Am Samstag, 6. Mai 2023, wurde Christiane Florin der Walter-Dirks-Preis verliehen. Julia Knop hielt die Laudatio
Dass Christiane Florin, diese (wie es in der Begründung der Jury heißt) „streitbare Christin“, „mutige[.] Publizistin[.]“ und „kritische Aufklärerin“ kirchlicher Machtverhältnisse, heute den Walter-Dirks-Preis erhält, ist großartig. Es ist eine wohl verdiente Auszeichnung für Christiane Florin und ein starkes Signal für engagierten und sorgfältigen Journalismus im Dienst von Wahrheit und Gerechtigkeit in Kirche und Gesellschaft.
Christiane Florin ist in der katholischen Welt wohlbekannt. Bekannt dafür, Klartext zu sprechen. Denn „das Bemühen um Gerechtigkeit zeigt sich unter anderem darin, dem Geschehenen sprachlich und gedanklich gerecht zu werden“ (Trotzdem, 2020, 74).
Für die Redakteurin im Ressort Religion und Gesellschaft beim Deutschlandfunk ist die römisch-katholische Kirche eines ihrer Hauptsujets. Ihr Fokus: Macht. Dazu gibt es in der Kirche ja viel zu sagen. Christiane Florin hat das früher getan als die meisten anderen.
Sie hat das M-Wort ausgesprochen, als das in der römisch-katholischen Kirche noch völlig tabu war – hierzulande also ungefähr bis vor drei Jahren; jenseits der Alpen und des Rheins ist es immer noch unsäglich.
Sie hat über Klerikalismus gesprochen, lange bevor dieses hässliche Wort aus eines Papstes Munde kam und nun, top-down, auch von anderen sagbar wurde – nicht als Systemfehler, versteht sich, sondern zur Gewissenserforschung guter Hirten, die sich leider Gottes manchmal schlecht verhalten.
Sie hat Rücktritte gefordert, lange bevor das Wort „Lernkurve“ in Mode kam, das sich jetzt als so ungeheuer nützlich erweist. Denn Rücktritte sind bei Lernkurven kontraproduktiv. Die Lernkurve betont Verantwortung und Zuständigkeit des Amtsinhabers – um den Preis allerdings, dass kirchliche Verbrechen Lernanlässe für kirchliche Führungskräfte werden.
Christiane Florin hat auch die katholische Verbindung von Idealisierung und Verachtung der Frauen „Diskriminierung“ genannt, lange bevor Katholikinnen und Theologinnen das überhaupt zu denken wagten. Den Frauen, besser gesagt: den Weibern, widmet sie „knallharte Recherchen“ (ebd., 138). Da Interviews mit Kirchenmännern dazu wenig ergiebig sind, schreibt sie selbst darüber. Und liest, vor vollen Häusern. Über den obersten Hirten in Rom, der über den Genius der Frau sinniert, und den Seminaristen in Zaitzkofen, mit dem sie über die Frauenordination und er über Goldfische sprach. Sie spricht Klartext in der schlimmsten aller Fragen: der „Frauenfrage“. Sie bezeichnet Kirchenmänner, die definieren, was Kirchenfrauen sind und dürfen, als „Platzanweiser im Schöpfungsplan“ (Weiberaufstand, 2020, 66), und spottet: „Wenn Frauen sich an der Basis breitmachen, dann bleibt Männern nur die Spitze. Hierarchie wird Therapie“ (ebd., 16). Die Geschichte des römisch-katholischen Nein zur Frauenordination, das immer stärker bewehrt wird, fasst sie lapidar so zusammen: „Frauen waren zuerst zu dumm, dann zu schwach und schließlich zu fein für das Priesteramt. Jetzt sind sie zu gefährlich für die Weltkirche“. „Der Ausschluss hält die Weltkirche zusammen, … Exklusion ist ein Wesensmerkmal (ebd., 92). Das ist natürlich frech – aber ich kann nicht widersprechen.
Christiane Florin greift die lästigen Themen auf, lästig v. a. für die Mächtigen in dieser Kirche, die amtierenden Bischöfe, die öffentlich viel lieber anders aussähen. Als gute Bischöfe, die im Unterschied zu ihren Vorgängern auf der richtigen Seite stehen. An der Seite der Opfer. Und für rückhaltlose Aufklärung. Die sich gerade jetzt, in der Krise, nicht aus der Verantwortung stehlen. Die es hier und heute besser machen wollen. Und dafür um Vertrauen werben. Die im Übrigen, auch wenn das nicht immer so durchkommt, Frauen ganz wunderbar finden, mehr noch: die Frauen sys-te-ma-tisch fördern. Aber jetzt natürlich nicht die kirchliche Hierarchie auf den Kopf stellen können. Das liegt nicht in ihrer Macht. Und überhaupt: Denken Sie an die Weltkirche!
