Soll(t)en nicht-ordinierte Seelsorger:innen Sakramente spenden können? Die Diskussion darum ist tief im scholastischen Sakramentenverständnis verhaftet. Eine Lösung der Frage ist hier nicht zu finden, meint Birgit Jeggle-Merz.
Für einen katholischen Christen und eine katholische Christin wird es auf der Hand liegen, dass es für die Feier von Sakramenten einen für diesen Dienst beauftragten Spender braucht. Vermutlich werden sie zwar diese Vokabeln nicht verwenden und auch über keine großen Kenntnisse über Wesen und Wirkung dieser sakramentalen Vollzüge haben, aber sie werden Sakramente doch mit der Vorstellung verbinden, dass bestimmte Worte und Zeichen, gesprochen durch eine amtliche Person, notwendig sind, damit das Sakrament «wirkt»: Zu den Tröpfchen Wasser, ausgegossen über das Köpfchen des Kindes, muss der Spender der Taufe sagen: «Ich taufe dich im Namen …», zur Firmung zeichnet der Firmspender die Stirn des Firmanden mit einem heiligen Öl und sagt: «Sei besiegelt …», zur Eucharistie spricht der Priester: «Dies ist mein Leib …».
Wer kann und könnte mit der Feier von Sakramenten beauftragt werden?
Dogmatik und Kirchenrecht werden diese Annahmen zu Spender und Empfänger, zu forma und materia sowie zur Wirkung von Sakramenten bestätigen. Die Frage, ob nicht neben Bischöfen, Priestern und Diakonen auch andere Personen mit der Feier von Sakramenten beauftragt werden könn(t)en, ist eine logische Folge dieses Sakramentenverständnisses. Wenn es nicht genügend Ordinierte gibt, die Sonntag für Sonntag mit den Gemeinden Eucharistie feiern können, die Kranke als Zeichen der Nähe Gottes mit dem Krankenöl salben können, oder die Menschen die Vergebung Gottes zusprechen können, dann stellt sich die Frage, warum nicht pastorale Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die gut ausgebildet sind, grosse Erfahrung in der Seelsorge haben, über eine hohe Spiritualität verfügen und die sich für diese Dienste zur Verfügung stellen würden, mit der Spendung von Sakramenten beauftragt werden können. Es ist für viele Gläubige und ihre Gemeinden nicht nachvollziehbar, warum die Kirche ihnen nicht Seelsorgende schicken kann, die genau das tun können, was sie von eben dieser Kirche erwarten: nämlich die Spendung von Sakramenten an den Knotenpunkten ihres Lebens und die regelmässige Versorgung mit der Eucharistie. Sagt doch eben diese Kirche, dass dies das Entscheidende ist für ein christlich-katholisches Leben. Die exklusive Stellung insbesondere der Eucharistie für die Existenz der Kirche wird unermüdlich betont,[1] mit der Folge, dass ein Gottesdienst ohne Austeilung der Kommunion defizitär erscheint.
Der Blick in die Liturgie kann die Wahrnehmung verändern.
Bleibt man in diesem schultheologischen Reflexionssystem, ist jedoch eine Lösung der beschriebenen Problematik nicht zu finden. Der Blick in die Liturgie kann die Spannung zwar nicht einfach lösen, aber doch die Wahrnehmung verändern.
Scholastischer versus monastischer Sakramentenbegriff
Es lohnt sich daran zu erinnern, dass dieses Sakramentenverständnis erst fixiert wurde, als Theologie etwa ab dem 12. Jahrhundert an den Universitäten der Städte betrieben wurde, zuvorderst um intellektuelles Wissen (scientia) durch begriffliche Klarheit und kritische Prüfung mithilfe philosophischer Methoden zu mehren. Die Sakramentenlehre, die die scholastischen Theologen unter Hinzuziehung von abstrakten Kriterien fern allen gottesdienstlichen Vollzügen entwickelten, steht zudem im engen Zusammenhang mit dem besonderen Verhältnis von Kirche und Gesellschaft im (westlichen) Mittelalter: In einer fast geschlossenen christlichen Gesellschaft galten Sakramente als individuelle Gnadenmittel.
