Von einem internationalen theologischen Frauen-Kongress in Argentinien berichtet Margit Eckholt.
Vom Ostermontag, 28. März, bis Donnerstag, den 31. März, fand an der theologischen Fakultät der Universidad Católica Santa María de los Buenos Aires der 2. Deutsch-lateinamerikanische Theologinnenkongress statt, eine Kooperation zwischen der argentinischen Theologinnenvereinigung Teologanda und AGENDA – Forum katholischer Theologinnen e.V.. Der Theologinnenkongress sollte dazu beitragen, Thesen und Grundlagen für die Erarbeitung einer interkulturellen Friedenstheologie auszuarbeiten.
Interkulturelle Friedenstheologie
Die gegenwärtigen Zeiten sind geprägt von Gewalt, Krieg und verschiedensten Ausschließungsprozessen in allen Weltregionen. Auch wenn in Europa Lateinamerika eher aus dem Blickfeld geraten ist, so sind die lateinamerikanischen Länder von sogar zunehmender Gewalt geprägt; in einigen Regionen wirkt offen oder verdeckt die Zeit des Bürgerkriegs nach, so in Mittelamerika oder in Kolumbien, in anderen wächst Gewalt in Form von Kriminalität, Drogenkriegen oder Jugendarbeitslosigkeit, so in Ländern wie Argentinien, Chile und Peru. Auch wenn die Zeit der Militärdiktaturen für die junge Generation Vergangenheit ist, so ist der Friede fragil und immer wieder neu bedroht, und die noch anstehende Aufarbeitung der Gewaltgeschichten reißt immer wieder neu die Wunden auf. Christ/innen sind in verschiedenen Netzwerken, in Nicht-Regierungsorganisationen, auf Ebene von christlichen Gemeinden, aber auch im öffentlichen Raum engagiert, „Räume des Friedens“ zu schaffen. In der Theologie in Lateinamerika ist eine Friedenstheologie jedoch ein Desiderat. Ansätze gibt es in den in den letzten Jahren entwickelten interdisziplinär angelegten und lebensgeschichtlich orientierten Befreiungstheologien von Frauen, die bei konkreten „Praktiken“ von Spiritualität und Solidarität an der Seite gerade der Verwundbarsten der globalen Gesellschaft ansetzen. Im Dialog mit diesen Ansätzen lateinamerikanischer und argentinischer Befreiungstheologie ging es auf dem Kongress um die Grundlegung von Pisten einer interkulturellen Friedenstheologie. Es geht hier um eine neue Präsenz des Christlichen im öffentlichen Raum, im Dienst eines „guten Lebens“, der Menschenrechte und einer Friedensarbeit im Gespräch verschiedener kultureller Akteure. Die aus den „Bruchstellen“ im interkulturellen Dialog, im „in-between“, erwachsenen Herausforderungen können sowohl für die lateinamerikanischen als auch die deutschen theologischen Ansätze fruchtbar gemacht werden und neue Wege einer Friedenstheologie erschließen.
Theologie der Compassion
In den vier großen thematischen Einheiten des Kongresses wurden unterschiedliche „Espacios de Paz“ und die Zerbrechlichkeit und Verwundbarkeit dieser Räume vor Augen gestellt: Schöpfungs-Räume, die in besonderer Weise von den eingeborenen Völkern Lateinamerikas bewohnt und gepflegt werden, die verletzten und verschwundenen Körper, an die anläßlich des Gedenkens an 40 Jahre Militärputsch in Argentinien die argentinischen Kolleginnen Celeste Perosino (Buenos Aires) und Diana Viñoles (Ushuaia) in besonderer Weise erinnerten und das im Zentrum eines bewegenden Panels stand mit dem argentinischen Friedensnobelpreisträger Adolfo Pérez Esquivel, der Journalistin und Überlebenden der Militärdiktatur Norma Morandini und der Missionskarmelitin Martha Pelloni, die sich gegen Kinder- und Mädchenhandel einsetzt und 1990 nach dem Verschwinden und der Ermordung eines jungen Mädchens in Corrientes das Netzwerk „Niñez Robada“ und die „Marchas por el silencio“ ins Leben gerufen hat. Angesicht der Verletzlichkeit und Gewalt, die mit den Metropolen und Mega-Cities der Welt, mit den vielfältigen Geschichten der Migration übereingehen, tut eine Theologie der Compassion not, die Mitgefühl und engagierte Solidarität verbindet.
