Auf mögliche und ausstehende Veränderungen, die sich mit der Bewegung queerer Mitarbeiter*innen in der katholischen Kirche und dem Projekt #OutInChurch ergeben könnten, schaut Bernd Mönkebüscher.
Nahezu ein Jahr währte die Vorbereitung der Initiative #OutInChurch. Am 24.01.2022 wurde sie zusammen mit der Dokumentation in der ARD „Wie Gott uns schuf“ öffentlich. Die Dokumentation wurde ausgezeichnet mit dem Medienpreis der Deutschen Bischofskonferenz und mit dem Deutschen Fernsehpreis in der Kategorie „Beste Dokumentation/Reportage“. Seitdem hat sie einiges bewegt und beschleunigt.
Bewegende Geschichten
Bewegt: Die bis zum 24.01.2022 völlig unsichere Situation queerer Mitarbeitenden in der katholischen Kirche wird von den Medien, in zahlreichen Veranstaltungen und Gesprächen vermehrt aufgegriffen und diskutiert. Leidensgeschichten werden öffentlich, und für nicht wenige ist – endlich – der Zeitpunkt gekommen, sich zu outen. Bewegende Geschichten erzählte schon die ARD Dokumentation, bewegende Geschichten sind im die Aktion begleitenden Buch #OutInChurch – für eine Kirche ohne Angst nachlesbar. Und bewegende Geschichten erzählen sich in den Online Konferenzen und in Präsenztreffen nach wie vor Menschen, die sich mit der Initiative geoutet haben. 125 Personen waren es im Januar 2022; die Zahl hat sich mittlerweile verdreifacht.
Immer noch.
Verdreifacht? Ja, „nur“ verdreifacht, denn immer noch sind queere Themen in der Kirche angstbesetzt. Immer noch schämen sich in der Kirche queere Menschen und fürchten Reaktionen in den Gemeinden oder im eigenen Elternhaus (weil sie sich auch dort nicht zu outen getrauen). Oder haben sich selbst noch nicht als die angenommen, die sie sind. Und es gibt nach wie vor diejenigen, die sich eingerichtet haben, die „ihr Geheimnis“ hüten und leben und sich gleichzeitig verstecken, loyal gegenüber ihren Vorgesetzten ihren Dienst verrichtend.
kein ernsthaftes Gesprächsangebot
Auch manche Bischöfe zeigten sich bewegt. Einige erwähnen an der einen oder anderen Stelle #OutInChurch, aber eine wahrnehmbare Auseinandersetzung auch in der Form, dass – sich mit der Initiative geoutete – Menschen von den Bischöfen zu einem Gespräch eingeladen worden wären (dies geschah bislang in weniger als 10 der 27 Bistümer) fehlt. Von der Initiative #OutInChurch hat bislang niemand wahrgenommen, dass gekündigten Mitarbeitenden oder ehemalige Mitarbeitende, die zu einem Auflösungsvertrag genötigt wurden, ein ernsthaftes Gesprächsangebot gemacht worden wäre.
Bekundete Queerfreundlichkeit?
Beschleunigt: Schon ab dem 25.01.2022 äußerten sich die ersten Generalvikare und bekundeten, queere Menschen hätten nichts mehr zu befürchten. Sie beteuerten, das Arbeitsrecht würde bis zur geplanten Änderung oder Neufassung nicht angewandt. Sie zeigten sich betroffen, allerdings für eine Praxis, die sie selbst zu verantworten haben oder für die sie bis zu #OutInChurch nicht den Mut hatten, sie auszusetzen oder Mitarbeitenden eine Rechtssicherheit zu geben. Dass sie damit Angst und Unsicherheit erzeugt und krankmachende Bedingungen gestützt haben, dürfte ihnen nicht erst im Januar 2022 klar geworden sein. Wie sollen queere Menschen, wie soll die gesellschaftliche Öffentlichkeit dann in diesem Kontext die plötzlich bekundete Queerfreundlichkeit einordnen?
Erpressbarkeit
Schließlich hat die kirchliche Sexuallehre auch zu einer vergifteten Arbeitsatmosphäre beigetragen. Im duldenden Wissen von Bistumsleitungen wurden Menschen, deren persönliche Lebensführung nicht der Massgabe des Arbeitsrechtes entsprach, erpressbar. Denunziationen waren willkommen, ihnen wurde nachgegangen. Welches Ausmass Erpressbarkeit haben kann, wird bei der Aufarbeitung von Missbrauchsverbrechen in der Kirche erst anfanghaft sichtbar. Erpressbarkeit macht(e) die Mitarbeitenden gefügig oder sorgt(e) für einen Übereifer, mit dem der vermeintliche Makel relativiert oder „wieder gut“ gemacht werden sollte.
Katechismus und kirchliches Arbeitsrecht
stehen in Spannung.
