Nachruf auf den langjährigen Redaktor der Neuen Wege Willy Spieler – verfasst von Monika Stocker für den Dankgottesdienst vom 4. März 2016.
Was machen wir mit der Welt, wenn sie so gar nicht so ist, wie wir sie haben möchten, wie Menschen sie haben müssen, wenn der prophetische Auftrag eines guten Lebens für alle Menschen noch ernstgemeint ist?
Willy hat entschieden: er redet und er schreibt. Er schreibt während Jahrzehnten an gegen das Larifari, er schreibt während Jahrzehnten Monat für Monat in den „Neuen Wegen“, was die Zeichen der Zeit eigentlich fordern würden, er schreibt und schreibt und wird nicht müde, sein Heft, das rote Heft zu einem Markenzeichen zu machen, zu einer Wegzehrung, wenn man selbst ermüdet und schwach zu werden droht. Er lieferte Schwarzbrot ins Haus, Monat für Monat, er der Sanfte mit heiligem Zorn.
Schwarzbrot, Monat für Monat, in den „Neuen Wegen“
Nur schon zu wissen, dass es Nahrung für Kopf und Herz, für Geist und Seele gibt, machte mich, uns, viele stark. Nicht immer fand ich – wie viele andere auch – Zeit und Musse wirklich von der ersten bis zur letzten Seite alles zu lesen – aber die Zeichen der Zeit, das schon, immer. Nicht immer fand ich mich – wie viele – in allen Texten gleich gut zurecht, denn anspruchsvoll blieb es, das Heft, aber dass das Heft da lag, provozierend und unübersehbar rot, leuchtete mir ein und leuchtete mir heim, den Rücken gerade zu halten, punkt, Weltwoche und andere Marktschreier hin oder her, punkt. Auch als die Kampagne lief, um die Sozialhilfe kaputt zu machen und bis weit nach links immer erfolgreicher wurde, blieb der Auftrag – Willy war einige Jahre Sozialvorsteher in Küsnacht – den Armutsbetroffenen das Recht auf ein würdiges Leben auch bei uns aufrecht zu halten, auch das mit heiligem Zorn.
Wenn Willy in seiner freundlichen Art etwas gehasst hat, dann waren es Duckmäuser und Feiglinge, und je politischer sich diese gaben, desto entschiedener gehörten sie ins Reich der Pharisäer. Man kann definitiv nicht zwei Herren dienen, dem Mainstream der Politik à la carte, und der tiefen Überzeugung, dass Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung unser Auftrag in dieser Welt ist. Die katholische Soziallehre ist nichts für „die Mitte“, und je mehr diese nach rechts rückt, desto weniger. Die katholische Soziallehre gehört ins Zentrum, aber ins Zentrum engagierten Beurteilens und Handels. Willy Spieler kannte sie aus dem efef, ihm musste keiner mit Wischiwaschi und ein bisschen Moral und ein bisschen weichgespülter Scheinheiligkeit kommen. Der bekam es mit Willy zu tun und zwar hartnäckig, mit heiligem Zorn.
Die katholische Soziallehre gehört ins Zentrum engagierten Beurteilens und Handels
Katholisch – ein immer schwierigeres Wort. Eine kaum mehr auszuhaltende Identität für Menschen, die intensiv an die Utopie glauben: Die Kirche, ihre Obrigkeiten, ihre Strukturen, ihre vom Mainstream des Neoliberalismus infizierten Botschafter – sie nervten. Willy machte keinen Hehl daraus. Er nannte die Untapferen beim Namen und verzeihte nicht, weder seine ureigene Geschichte mit dem StV [Katholischer Studentenverein] noch die lauwarme Partei mit dem C im Namen. Er reklamiert in so vielen programmatischen Artikeln Gradlinigkeit. Er war unnachgiebig, mit heiligem Zorn.
Willy war der Geschichtsschreiber, Dokumentalist, nicht historisch akribisch aber sozialgeschichtlich, ja weltgeschichtlich. Sein Werk, die Freiheit des Wortes ist und bleibt Lese- und Lernbuch für alle, die je einmal sozialpolitisch – sagen wir es salopp – drauskommen wollen. Es geht nicht um die Daten, es geht nicht um die Namen, es geht um den Geist, ich sage den Heiligen Geist, der in gewissen Zeiten weht, an bestimmten Orten, in Herzen und Köpfen, nein, nicht „wo er will“ sondern wo es dringlich, notwendend – im wahren Sinn des Wortes – ist. Er litt darunter, dass nicht alle das so sehen, dass vor allem die jungen Generationen die Wurzeln nicht mehr interessiert… Er verlangte die Lektüre ein von jeder und jedem mit heiligem Zorn.
Es geht um den Geist, der weht, wo es dringlich, notwendend ist.
Er hatte Verbündete. Er der rebellische Katholik fühlte sich tief verbunden mit dem Protestanten, im doppelten Sinn des Wortes: mit Leonhard Ragaz. Er kannte dessen Leben, dessen Werke, dessen Spiritualität wie kein zweiter. Ragaz und Willy, das waren, das sind Brüder in einem innigen Sinn. Sie konnten sich aufeinander verlassen, wenn sie gegen Krieg und Rüstung und Gewissenlosigkeit wetterten, sie konnten sich gegenseitig stärken, wenn sie Gerechtigkeit, Chancengleichheit, Teilen und Verteilen einforderten, lautstark mit heiligem Zorn. Beide bezahlten dafür auch einen grossen Preis.
Kennen Sie einen Menschen, der einen Text hervorholen kann, der vor hundert Jahren geschrieben wurde, und der punktgenau für unsere heutige Situation zutrifft? Willy konnte es mit Texten von Ragaz. Vor hundert Jahren, die Rubrik „Zur Geschichte“ ist auch die Kontinuität, der rote Faden durch ein wahnsinniges 20. Jahrhundert und – wie es scheint – Anknüpfungspunkt für ein ebenso wahnwitziges 21. Jahrhundert. Diese Rubrik wird mir fehlen. Es tut gut, eingebettet zu sein in einer Familie (auch kein unverdächtiges Wort mehr, ich weiss), gehalten zu sein von Menschen, die neben der weltlichen Dimension die andere, die tiefere, die ewige nicht preisgeben. Deshalb ist es bei allem Verlust auch ein Trost zu wissen, dass so vieles bleibt.
Auch dein heiliger Zorn, Willy, wir geben ihn nicht preis, auf keinem Markt und keinen Feilschern, er war deine, er ist und bleibt unsere Währung. Wir danken dir.
Monika Stocker / Bild: Willy Spieler / facebook