Die Feministische Theologie und Frauen-Kirche-Bewegung in der Schweiz haben viel bewirkt. Darunter ein neues Selbstwertgefühl bei vielen Frauen in Theologie und Kirchen. Eine Buchbesprechung von Franziska Loretan-Saladin.
Selten hat mich ein Buch so sehr mit meiner eigenen Biografie in Verbindung gebracht wie das von Doris Strahm und Silvia Strahm Bernet herausgegebene «Mächtig stolz» über 40 Jahre Feministische Theologie und Frauen-Kirche-Bewegung in der Schweiz. Im Buch blätternd entdecke ich Namen und Fotos von Mitstreiterinnen in der Frauenkirche Zentralschweiz, von feministischen Theologinnen, die mir Vorbild und Ansporn waren, von Anlässen, an denen ich teilgenommen oder die ich verpasst habe.
Ein eigener Mensch werden.
Die Anfänge der Feministischen Theologie und der Frauen-Kirche-Bewegung in der Schweiz fallen ziemlich genau mit dem Beginn meines Theologiestudiums im Herbst 1979 zusammen. Wenig sensibilisiert für Frauen- und Gleichstellungsthemen begann ich mein Studium an der Theologischen Fakultät Luzern mit der festen Absicht, «Laientheologin» zu werden und später in einer Pfarrei zu arbeiten. Diesen Beruf – so dachte ich mir – könnte ich gut auch in Teilzeit und allenfalls mit Familie ausüben. Nach einem Jahr Studium schenkte mir ein guter Freund das Buch «Ein eigener Mensch werden. Frauen um Jesus» von Elisabeth Moltmann-Wendel, das gerade erschienen war. Dieses Buch eröffnete mir einen Zugang zu Feministischer Theologie und dem Thema der Geschlechtergerechtigkeit in Kirche und Gesellschaft.
Meine Studienzeit fiel in die ersten Jahre der Hochblüte der Feministisch-Theologischen Bewegung in der Schweiz in den 80er- und 90er Jahren . Für meine Diplomarbeit am Ende des Studiums hatte ich zwar kein explizit feministisch-theologisches Thema gewählt. Doch unter dem Titel «Erfahrung. Damals und heute» – zur Theologie Edward Schillebeeckx‘ – durfte im Kapitel «Überwindung des Erfahrungsmangels in der Theologie» ein Abschnitt über Frauenerfahrungen in der Kirche und Feministische Theologie nicht fehlen.
Feministische Theologie als Inspirationsquelle in der Pfarreiarbeit
Bei meinem Einstieg in das Berufsleben als Pastoralassistentin in einer Pfarrei 1986 war ich sehr dankbar für feministisch-theologische Themen und Literatur. In Gottesdienst und Predigt, bei Taufen und Beerdigungen sowie in Gesprächskreisen mit Erwachsenen – darunter eine ökumenische Frauengruppe – konnte ich eine neue Sprache, den Blick auf Frauen in der Bibel und die Sensibilität für (traditionelle) Frauenrollen einbringen. Im Kontakt mit der Frauen-Kirchen-Bewegung erlebte ich schwesterliche Solidarität, wenn wir uns auch an unterschiedlichen Orten engagierten. Frauenkirchentage und Weiterbildungen im RomeroHaus Luzern oder auf Boldern bestärkten mich, nicht müde zu werden.
Nun hat mich das Buch bei dessen Besprechung zum selber Erzählen angeregt. Das ist aber nicht ganz falsch, liegt es doch an der Konzeption des Buches selbst, dass – nicht zuletzt durch die vielen Bilder, welche die Beiträge ergänzen – «bei der einen und anderen gewiss Erinnerungen wach werden.» (15) Zur Hauptsache aber geht es dem Buch «um die Würdigung der feministisch-theologischen Bewegung in der Schweiz, um ihre Anfänge und die Entwicklungen bis in die Gegenwart. Und es geht um all die vielfältigen Errungenschaften, die wir gleichsam als Reservoir an Ideen und Unternehmungen an die nächste Generation von junge Theolog:innen* und Frauenbewegten weitergeben möchten.» (11)
Die Beiträge fördern das eigene Erinnern.
Die neun Kapitel dokumentieren Orte, «Sprachrohre», Feministische Theologie an Universitäten, in Forschung und (Aus-)Bildung, kirchliche Frauen- und Gender-Fachstellen, Spirituelle Räume, Vernetzungen und Organisationen, Projekte und Initiativen bis ins Jahr 2021. Der Text ist aufgeteilt in einen breiteren narrativen Teil, in dem die Autorinnen persönlich gefärbt zum jeweiligen Thema schreiben, sowie die Randspalten daneben, die chronologisch zentrale Daten, Fakten und Namen ergänzen. Das macht zum einen das Lesen leicht und fördert zum andern das eigene Erinnern an Namen, Orte, Daten… Spannend sind auch die Kommentare am Ende jedes Kapitels in Form von Chats aus heutiger Sicht. Jedem Kapitel ist zudem ein Selbstporträt einer jüngeren oder älteren Akteurin der Bewegung beigefügt.
