Seit geraumer Zeit dient der Bezug auf die Sakramentalität der Kirche dazu, Diskussionen um das kirchliche Amt zu steuern. Der Beitrag von Eva-Maria Faber möchte zurückfragen, inwiefern es einen solchen Bezug gibt und in welchen weiteren Kontext er einzuordnen ist.
Vorbereitet durch die vorausgehende Theologie gelangte der für die Kirche angewandte Begriff sacramentum in die Texte des 2. Vatikanischen Konzils. Auffällig ist, dass heutige Verwendungen in ämtertheologischen Kontexten vielfach ohne Rückbezug auf die Konzilstexte auskommen. Tatsächlich führt deren Auswertung zu einer Fehlanzeige. An keiner Stelle verbindet das 2. Vatikanum die Rede von der Kirche als Sakrament mit ämtertheologischen Fragestellungen. Umgekehrt: An keiner Stelle verbindet es ämtertheologische Fragestellungen mit der Bezeichnung der Kirche als Sakrament.
An keiner Stelle verbindet das Konzil ämtertheologische Fragestellungen mit der Bezeichnung der Kirche als Sakrament.
Es bedarf darum einer besonderen Aufmerksamkeit für konziliare Anliegen hinsichtlich des ekklesiologischen Sakramentsbegriffs, wenn dieser in ämtertheologische Diskussionen eingebracht wird.
Mysterium und sacramentum
Das hinter dem lateinischen Begriff sacramentum stehende griechische Wort μυστήριον existiert lateinisch als Lehnwort mysterium. Mit diesem Begriff ist das 1. Kapitel von Lumen gentium überschrieben. Das Konzil überwand eine vornehmlich juridische Sicht der Kirche, um sich in Erzählungen (LG 2–5; 8) und Metaphern (LG 6–7) der Kirche als Geheimnis zuzuwenden. Man hatte erkannt, dass Definitionen und rechtliche Bestimmungen nicht hinreichend erfassen können, wofür die Kirche auf ihrem Weg durch die Geschichte bis zu ihrem eschatologischen Ziel da ist.
Auch die Bezeichnung der Kirche als Sakrament ist keine Definition, aus der ohne weiteres Ableitungen möglich wären. Die vorsichtige Formulierung in LG 1 lässt aber erkennen, in welcher Sinnrichtung das Konzil den Sakramentsbegriff verwendet: «Die Kirche ist ja in Christus gleichsam das Sakrament, das heisst Zeichen und Werkzeug für die innigste Vereinigung mit Gott wie für die Einheit der ganzen Menschheit».
Universale Heilssendung
Der Daseinssinn des Sakraments Kirche ist es, «Zeichen und Werkzeug» für die menschheitliche Gemeinschaft mit Gott zu sein. Der manchmal emphatische Tenor, mit dem die nachkonziliare Theologie die Kirche als Zeichen des Reiches Gottes proklamierte, ist uns inzwischen gründlich vergangen. Der Anspruch, dass die Kirche glaubwürdig lebt, was sie verkündet, bleibt. Stärker zu unterstreichen ist die werkzeugliche Dienstfunktion, wobei die unpersönlichen Konnotationen dieser Begrifflichkeit zu korrigieren sind. Gott wirkt – darauf wird gleich zurückzukommen sein – durch Menschen.
Gott wirkt durch Menschen.
Die dafür massgebliche Ausrichtung unterstreicht das kleine Wörtchen «für». In den konziliaren Formulierungen erinnert es daran, dass die Kirche nicht für sich selbst da ist, sondern im Dienst steht. Das «für» lenkt den Blick auf die Adressatenschaft und Reichweite der kirchlichen Sendung: es ist die «Menschheit» (LG 1, zitiert in GS 42), die «Menschenfamilie» (GS 45) bzw. die «Völkerwelt» bzw. «alle Menschen» (AG 1). Nicht von ungefähr nimmt die Pastoralkonstitution Gaudium et spes den ekklesiologischen Sakramentsbegriff zweimal auf. Er thematisiert die Kirche mit inkarnatorischer Dynamik in ihrer Relation zur Welt.