Christiane Florin nervt trotzdem weiter. Das „Danke, Danke, Danke“ an die Frauenversteher in weiß, rot und violett kommt ihr, wenn sie journalistisch unterwegs ist, zwar nicht über die Lippen – publizistisch aber ganz locker-ironisch durch die Tastatur. Aus dem Weiberaufstand, viel gelesen, wenn auch kaum geprobt, ist ein fulminanter Blog erwachsen – ein wunderbares Therapeutikum für geschundene katholische Seelen, grimmig und gewaltig. Lesen hilft!
Christiane Florins Job ist es, kritisch auf „Religion und Gesellschaft“, also auch auf die römisch-katholische Kirche in einer demokratischen Gesellschaft, zu schauen. Das ist nicht nur Profession, sondern auch Begabung, ihr Charisma, würde man auf katholisch sagen, Beruf also und Berufung. Klartext zu sprechen ist die Macht der Journalist:innen und Publizist:innen. In demokratischen Gesellschaften sind sie die vierte, in der Kirche – mangels Gewaltenteilung – die zweite Macht.
Kein Wunder, dass ihre Berichterstattung, ihre Recherchen, Interviews und Kommentare über die Kirche in der Kirche nicht von allen geschätzt, von manchen gefürchtet und diskreditiert werden. Sie arbeite sich ab, heißt es dann mitleidig-psychologisierend, oder: „Die hat eine Agenda!“ Sie arbeitet sich nicht ab, sie arbeitet, erwidert sie darauf. Denn das machen Journalist:innen so. Sie hat keine Agenda, aber sie ergreift Position. Wo es um Macht und Ohnmacht, Ermächtigung und Erniedrigung geht, steht investigativem Journalismus ein advokatorisches Moment gut an.
Wie wichtig solcher Journalismus für die Aufdeckung, Analyse und Bewertung von Missbrauch von Macht durch Mächtige der Kirche ist, erleben wir wieder und wieder. Dass manche Namen, die schon vor Jahren in Recherchen kluger Journalist:innen wie Christiane Florin auftauchten, im Laufe der Zeit dem Gedächtnis wichtiger Kirchenmänner wieder entglitten und erst wieder aus dem Dunkel des Vergessens ins Licht der Öffentlichkeit gehoben werden, wenn sie in Unabhängigen (mit großem U!) Gutachten stehen – geschenkt. Kein Bischof kann ja alles lesen und behalten, was man ihm so vorlegt und was er unterschreibt.
Als Politologin hat Christiane Florin ein professionelles Interesse und zugleich ein entspanntes Verhältnis zu Machtverhältnissen, die, wie könnte es anders sein, auch in der katholischen Kirche eine Rolle spielen. Eine umso größere und gefährlichere, je weiter man(n) das von sich weist. Die Politologin schaut nüchtern auf das, was ist, und weigert sich zu akzeptieren, dass es angeblich ganz anders ist, nämlich nicht Macht und Herrlichkeit, sondern Dienst und Demut.
Dass sie, wie sie gelegentlich faustisch bedauert, „ach, nicht Theologie studiert“ hat, kommt ihr (ich sage es ungern) dabei zugute. Denn sie musste den Pastoralsprech des Dienens und der Betroffenheit nicht erst verlernen. Sie hat ihn sich nie professionell angewöhnt. Sie wusste immer schon, dass es in der katholischen Kirche Macht gibt, viel Macht sogar, Vollmacht, Macht in Fülle, wenn auch stets im Dienste des Herrn und zum Heil der Seelen. Sie wusste auch schon länger als viele andere: Je beredter das Schweigen über Macht, desto wirksamer und gefährlicher das Verschwiegene, und je offensiver die Beschwörung, Augenhöhe etwa, desto ferner liegt das Beschworene.
Christiane Florin ist Politologin und Journalistin – und katholische Muttersprachlerin. Eine perfektes Topping: Professionell kritisch und fachlich versiert, das ist wie Mürbeteig und Sahne. Und obenauf, gleichsam eine Erdbeere, die Katholizität des Weibes. Sie kennt den Laden von innen. Sie weiß, wovon sie redet. Und mit wem.
