Die Irritation der Ehesymbolik durch exegetische Arbeiten der letzten zwanzig Jahre und die Herausforderung der Schreibweise des Gottesbegriffs mit dem Gendersternchen sind für Ilse Müllner Anlass, über gegenwärtige Gottesrede nachzudenken.
Die Ehesymbolik, in der zunächst Gott als Eheherr und das Volk Israel als Ehefrau dargestellt ist, hat ihre Wurzeln in der biblischen Prophetie (z. B. Jer 2–3; Ez 16.23; Hos 1–3), zieht sich mit Jesus Christus in der Rolle des Bräutigams und der Gemeinde als Frau über das Neue Testament (z. B. Mk 2,19–20; 2 Kor 11) in die christliche Theologie, um in der mittelalterlichen Mystik besonders intensiv ausgestaltet zu werden. Eine wichtige biblische Wurzel ist auch das Hohelied, das mindestens in der jüdischen und christlichen Tradition, vielleicht aber auch schon in seinem ursprünglichen biblischen Kontext offen ist nicht nur für eine wörtliche, sondern auch für die allegorische Lektüre.
Die unauslotbare Zuwendung Gottes zu den Menschen.
Das Hohelied kann also einerseits gelesen werden als eine Sammlung von Liedern, in denen zwei liebende Menschen die erotische Freude aneinander beschreiben. Andererseits ist das Hohelied auf dem Hintergrund der Brautsymbolik als großer Gesang der Liebe zwischen Gott und seinem Volk zu lesen. In theologischen Argumentationen kommt diese bildliche Figur heute immer wieder vor, etwa in der Ekklesiologie und der Mariologie. Die theologischen Traditionen haben auf diesem Hintergrund wunderbare Texte hervorgebracht, deren Bildwelten – ausgehend von den überwältigenden Erfahrungen der menschlichen Liebe – die unauslotbare Zuwendung Gottes zu den Menschen beschreiben.
Aus feministisch-theologischer Sicht ist dennoch auf zwei Gefahren im theologischen Umgang mit dem Bild der Braut- oder Ehesymbolik hinzuweisen. Da ist erstens die diesem Bild inhärente Fixierung der männlichen Rolle auf den göttlichen, der weiblichen auf den menschlichen Part in diesem Geschehen. Dass damit Machtverhältnisse zwischen den Geschlechtern ins Göttliche hinein projiziert werden können, liegt auf der Hand. Denn wenn im religiösen Symbolsystem jene Macht- und Herrschaftsverhältnisse abgebildet werden, die auch menschlich Gesellschaften bestimmen, dann ist die Gefahr groß, dass diese Herrschaftsverhältnisse nicht kritisiert, sondern im Gegenteil religiös verbrämt und zementiert werden. Gerade die Braut- und Ehesymbolik ist unumkehrbar festgeschrieben, indem Gott mit dem männlichen und das Volk/die Kirche oder auch Maria mit dem weiblichen Part identifiziert werden, wozu dann auch stereotype Charakterfestschreibungen gehören – etwa das Weibliche als das Passive, Empfangende.
Der Rekurs auf das Hohelied könnte diese Festschreibungen wenn nicht auflösen, so doch zumindest erschüttern. „Die Brautmetaphorik geht wesentlich zurück auf das Hohelied, das zunächst als Bild für das Verhältnis von Gott zu Israel, später für das Verhältnis von Christus zur Kirche gedeutet wurde. Im Hohelied begegnen sich nun aber Mann und Frau in einer wirklichen Gleichwertigkeit.“ 1 Diese Gegenseitigkeit der Liebenden ist nicht selbstverständlich. Denn innerhalb biblischer Texte zu Sexualität wie überhaupt in den antiken Traditionen bildet das Hohelied eine Ausnahme, wenn es das erotische Liebesverhältnis zwischen einem Mann und einer Frau so symmetrisch und wechselseitig konstruiert. Eher ist von Machtverhältnissen auszugehen, in denen die sexuelle Aktivität vom Mann ausgeht.
Die Gewalthaltigkeit der Braut- und Ehesymbolik.