Wann kann ein Sakrament gültig gespendet werden?
In diesem Kontext mussten die Bedingungen genau geklärt sein, wann ein Sakrament gültig gespendet werden konnte. Zuvor hatte die Theologie ihren Platz in den Mönchsgemeinschaften, die sich um geistliche Erfahrung (experientia) bemühten und vom Glauben aus nach der geistlichen Weisheit (sapientia) trachteten. Nicht das scholastische Disputieren, sondern die kontemplative Gottsuche war ihr Ziel. Gegenüber den scholastischen Traktaten, die durch Distinktionen und analytische Unterscheidungen gekennzeichnet sind, war die Theologie der Mönchsväter synthetisch und integrierend. Sie suchten, sozusagen «am Vollzug entlang», die Ästhetik der gottesdienstlichen Handlung aufzuschliessen und die herkömmlicherweise mit den Begriffen «Sakramente» und «Sakramentalien» klassifizierten kirchlichen Lebensvollzüge, deren Eigenart darin besteht, dass sie symbolische Handlungen sind, als theologia prima zu verstehen. Für die Scholastik war hingegen die Feier der Liturgie mehr Dekor als Quelle.
Die priesterliche Dimension des christlichen Lebens
Begleitet wurde die Entwicklung des scholastischen Sakramentenverständnisses durch die Fixierung eines bestimmten Priesterbildes und seiner Bedeutung für das gottesdienstliche Geschehen. Nicht mehr die communio sanctorum, die Gemeinschaft der Getauften, wurde als Trägerin des gottesdienstlichen Handelns verstanden, sondern es war allein der ordinierte Priester, der in persona Christi handelt und Repräsentant der Gegenwart Christi ist.
Fixierung eines bestimmten Priesterbildes
Der Blick in die Liturgie zeigt hingegen, dass jedes christliche Leben von einer priesterlichen Dimension bestimmt ist, die sich niemand einfach zuschreibt, sondern die eine Gabe des Heiligen Geistes in der Taufe ist. Da alle Getauften Anteil am Priester-, König- und Prophetenamt Christi haben, besteht ihre vorrangigste Aufgabe darin, vor Gott zu treten, auf ihn zu hören, ihn zu loben und zu preisen sowie in den Sorgen und Nöten der Welt Fürbitte bei Gott einzulegen. Auf der Grundlage dieses gemeinsamen Priestertums entfaltet sich erst das besondere Priestertum.[2]
Die Chrisamsalbung zur Taufe als «Akt der christlichen Priesterweihe»[3]
Direkt an den Wasserritus unter Aussprechen der Taufformel schließt sich die Salbung mit Chrisamöl an. Hier ist bewahrt, was Glaube der Kirche von Anfang an war: Durch die Salbung mit Chrisam werden die Getauften mit Christus zu Königen, Priestern und Propheten. Diese Attribute verdeutlichen drei Dimensionen, die die besondere Würde und den Auftrag des und der Getauften bezeichnen.
Dimension 1: Der Mensch ist Repräsentant des Schöpfers und deshalb «König»
In den Schöpfungsberichten wird der Mensch als Krone der Schöpfung dargestellt. Das Sein des Menschen, im Speziellen des und der Getauften, ist dadurch bestimmt, dass er und sie nicht mehr aus dem Paradies Vertriebene sind, sondern zu dem Königreich gehören, das durch Tod und Auferstehung Jesu Christi errichtet ist (vgl. Offb 1,6).
Dimension 2: Der Mensch als Wortführer der Gott lobenden Schöpfung und deshalb «Priester»
Als dieser Repräsentant des Schöpfers in der Welt ist es die Aufgabe des und der Getauften als Priester und als Priesterin im Namen der Schöpfung vor Gott zu treten und ihm «den Lobpreis der stummen und sprachlosen Geschöpfe» zu entrichten. Der durch den Tod gegangene und auferstandene Christus, so formuliert der Seher in der Johannesoffenbarung, hat «uns zu einem Königreich gemacht […] und zu Priestern vor Gott, seinem Vater» (Offb 1,6), in ihm sind die Christusähnlichen «ein auserwähltes Geschlecht, eine königliche Priesterschaft, ein heiliger Stamm» (1 Petr 2,9).