Ihre Fragen sind gut, scharfkantig und präzise, zielgenau und immer bestens vorbereitet. Das kann man von den Antworten nicht immer sagen. Der verdutzte Einsilber, den sie am 24.9.2018 von Kardinal Marx bekam, ist legendär. Sie erinnern sich: Das war die Pressekonferenz nach der Herbst-Vollversammlung der Deutschen Bischofskonferenz, in der die MHG-Studie präsentiert worden war. Christiane Florin wollte vom damaligen Vorsitzenden wissen, ob denn angesichts dieser Ergebnisse keiner der knapp 70 Kollegen, teils Jahrzehnte lang im Dienst, über Rücktritt nachgedacht habe. In der wirklichen Welt ist das eine überaus naheliegende Frage – doch sie hat die Herren kalt erwischt. Der Kardinal, eigentlich einer von der unerschrockenen, verblüffungsresistenten Sorte, brachte nur ein überraschtes „Nein“ heraus (mit hörbarem Fragezeichen: Wieso um Himmels Willen Rücktritt?) – und dann war die Pressekonferenz zu ende. Die Antworten lassen also bisweilen zu wünschen übrig. Aber ihre Fragen haben es in sich.
In sich haben es auch Christiane Florins Wortschöpfungen. Sie sind alle um ein Vielfaches länger als der Marx‘sche Einsilber: z. B. „Bescheidenheitsbrutalität“ (ebd., 86), „Erschütterungserschütterung“ (ebd., 64) oder, die mutmaßlich vorerst längste: „Diakoninnenmöglichkeitsprüfungsprüfungskommission“ (https://www.weiberaufstand.com/post/frauen-sind-wild-und-gef%C3%A4hrlich). Bitter-ernst genommen verpuffen die Wortwolken in Windeseile, die minimalen Handlungswillen hinter maximaler Verständnissuggestion (vgl. ebd., 57) verbergen.
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Christiane Florin spricht Klartext. Gegenüber Bischöfen – und gegenüber den so genannten „Laien“. Sogar gegenüber den Laiinnen, den Mitweibern. Das macht sie doppelt unbequem. Es ist eine Zumutung. Allerdings eine heilsame und eine, die bestens verständlich daherkommt. Sie kann nämlich nicht nur nüchterne Analyse und scharfsinnige, präzise Kommentare. Sie kann auch den „Erklärbär-Tonfall des Kinderfernsehens“ (ebd., 8). In diesem Tonfall erklärt sie uns die Sonderwelt römisch-katholische Kirche. Ihre, unsere Welt. Elementarisierung hilft dabei.
Denn eigentlich ist es ganz simpel, nämlich so: In der katholischen Kirche gibt es zwei Spezies, Hirten und Schafe. Normalerweise bleiben Schafe Schafe. Einige wenige, männliche, berufene, mutieren zu Hirten. Sie waren mal Teil der Herde, stehen ihr aber jetzt gegenüber. Die Wandlung vom Schaf zum Ex-Schaf geschieht in dem Moment, in dem „ein hoher Hirte einem werdenden Hirten die Hand auflegt“ (ebd., 7). Danach ist alles anders. Dieser Unterschied zwischen Schafen und Ex-Schafen ist wesentlich, sagen die Hirten. Der Wechsel in die Führungsebene ist kein bloßer Rollenwechsel, Hirten sind keine Leithammel. Sie haben einen regelrechten Gattungssprung hinter sich. Sie haben den Zaun übersprungen, hinter dem sie früher ästen. Aus Vierbeinern wurden Zweibeiner, aus Herdentieren Führungskräfte. Wem das ontologische Upgrade vom Schaf zum Hirten theoretisch nur schwer zugänglich ist (und das ist dogmatisch ja wirklich ambitioniert), dem stellt es die Weihe eindrücklich vor Augen: „Der ist keiner mehr von euch, der passt jetzt auf euch auf“ (ebd., 7f).