Mittlerweile ist das neue Arbeitsrecht in den meisten Bistümern umgesetzt. Es betont: „Vielfalt in kirchlichen Einrichtungen ist eine Bereicherung“. Der „Kernbereich privater Lebensgestaltung, insbesondere Beziehungsleben und Intimsphäre“ wird rechtlichen Bewertungen entzogen. Aber es scheint, dass zur Neufassung eher der Druck von außen, die Sorge, dass sonst „die Politik“ eingreifen würde oder ausgesprochene Kündigungen vor Gericht keinen Bestand haben, geführt haben. Denn zeitgleich scheiterte in der 4. Synodalversammlung des Synodalen Weges vom 08.-10.09.2022 der Grundlagentext des Forum IV, „Leben in gelingenden Beziehungen – Liebe leben in Sexualität und Partnerschaft“ an der zur positiven Verabschiedung notwendigen Zweidrittelmehrheit der Bischöfe. Nun besteht das Paradox, dass – wie auch aus bischöflichem Mund vernehmbar – queere Menschen einerseits als Mitarbeitende der Kirche eine Bereicherung darstellen (sollen), aber als queere Katholik*Innen, die heiraten oder in einer Beziehung leben, dem Katechismus nach weiter „in Sünde“, in „Todsünde“ leben. Katechismus und kirchliches Arbeitsrecht stehen also jetzt in massiver Spannung. An dieser Stelle sollte allerdings nicht verschwiegen werden, dass dieses „Schicksal“ ebenso nicht queere Katholik*Innen trifft, die ausserehelich ihre Sexualität leben oder in der Ehe Praktiken anwenden, die nicht offen für Nachkommenschaft sind.
Vorsorglich schweigen?
Mit dem neuen Arbeitsrecht ist zwar eine der sieben Kernforderungen der Initiative #OutInChurch weitgehend erfüllt. Die Lebenswirklichkeit von Transmenschen scheint jedoch noch nicht genügend wahrgenommen, die Situation von Lehrkräften ist nicht sicher, solange nicht auch die Kriterien zur Erlangung der Missio Canonica angepasst werden, Lehrende an den Hochschulen sind vom Arbeitsrecht überhaupt nicht betroffen, da das notwendige Nihil obstat in Rom erteilt wird. Aber die sechs übrigen Kernforderungen sind nicht erfüllt. Im Gegenteil: Die Forderung nach Änderung der Sexualmoral hat durch die erwähnte Ablehnung des Grundlagentextes eine deutliche bischöfliche Absage erhalten. Kurzfristig schien es sogar so, als sei der Synodale Weg damit gescheitert. Zumindest ist sehr sichtbar geworden, wie wenig offen weiterhin ein Teil der Bischöfe argumentiert und sich lieber in geheimen Abstimmungen verstecken möchte. Oder sie äußern, man wolle mit den Argumentationen queere Menschen nicht verletzen, es sei alles sowieso zu sehr emotional aufgeheizt, deswegen schwiege man vorsorglich.
Keine „korrekten Beziehungen“?
Eine weitere Berufsgruppe ist von all dem unberührt, nämlich meine, die der Priester. Nach wie vor gilt das vom damaligen Papst Benedikt XVI. im Jahr 2005 formulierte und von Papst Franziskus bestätigte Wort, dass „Männer mit tiefsitzenden homosexuellen Tendenzen“ (was ist das?) nicht zum Priester geweiht werden dürften, da sie keine „korrekte Beziehung“ zu Frauen und zu Männern aufbauen könnten. Übrigens erschien hier eine Begründung nie nötig, eine Evaluierung schon gar nicht. Nun halten sich zwar weltweit die Bischöfe daran nicht. Aber sie stellen dieses Verbot auch viel zu wenig öffentlich wahrnehmbar in Frage, geschweige denn, dass sie zu ihrer dem Vatikan widersprechenden Praxis stehen und dies benennen und vehement sich für ein Streichen dieser Formulierung beim Papst stark machen. Es ist zu wenig, einfach nur in diesem Zusammenhang auf das Einhalten des Zölibates hinzuweisen, denn mit dem Verweis erspare ich mir eine Auseinandersetzung mit dem „Minderheitenstress“ queerer Menschen und der offensichtlichen Diskriminierung schwuler Männer seitens des Vatikans, wenn ihnen nach wie vor widerspruchslos unterstellt wird, sie könnten keine „korrekten Beziehungen“ aufbauen.
Es bleibt mir darüber hinaus ein Rätsel, wie es Bischöfe und alle violett bekleideten Männer hinbekommen, sich von auch queeren Schneidern einkleiden zu lassen, die – wenn sie verheiratet sind oder in Partnerschaft leben – die kirchliche Lehre als in Todsünde befindlich einordnet. Oder wie sie sich am Orgelspiel auch queerer Menschen erfreuen und an allen anderen Diensten queerer Menschen, denen sie dem Katechismus nach nicht nur mit „Takt“ sondern auch mit „Mitleid“ zu begegnen haben.
Diskriminierungen weiter benennen.
#OutInChurch ist noch lange nicht am Ziel. Im Gegenteil. Die Initiative ist nach wie vor dabei, Finger in die Wunden zu legen, Diskriminierungen zu benennen und Geschichten zu erzählen, in denen queere Mitarbeitende selbst zu Wort kommen und nicht länger nur über sie geredet wird.