Anerkennung der Anderen
Im ersten Eröffnungspanel des Kongresses am Montag, den 23. März, legten Margit Eckholt (Universität Osnabrück, Vorsitzende von AGENDA – Forum katholischer Theologinnen), Virginia Azcuy (theologische Fakultät der Universidad Católica Buenos Aires, Vorsitzende von Teologanda – argentinische Theologinnenvereinigung) und Judith Könemann (Universität Münster) im interkulturellen Gespräch Grundlagen für eine Friedenstheologie und Friedenspädagogik, die sich an der grundlegenden Kategorie der „Anerkennung der Anderen“ orientieren. Warum tut in einer Welt, „die brennt“, in der der Friede höchst fragil und tagtäglich bedroht ist, eine Friedenstheologie not? Ist da nicht eher konkrete Friedensarbeit angesagt?
Eine friedenstheologische Reflexion hat mit unserem Sprechen zu tun, unserem Denken, unseren Ideen, und diese, so hat es der 2014 verstorbene Philosoph aus Córdoba, Gustavo Ortíz, formuliert, sind nicht „unschuldig“ [1]. „Wir können mit unserer Sprache Räume eröffnen, Lebensräume, Lebenswelten. Wir können Wege begehbar machen, die es vorher nicht gab. Wege und Räume, die man aber nicht ´sehen´ kann. Man ´hört´ sie auch nicht, fühlt sie nicht. Sie sind unserer Sinnlichkeit entzogen. Es sind geistige Wege, geistige Räume, geistige Welten. Diese Räume sind erfahrbar, ´begehbar´. … Wir schaffen geistige Architektur. Diese ist eine der größten und massivsten Eingriffe in die Natur. Nur werden wir uns dessen oft nicht bewußt. Es ist eine der einflußreichsten Kulturleistungen. Was wir äußerlich in die Tat umsetzen, was wir in der ´Realität´ bauen, das hat seinen Ursprung zunächst im Denken… Das Denken und Sprechen kann Freiräume schaffen. Aber es kann auch das Gegenteil, es kann Lebensräume verbauen, Leben und Menschsein unmöglich machen. Es kann also – … – dem Frieden dienen oder dem Gegenteil. Das Bedrückende ist, daß es das nicht nur ´kann´, sondern daß unser Denken und Sprechen das unweigerlich tut. Wir sind also ständig gefordert, uns Rechenschaft über unser Denken und Sprechen zu geben, wenn wir dem Frieden und damit der Freiheit und dem Leben dienen wollen.“ [2]
Wenn deutsche und lateinamerikanische Theologinnen Spuren einer Friedenstheologie gelegt haben, wenn sie auf den Landkarten „Friedensräume“ einzeichnen wollen, so versuchen sie, dem Denken und Sprechen das „Maß“ zu geben, das sich an Dem orientiert, der als „Friedensfürst“ geglaubt wird, Jesus Christus, „der der Friede ist“ (Eph 4,3): das „Maß“ des Denkens, an dem sich die vielfältigen Friedens-Praktiken orientieren können.