Dieselbe Stossrichtung hat die Bezeichnung der Kirche als «allumfassendes Heilssakrament» (universale salutis sacramentum: LG 48, zitiert in GS 45). Bemerkenswert ist ausserdem die Formulierung von LG 9, Gott habe die Kirche zusammengerufen, «damit sie allen und jedem das sichtbare Sakrament dieser heilbringenden Einheit sei». Der universale Auftrag entfaltet sich so in zwei Richtungen: Er zielt auf «alle», aber auch auf jeden einzelnen und jede einzelne. Die Kirche steht unter dem Anspruch, Menschen in ihren unterschiedlichen Lebenswelten und je individuellen Situationen gerecht zu werden.
Die Kirche steht unter dem Anspruch Menschen in ihren individuellen Lebenswelten und Situationen gerecht zu werden.
Der so umrissene Sakramentsbegriff des 2. Vatikanum ist für Ämterdiskussionen ein mahnendes Vorzeichen. Angesichts der globalen Krisen ist es geradezu skandalös, wie viel Energie kirchlich in die Ämterstruktur fliesst, weil diese den heutigen Anforderungen nicht mehr gerecht wird, Veränderungen aber blockiert sind.
Zugleich ist der ekklesiologische Sakramentsbegriff mit der Ausrichtung der Kirche auf den Dienst an «allen und jedem» ein Stachel, eine dafür adäquate Gestalt der Ämter zu finden. Es muss die Kirche(nleitung) beunruhigen, wenn kirchliche Formen der Verkündigung, Heiligung und Leitung aus Mangel an dafür bevollmächtigten Personen (quantitativ) nicht mehr für alle und (qualitativ) nicht für jeden und jede zugänglich sind.
Wenn die sakramentale Struktur der Kirche als Kriterium für die Gestaltung der Ämter geltend gemacht wird, dann lässt sich diese Fundierung nicht für die blosse Verteidigung bisheriger Ämterstrukturen funktionalisieren. Es ist eine «Hierarchie der Kriterien» zu beachten. Prioritär ist die Frage aufzuwerfen, in welcher Gestalt der Ämter die Kirche ihrem Auftrag heute nachkommen kann.
Göttliches und Menschliches
Der ekklesiologische Sakramentsbegriff unterstreicht in den Konzilstexten die universale Sendung der Kirche. Demgegenüber lenkt die heute verbreitete Rede von der sakramentalen Struktur der Kirche den Blick eher auf die der Allgemeinen Sakramententheologie entnommene Verbindung von Göttlichem und Menschlichem, worin eine gemeinsame Struktur von Sakramenten, Kirche und auch Ämtern erkannt wird. Doch mindestens wäre zu vermerken, dass die Beschreibung der Kirche als komplexe Wirklichkeit von Sichtbarem und Unsichtbarem in LG 8 ohne den Sakramentsbegriff auskommt. Möchte man LG 8 dennoch als impliziten Gehalt des ekklesialen Sakramentsbegriff und dessen ämtertheologische Relevanz auswerten, so bietet sich eine narrative Reformulierung an.
eine narrative Reformulierung
Die jüdisch-christliche Glaubenstradition kreist um die Erfahrung, dass Gott durch Weltliches, durch Kreatürliches, durch Geschichte handelt, und prioritär: dass Gott durch Menschen handelt. Insofern Gott sich dafür der Menschen in der kirchlichen Gemeinschaft bedient, ist die (ganze) Kirche ein sakramentales Zeichen und Werkzeug. In der Tat hat dies Konsequenzen auch für das Verständnis institutionalisierter Ämter[1]. Die Kirche gestaltet sie in der Überzeugung, dass Gott menschliches Wirken in Dienst nimmt. Deswegen vollzieht sich die Indienstnahme für Ämter kirchlich nicht per Dekret, sondern gemäss neutestamentlicher und kirchengeschichtlicher Tradition unter Handauflegung und Gebet. Die Amtsübertragung erfolgt als Bitte an Gott, im Dienst dieser Personen sein eigenes göttliches Wirken aufscheinen zu lassen. Dies ist der Grund, warum (u.a.) die römisch-katholische Kirche die Ordination als Sakrament versteht. Im Rückbezug auf die Sakramentalität der Kirche sind nun aber Engführungen zu vermeiden.
(1) Der ekklesiologische Sakramentsbegriff als solcher beleuchtet gerade nicht die Ämter, sondern die Wirklichkeit der Kirche und ihrer Glieder im Ganzen.