„Hirten wissen durch die Weihe immer, was gut ist für die Herde“ (ebd., 8). Authentische Interpretation nennt man das dogmatisch, wobei authentisch nicht glaubwürdig oder wahrhaftig bedeutet, sondern richtig, wahr und gut. Hirten interpretieren authentisch Bibel und Tradition, Liturgie und Gesetz, Schöpfungs- und Erlösungsordnung. Und sich selbst. Schafe tun das nicht. Die römisch-katholische Kirche ist die einzige, die ihre Deutungsmacht und Leitungsgewalt dogmatisiert hat, also Widerspruch und Reform strukturell ausgeschlossen hat. Das war am 18.7.1870, als die Oberhirten, übrigens per Mehrheitsbeschluss, den Primat des obersten Hirten in Lehre und Leitung zum Glaubensgut erhoben haben. Eine solche Definition schließt Diskurs ab, nicht auf. Noch eine Spule Draht mehr im Zaun, bildlich gesagt. „Manche Schafe denken trotzdem, sie wüssten es selbst besser [als die Hirten] und blöken. Das stört die Hirten. Manche nicken milde [lass sie spielen], manche lassen den Hund von der Leine“ (ebd., 8).
Das Wort „Hirtensorge“ macht gut, was in der Realität mindestens ambig ist. Das Machtgefälle zwischen Hirt und Herde wird zur Obhut, pastorale Leitung wird zur Care-Arbeit. Dass kein Hirte, sondern ein Mietling oder Räuber an der Spitze der Herde stehen könnte, ist nicht vorgesehen. Dass vielleicht das Bild als Ganzes schief ist, auch nicht.
Der bitter-süße Erklärbär-Tonfall von Christiane Florin ist bestechend klar. Als Lach- und Sachgeschichte klingt das natürlich nicht so heilig wie gewohnt, aber es trifft die soziale Realität kirchlicher Machtverhältnisse sehr genau. Es ist auch keine Persiflage, sondern konsequente Aufnahme und Weiterführung des Hirtensprechs. Ohne metaphorische Brechung, die in der Bibel die Regel, in Kirche aber auch die Ausnahme ist. Christiane Florin sagt nicht: Mit der Kirche ist es wie …, sondern: In der Kirche ist es so!
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Von Hirten ist in der Kirche häufig die Rede. Von Schafen kaum. Erst recht nicht ohne metaphorische Brechung. Vermutlich, weil dann wirklich jede:r merkt, wie schräg die pastorale Szenerie in urbanen säkularen Welten ist. Und weil die Identifikationsmöglichkeiten so ungleich verteilt sind. Hirt zu sein ist attraktiv. „Guter Hirt“ erst recht. Das klingt so biblisch. Und so sehr nach Jesus.
Aber ein Schaf? Das will doch kein Mensch. Und welches Schaf überhaupt? Eines mit links- oder mit rechtsgebürstetem Fell? Ein zickiges oder ein bockiges? Ein fettes oder ein mageres? Kein Mensch will ein dummes und treudoofes Schaf sein, nicht einmal beim Krippenspiel. Keines, dem das Fell über die Ohren gezogen wird. Auch kein verlorenes oder schwarzes Schaf, nicht einmal dann, wenn es am Ende des Stücks vom guten Hirten wiedergefunden wird. Dickfellig sind ohnehin nicht mehr viele. Und manche katholische Schafe, die ihr Leben lang tapfer gemeckert haben, sind still geworden. Oder durch den Zaun gebrochen. „Ständiges Dagegenblöken macht heiser – und einsam“ (ebd., 71). Die Haut ist dünner geworden, das Fell auch. Der Stall ist eng und muffig geworden. Und die Herde wärmt nicht mehr. Der Makraméefaden reißt.
Christiane Florin hat ein Herz für katholische Schafe. Nicht aus maternalistischer Hirtinnensorge heraus, eher als Mitschaf. Denn katholisch sozialisiert, besser und in ihren Worten gesagt: katholisch konditioniert ist sie auch. Sie kennt die vielen Möglichkeiten, wie Katholik:innen sich ihre Kirche schönreden. Die kennen wir alle. Die heilen Welten und wohligen Nischen in der Jugend- und Verbandsarbeit, die nüchterne Resignation und den Pragmatismus erwachsener Katholik:innen, die innere Emigration der Hauptamtlichen. Sie kennt das tapfere Aber-die-Kirche-tut-doch-auch-viel-Gutes und das eigensinnige Verändern-kann-ich-nur-von-innen. Sie kennt diese störrische Anhänglichkeit an die heilige Mutter Kirche, die das Fass des Erträglichen einfach nicht überlaufen lassen kann. Sie kennt den Hoffnungstrotz um jeden Preis, der hilft, die rote Linie immer weiter zu verschieben, um sie nicht überschreiten zu müssen. Letztes Jahr hat sie sie doch überschritten. Dafür gebührt ihr Respekt.
