Joachim Frank im Interview am heutigen Welttag der Pressefreiheit.
feinschwarz.net: Herr Frank, weshalb ist die Pressefreiheit ein so hohes Gut?
Joachim Frank: Dass ein Journalist die Pressefreiheit weit oben auf der Skala der schützenswerten Güter ansiedelt, wird Sie nicht verwundern. Ich rede aber damit nicht bloß pro domo. Schauen Sie auf Diktaturen und autoritäre Regime – oder in die Länder, die auf der Kippe stehen: Überall, wo Medien an die Kandare gelegt werden, gerät auch die Rede- und Meinungsfreiheit insgesamt unter Druck. Ich würde so weit gehen zu sagen: Wenn die Freiheit der Presse stirbt, ist bald auch die Redefreiheit insgesamt tot. Man könnte auch sagen, die Pressefreiheit ist die institutionelle Ausprägung des Grundrechts auf Meinungsfreiheit, sie ist Indikator oder Seismograf für die Freiheit einer Gesellschaft. Es gibt eine sehr aufschlussreiche Korrelation: Die Nationen, die im jährlichen Ranking der Pressefreiheit von „Reporter ohne Grenzen“ am besten abschneiden, liegen auch im Welt-Atlas der „glücklichsten Länder“ der Erde in der Spitzengruppe.
Wo steht Deutschland?
In beiden genannten Listen auf demselben Platz Nummer 16 [Anmerkung der Redaktion: Wie „Reporter ohne Grenzen“ am 3. Mai, dem Tag der Pressefreiheit, mitteilte, ist Deutschland im aktuellen Ranking auf Platz 21 zurückgefallen.] Wir sind in Deutschland mit einer Zeitungslandschaft gesegnet, die so vielfältig ist wie nirgends sonst auf der Welt. Das ist ein großes Plus. Und wir haben einen Staat, der mit seiner Gesetzgebung, der Exekutive und vor allem auch der Gerichtsbarkeit die Pressefreiheit schützt. Auch das ist ein unschätzbarer Vorzug. Die Gesellschaft darf den Schutz der Pressefreiheit aber nicht den staatlichen Institutionen überlassen. Subtilen Angriffen – etwa durch das delegitimierende Gerede von „Fake News“ oder gar „Lügenpresse“ – kann und sollte jeder und jede Einzelne entgegentreten.
Wie sehen Sie die Macht der Medien durch die Auswahl der Themen oder der Menschen, die Sie zu Wort kommen lassen?
In einer pluralen Medienlandschaft bildet sich am Ende auch die Vielfalt der Positionen einer Gesellschaft ab. Eine bedenkliche oder fragwürdige Machtposition haben die klassischen Medien verloren: Sie entscheiden heute nicht mehr allein darüber, was in breiter Form öffentlich wird. Über das Internet und die sozialen Medien ist der „Marktzugang“ sehr viel einfacher geworden. Und das ist gut so. Umgekehrt ist den klassischen Medien damit neu die Aufgabe und die Verantwortung der Gewichtung und Einordnung zugekommen.
Ist die Pressefreiheit im Raum der Kirche eine besondere Herausforderung?
Selbstverständlich, und zwar schon deshalb, weil die Kirche – wie andere gesellschaftliche Player auch – ein Tendenzbetrieb mit klarer weltanschaulicher Bestimmung ist. Solange in einer Gesellschaft die weltanschauliche Vielfalt insgesamt gewahrt bleibt und der Wahrheitsanspruch einer Institution wie der Kirche nicht zur Unterdrückung widerstreitender Auffassungen führt, sehe ich darin im Prinzip kein Problem. In einer pluralen Medienlandschaft wären kirchliche Medien am Ende, wenn sie lediglich Sprachrohr der Hierarchie wären oder zur Hofberichterstattung eingesetzt würden. Als katholische Prawda hätte sich die Glaubwürdigkeit eines kirchlichen Mediums erledigt.
Kann die Kirche eine Hüterin der Pressefreiheit sein?
Sie sollte es – nicht nur, weil die Religionsfreiheit ein vergleichbar schutzwürdiges Gut ist, sondern auch, weil die Kirche der Botschaft des Evangeliums zufolge einen Raum der Freiheit eröffnet. Das ist übrigens auch Lehre der Kirche: „Meinungsfreiheit sowie das Recht zu informieren und informiert zu werden bedingen einander notwendig“, schreibt Papst Paul VI. In der Pastoralinstruktion „Communio et progressio“: Die Freiheit der Kommunikation ist „durch Gesetze zu schützen und ihr ungehinderter Gebrauch gegen Gewalt sowie gegen jeden wirtschaftlichen, politischen und ideologischen Druck ausreichend abzusichern“.
Erleben Sie die Kirche auch praktisch so?
