Tiere kommen in der Bibel vor. Keine Frage. Doch ist sie auch eine Ressource und Quelle der Motivation für ein tiergerechtes Handeln? Claudia und Simone Paganini kommen in ihrem neuen Buch zu einer ernüchternden Bilanz.
Ja, in der Bibel kommen gefährliche Einhörner, Baby fressende Drachen, sprechende Blutegel und auch Dinosaurier vor. Doch wenn man sich mit Tieren und Bibel beschäftigt, kommt man nicht umhin, die Schöpfungsgeschichte anzuschauen. Im Buch Genesis erschafft Gott die Welt. Dabei werden die Tiere und der erste Mensch aus der gleichen Materie geformt. Sie sind Wesensgleich. Die Tiere sind außerdem von Gott – so der Text – als erste Gefährtinnen für den Ur-Menschen gedacht, die erste Hilfe. Insofern mag es durchaus naheliegen, den in der Tradition negativ besetzten im Sinn eines Beherrschens gedeuteten göttlichen Befehl „Macht euch die Erde untertan!“ (Gen 1,28) positiv umzudeuten und zwar im Sinn eines fürsorglichen Übernehmens von Verantwortung. Damit wäre die Bibel gerettet.
Tiere als Protagonistinnen
Will man nicht bei der Schöpfungsgeschichte stehenbleiben, stellt man außerdem schnell fest, dass Tiere in der Bibel an vielen Stellen gar als Protagonistinnen in Erscheinung treten. In den Gesetzestexten der Torah werden sie sogar als Rechtssubjekte wahrgenommen, die für ihre Arbeit am Feld mit einem Teil der Ernte belohnt werden und im Fall eines tödlichen Unfalls oder bei sexuellen Vergehen zur Rechenschaft gezogen bzw. – wie ein Mensch – bestraft werden können. Ein Tier zu bestrafen, noch dazu in der Regel mit der Todesstrafe, wirkt auf die heutigen Leser:innen eher grausam, die Idee einer rechtlichen Gleichstellung von Tier und Mensch ist aber dennoch bemerkenswert.
Adam und Eva … Veganer:innen!
Noch bemerkenswerter ist, dass es ohne Stiere, Kühe, Ziegen, Schafen oder Tauben, die als Tieropfer dargebracht wurden, im Alten Testament streng genommen kaum eine Möglichkeit gab, mit der Gottheit in Kontakt zu treten. Das Töten von Tieren war aber nicht nur eine Form des Gebets, die rituelle Handlung am Tempel, welche nur von Priestern vollzogen werden durfte, diente letztlich auch der Gewinnung von Fleisch. Die Erlaubnis, Tierfleisch zu essen, wurde dem Menschen aber erst als Folge der Sintflut erteilt, ursprünglich – so die biblische Vorstellung – ernährten sich Adam und Eva im Garten Eden vegetarische bzw. eigentlich sogar vegan.
Wo aber treten Tiere in Aktion? Beispielsweise im Zyklus des Propheten Eija, den ein Rabe füttert. Oder in Gestalt der sprechenden Eselin, die ihren Besitzer, den Seher Bileam, trotz seiner Brutalität ihr gegenüber rettet. Und natürlich spielen Tiere eine zentrale Rolle in der jesajanischen Vorstellung eines künftigen Friedensreiches. Schlussendlich schlägt das Buch Kohelet im 3. Jahrhundert v. Chr. – vermutlich in Auseinandersetzung mit der griechisch-hellenistischen Kultur – quasi tierethische Töne an: „Das Geschick der Menschenkinder und das Geschick des Viehs – sie haben ja ein und dasselbe Geschick – ist dies: wie diese sterben, so stirbt jenes […]. Und einen Vorzug des Menschen vor dem Vieh gibt es nicht.“ (Koh 3,19) Es wird zumindest eine Art Schicksalsgemeinschaft angedeutet.
Tier und Mensch – ein Schicksalsgemeinschaft
Auch im Neuen Testament sind Tiere allgegenwärtig. In den Gleichnissen kommen häufig Ziegen und Schafe vor, aber auch ihre Feinde, die Wölfe. Kamelen, Hennen und natürlich Eseln, aber auch Tauben, Schlangen und Schafen schreibt Jesus eine Vorbildfunktion zu. Nach Fisch roch es sowieso überall. Die Nutztiere schließlich genießen auch im Neuen Testament einen so hohen gesellschaftlichen Stellenwert, dass sogar das Sabbatgebot temporär außer Kraft gesetzt werden kann, damit ein in einen Brunnen gefallenes Tier gerettet (Lk 14,5) oder ein durstiges Tier getränkt wird (Lk 13,15).