Noch dramatischer als die Asymmetrie des Liebesverhältnisses ist aber ein zweiter Einwand, der auf exegetischen Erkenntnissen der letzten Jahre beruht. In der biblischen Brautsymbolik ist einfach nichts innig oder gar romantisch. Vor allem Gerlinde Baumann hat herausgearbeitet, wie sehr das biblische Gottesbild der Ehesymbolik durch die Gewalthaltigkeit kontaminiert ist [Baumann, Gerlinde, Liebe und Gewalt. Die Ehe als Metapher für das Verhältnis JHWH-Israel in den Prophetenbüchern (SBS 185), Stuttgart 2000.]. In Hos 1–3; Jer 2–3; Ez 16.23 etc. geht es um wirklich heftige Vergewaltigungsphantasien, um die Entblößung der „untreuen Frau“ Israel „vor den Augen ihrer Liebhaber“. Gott wird als sexueller Gewalttäter dargestellt, die Frau als Opfer, das sich durch ihre eigenen Verfehlungen auch noch eigentlich schuldig gemacht hat – die Struktur eines „blaming the victim“ ist bis heute im Zusammenhang mit sexualisierter Gewalt ein großes Problem. Die Brautsymbolik, die eben nicht nur im Hohelied, sondern auch in den prophetischen Texten wurzelt, verschlägt einer*m mit ihrer Gewaltimprägnierung dann schon mal dem Atem.
Die Befreiungstheologien der letzten Jahrzehnte, zu denen ich auch die feministische Theologie zähle, haben stets darauf bestanden, Metaphern nicht als „bloß“ bildliche Redeweise anzusehen, sondern die sozialen Konnotationen der Bildbereiche ernst zu nehmen. Lässt sich die gewaltige Last der prophetischen Ehemetaphorik wirklich so einfach abschütteln? Gerade angesichts der Diskussionen der letzten 12 Jahre wäre es angemessen, mit diesem Bild erst einmal sehr vorsichtig zur sein. Dabei geht es weder darum, auf immer auf diese Metapher zu verzichten noch erst recht Texte aus dem Kanon zu eliminieren. Wohl aber um die Frage, wie mit aus heutiger Sicht schweren bis unerträglichen Gottesbildern der biblischen Tradition weiterhin umzugehen ist. Hier wäre ein Moratorium angebracht mit Blick auf die Braut- und Ehesysmbolik, um erst einmal die Implikationen der Gewalthaltigkeit dieses Bildes zu untersuchen und dann zu fragen, ob und wie dieses Bild wieder ins Gespräch gebracht werden kann. Naiv können wir jedenfalls in der Situation, in der wir als Kirchen mit dem Thema der sexualisierten Gewalt sind, auf keinen Fall umgehen.
Gendering G*tt
Eine weitere Frage an die Rede von Gott, die sich derzeit im Horizont der feministischen und gendersensiblen Theologie stellt, ist die nach der Schreib- und Sprechweise, wenn wir uns auf Gott beziehen. Ist das Sternchen statt des Vokals, also G*tt bzw. Gott* angemessen? Dass es sich bei der Frage nicht um rein akademisches Glasperlenspiel handelt, zeigen die Ansätze katholischer Jugendverbände seit 2020, mit den Schreibweisen „Gott*“, „Gott+“ oder auch „G*tt“ darauf hinzuweisen, dass Gott immer größer ist als das, was wir sprachlich zum Ausdruck zu bringen vermögen. Dass von G*tt nicht angemessen ausschließlich in männlichen Bildern gesprochen werden kann, wird wohl niemand bezweifeln. In einem Seminar habe ich letztens weibliche und männliche Gottesbilder behandelt und die Frage formuliert, ob weibliche Gottesbilder hilfreich sein können oder nicht. Die Studierenden haben mit großer Mehrheit maßvoll reagiert. Denn: Ja, wir brauchen die weibliche Rede von Gott, um – mit Alice Walkers, Die Farbe Lila – „den alten weißen Mann aus dem Kopf“ zu bekommen. Aber nein: Die Mutter an der Seite des Vaters ist auch nicht ideal, weil mit der Betonung von „Barmherzigkeit“, „Zugewandtsein“ etc. als weibliche Eigenschaften natürlich auch die Geschlechterklischees verstärkt werden.