(2) Problematisch ist eine scharfe Grenzziehung zwischen verschiedenen Ämtern. Ist die Bitte an Gott, im Dienst von Menschen sein eigenes Wirken aufscheinen zu lassen, an die Ordination als Sakrament gebunden, während die analoge Bitte an Gott bei einer Missio- oder Institutiofeier wirkungslos ist?
(3) Damit rückt die Verfasstheit kirchlicher Ämter in den Blick. Wenn auch sie zur göttlich-menschlichen Struktur gehört: Was daran sind die «himmlischen Gaben» (LG 8) und inwiefern sind sie in der «irdischen Kirche» menschlicher Verantwortung anvertraut? Das ius divinum lässt sich nicht in Reinform greifen, sondern immer nur in der komplexen Verwobenheit mit der irdischen Gestalt der Kirche[2]. Dies zusammen mit der Einsicht, dass sich theologie- und kirchengeschichtlich manches ius divinum wieder in kirchliches Recht aufgelöst hat, gebietet Zurückhaltung bei der Inanspruchnahme einer göttlichen Vorgabe – auch im Bereich der kirchlichen Ämter. Deren irdisch-menschliche Gestalt fordert dazu heraus, sie je und je an den Kontexten orientiert zu gestalten, damit die Kirche ihre Sendung erfüllen kann.
Ämter sind je und je an den Kontexten orientiert zu gestalten, damit die Kirche ihre Sendung erfüllen kann.
Damit mündet diese Reflexion wieder in den Blick auf den primären Gehalt des ekklesiologischen Sakramentsbegriffs und die entsprechende «Hierarchie der Kriterien».
Sakramentalität der Kirche und Sakramente
Die Ausrichtung auf menschheitliches Heil muss schliesslich vor dem Missverständnis bewahren, die sakramentliche Kirche kreise um sakramentale Vollzüge. Nur in SC 26 bezieht das Konzil den ekklesiologischen Sakramentsbegriff auf die Sakramente. Die Kirche vollzieht sich als Sakrament nicht nur dort, wo Sakramente gefeiert werden, und auch nicht nur dort, wo Amtsträger und Amtsträgerinnen fungieren.
Sakramentliche Feiern sind nicht das Ganze christlicher Existenz.
Sakramentliche Feiern stehen im kirchlichen und im persönlichen Leben an Stellen, wo Menschen in besonderer Weise auf ein erfahrbares Zeichen der Zuwendung Gottes angewiesen sind. Ihnen wird darin eine trostvolle Vergewisserung dieser Nähe geschenkt. Solche sakramentlichen Feiern der expliziten Selbstzusage Gottes sind aber nicht das Ganze christlicher Existenz – und im Nachdenken über die Kirche als universales Heilssakrament ist über zeichenhafte Kristallisationen göttlicher Nähe hinauszugreifen. Es wäre ein falsches Sicherheitsbedürfnis, möglichst rundherum «Sakramentales» greifen und dabei stehenzubleiben zu wollen. Die sakramentale Kirche ist «zentrifugal» angelegt. Christen und Christinnen müssen sich trauen, dorthin zu gehen, wo die Zeichen fehlen und die Gegenwart Gottes dennoch gegeben ist.
Damit lässt sich nicht die Verknappung der Sakramente aufgrund der Verknappung ordinierter Personen rechtfertigen. Eher ginge es darum, ihre Feier nicht zu einem Problem der Erreichbarkeit und Feierbarkeit zu machen, sondern sie ohne viel Aufwand zu ermöglichen, damit daraus die Dynamik der Sendung entspringen kann.
Eva-Maria Faber ist Rektorin der Theologischen Hochschule Chur und Professorin für Dogmatik und Fundamentaltheologe.
Beitragsbild: Kanenori / Pixabay
[1] Vgl. dazu meinen Beitrag Leitungsvollmacht und Ordination: Kirchliche Ämter in synodalen Prozessen 1972 und 2022. In: Verein Tagsatzung: Macht und Partizipation. Themen. Diskussionen. Visionen. Forderungen. 50 Jahre Synode 72 – Wie weiter? Schlussdokumentation der Tagung am 11. Juni 2022 in der Paulus Akademie, Zürich. Luzern: Verein tagsatzung.ch: 2022, 22–26. Online verfügbar unter Synode 22 | tagsatzung.ch.
[2] Vgl. Judith Hahn: Grundlegung der Kirchenrechtssoziologie. Zur Realität des Rechts in der römisch-katholischen Kirche. Wiesbaden: Springer, 2019, 128f.134.