In den letzten Tagen wurde Assisi zum Zentrum einer Weltkirche der Frauen. Regina Heyder war dabei.
„Wir werden etwa 800 Frauen bei der Vollversammlung sein“, sagt mir die freundliche Kollegin vom Generalsekretariat der World Union of Catholic Women’s Organisations (WUCWO) in Rom am Telefon. „Vielleicht ein paar weniger, weil einige Teilnehmerinnen Schwierigkeiten mit dem Visum haben.“ Vom 14. bis zum 20. Mai 2023 ist Assisi das Zentrum einer Weltkirche der Frauen, weil sich hier Katholikinnen aller Kontinente zur Generalversammlung der WUCWO treffen. Der Hinweis auf die Visumschwierigkeiten führt direkt zum Konferenz-Thema „WUCWO women, artisans of human fraternity for world peace“, denn viele Teilnehmerinnen kommen aus Ländern mit aktuellen Konflikten und Migrationsbewegungen.
Eine Kirche ohne Frauen ist keine synodale Kirche.
Am Ende sind es 830 Frauen, die sich auf den Weg nach Umbrien machen. Nachdem das Generalsekretariat der WUCWO bekannt gegeben hatte, dass der Konferenz eine Audienz bei Papst Franziskus vorausgehen wird, sind die Anmeldezahlen nochmals um ein Drittel gestiegen.[1] Wie so häufig sagt Papst Franziskus in seiner Ansprache am 13. Mai vieles, was richtig und wichtig ist. Er spricht ungerechte Lebensverhältnisse und die Diskriminierung so vieler Frauen an. Irritierend bleiben seine in der deutschen Berichterstattung betonten Sätze, dass „der Mann“ und „die Menschheit ohne Frau einsam“ sind. Die Theologinnen, die auf der Vollversammlung der WUCWO sprechen, wenden die Strategie der Rezeption und auch Nichtrezeption päpstlicher Aussagen virtuos an. Eine dezidierte Kritik an Papst Franziskus gibt es selbstverständlich nicht, aber viele Ansatzpunkte für eine Weiterarbeit. So stellt Nathalie Becquart, Untersekretärin für die Synode 2021–2024, klar, dass eine Kirche ohne Frauen keine synodale Kirche sei. Sie arbeitet mit den drei Stichworten diversité (Verschiedenheit der Lebenserfahrungen), réciprocité (jede*r hat etwas zu geben und zu empfangen) und égalité (gleiche Taufwürde). Auch bei den anderen Sprecherinnen ersetzt die Reziprozität der Geschlechterverhältnisse die bisherige Komplementarität,[2] und sie wollen den Begriff des Dienens durch den der Sorge für den*die Nächste*n ergänzt wissen (auf Englisch sprechen sie von „service“ und „care“).
Reziprozität statt Komplementarität der Geschlechter
Die WUCWO jedenfalls macht die Diskriminierung und Resilienz von Frauen deutlich sichtbar: Gemeinsam mit dem Dikasterium für die Kommunikation hat sie anlässlich der Vollversammlung die Ausstellung „The cry of women“ initiiert. 26 Fotografien von Frauen aus aller Welt, aufgenommen von acht renommierten Fotograf*innen, sind im Mai in den Kolonnaden des Petersplatzes zu sehen.[3] Auch der Film „In·visibles. Listening to transform lives“, der erstmals während der Papstaudienz gezeigt wird, erzählt von Frauenbiografien und Familiensituationen, die sich allen Idealisierungsversuchen widersetzen.[4] Genau solche Lebensverhältnisse soll das World Women’s Observatory sichtbar machen, das 2021 als ein Projekt der WUCWO ins Leben gerufen wurde. Zunächst hat das Observatory die Auswirkungen der Covid-Pandemie auf Frauen in Lateinamerika untersucht; inzwischen ist es auch in Afrika tätig.