Fokus bleibt auf den Menschen
Trotz der bunten Tierwelt, bleibt der Fokus im Neuen Testament aber klar auf den Menschen gerichtet. So setzt die wohl wichtigste Rede Jesu, in der er programmatisch seine neuen „Zehn Gebote“ in Form von Seligpreisungen verkündet, zwar mit den Vögeln des Himmels ein, macht sie aber nicht zum Thema. „Seht die Vögel des Himmels“, heißt es, „sie säen nicht, sie ernten nicht und sammeln nicht in Scheunen, und euer Vater im Himmel ernährt sie.“ (Mt 6,26) So weit, so gut. Doch (leider) fragt Jesus unmittelbar danach seine Zuhörerschaft: „Seid ihr nicht viel mehr wert als sie?“ Die Vögel haben Jesus also nicht um ihrer selbst willen interessiert, sondern lediglich Eingang in das Gleichnis gefunden, um die Sonderstellung des Menschen auf bildhafte Weise zu betonen.
Paulus, Jesus – nicht gerade Tierfreunde?
In der Briefliteratur kommt es dann noch schlimmer. In seinem Brief an die Korinther macht sich Paulus explizit über ein jüdisches Gebot lustig, in dem es insofern um Tierrechte geht, als man dem Rind bei der Drescharbeit nicht das Maul zubinden darf (Dtn 25,4). „Kümmerte sich Gott etwa um die Rinder?“ spottet er (1Kor 9,9). Eine klare rhetorische Frage, die es mit einem Nein zu beantworten gilt. Aber auch der Umgang von Jesus mit Tieren dürfte nicht unbedingt von Wertschätzung geprägt gewesen sein: Schließlich hatte er kein Problem damit, Dämonen in eine Herde von 2.000 Schweinen einfahren zu lassen, sodass diese in der Folge einen Abhang hinunterstürzen und in einem See ertrinken (Mk 5,13). Und auch der verklärte auferstandene Christus wirkt ein wenig tierfreundliches Fischfang-Wunder, als er einige seiner hungrigen Jünger in Galiläa besucht. Die Ausbeute ist beachtlich: 153 große Fische werden noch am Strand gebraten (Joh 21,11). Die Menge der gefangenen Fische ist jedenfalls weit größer als die anwesende achtköpfige Gruppe gebraucht hätte, um satt zu werden. Was mit den überzähligen Fischen passierte, interessiert die Verfasser des Evangeliums nicht mehr. Möglicherweise waren sie nur eine als literarisches Mittel eingesetzte Übertreibung aber sie wurden einfach tot am Ufer liegengelassen.
Das Johannesevangelium erzählt aber auch, dass Jesus noch zu Lebzeiten – also als historischer Jesus – Verkäufer aus dem Tempel treibt, die mit Rindern, Schafen und Tauben handeln (Joh 2,13-16). Setzt Jesus sich also für die Opfertiere ein, die am Jerusalemer Tempel verkauft und geschächtet wurden? Leider nein, ganz im Gegenteil: Jesus schlägt, scheucht und jagt nicht nur die Händler aus dem Tempelvorhof, sondern auch die Schafe und Rinder (Joh 2,15), was bedeutet, dass die Tiere vermutlich in Panik die langen und steilen Treppenaufgänge des Tempelbergs hinuntergerannt sein müssen, dabei sehr wahrscheinlich zu Sturz gekommen sind und sich verletzt haben. Jesus wollte ganz offensichtlich keine Tiere erlösen, sondern Menschen. Auch die ohnehin nur angedeutete Schicksalsgemeinschaft des Buches Kohelet ist bei Jesus verschwunden. Die wenigen Anklänge von Tierethik, die man im Alten Testament mit viel gutem Willen entdecken kann, sucht man im Neuen Testament vergeblich. Den traurigen Abschluss bildet gewissermaßen jene Verheißung der Offenbarung, der zufolge der Drache – auch er ist ein Tier – bis in alle Ewigkeit ohne große Probleme gequält werden wird.