Und dennoch müssen wir sprachliche Formen finden, die einer Wirklichkeit angemessen sind, die sich gerade nicht durch sie fassen lässt. So ist die Frage geschlechtlich konnotierter Bezeichnungen für das Göttliche kein Randproblem, sondern trifft als sprachtheoretisch-theologische ins Zentrum der Theologie: Welche Zeichenpraxen sind angemessen, wenn wir die Übergeschlechtlichkeit und die sexuelle Vielfalt in die Rede vom Göttlichen inkludieren wollen?
„Der Gebrauch des Zeichens ‚Gott‘ konstruiert im Vollzug performativer Sprechhandlungen stets eine göttliche Wirklichkeit, die im Bestreben, alles zu inkludieren, immer noch ‚männlich‘ sexualisiert wird – und so alles andere exkludiert“. 2 Aber wie kann das sprachlich umgesetzt werden? Da finde ich – in der Tat – den Genderstern mindestens in der Schriftsprache hilfreich. Und zwar nicht am Ende des Worts, wie manche vorschlagen, sondern eher anstelle des Vokals. Gerade in der Gottesrede ist das gängige Argument gegen den Genderstern, er würde innerhalb der deutschen Sprache irritierend wirken, unangemessen. Denn aus der biblischen Tradition lässt sich gut dafür argumentieren, dass dort, wo G*tt (beim Namen) genannt wird, die sprachlichen Zeichen auf den kategorialen Unterschied zwischen Gott und den Dingen dieser Welt aufmerksam machen dürfen.
Unverfügbarkeit des Göttlichen.
Die hebräische Schreibweise des Gottesnamens ruft die Unverfügbarkeit des Göttlichen dadurch in Erinnerung, dass es eine Unstimmigkeit zwischen Vokalen und Konsonanten gibt. Die Konsonanten JHWH werden verbunden mit den Vokalen des Wortes Adonaj (mein Herr). Diese Inkongruenz erinnert daran, den Gottesnamen nicht auszusprechen, was einer Auslegungspraxis des Namensheiligungsgebots entspricht. Die durchgängige Wiedergabe mit Herr sowohl in der Luther- als auch in der Einheitsübersetzung (2016) wird dem zwar durch das irritierende Schriftbild gerecht, ist aber in der geschlechtlichen Vereindeutigung ein echtes theologisches Problem. Außerdem wird durch diese ausschließliche [!] Gottesbezeichnung eine – wenn auch sehr alte – hierarchisierte Beziehung zwischen Gott als Herr und Mensch als Dienendem eingetragen, die im Gottesnamen der hebräischen Bibel nicht gegeben ist. In Analogie zu dieser bibeltheologischen Herleitung würde ich auch eher dafür plädieren, den Genderstern innerhalb des Nomens und nicht am Ende zu setzen: G*tt, analog gängiger jüdischer Bezeichnungen G’tt.
Um mit dem sprachlichen Zeichen G*tt auf die die Schwierigkeit einer angemessen Gottesrede hinzuweisen, kann ein irritierendes Schriftbild hilfreich sein. Und dass sich dabei die Frage nach dem – ebenfalls unfestlegbaren – Geschlecht G*ttes stellt, ist sicherlich ein Effekt, den ich als feministische Theologin begrüßen werde.
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Ilse Müllner
Prof. Dr. Ilse Müllner, Professorin für Biblische Theologie mit dem Schwerpunkt Altes Testament an der Universität Kassel.
Bild: Ausstellungsplakat SPK/Staatliche Museen Berlin: Museum Europäischer Kulturen, Foto: Ute Franz-Scarciglia
Die Ausstellung ist online besuchbar: www.gott-wmd.de oder www.bibelhaus-frankfurt.de
- Kutzer, Mirja, Annäherungen an die Mutter Jesu seit dem Zweiten Vatikanischen Konzil, in: Dies./Walter, Peter, Maria in Geschichte und Gegenwart. Befreiende Perspektiven auf die Mutter Jesu, Freiburg u. a. 2022, 192. ↩
- Wendel, Saskia, Aus der Spur reißen lassen, in: Herder Korrespondenz Spezial: G*tt. Mehr als eine Frage 2022, 50–52.51. ↩