„Wie bei Mose … war’s im Kurs. Hier wurde staubige Exegese in sprudelndes Wissen verwandelt.“ So formulierte eine Teilnehmerin ihre Eindrücke im Rückblick auf zwei Jahre schulpraktisches Weiterbildungsstudium im Abschlussfeedback. Von Christine Funk
Die Verwandlung möglich gemacht hatten die für Schule und Unterricht Verantwortlichen in den Erzbistümern Hamburg und Berlin zusammen mit Professor:innen der Katholischen Hochschule für Sozialwesen Berlin (KHSB). Zur Qualifizierung und Gewinnung von Lehrkräften für den Religionsunterricht entwickelten sie das Weiterbildungsstudium Schulpraktische Religionspädagogik Religion gibt zu denken. Ende Januar konnte der erste Jahrgang mit 14 Weiterbildungsstudierenden erfolgreich abschließen.
Von Januar 2021 bis zum 28. Januar 2023 fand überwiegend in digitaler Form, mit e-Learning-Phasen und in zwei präsentischen Blockveranstaltungen im Priorat Nütschau ein Weiterbildungsstudium statt, in dem sich Lehrkräfte, die bereits in Schulen arbeiten, sei es als grundständig ausgebildete Lehrer:innen oder als sog. Seiten- bzw. Quereinsteiger:innen zur Erteilung von Religionsunterricht qualifiziert haben bzw. zur Beantragung der missio canonica.
In zehn Modulen bildeten sich die Teilnehmenden nach einem erinnerungsgeschichtlich- biographieorientierten Eingangsmodul in Grundlagen Biblischer Theologie, Systematischer und Interreligiöser Theologie sowie Religionspädagogik weiter. Für einen Religionsunterricht als Angebot, in theologischer Reflexion die Vieldimensionalität und Verwobenheit von Leben in der Postsäkularität zu begreifen, studierten sie u.a. Ansätze von Servant Leadership zur Bildung von Konfliktfähigkeit und Friedensbefähigung. Und sie lernten, schüler:innen- und sachorientiert Themen zu elementarisieren und konkrete Unterrichtsprojekte zu planen.
Die Bibel als Lehrbuch für gewaltfreie Kommunkation.
Die Teilnehmenden schätzen im Rückblick nicht nur die neuen Kenntnisse und Einsatzmöglichkeiten der Biblischen Theologie, sondern auch interreligiöse Horizonterweiterung. Diese wurde besonders praxisnah erfahrbar im Angebot einer gemeinsamen Kurssequenz in digitaler Begegnung mit einem Weiterbildungskurs für Islamischen Religionsunterricht (IRU). Dort wurden im biographiegestützten Zugang mit der Ausgangsfrage „durch wen und wo?“ die Teilnehmenden aus den verschiedenen Religionstraditionen die Rede von Gott vernommen hatten, unterscheidende Situationen der Sozialisation und gesellschaftlichen Orte wahrnehmbar. Gleichzeitig erkannten die Teilnehmenden verbindende Bedeutungserfahrungen in der Reflexion des kindlichen Erlebens. Die Teilnehmenden nutzten und schätzten immer wieder „Verknüpfungsmöglichkeiten mit eigenen und aktuellen Themen“ in der Lehre der thematischen Module. Dazu dienten Zeiten des kollegialen und interaktiven Austauschs in Reflexion der Unterrichts- und Schulerfahrungen an den sehr unterschiedlichen Einsatzorten in Hamburg und Berlin. „Voneinander hören, miteinander reflektieren und lernen“: Praxisreflexion schafft Wissen neu und entwickelt das Handeln gemäß den Erfordernissen der gegenwärtigen Situationen als „Zeichen der Zeit“.
Eine Teilnehmerin gab Feedback: „Ich bin begeistert, dass ich die Bibel als Lehrbuch für gewaltfreie Kommunikation kennengelernt habe. Wir alle haben Machtgelüste. Wir alle aber können gefährliche Aggressionen in Energie für Feindesliebe umwandeln. Deshalb ist Religionsunterricht so wichtig.“ Vielstimmig wurde die gute Lern- und Austauschatmosphäre betont, die auch in digitaler Form manche zeitliche Anstrengung erleichtert habe.
Fachliche Kompetenz und Leidenschaft.