Selbstporträts
Als Beispiel möchte ich das Selbstporträt von Dorothee Wilhelm erwähnen mit dem Titel: «Wer wäre ich ohne die feministische Theologie?» (171f). Aus einer Familie mit vielen Priestern und einer alt-gebrauchten, zerfleddernden griechischen Bibel stammend, begann sie das Theologiestudium. Wäre da nicht die feministische Theologie gewesen, hätte sie dieses jedoch im 3. Semester aufgegeben. Denn sie erlebte andauernd, «dass sie nicht vorgesehen war: keine Lehrerinnen, kaum Vorbilder, viele unerträgliche Rollenbilder.» Mit einer Gruppe von Theologiestudentinnen organsierte sie in Münster 1985 eine Veranstaltungswoche zur Feministischen Theologie. Durch die Mitarbeit bei der Zeitschrift «Schlangenbrut»1 begann sie zu schreiben.
Und auch dies ist Dorothee Wilhelm wichtig: «Durch das Fenster der feministischen Befreiungstheologie kann ich meine eigene Behinderung theologisch und politisch formulieren als eine willkürlich eingeschränkte Möglichkeit menschlichen Lebens. Das Leben geht – oder rollt – immer auch noch ganz anders: Fürchtet Euch nicht!» (171f)
‘Schneeball-Effekt’
Das Buch dokumentiert eine Fülle von Initiativen und Projekten. Dennoch kann davon ausgegangen werden, dass es noch viel mehr gab und teil noch gibt. Die Herausgeberinnen schreiben: «Vieles von dem, was an konkreten Orten, aber eben oftmals auch privat stattfand, konnte nicht zur Sprache kommen (…).» (16) Insofern hatte die Bewegung einen ‘Schneeball-Effekt’ – wie etwa die unzähligen «Lesegruppen und Frauenzirkel, Arbeitsgruppen (…) und die vielen ‘unbesungenen Heldinnen’ der feministisch-theologischen Bewegung» zeigen. (16) Während das Buch zur Hauptsache die Bewegung in der Deutschschweiz im Blick hat, geben dennoch zwei Beiträge einen «Einblick in die Geschichte und die aktuelle Situation feministischer Theologie in der Romandie und im Tessin» (17).
Was bleibt? Gewiss haben viele Frauen wie ich die biblische Botschaft neu und als Befreiungsbotschaft entdeckt, ohne die gegenteiligen Texte in der vielfältigen und vielschichtigen hebräischen und christlichen Bibel zu verschweigen. Sie haben befreiende Theologien kennengelernt und auch selber mit gestärktem Selbstbewusstsein die traditionelle Theologie weitergeschrieben. Das hat «die Kirchen und die traditionelle Theologie zwar nicht nachhaltig verändert, aber sie hat uns verändert, hat sich eingeschrieben in unsere Biografien und in jene unzähliger Frauen weltweit» (17).
Es bleibt noch genug zu tun.
Und was bleibt zu tun? Hat sich die Feministische Theologie überlebt? Auch wenn das Buch vor allem dem Rückblick auf die letzten 40 Jahre gilt, stellen die Herausgeberinnen diese Frage und antworten mit einem soziologischen Argument: Da in unserer Zeit und Gesellschaft die Entkirchlichung fortschreitet und christlich zu glauben für immer weniger Menschen eine Option ist, bleiben in jeder nächsten, jüngeren Generation weniger mögliche Adressatinnen für die Feministische Theologie. Dieser Rückgang ist natürlich auch eine Folge des «Reformstaus» in der Katholischen Kirche, in der Frauen weiterhin aufgrund ihres Geschlechts vom Priesteramt ausgeschlossen sind, aber auch einer Theologie, die weiterhin von männlichen Gottesbildern und patriarchalen Konzepten geprägt ist. (vgl. 18) Insofern bleibt noch genug zu tun sowohl in den Kirchen als auch an den Theologischen Fakultäten.
Das Buch will aber erst einmal zum Innehalten einladen und dazu, «mächtig stolz» zu sein auf das, «was wir als feministische Theologinnen und als Frauen-Kirche-Bewegung in die Welt gesetzt haben!» (18)
Das Buch:
Mächtig stolz. 40 Jahre Feministische Theologie und Frauen-Kirche-Bewegung in der Schweiz, Herausgegeben von Doris Strahm und Silvia Strahm Bernet unter Mitarbeit von Monika Hungerbühler, eFeF-Verlag, Wettingen (2. Auflage) 2022. ISBN 978-3-906199-27-6.
Franziska Loretan-Saladin, Luzern, Dr. theol., war bis im Sommer 2023 Lehrbeauftragte für Homiletik an der Theologischen Fakultät der Universität Luzern; freiberuflich mit Predigtweiterbildung und Spiritualität unterwegs. Sie ist seit 2015 Mitglied des Redaktionsteams von feinschwarz.net.
Beitragsbild: Buchcover – Autorinnenbild: Privat