Das Neue Testament: tierethisch prekär
Daran ändert auch der Umstand nichts, dass Jesus selbst immer wieder mit einem Lamm verglichen wird, dass drei der vier Evangelisten als Tiere dargestellt werden und dass die dritte Person der Trinität durch einen Vogel verkörpert und angebetet wird. Tiere als Mitgeschöpfe aufrichtig wertzuschätzen und die entsprechenden Konsequenzen für das eigene Handeln zu ziehen, gelingt den Gläubigen sowohl im Judentum als auch im Christentum selbst heute noch nicht besonders gut. Zumindest was die Christ:innen betrifft, braucht das nicht zu überraschen, ertönt in der Apostelgeschichte doch eine Himmelsstimme, die dreimal hintereinander sogar jene Tiere zum Schlachten und Essen freigibt, die den Juden als unrein galten. „Schlachte und iss!“, lautet die eindeutige Anforderung Gottes an Petrus (Apg 10,13).
Der Kampf um Tierrechte ist dennoch keine Erfindung unserer Zeit.
Nun könnte man natürlich einwenden, dass der Kampf um Tierrechte eine Erfindung unserer Zeit ist und sich die biblischen Autoren daher selbstredend nicht um eine wertschätzende Darstellung von Tieren bemüht haben. Das ist historisch gesehen allerdings nicht richtig. Denn als das Neue Testament entstand, gab es bereits äußerst tierfreundliche philosophische Strömungen, wie etwa die Kyniker, Skeptiker, Epikureer oder die Pythagoreer. Eingang in die biblischen Texte fanden ihre Vorstellungen, wie Menschen und Tiere friedlich zusammenleben können, allerdings nicht.
Die Weichenstellungen, die damals vorgenommen wurden, bestimmen noch heute das Mensch-Tier-Verhältnis in christlich geprägten Gesellschaften. Tiere existieren ausschließlich zu dem Zweck, dem Menschen nützlich zu sein – sei es für seine Ernährung, Kleidung, die medizinische Forschung, den Sport oder als Gefährten, so zumindest nach dem Katechismus der Katholischen Kirche. Die Bibel ist also ganz sicher kein Werk, das Tierethik vermitteln will. Daran ändert auch der Umstand nichts, dass sie vereinzelt Erzählungen und Motive enthält, die Anlass dafür sein können bzw. sollten, die selbstverständliche Machtausübung des Menschen gegenüber den Tieren in Frage zu stellen. Insofern sollte man sich vielleicht dazu durchringen, im Hinblick auf tierethische Fragen der theologischen Forschung bzw. privat, in einem christlich-geprägten Leben, auf die Bibel zu verzichten. Um zu verstehen, wie man sich als Mensch gegenüber nicht-menschlichen Tieren (nicht) verhalten sollte, braucht man die Bibel nicht.
Claudia Paganini, geb. 1978 in Innsbruck, studierte in Innsbruck und Wien Philosophie und Theologie. Nach ihrer Promotion mit einer kulturphilosophischen Arbeit und einer Habilitation im Fach Philosophie lehrt und forscht sie seit 2021 als Professorin für Medienethik an der Hochschule für Philosophie in München. Neben ihrer Tätigkeit als Wissenschaftlerin schreibt sie Romane und ist in der Erwachsenenbildung aktiv. Sie ist im Tierschutz aktiv und Mitglied von der Tierethik-Kommission der österreichischen Bundesregierung.
Simone Paganini, geb. 1972 in Italien. Nach Stationen in Florenz, Rom, Innsbruck, Wien und München ist er derzeit Professor für Biblische Theologie an der RWTH-Aachen Universität. Er ist Autor zahlreicher wissenschaftlicher Publikationen und populärwissenschaftlicher Bücher (unter anderem über Fake News in der Bibel, Sex in der Bibel, Bibel und Star Wars). Auch auf Science Slams begeistert er ein großes Publikum. Er ist Mitbegründer des Zentrums für Human Animal Studies der Universität in Aachen.
Beitragsbild: Gütersloher Verlagshaus; Cover des kürzlich erschienenen Werkes: Simone und Claudia Paganini: Die Biester der Bibel. Warum es in der Heiligen Schrift keine Katzen, aber eine Killer-Kuh gibt, Gütersloh 2022.