine Frau mit der Bitte um ein Gespräch bei mir. Sie erzählte vom Missbrauch in ihrer Kindheit. Der Geruch des Öls hat sie an den Geruch des Aftershaves ihres Täters erinnert – und daran, dass er ihr während der Tat immer wieder sagte: „Du bist so schön!“ Die Zusage Gottes aus der Gebetszeit vermischte sich für sie mit Verhalten und Worten des Täters. Für sie alles andere als eine wohltuende Erfahrung, sondern zusätzlich zu aller Erinnerung die Frage: Wie ist das denn mit Gott in all dem? Geht es ihm um mein Leben oder um sich?
Ich lade zu einem offenen Glaubensstammtisch ein. Irgendwann erzählt eine der Teilnehmerinnen freudestrahlend von ihren Kindern, wie stolz sie auf sie ist, wie ihr Lebenssinn vor allem ihr Muttersein ist. Eine andere Teilnehmerin wird immer ruhiger, geht irgendwann kommentarlos. Keine Chance kurz mit ihr zu sprechen. Am nächsten Tag kommt sie mir zufällig entgegen und sie erzählt mir, wie ihre beiden Kinder bei einem Autounfall ums Leben kamen. Sie war die Fahrerin und schuldig. Nicht nur ihr eigener Kummer wurde reaktiviert, der Schrecken des Schuldig-Seins, wo sie doch für ihre Kinder alles gegeben hätte. Zusätzlich kamen Wut und Neid auf die Frau, die von ihren Kindern so froh erzählte hinzu – und eine riesige Scham, dass es so ist.
Im Evangelium geht es um die Frage nach dem Bösen und so predige ich auch dazu. Versuche zu differenzieren, dass das Böse eine Realität ist, auch in uns. Und dass wir aber die Chance haben uns immer wieder für das Gute zu entscheiden, weil es uns im Tiefsten entspricht. Es ging letztlich darum, das Gute in uns zu entdecken als Antwort auf das Böse. Nach dem Gottesdienst blieb eine Frau sitzen, ganz steif und still. Ich räumte zunächst alles auf, gab ihr Zeit, bis ich auf sie zuging. Und dann platzte es aus ihr raus: „Ja, ich bin ein schlechter Mensch, da hilft nichts.“ Sie erzählte dann von der Freikirche, in der sie war und den zahlreichen gewalttätigen Exorzismen, die sie dort schon erlebt hatte. Für sie alles noch selbstverständlich und richtig zu dem Moment.
Drei kleine Beispiele, bei denen ich sogar in der Planung die Frage nach Traumata im Kopf hatte, aber entweder mit den Reaktionen nicht rechnen konnte oder mir das Handeln entzogen war. Drei Erfahrungen, in denen ein pastoraler Moment für Beteiligte kein safe space war.
Für traumatisierte Menschen gibt es keine safe spaces. Sie haben einmal erlebt, dass ein sicherer Ort zu einem Schreckensort wurde und tragen diese Erfahrung tief in sich. Wie sollen sie sich sicher sein, dass das nicht wieder geschieht? Und ich habe auch nicht die Macht einen solchen Ort zu schaffen. Beziehungen sind nie safe spaces. Jeder und jede von uns bringt die eigene Geschichte, eigene Werte und Emotionen mit hinein. Das macht die Schönheit von Beziehungen aus. Gleichzeitig kann mein Hintergrund immer auch dem anderen zur Gefahr werden – und anders herum. Vielleicht ist es sogar gefährlich zu behaupten einen safe space zu schaffen
Ich halte es für genau richtig im eigenen (pastoralen) Handeln so gut wie möglich dem anderen einen sicheren Ort zu bereiten. Und ich bin froh, dass die Sensibilität gegenüber Traumafolgen wächst. Aber das Bewusstsein, dass ich keinen safe space errichten kann, halte ich für noch wichtiger. Als Seelsorgerin brauche ich die Demut anzuerkennen, dass mein Bemühen sich ins Gegenteil verkehren kann, Worte und Handlungen manchmal nicht heilsam sind, auch wenn sie noch so gut gemeint waren. Und dass das Erleben meines Gegenübers immer über meiner Intention steht.
Einen safe space kann ich nicht schaffen, aber ich kann versuchen einen Ort zu bieten, an dem der/die andere ermutigt wird zu erzählen, wenn er/sie sich nicht sicher fühlt. Nur so können wir gemeinsam schauen, was es braucht, damit wieder ein Gefühl von größtmöglicher Sicherheit wachsen kann. Safe spaces werden immer wieder zerstört und müssen so auch immer wieder neu geschaffen werden. Das geht nur gemeinsam und vor allem nur dann, wenn es kein Tabu ist, dass eine Situation nicht als safe space erlebt wird.
Sr. Marie-Pasquale Reuver osf, Stuttgart
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