Eine Dattelpalme als Hebamme und ein Kind, das seine Mutter verteidigt – Hans-Jürgen Benedict zur Weihnachtsgeschichte im Koran.
Wer vor Weihnachten an der schiitischen Imam Ali-Moschee an der Hamburger Außenalster vorbeigeht, wird im Schaukasten eine Weihnachtsbotschaft des leitenden Geistlichen dieser Moschee entdecken. Darin gratuliert er uns Christen zur Geburt des Propheten Jesus und versichert, dass die Muslime diesen Gesandten Gottes hoch verehrten. Er sei ein Prophet der Rechtleitung gewesen. Ich bin erstaunt über diese jesusfreundliche Botschaft des vom Iran beeinflussten islamischen Zentrums, das wegen seiner Israelfeindlichkeit vom Verfassungsschutz beobachtet wird.
im Schaukasten eine Weihnachtsbotschaft des leitenden Geistlichen der Moschee
Ich frage mich: Was denken Muslim:innen, wenn sie den vorweihnachtlichen Trubel auf den Weihnachtsmärkt erleben? Können sie in den ausgestellten Krippen mit Maria und dem Jesuskind, mit Josef, den Hirten, mit den Frieden verkündigenden Engeln, auch Teile ihrer eigenen, sozusagen weihnachtlichen Tradition erkennen? Denn die gibt es im Koran.
Über den Propheten Jesus, der in 19 Suren erwähnt wird, auf den sich 120 Verse beziehen, der mit vielen Titeln genannt wird, Isa, Sohn Mariens, Prophet, Gesandter – über diesen Jesus gibt es eine Geburtsgeschichte im Koran. Er ist im Koran der Jesus als Sohn der Jungfrau (nicht das Krippenkind- das sind ja ursprünglich zwei verschiedene Erzählstränge in der Bibel, die Lukas zusammengefügt hat).
„Dein Herr spricht: Das ist für Gott ein Leichtes.“
Wie bei den Evangelisten Lukas und Matthäus beginnt die Geschichte Jesu im Koran mit dem Wunder der Jungfrauengeburt. Ähnlich wie in der berühmten Ankündigungsszene des Lukas sagt ihr ein Geist als wohlgestalteter Mensch in Sure 19 (die „Maryam“ heißt), dass sie „einen lauteren Knaben“ gebären wird. Wie bei Lukas fragt Maria erschreckt: „Wie soll ich einen Knaben bekommen, da mich noch kein Mann berührt hat und ich auch keine Dirne bin?“ Darauf antwortet der Gesandte Gottes: „Dein Herr spricht: Das ist für Gott ein Leichtes.“
Und so geht die Geschichte im Koran weiter: Die schwangere Maria hat sich wegen der Vorwürfe aus ihrer Verwandtschaft an einen fernen Ort zurückgezogen. Die Wehen setzen ein, sie ist verzweifelt und ruft: „Wäre ich doch vorher gestorben und ganz in Vergessenheit geraten.“ Da hört sie die Stimme ihres gerade geborenen Sohnes: „Bekümmere dich nicht. Der Herr hat unter dir ein Bächlein fließen lassen. Und rüttle am Stamm der Palme, hin zu dir, damit sie frische Früchte auf dich herunterfallen lässt. Dann iß und trink und sei frohen Mutes.“ Der gerade geborene Jesus rettet so seine Mutter durch ein Sprechwunder. Und die Palme leistet gewissermaßen Hebammendienste, indem sie die gebärende Maria nach der Geburt versorgt.
Die Palme leistet Hebammendienste.
Das apokryphe Pseudo-Matthäusevangelium nimmt im 7. Jahrhundert dieses Erzählmotiv aus dem Koran auf und bindet es in die Geschichte von der Flucht der Heiligen Familie ein, die vor den Nachstellungen des Herodes nach Ägypten flieht. So haben wir auf vielen von christlichen Künstlern gemalten Bildern der Ruhe auf der Flucht die Dattelpalme, die ihre Früchte für Maria und ihr Kind spendet. Sie stammt aus dem Koran. Welch eine schöne Gemeinsamkeit zwischen Islam und Christentum!
Jesus und seine Mutter waren Flüchtlinge. Aber das ist nicht nur eine alte gemeinsame Geschichte, sondern auch gegenwärtig bedrängende Realität. In unseren Krippenspielen und Weihnachtsliedern („Maria durch ein Dornwald ging“) wird oft das Flüchtlingsthema angesprochen. Wir sind als Eltern und Großeltern entzückt, wenn unsere Kleinen „Wer klopfet an? Oh zwei gar arme Leut“ singen. Wie schön, wenn wir die heute Anklopfenden hören! Die Flüchtlinge aus der von Rußland mit einem schrecklichen Krieg überzogenen Ukraine vor allem, aber auch die, die übers Mittelmeer nach Europa kommen.
Jesus und seine Mutter waren Flüchtlinge.