Kirchenoffiziell ist das Bekenntnis zur Freiheit der Medien klar und deutlich. Und ich halte es auch nicht für ein bloßes Lippenbekenntnis. Aber es gibt auch Restriktionen und Grenzüberschreitungen. Wenn führende Kirchenleute die Finanzierung „unserer Medien“ mit „unserem Geld“ in Frage stellen, weil sie sich an bestimmten Inhalten stoßen oder kritische Berichte als Netzbeschmutzung auffassen, dann ist diese unverhohlene Drohung mit dem Dreh am Geldhahn aus meiner Sicht ein Angriff auf die Freiheit der Berichterstattung. Zumal „unser Geld“ ja nicht das Geld der Bischöfe ist, sondern die Kirchensteuer der Katholikinnen und Katholiken. Problematisch ist es auch, Informationen bevorzugt an handverlesene Journalistinnen und Journalisten zu geben – nach dem Motto „Wissen ist Macht“. Ganz und gar unsäglich sind allerdings Angriffe auf aufklärenden Journalismus mit Nazi-Vergleichen und Begriffen aus dem Wörterbuch des Unmenschen. Dass sich Kirchenmänner wie der frühere Regensburger Bischof Gerhard Ludwig Müller ungestraft mit solchen Ausfällen hervortun, ja sogar noch kirchlich Karriere machen konnten, ist ein Menetekel für die Achtung der Presse und ihrer kritischen Funktion.
Wie schätzen Sie die Rolle der Medien im Blick auf die kirchlichen Reformdebatten ein, etwa auf dem Synodalen Weg?
Medien stellen Öffentlichkeit her. Die Synodalversammlungen waren – anders als zum Beispiel die Vollversammlungen der Bischofskonferenz – für jedermann zugänglich. Wie die einzelnen Bischöfe auf dem Synodalen Weg geredet und abgestimmt haben, war für alle hörbar und sichtbar. Das macht einen Unterschied. Die große Breitenwirkung aber kam durch Medienberichte zustande. Und ich finde, das Interesse auch der säkularen Medien war groß. Das gilt übrigens nach wie vor auch für kirchliche Großereignisse wie Katholiken- oder Kirchentage. Die Teilnehmendenzahl des jüngsten Katholikentags in Stuttgart lag unterhalb des Niveaus eines normalen Bundesliga-Spiels. Gemessen daran, war die mediale Aufmerksamkeit überproportional hoch.
Seit 2015 sind Sie Vorsitzender der „Gesellschaft Katholischer Publizisten Deutschlands“ (GKP). Wozu braucht es so einen Verband?
In wenigen Wochen begeht die GKP ihr 75-jähriges Bestehen. Noch vor der Entstehung der Bundesrepublik hatten publizistisch tätige Katholiken den Impuls, sich zusammenzuschließen, um aus christlichem Geist an einem Neuaufbau der Gesellschaft und auch der durch die NS-Gleichschaltung korrumpierten Presse mitzuwirken. Genau so steht es auch in der Satzung. Heute bietet die GKP ein engmaschiges Netz für Menschen, die in den unterschiedlichsten Mediengattungen, aber auch in der Öffentlichkeitsarbeit und – ganz allgemein – der Publizistik arbeiten. Die Vielfalt der Tätigkeitsfelder ist bereichernd. Der Verband bringt – wie der Name schon sagt – Zusammenhalt, zudem die Möglichkeit der Selbstverständigung und -vergewisserung über das eigene Tun. Was bedeutet es, als Christin oder Christ mit dem geschriebenen oder gesprochenen Wort öffentlich präsent zu sein?
Inwiefern hat sich die Dringlichkeit dieser Frage verändert?
Unter dem Eindruck der Krisen haben Unverständnis oder kritische Rückfragen zugenommen: Was, in diesem Laden machst du noch mit?
Was kennzeichnet eigentlich „katholische Publizist:innen“?
Das Label einer „katholischen Publizistik“ oder eines „katholischen Journalismus“ ist allenfalls da passend, wo es um spezifisch katholische Themen von katholischen Absenderinnen und Absendern geht. Das ist aber nur ein sehr, sehr kleines Segment. Jenseits dessen gibt es meines Erachtens keinen „katholischen Journalismus“, weshalb mir die Rede von „Katholikinnen und Katholiken im Journalismus“ viel treffender vorkommt. Für sie gelten dieselben Standards wie für alle Kolleginnen und Kollegen.
Ein Spezifikum könnten dann – ähnlich wie in der Ethik, wo es auch keine katholische Sondermoral gibt – die Grundhaltungen und Wertvorstellungen sein, mit denen katholische Journalistinnen und Journalisten oder eben Katholikinnen und Katholiken im Journalismus an ihre Arbeit herangehen. Eine weitere Eigentümlichkeit könnte noch die eigene Sozialisation sein. Wer in und mit der Kirche groß geworden ist, weiß, wie der Laden tickt; hat ein Gefühl für die Sprachspiele, für das Fluidum; kennt oder ahnt zumindest eher die Untiefen, Abgründe, Aporien. Im besten Fall entsteht daraus ein besonders informiertes, reflektiertes kritisches Gegenüber.
