Am 12. Sept. verstarb der US-amerikanische Theologe William J. Hoye. Dieser studierte in München und Münster und wurde durch Karl Rahner promoviert. In seinem 2013 veröffentlichten Buch The Emergence of Eternal Life verbindet er Rahners Überlegungen zur Hominisation mit der Möglichkeit einer postmortalen Existenz. Dessen Lektüre lohnt sich, meint Raphael Weichlein.
Unter Emergenz versteht die Philosophie die Heranbildung qualitativ höherstufiger Existenz- und Bewusstseinsformen aus Einzelelementen niederstufiger Ebenen. Es ist das zentrale Vorhaben des Buches, das Phänomen von Emergenz mit der Frage nach der rationalen Plausibilität eines Weiterlebens nach dem physischen Tod zu verknüpfen.[1] Hierbei greift William J. Hoye Überlegungen Karl Rahners auf, der bereits 1961 gemeinsam mit Paul Overhage eine viel beachtete Studie zur Frage der Hominisation vorgelegt hat.
Hörende Potentialität
Hoye legt in seinem Buch eine Rechtfertigung des traditionellen christlichen Glaubens an ein Ewiges Leben vor, das weit mehr als bloßes Wunschdenken sei (77). Ewiges Leben sei vernünftig zu postulieren aus einer natürlichen Veranlagung des Menschen im Streben nach Erfüllung und Glückseligkeit. Es gebe im Menschen eine hörende Potentialität (potentia obedientialis) nach einem Ewigen Leben, welche insbesondere Karl Rahner in Erinnerung gerufen hat (103).
Anstelle eines Lebens nach dem Tod sei besser von einem Leben durch den physischen Tod hindurch die Rede.
Staunen ohne Langeweile
Besondere Beachtung widmet Hoye dem Phänomen des Staunens, das nach bedeutender Tradition nicht nur Anfang des Philosophierens ist, sondern auch ein adäquates Verstehen der beseligenden Schau Gottes (visio beatifica) ermögliche. Diese werde nie langweilig, weil echtes Staunen niemals enden könne (166).
Hoye betont die Bedeutung der je eigenen Lebensgeschichte als Ausgangspunkt eines postmortalen Lebens. Er erinnert an ein Grundaxiom des Thomas von Aquin, nach der wir zur Erkenntnis von geistigen Dingen durch körperliche gelangten. Anstelle eines Lebens nach dem Tod sei besser von einem Leben durch den physischen Tod hindurch die Rede (182).
Der menschlichen Grunderfahrung des Verlangens (longing) und der Liebe komme eine besondere Bedeutung in der Plausibilisierung einer Hoffnung auf Ewiges Leben zu.
Fromms ‚Kunst des Liebens‘ als Fremdprophetie
Hierzu könne nicht nur Platons Symposion, sondern auch Erich Fromms berühmtes Werk Die Kunst des Liebens, obgleich dezidiert in nicht-theistischer Konzeption verfasst, als eine Art Fremdprophetie dienen (200). Der in der Gegenwart breit rezipierte Begriff der Verantwortung habe nicht nur in ethischer, sondern vor allem in eschatologischer Perspektive seine Wurzel (222), mehr noch: der Begriff der Verantwortung und der ultimative Sinn von Moralität sei eschatologisch aufzufassen (236).
Als Grundelemente einer leibhaftigen Auferstehung führt Hoye vor allem die Dimension der Erinnerung (memory) ins Feld, die zwar eine geistige Fähigkeit des Menschen ist, jedoch stets mit sinnlichen Erfahrungen verbunden ist (246). Glückseligkeit im Jenseits erfordere eine Leiblichkeit im weitesten Sinn (247).
the emergence of spiritual life and the emergence of Eternal Life are analogous
Hominisation und Emergenz
Wie bereits erwähnt, erinnert Hoye an die Studie Rahners zur Frage der Hominisation, also der möglichen Beseelung des Menschen innerhalb eines evolutionären Paradigmas. Diese verbindet er mit aktuellen Debatten um Konzepte von Emergenz. Nach Rahner kann aus der Perspektive Gottes als dem absoluten Sein von einer zweifachen Kausalität gesprochen werden, wobei die eine nicht mit der anderen in Konflikt komme. Der entscheidende Gedanke Hoyes ist nun, die Frage der Ermöglichung eines postmortalen Lebens analog zur emergenten Beseelung des Menschen anzusehen: „From a metaphysical perspective, the emergence of spiritual life and the emergence of Eternal Life are analogous, both consisting in an increase, or intensification, of being“ (270 f.).
Würdigung
Der am Ende des Buches ausgeführte Kerngedanke, Rahners bereits Jahrzehnte zurückliegende Überlegungen zur Hominisation auf Fragen einer rationalen Eschatologie anzuwenden, ist innovativ. Das Buch bietet eine Fülle von Inspirationen, unter metaphysischen und religionsphilosophischen Vorzeichen sich der Frage nach einer möglichen postmortalen Existenz anzunähern. Der Verfasser lässt zudem mit C. F. von Weizsäcker, V. Frankl, E. Fromm, S. Weil und V. Havel Denkerinnen und Denker zu Wort kommen, deren Beiträge man auf den ersten Blick nicht einer theologischen Eschatologie zuordnen würde.
Zur Unsterblichkeit hat William J. Hoye im Buch sehr viel Gehaltvolles geschrieben. Durch seinen physischen Tod ist er nun selbst gegangen.[2] Er möge auf höherer Ebene des Ewigen Lebens teilhaftig sein.
Raphael Weichlein, M.phil., lic. theol., ist wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Professur für Philosophie der Kath.-Theol. Fakultät der Universität Augsburg und Priester des Erzbistums Berlin. Derzeit Promotionsprojekt zur dreigliedrigen Struktur weltanschaulicher Einstellungen (Emotion, Kognition, Volition).
[1] William J. Hoye (2013): The Emergence of Eternal Life, Cambridge University Press. Die Seitenzahlen im Fließtext beziehen sich alle auf dieses Buch.
[2] Die Todesmitteilung vonseiten der Universität Münster: https://www.uni-muenster.de/FB2/aktuelles/Todesmitteilung_Hoye.html.
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