Die Aufarbeitung der Schuldgeschichte der Kirche queeren Menschen gegenüber stellt weiterhin eine massive Forderung dar, deren Erfüllung erst dann glaubwürdig erreicht ist, wenn die diskriminierende kirchliche Lehre, die in den meisten Erkenntnissen der heutigen Theologie und der Humanwissenschaften sowieso keine Begründung mehr finden kann, gestrichen ist und eine völlig andere Ausrichtung erfährt. Hier genügt keine „Fortschreibung“, hier braucht es Neuformulierungen und die ins Wort gebrachte Erkenntnis, dass die bislang gültige Lehre Menschen verletzt und diskriminiert und zu ungerechten Behandlungen führt. In nicht wenigen hat sie darüber hinaus Suizidgedanken und -Handlungen hervorgerufen wie auch die Dokumentation „Wie Gott uns schuf“ eindringlich gezeigt hat.
Angebote nicht aufgegriffen.
Schwer erträglich, unerträglich ist es, wenn Bischöfe suggerieren, diese Themen seien alle neu und man brauche Geduld und müsse nachdenken. Im Rahmen der Frühjahrsvollversammlung der Deutschen Bischöfe fand ein Gespräch mit den Bischöfen Bätzing, Kohlgraf und Weihbischof Schepers und einigen Menschen der Initiative #OutInChurch statt, bei dem 120.000 Unterschriften unterstützender Menschen übergeben werden konnten. In dem Gespräch wurde mehrfach seitens der Initiative Hilfe etwa zur Neufassung des Arbeitsrechtes aber auch zur weiteren Diskussion queerer Themen angeboten. Leider erfolgte auf dieses Angebot keine Reaktion, niemand der Bischöfe hat es aufgegriffen. Verstärkt wird dadurch der Eindruck eines „Wir wissen schon, was für euch gut ist“.
Wirkliches Hinhören scheint schwierig.
Ein wirkliches Hinhören, ein Aufnehmen dessen, was queere Menschen in der Kirche erlitten haben und auch noch erleiden, scheint immer noch schwierig bis unmöglich. Es wirkt so, als sei es egal. Den Dienst nimmt man gern in Anspruch, dem Menschen möchte man nicht ernsthaft begegnen.
Anfrage an die kirchliche Lehre.
Leben wir in einem Dazwischen, in einem Übergang? Niemand der Bischöfe würde (hoffentlich) heute noch sagen: „Das wusstest du doch vorher. Dir war klar, worauf du dich einlässt. Du hättest gar nicht bei uns anfangen müssen.“ Ich bin mir aber nicht sicher, ob nicht noch genügend von ihnen so denken. Denn wäre diese Einstellung auch nicht mehr im Denken vorhanden, dann begännen die Bistumsleitungen, wirklich bei den Menschen zu sein. Sie würden realisieren, dass nicht die queeren Menschen, die sich nach wie vor in Kirche mit ihrem Glauben und mit viel Herzblut einbringen, falsch sind, sondern die sie „als in sich nicht in Ordnung“ einstufende kirchliche Lehre.
Es gibt sie noch, diese Menschen.
Warum fällt es so schwer, dieses Riesenpotential von Menschen wahrzunehmen, die (immer noch) innerhalb der Kirche glauben und ihre Evangelium gemäße Veränderung und Erneuerung für möglich halten? Es gibt sie noch, Menschen, die sich in diesen nicht einfachen Zeiten für eine Institution interessieren, einsetzen und in ihr arbeiten, eine Institution, die bislang eher sich selbst geschützt, in Fragen des seelischen und körperlichen Missbrauchs Verbrechen vertuscht hat. Hier stehen viele Mitarbeitende, getreten und eingeschüchtert. Sie wagen sich hervor, öffnen sich, spielen Menschen nichts vor, erzählen von ihren Befreiungsgeschichten, bekennen sich zu Gott, der sie trägt, auch da, wo Kirche sie eiskalt fallen gelassen hat. Will Kirche den „Weg ins Land der Freiheit“ (Ralf Klein SJ in „Wie Gott uns schuf) mitgehen? Erträgt sie einen Mose, der diesen Weg beginnt?
„Die Hoffnung stirbt zuletzt“ ist ein geflügeltes Wort geworden. Und es gibt die Anhänglichkeit an Vertrautes: An Menschen, mit denen man in den Gemeinden unterwegs ist. An guten Erfahrungen in der Kirche. Manche reden vom Ehrgeiz, „ihre“ Kirche nicht zur fundamentalistischen Sekte werden lassen zu wollen. Andere warten auf die Rente. Oder sagen: Augen zu und durch. Eigentlich Voraussetzungen für völlige Neuanfänge.
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Bernd Mönkebüscher, geb. 1966, Priesterweihe 1992, seit 2007 Pfarrer in Hamm, outete sich Anfang 2019, Mitinitiator von #mehrSegen, #Liebegewinnt und #OutInChurch, www.wegwort.de
Titelfoto: Justin Luca Krause / unsplash.com
Porträtfoto: Daniel Schweitzer