Strategien des Ausschlusses
Im zweiten Eröffnungspanel wurden Strategien des Ausschlusses von Frauen in Kirche und Gesellschaft thematisiert; Hildegard König (Dresden) erinnerte dabei an die Weihen von Frauen zum Priester in der tschechischen Kirche und ihre Ausgrenzungen nach dem Fall der Mauer; Gabriela di Renzo (Rosario) führte in die Welt eines Frauengefängnisses in Rosario und stellte vor Augen, wie Frauen in diesen Nicht-Ort durch eigene Praktiken von Solidarität Friedens-Räume eröffnen; Nancy Pineda-Madrid (USA) stellte den Feminizid, den organisierten Mord und die vielfältigste Gewalt gegen Frauen an der Grenze zwischen den USA und Mexiko vor Augen und interpretierte die Gewalt an Frauen mit der Kategorie des „gekreuzigten Volkes“.
Die beiden Panels am Dienstag, 29. März, standen unter dem Thema „Espacios de creación, pueblos originarios y medio ambiente“. Nach einer biblisch-theologischen Grundlegung im ersten Panel, in den Beiträgen der bolivianischen Theologin Bernardeth Caero Bustillos, der Münsteraner Alttestamentlerin Marie-Theres Wacker und der argentinischen protestantischen Theologin Mercedes García Bachmann, stellte das zweite Panel in den Beiträgen von der chilenischen Theologin Claudia Leal, der deutsch-peruanischen Theologin Birgit Weiler und der deutschen Sozialethikerin Michelle Becka die ökologischen und interkulturellen Herausforderungen ins Zentrum.
Orte der Verletzbarkeit
Am Mittwoch, 30. März, näherten sich die Panels den „Espacios de vulnerabilidad“ – „Orten der Verletzbarkeit“ und Prozessen des Heilwerdens an. Hier wurde vor allem der Bezug auf die politische und soziale Situation in Argentinien hergestellt. Auf dem ersten Panel stellten Celeste Perosino (Buenos Aires, Anthropologie, Gerichtsmedizin) und Diana Viñoles (Ushuaia, Universidad Nacional Tierra de Fuego) die Erinnerung an Verschwundene der Militärdiktatur vor Augen. Die deutsche Nachwuchstheologin Miriam Leidinger legte eine christologisch-soteriologische Grundlage einer Theologie der Vulnerabilität.
Am Donnerstag, 31. März, wurden die „Espacios en movimiento: migración y prácticas de paz“ in den Blick genommen. Der rote Faden der Diskussionen vom Eröffnungstag wurde hier wieder aufgegriffen: Gewalt und Migration vor allem in ihrer Bündelung in den großen städtischen Zentren der Welt. Dies wurde in den Vorträgen der argentinischen Philosophin Marta Palacio, der Münsteraner Sozialethikern Marianne Heimbach-Steins und der argentinischen, in den USA lehrenden methodistischen Systematikerin Nancy Bedford diskutiert. In einer zweiten Runde stellten die drei Vorträge der argentinischen Theologin Marcela Mazzini, der in Guatemala und El Salvador tätigen Theologin Geraldina Céspedes, und der in den USA lehrenden deutschen Sozialethikern Hille Haker in ihren Zugängen zur Compassion, Prophetie der Gewaltlosigkeit und Friedensethik philosophisch-ethische Leitlinien vor Augen, wie der zerbrechliche Frieden in einer von verschiedensten Gewaltstrategien bestimmten Welt stetig neu in gemeinsamen Anstrengungen „konstruiert“ werden muss.
In einem abschließenden Panel fassten die argentinischen Theologinnen Emilce Cuda und Marcela Mazzini, die kolumbianische Theologin Olga Consuelo Vélez Caro und die deutsche Tagungsleiterin Margit Eckholt die Leitmotive der Tagung aus ihren jeweiligen Perspektiven zusammen. Anschließend erinnerte die deutsche Neutestamentlerin Margareta Gruber im Rahmen einer Friedensfeier an das Bild des himmlischen Jerusalems und die Friedensvision des biblischen Buches der Apokalypse.