Dimension 3: Der Mensch als Hörer des Wortes Gottes und als Zeuge der Wahrheit und deshalb «Prophet»
Geschaffen als Repräsentant des Schöpfers in der Welt und als Wortführer der Gott lobenden Schöpfung kann der Mensch diese Dimensionen seines Wesens nur leben, wenn er auch die prophetische Dimension seines Christseins wahrnimmt. Dem Menschen als Propheten kommt die Aufgabe zu, Gottes Wort zu hören, darin die Wahrheit über Gott, Mensch und Welt zu erkennen und sie in der Welt zu bezeugen.
König/Königin, Priester/Priesterin, Prophet/Prophetin zu sein, sind nicht einfach vernachlässigbare Zuschreibungen, sondern tiefster Ausdruck des Menschen als Christ und Christin.
Lobpreis vor Gott als Ausdruck der Taufgnade
Es ist also der Auftrag jedes und jeder Getauften, Lobpreis, Dank, Klage und Fürbitte vor Gott zu tragen. Wenn die Kirche bestimmte Personen aus dem Kreis der Getauften mit speziellen Aufgaben im Hinblick auf Lobpreis, Dank, Klage und Fürbitte betraut, dann ist dies als Entfaltung ihrer Taufgnade zu verstehen und nicht als Anteilgabe an Aufgaben des besonderen Priestertums.
Die schultheologische Sakramententheologie hat in eine Sackgasse geführt.
Die schultheologische Sakramententheologie hat in eine Sackgasse geführt, weil sie festhält, was eigentlich seit dem Zweiten Vatikanischen Konzil überwunden war: Sakramente bestehen nicht zuvorderst aus der Austeilung vom Priester konsekrierter, heiliger Materie, welches die Gnade enthält und mitteilt. Sakramente sind symbolische Vollzüge, welche das grosse μυστήριον / sacramentum Gottes, Christus in seinem Leben, Sterben und Auferstehen, in der Geschichte wahrnehmbar und erfahrbar machen: In den unterschiedlichen Situationen des Lebens und in den verschiedenen Bereichen der Welt, die das einzige Medium der Gotteserfahrung und Gottesbegegnung ist.
Birgit Jeggle-Merz ist seit 2006 ordentliche Professorin für Liturgiewissenschaft an der Theologischen Hochschule Chur und ausserordentliche Professorin für Liturgiewissenschaft an der Theologischen Fakultät der Universität Luzern.
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[1] Vgl. exemplarisch Papst Johannes Paul II., Enzyklika Ecclesia de Eucharistia über die Eucharistie in ihrer Beziehung zur Kirche vom 17. April 2003. Hg. v. Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz (VApS 159). Bonn 2003. – Dazu Birgit Jeggle-Merz, Das theologische Ideal einer Eucharistischen Ekklesiologie und die Gegenwart der Kirche im frühen 21. Jahrhundert. Liturgiewissenschaftliche Annäherungen, in: Stefan Kopp / Benedikt Kranemann (Hg.), Gottesdienst und Kirchenbilder (QD 313), Freiburg/Br. 2021, 84-107.
[2] Vgl. dazu Birgit Jeggle-Merz, In persona Christi agere. Identifikationsmerkmal allein des Amtspriestertums oder auch des gemeinsamen Priestertums, in: Christusrepräsentanz. Zur aktuellen Debatte um die Zulassung von Frauen zum priesterlichen Dienst. Hg. v. Margit Eckholt u. Johanna Rahner. Freiburg 2021 (QD 319) 320-334.
[3] Dieses und das folgende Zitat nach Reinhard Meßner, Einführung in die Liturgiewissenschaft (UTB 2173). Paderborn, 2., überarb. Aufl. 2009, 125-127.