Nun erzählt der Koran weiter, wie Maria mit dem Säugling zu ihren Verwandten zurückkehrt und diese ihr Vorhaltungen machen: „Maria, du hast etwas Unerhörtes getan. Dein Vater war doch kein unzüchtiger Mann und deine Mutter keine Dirne.“ Maria deutet zu ihrer Verteidigung auf das Kind. Die Verwandten sagen verächtlich: „Wie sollen wir mit einem sprechen, der noch ein Kind in der Wiege ist?“
Und da geschieht nochmals ein Sprech-Wunder. Wieder beginnt das Kleinkind beginnt zu reden. Es stellt sich mit folgenden Worten selbst vor: „Ich bin der Knecht Gottes! Er gab mir das Buch und machte mich zum Propheten. Er verlieh mir Segen, wo immer ich auch war, und trug mir das Gebet und die Armensteuer auf, solange ich am Leben bin. Und Ehrerbietung gegen meine Mutter! Er machte mich zu keinem elenden Gewaltmenschen.“
„Wie sollen wir mit einem sprechen, der noch ein Kind in der Wiege ist?“
Das klingt verglichen mit unserem Jesusbild vertraut und fremd zugleich. Jesus stellt sich hier wie andere jüdische Propheten als Knecht Gottes vor, der von Gott zum Propheten berufen wurde. Zwar hat Jesus sich in den Evangelien nicht selbst als Knecht bezeichnet. Doch er beschreibt sich als einer, der gekommen ist, zu dienen und nicht sich bedienen zulassen.
„Gott gab mir das Buch“, sagt Jesus im Koran, sprich die Tora und die Evangelien und deswegen gehören die Christen wie die Juden zu den von den Muslim:innen zu achtenden „Menschen des Buchs“. Des weiteren stellt sich Jesus als frommer Jude und zugleich als frommer Moslem vor. Denn er sagt von sich, dass er die Pflichten des rituellen Gebets und der Armensteuer erfüllt sowie das Elterngebot. Was er gleich nach der Rückkehr aus Ägypten praktisch unter Beweis stellt, indem er seine Mutter verteidigt.
Das Kind Jesus stellt sich als frommer Jude und zugleich als frommer Moslem vor.
In dieser Geschichte aus dem Koran wird die enge Verbindung zwischen Maria und ihrem Sohn deutlich. Jesus verhält sich von Anfang an wie ein „Ritter“ der alleinstehenden Maria. Denn im Koran gibt es keinen Ehemann Josef, der sie beschützen kann. Jesus ist im Koran vaterlos, er ist zuerst und vor allem „der Sohn Marias“. In manchen Geschichten der Evangelien distanziert er sich hingegen von seiner Mutter.
Mit dieser Ansprache des kleinen Propheten, der noch ein Kind in der Wiege ist, wird Maria, der wegen illegitimer Schwangerschaft die Strafe durch Steinigung drohte, gerettet. Abschließend sagt Jesus hier von sich, er sei „kein elender Gewaltmensch.“ Das erinnert deutlich an Jesu Seligpreisung der Friedensstifter und an seine Aufforderung an die Jünger, in Konflikten auf Gewalt zu verzichten. „Dem, der dich auf die rechte Backe schlägt, dem halte auch noch die linke hin.“ Allen Menschen, die im Namen ihres Glaubens Gewalt gegen Mitmenschen üben, sei dieser Spruch Jesu aus dem Koran ins Stammbuch geschrieben: „Gott machte mich zu keinem elenden Gewaltmenschen.“
Gott machte mich zu keinem elenden Gewaltmenschen.
Und das stimmt ja auf schöne Weise mit der Verkündigung der Engel über den Feldern von Bethlehem überein. „Ehre sei Gott in der Höhe und Frieden auf Erden bei den Menschen seines Wohlgefallens.“ Der neugeborene Messias ist ein Messias des Friedens. Er würde Frieden den Menschen in der Ukraine, im Iran, in Syrien und überall, wo Unfrieden herrscht, Frieden und ein Ende Gewalt verkündigen. Diese Gemeinsamkeit sollte bei allen Differenzen und Befremdungen, die die jeweils andere Religion noch auslöst, doch zu Weihnachten als dem Fest der Geburt Jesu, muslimisch: der Geburt Isas besonders betont werden.
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Dr. Hans-Jürgen Benedict, Prof.em. der Evangelischen Hochschule für Soziale Arbeit und Diakonie Hamburg, Mitherausgeber der Zeitschrift Junge Kirche
Letzte Veröffentlichungen: „Wär ich allmächtig,ich würde retten, retten.“ Aufsätze zur Gottesfrage in der deutschen Literatur, Stuttgart 2019; Beschädigte Versöhnung. Die Folgen des Versagens der Kirchen in der Nazizeit, Münster 2020; Kein Trost, nirgends? Zu Gedenken und Vergessen, Sterben und Trost, Hamburg 2022.
Bild: Philipp Otto Runge, Die Ruhe auf der Flucht nach Ägypten (ca. 1805/06), Hamburger Kunsthalle, Wikicommons
Zum Weiterlesen: Martin Bauscke, Der Sohn Marias. Jesus im Koran, Köln 2001.