Cafés teológicos
An den drei Nachmittagen fanden sowohl freie theologische Gesprächskreise statt (Cafés teológicos) als auch vorbereitete Panels, Workshops und Kurse. In insgesamt 40 thematisch abgestimmten Arbeitskreisen wurden jeweils bis zu drei Beiträge diskutiert. Die Arbeitskreise orientierten sich an den thematischen Horizonten der verschiedenen Arbeitstage. Daneben wurden Workshops zu praktisch-orientierten Fragestellungen einer Friedenspädagogik oder Bibelpastoral angeboten. In den Arbeitskreisen hatten Angela Kaupp, Judith Könemann, Barbara Janz-Spaeth, Gunda Werner sowie die deutschen Nachwuchswissenschaftlerinnen Andrea Spans, Janine Redemann, Farina Dierker und Fana Schiefen ihre Beiträge vorgestellt.
Leitmotiv der Gewalt
Beeindruckend war das hohe Engagement der lateinamerikanischen Kolleginnen für die Rechte indigener Kulturen, insbesondere für Frauen, sowie der Einsatz und gewaltfreie Kampf für demokratische Rechte und Menschenwürde. Das Leitmotiv der Gewalt, vor allem der Gewalt gegenüber Frauen, wurde zu einem Schlüssel der Arbeiten an den Tagen des Kongresses, es war eine wichtige Verbindungslinie zwischen den Beiträgen aus den verschiedenen lateinamerikanischen Kontexten und den theologischen Ansätzen aus dem Norden, den USA und Deutschland.
Insgesamt nahmen ca. 250 Frauen aus verschiedenen lateinamerikanischen Ländern an dem Kongress teil. Sie zeigten ihrerseits großes Interesse an den Ausführungen ihrer deutschen Kolleginnen, die sich u.a. mit Fragen der Migration und der damit verbundenen aktuellen Herausforderungen in Europa befassten. Bei der Abschlussfeier des Kongresses wurden aus den 14 beteiligten Ländern „Artesanas de Paz“ – „Handwerkerinnen des Friedens“, also Frauen, die sich in besonderer Weise für Frieden in ihrem Land eingesetzt haben, geehrt. Für Deutschland wurde Bundeskanzlerin Angela Merkel für ihren großen Einsatz für das Asyl der syrischen Flüchtlinge und ihren Einsatz gegen Fremdenhass auf symbolische Weise geehrt.
Kar- und Ostertage in armen Vororten
Im Vorfeld des Kongresses konnte die Gruppe der deutschen Theologinnen die Kar- und Ostertage mit verschiedenen Gemeinden in armen Vororten von Buenos Aires verbringen sowie die Osternacht in einer basisorientierten Gemeinde im Zentrum der Stadt feiern. Besonders prägend war das Gedenken an den Militärputsch in Argentinien vor 40 Jahren und die Erinnerung an die Opfer der Militärdiktatur. Dies wurde besonders eindrücklich beim Besuch des Geheimgefängnisses und Folterzentrums der Esma (Escuela de Mecánica de la Armada). Dort wurden während der Zeit der Militärdiktatur von 1976-1983 etwa 5000 Menschen gefoltert und anschließend ermordet. Die deutschen Theologinnen nahmen am Karsamstag an der „Via Crucis“ (Kreuzweg) verschiedener Menschenrechtsorganisationen und christlicher Basisgruppen in der ESMA teil.
[1] Gustavo Ortíz, Nuestras ideas nunca son inocentes. Acerca de la responsabilidad social de la Universidad, in: ders., América Latina. Una modernidad diferente?, Córdoba 2013, 333-339, hier: 339.
[2] Manfred Negele, Friede – ein Sprachproblem?, in: Franz Sedlmeier/Thomas Hausmanninger (Hg.), Inquiere pacem. Beiträge zu einer Theologie des Friedens. Festschrift für Bischof Dr. Viktor Josef, Augsburg 2004, 174-192, hier: 188/189.