Die Ergebnisse der intensiven Phasen der inhaltlichen Auseinandersetzung wurden in abschließenden Kolloquien präsentiert, die die Studierenden neben ihrem fordernden Einsatz im Schulalltag vorbereitet hatten. Beeindruckende Praxisberichte von Unterrichtsstunden, -reihen oder Projekten zu Themen wie „Tod und Trauer“, „Religiöse Zeugnisse“, „Biblische Geschichten“, „Jesus Christus“ waren zu erleben. „Einfach großartig, mit welcher fachlichen Kompetenz und Leidenschaft unsere Teilnehmenden Inhalte der Weiterbildung in ihren jeweiligen Unterrichtsprojekten im Hinblick auf ihre Lerngruppen und -situationen angewandt haben“, meinte eine der Professorinnen zu den Kolloquien.
Ein Beispiel für das Potenzial einer Abschlusspräsentation: Die Auseinandersetzung mit der Legende der Hl. Barbara fand die 3. Klasse, in der eine der Teilnehmenden unterrichtet und aus der sie berichtete, im Unterschied zu den Geschichten der Hl. Elisabeth oder des Hl. Franz von Assisi befremdlich und irritierend. „Warum riskiert Barbara das Exil im Turm und ihren Tod? Sie hätte noch so viel Gutes tun können!?“ Trotz ihrer Zweifel sei Respekt bei den Kindern spürbar gewesen, betonte die die Unterrichtssequenz vorstellende Lehrerin in ihrem Vortrag. Die Professorin wertete diese Praxisbeobachtung als einen Hinweis auf die Relevanz von Lernangeboten, die zu entwicklungspsychologischen Phasen passen: „Kinder brauchen Animation für Individuation.“ Sie wies darauf hin, dass Erfahrungen in Trotzphasen und Pubertät zu Zivilcourage befähigen können.
„Da stirbt das Dazugehörenwollen um jeden Preis. Um guten Eigensinn entwickeln zu können, braucht es „Turmerlebnisse“! In-group-Empathie wandelt sich in Rückgrat für Fairness, in Mitgefühl auch für die, die anstrengen.“ Die Neurobiologie setze diese sozial umsichtige Selbstführung etwa im Alter von 25 Jahren an, wenn der präfrontale Kortex und damit die integrale Urteilsfähigkeit voll entwickelt ist, betonte die Professorin in der Auswertungsdiskussion. Auch die Mobbingforschung belege, dass Kinder bereit sein können, für das Risiko sozialer Tode, um Sinn zu stiften, in eine Außenseiterposition gehen: „Ich will lieber so sein! Ich würde mir nämlich auch wünschen, dass jemand zu mir hält, wenn alle lachen, obwohl es ungerecht ist.” Damit ist eine basale biblische universale Botschaft im Kinderleben erfahren und wird mit dem Satz: „Liebe Deine/n Nächste/n, denn sie und er ist wie Du!“ (Lev 19,18) bestätigt und dieser gewinne stets neu Relevanz. Gut, diesen Satz im Religionsunterricht zu hören und so eigene Erfahrung deuten zu können!
Auch die Initiator:innen aus den Bildungsbereichen der Erzbistümer Berlin und Hamburg waren von den Ergebnissen des Studiengangs überzeugt: „In den Prüfungskolloquien und den Gesprächen mit den Absolventinnen und Absolventen habe ich beeindruckende Persönlichkeiten und sehr reflektierte Unterrichtsentwürfe kennengelernt. Ich freue mich sehr, dass wir nun so hoch kompetente Lehrkräfte im Religionsunterricht einsetzen können. Eine tolle Leistung der Studierenden und der Lehrenden in diesem Weiterbildungsstudiengang.“
Das Weiterbildungsstudienangebot wird als gelungene religionspädagogische Innovation der beiden Erzbistümer betrachtet. „Ich bin sehr dankbar, dass sich alle Kooperationspartner auf dieses erfolgversprechende Experiment eingelassen haben. Wir setzen hier ein Zeichen, was gelingen kann, wenn kirchliche Schulverwaltungen und Hochschulen zusammenrücken und sich gemeinsam auf den Weg machen, um Entwicklungsmöglichkeiten für den Religionsunterricht und die Lehrkräfteausbildung und -gewinnung zu eröffnen“.
Aufgrund der großen Nachfrage haben die beiden Erzbistümer bereits im Januar 2022 einen zweiten Kurs mit zehn Lehrkräften aus den Bundesländern Schleswig-Holstein, Hamburg und Mecklenburg-Vorpommern sowie Brandenburg und Berlin gestartet. Ein dritter Durchgang beginnt im April 2023. Für einen vierten Durchgang im Jahr 2024 sind Anmeldungen ab sofort möglich.
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Christine Funk, Dr., Professorin für Systematische Theologin an der Katholischen Hochschule für Sozialwesen in Berlin (KHSB).