Zum Thema Wissenschaftskommunikation: Wie kann es gelingen, die Themen akademischer Theologie zugänglicher zu machen?
Ich hielte es für falsch, theologische Inhalte immer und unmittelbar an der Alltagstauglichkeit zu messen. Aber Theologinnen und Theologen sollten den Anspruch haben, ihr Tun alltagstauglich erklären zu können. Die Behauptung, man könne ein theologisches Thema „nicht in 1:30“ oder im Artikelformat einer Tageszeitung darstellen, ist oft nur eine Selbstverbarrikadierung in jenem akademischen Elfenbeinturm, in dem man angeblich gar nicht sein will. Oder wenn ich es hart formulieren soll: Es ist Denkfaulheit. Wie jede Wissenschaft braucht auch die Theologie die Fähigkeit zum Transfer, zur Über-setzung. Beispielhaft finde ich da die Arbeit des „Zentrums für Wissenschaftskommunikation“ beim Exzellenz-Cluster „Religion und Politik“ der Universität Münster.
Was zeichnet diese Arbeit aus?
So wie ich es wahrnehme, gibt es da journalistische Profis, die den Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern klarmachen: Popularität – in dem genannten Sinn der Übersetzungsleistung – ist geradezu ein Qualitätsmerkmal ihrer Arbeit. Das gilt auch für Theologinnen und Theologen. Und es gibt Fachvertreterinnen und -vertreter, die sich das nicht nur gesagt sein lassen, sondern ihre Arbeit tatsächlich auch an diesem Asset messen. Aber ich höre immer wieder Kolleginnen und Kollegen klagen, dass ihre Anfragen ins Leere laufen, weil Theologinnen und Theologen sich zieren oder nicht bereit sind, sich auf die Eigengesetzlichkeiten medialer Kommunikation einzulassen.
Fehlt aus Ihrer Sicht ein Anreizsystem?
Augenscheinlich ja. Es gibt vereinzelt Formen einer Prämierung: den Communicator-Preis, den Sigmund-Freud-Preis für wissenschaftliche Prosa, den Preis für Wissenschaftskommunikation der Universitätsgesellschaft Münster. Vielleicht müsste einmal eine solche Auszeichnung speziell für Theologinnen und Theologen ausgelobt werden – auch unter dem Gesichtspunkt Erreichbarkeit, Reaktionszeit, Sinn für redaktionelle Erfordernisse.
Wie nehmen Sie feinschwarz.net auf? Was geben Sie von unserem theologischen Online-Feuilleton mit auf den Weg?
Meine Wahrnehmung? Feinschwarz ist eine veritable Erfolgsstory, die ich – auch als von vornherein interessierter Beobachter – anfangs für kaum möglich gehalten hätte. Es ist zu einem eigenen Ort mit eigenen Formaten geworden. Ich lese Beiträge zu aktuellen und semi-aktuellen Themen, die ich anderswo so nicht finde. Der Herbert-Haag-Preis hat also – wie in den Vorjahren – den bzw. die Richtigen getroffen. Als Orientierung für die Zukunft fällt mir der Titel einer Sendereihe sonntagmorgens im Deutschlandfunk ein: „Essay und Diskurs“. Vielleicht könnte feinschwarz die beiden Elemente dieses Begriffspaars noch stärker verschränken – mit Texten, die aufeinander Bezug nehmen, reagieren und Debatten weitertreiben. Das macht ja gerade den Reiz einer Online-Plattform aus. Nur eines sollte feinschwarz dabei auf gar keinen Fall werden: eine Aufsatz-Abwurfstelle für Texte, die analog – wenn überhaupt – erst sehr viel später erscheinen würden. Fachzeitschriften haben ihren Sinn und ihr gutes Recht, sind aber ein anderes Genre. Das sollte feinschwarz auch in Zukunft fein auseinanderhalten.
Das Interview führte Julia Enxing (Redaktion feinschwarz.net).
Joachim Frank, geboren 1965 in Ulm, ist DuMont-Chefkorrespondent und Mitglied der Chefredaktion des „Kölner Stadt-Anzeiger“. Von 2009 bis 2011 war Frank Chefredakteur der „Frankfurter Rundschau“. Frank hat Theologie, Philosophie und Kunstgeschichte in Münster, München und Rom studiert. 2004 schloss er das Theologiestudium mit dem Lizentiat ab. Seit 2006 arbeitet er als Journalist. 2015 wurde er zum Vorsitzenden der Gesellschaft Katholischer Publizisten Deutschlands (GKP) gewählt. In dieser Funktion gehört er dem Zentralkomitee der deutschen Katholiken (ZdK) an.
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