Christiane Florin hat ein Herz für Schafe, aber sie streichelt sie nicht. Es ist auch ihr Verdienst, wenn Katholik:innen als einzelne und in Verbänden endlich anfangen, Versagen, Verbrechen und Verantwortung nicht mehr nach oben wegzudelegieren. Zwischen Tätern und Betroffenen, Vertuschern und Bystandern steht noch eine ganze Menge frommer Leut‘. Da ist keine:r außen vor.
Denn einmal Schaf, immer Schaf, bedeutet auch: Die Herdenmentalität wirkt weiter. Bis hin zur Komplizenschaft. Es ist natürlich schwierig zu ermessen, wie viel die katholische Konditionierung dazu beigetragen hat, dass Missbrauchsverbrechen geschehen, aber nicht gesehen, nicht benannt und nicht beklagt wurden. Wenig ist es sicher nicht. Denn es sind ja nicht nur Bischöfe, die immer noch viel lieber von Dienst sprechen als von Macht. Die meinen, dass es doch endlich einmal gut sein muss mit diesen Themen. Es sind nicht nur Hirten, die täuschen und sich täuschen lassen. Die glauben machen und selbst glauben wollen, dass dieser schlimme, ja: „abscheuliche!“ Missbrauch kein katholisches Problem sei. Die um ihre katholische Heimat bangen und kämpfen, in der um Gottes willen alles gut (gewesen) sein muss. Es sind nicht nur Kirchenmänner, die davon ausgehen, dass Aufklärung, Aufarbeitung und Wiedergutmachung am besten in kirchlichen Händen aufgehoben ist. Dass der Staat sich da raushalten sollte, so, „als seien Missbrauchsbetroffene keine Staatsbürger“ (https://www.deutschlandfunk.de/kommentar-zur-causa-zollitsch-und-dem-versagen-der-politik-dlf-28e09625-100.html). Schafsgeduldig und vertrauensselig, gutgläubig ignorant und fantasielos in den Abgründen des Bösen – wer von uns kann sich davon freisprechen?
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Christiane Florins Texte sind in der Tat oft eine Zumutung. Aber sie schimpft nicht von der Seitenlinie. Sie übt „Anklage und Selbstanklage“ (Trotzdem, 2020, 17), Aufklärung und Selbstaufklärung, erstere in ihrer Rolle als Politologin und Journalistin, letztere als Autorin und Bloggerin.
Authentisch dabei – diesmal im normalen Sinne: echt, lebendig und wahrhaftig – finde ich, wie viel O-Ton in ihren Blogs und Büchern steckt. Wie nüchtern sie ihre eigene Entwicklung (vulgo: ihre Lernkurve) erzählt: „Ich war nicht kritisch genug, der Kirche meiner Jugend so viel kriminelle Energie zuzutrauen“ (ebd., 17). „Ich bin spät wach geworden“ (ebd., 72). „Ich wurde hellhöriger“ (ebd., 168). Und, der letzte Satz in „Trotzdem“: „Ich laufe bleibend davon“ (ebd., 173).
Ich kann diese Schritte, dieses allmähliche Aufwachen und Aufmerken, gut nachempfinden. Es sind mühsame, entlarvende, beschämende Schritte. Einmal gegangen, gibt es kein Zurück. Christiane Florin war mir dabei Jahre voraus – und dadurch oft Patin, ohne es zu wissen. Umso mehr freut es mich, dass ich ihr heute im Rahmen dieser Preisverleihung im Namen vieler dafür danken darf.
Von Schaf zu Schaf steht mir kein Hirtengruß zu Gebote. Deshalb sage ich jetzt nicht: „Gottes Segen für Ihren wertvollen Dienst, in Christo verbunden“, sondern einfach: Danke, Christiane Florin, und lila Glückwunsche zum Walter-Dirks-Preis 2023! Bleib wild und gefährlich!
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Zitate aus: Christiane Florin,
- Der Weiberaufstand. Warum Frauen in der katholischen Kirche mehr Macht brauchen, München 2017.
- Trotzdem! Wie ich versuche, katholische zu bleiben, München 2020.
- Frauen! Sind! Wild! Und! Gefährlich!, in: dies., https://www.weiberaufstand.com/blog-1
Dr. Julia Knop ist Professorin für Dogmatik an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Erfurt.
Beitragsbild: Christiane Florin
Die Dankrede von Christiane Florin: