Aktivist:innen von Maria 1.0 haben die Performance „Verantwort:ich“ auf dem Synodalen Weg als satanisch bezeichnet – und sich (nicht nur) damit in ihrem vermeintlichen Katholischsein diskreditiert, findet Daniela Mohr-Braun.
Die Performance, die am 9. März 2023 während der letzten Vollversammlung des Synodalen Weges unter dem Titel verantwort:ich im Frankfurter Bartholomäus-Dom aufgeführt wurde, hat die heftigste Reaktion der Initiative Maria 1.0 auf den Plan gerufen. In einem Tweet sprach Maria 1.0 von Entweihung des Domes und satanischen Inhalten des Stückes. Niemand muss diese Performance mögen, Menschen dürfen sich zu Kunst vielstimmig verhalten. Aber eine Performance, die Erfahrungen von sexuellem Missbrauch, kirchlicher Schuldverstrickung und Vertuschung künstlerisch inszeniert, die Betroffenen von Missbrauch einen Raum des Selbst-Ausdrucks schafft und allen Anwesenden in der Kirche eine Möglichkeit bietet, sich auf der Seite der Betroffenen zu positionieren, eine solche Performance als satanisch zu qualifizieren, darauf muss man erstmal kommen. Die Gegenreaktionen auf die Einlassungen von Maria 1.0 folgten prompt – quer durch alle kirchlichen Lager. Mich schockiert dieser Tweet auch, aber beim zweiten Hinschauen denke ich: Gut, dass Ihr euch zeigt! Hier wird Klarheit geschaffen. Maria 1.0 zieht die freundliche Maske des Katholischen vom Gesicht und zeigt die hässliche Fratze des Ideologischen.
Strömungen am rechten Rand
Der Frankfurter Dogmatiker Medard Kehl war über Jahrzehnte hinweg ein scharfer Beobachter der vielfältigen kirchlichen Milieus unter dem Dach des Katholischen. 1999 schrieb er in seinem Buch „Und was kommt nach dem Ende?“ unter anderem über eschatologische Strömungen am rechten katholischen Rand, über die dortige Dämonisierung der Gegenwartskultur, über die mariologische Reduktion aller Glaubensinhalte und Engführung des Gottesbildes unter dem Vorzeichen der Apokalyptik am rechten katholischen Rand. Ich meine, in seinen Analysen wäre Klärendes für die beschriebene Situation zu finden: „Diese weitgehende Loslösung der Endzeiterwartungen vom authentischen christlichen Gottes- und Christusbild, die zugleich kompensiert wird durch eine überzogene, von der kirchlichen Tradition so keineswegs gedeckte Marienverehrung, macht diese Art von Apokalyptik sehr fragwürdig. Sie führt in der Regel nicht zu mehr Vertrauen, Hoffnung und Liebe gegenüber Gott und den Menschen, sondern – dem strengen Gottesbild entsprechend – zu Angst und Enge, gerade auch zu Härte und Intoleranz allen anderen Christen gegenüber, die sich dieser Endzeiterwartung nicht anschließen wollen.“ (M. Kehl, Und was kommt nach dem Ende?, 88) Anschauungsmaterial für das hier beschriebene Gottesbild und die daraus folgende moralisierende Haltung gegenüber Andersdenkenden und Anderspraktizierenden findet sich in den schriftlichen Selbstdarstellungen und medialen Inszenierungen von Maria 1.0 zur Genüge – insbesondere im Zusammenhang des Synodalen Weges. (Vgl. 37°Leben: Update gescheitert? Kirche im Reformversuch – ZDFmediathek)
Innerkatholische Apokalyptik
Neben hilfreichen Kriterien zur Unterscheidung der Geister, was das Gottesbild betrifft, lieferte Kehl auch eine Analyse der „speziellen Kirchlichkeit“ der von ihm beschriebenen Gruppen, die sich – unter dem Deckmäntelchen einer angeblich authentischen marianischen Spiritualität – der Berufung zum „Heiligen Rest“ verschrieben haben: „Ein zweites besonderes Merkmal solcher innerkatholischer Apokalyptik liegt in ihrer scharfen Kirchenkritik. […] Die Kirche, gerade auch die Hierarchie (der Papst natürlich ausgenommen), wird von solchen Gruppen vor allem deshalb angegriffen, weil sie den wahren traditionellen Glauben verlassen habe. Es wird heute in der ganzen Kirche zu wenig ‚richtig‘ geglaubt und Buße getan, woran besonders die treulosen Hirten schuld seien.“ (M. Kehl, Und was kommt nach dem Ende?, 88f) Als sei der Text für sie geschrieben, fallen die Reaktionen von Maria 1.0 auf das Abstimmungsverhalten der überwältigenden Mehrheit der deutschen Bischöfe bei der letzten Vollversammlung des Synodalen Weges aus: Man ist fassungslos und bestärkt in der Überzeugung, als letzte Bastion des Katholischen den wahren Glauben herausretten zu müssen aus dieser kirchlichen Katastrophe – zur Not auch gegen die Bischöfe und den amtierenden Papst.
Gefährlicher Nährboden
Ich erschrecke und bin zugleich geradezu dankbar für die entstandene Klarheit angesichts der Frage, wann aus katholisch ideologisch wird. Denn nun wird unübersehbar, wie gefährlich die beschriebene Milieubildung in der Initiative Maria 1.0 und in ihr verwandten Gruppen ist. Man sollte meinen, wir hätten unter dem Dach des deutschen Katholizismus in den Jahrzehnten nach dem Zweiten Vatikanum schon genügend Ideologisches kommen und gehen sehen: in der Integrierten Gemeinde, in der Katholischen Pfadfinderschaft Europas … Jede:r ergänze aus persönlicher Anschauung. Aber die Verunsicherungen der Gegenwartssituation inner- wie außerkirchlich bieten augenscheinlich weiterhin besten Nährboden. Dieser Nährboden ist gefährlich: für junge Leute, für religiös Ambitionierte, für vulnerable Menschen. In diesem Sinne zwei Appelle:
Die Türen stehen offen
Hallo Ihr da draußen bei Maria 1.0! Falls es der einen oder dem anderen von Euch in der nächsten Zeit schlecht gehen sollte, weil Ihr ahnt, dass katholisch sein doch mehr bedeuten könnte als das, was Ihr bisher gelebt und geglaubt habt, dann sind wir für Euch da. Die Türen stehen offen! Es gibt viele kompetente Leute in der katholischen Kirche Deutschlands, die wissen, wie schwer es ist, ein ideologisches System zu verlassen, „Ich“ zu sagen und der Weite des Katholischen zu trauen, die sich mit geistlichem Missbrauch auskennen und mit sektenartigen Strukturen. Habt keine Angst, Ihr bleibt Gott treu, wenn Ihr geht.
Lassen Sie sich nicht verführen!
Und: Liebe Bischöfe, auch Sie spreche ich an! Sie haben Verantwortung für alle mehr oder weniger katholischen Gruppierungen auf dem Boden Ihrer Diözesen. Diesmal werden Sie hinterher nicht sagen können: „Das habe ich nicht geahnt.“ Oder: „Man hat mich getäuscht.“ Lassen Sie sich nicht dazu verführen, um des Zieles der Evangelisierung willen oder um der Priesterzahlen willen einen Pakt einzugehen mit Gruppen, die sich katholisch labeln ohne die Weite unserer Kirche und unserer Theologie zu kennen. Bleiben Sie wachsam gegenüber vielfältigen Immunisierungsstrategien. Es könnten Menschen in Gefahr sein.
Zwischen katholisch und ideologisch liegt ein tiefer Graben. Man kann ihn klar sehen, wenn man will.
Dr. Daniela Mohr-Braun ist Pastoralreferentin im Bistum Trier und Dozentin für Dogmatik im Studienhaus St. Lambert in Lantershofen.
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