Frauenbiografien und Familiensituationen, die sich allen Idealisierungsversuchen widersetzen
Katholische Frauen als Akteurinnen des Wandels
Frauen aus dem afrikanischen Kontinent stellen mehr als zwei Drittel der Teilnehmerinnen dieser Konferenz. Kenia ist mit 92 Teilnehmerinnen vertreten; weitere große Gruppen kommen aus Nigeria, Kamerun, Malawi, Gabun, Ghana, Eswatini und anderen afrikanischen Ländern. Kamerun liegt auch in den USA: Migrierte Katholikinnen, die in Houston, Baltimore und verschiedenen US-amerikanischen Städten leben, verstehen sich weiterhin als Mitglieder der „Catholic Women Association of Cameroon“. Die neu gegründeten katholischen Frauenverbände in Aberdeen und Irland repräsentieren ebenfalls Schwarze Frauen.
Frauen aus dem afrikanischen Kontinent stellen mehr als zwei Drittel der Teilnehmerinnen dieser Konferenz.
Bei den Kontinentalversammlungen zeigt sich, dass aus der westlichen Hemisphäre überwiegend einzelne Delegierte angereist sind. Unter den rund 70 Europäerinnen stellen nur die Spanierinnen eine größere Gruppe. Aus dem deutschsprachigen Raum sind wir zu dritt – Angelika Ritter-Grepl von der Katholischen Frauenbewegung Österreichs (kfb), Regina Schulz von der Katholischen Frauengemeinschaft Deutschlands (kfd), und ich vom Katholischen Deutschen Frauenbund (KDFB), der schon 1910 ein Gründungsverband der WUCWO war. Dass jeweils knapp 20% der Katholik*innen weltweit aus Afrika und aus Europa stammen, bildet sich in diesen Zahlenverhältnissen nicht ab. Sehr deutlich wird dagegen sichtbar, dass die römisch-katholische Kirche eine Kirche von Migrant*innen ist – zahlreiche Teilnehmerinnen leben nicht in ihren Heimatländern, und kaum eine Frau hat keine Angehörigen im Ausland. Als wir am vorletzten Tag eine Resolution zum Thema Flucht und Migration diskutieren, verteidigen die Delegierten aus den Philippinen vehement das Recht auf Arbeitsmigration. Mehrere Teilnehmerinnen aus Afrika sagen erschreckend lapidar: „Morgen könnte es mich oder meine Kinder treffen“.
„Ihr Deutschen müsst vorangehen“, bitten uns einige Teilnehmerinnen der westlichen Hemisphäre.
Die Bewegungen in der deutschen Kirche haben zahlreiche Teilnehmerinnen wahrgenommen. „Ihr Deutschen müsst vorangehen“, bitten uns einige Teilnehmerinnen der westlichen Hemisphäre und denken dabei vor allem an die Bischöfe; das Engagement der Lai*innen haben sie weniger im Blick. Wenig überraschend und nur schwer auszuhalten ist die teilweise starke Ablehnung von „same sex marriages“ und LGBTQ+-Personen. Viele Afrikanerinnen sind besorgt, weil sich auch in ihren Heimatländern immer mehr Menschen als queer outen.[5] Weitere Problemfelder, die öffentlich benannt werden, sind die Abwanderung der katholischen Jugendlichen zu den neo-pentekostalen Kirchen und interreligiöse Ehen. Die Lösung für fast alles soll sein, dass die Mütter ihren Kindern ein gutes Vorbild sind (von den Vätern ist fast nie die Rede), ihnen die Werte und die Normen der Kirche beibringen und sich wieder mehr ihren Familien widmen. Für mich klingt das nach einer im Wortsinn heillosen Überforderung und Überfrachtung des Mutterideals, und ich bin überzeugt, dass sich auch jene Mütter, deren Kinder keine „Vorzeigekatholik*innen“ sind, redlich um eine christliche Erziehung bemüht haben. Als am vorletzten Tag die Resolution „Let us take, with renewed conviction, the joyfuld journey of family love, motherhood and fatherhood“ verabschiedet wird, plädieren die Australierinnen dafür, den Familienbegriff zu erweitern und beispielsweise auch alleinerziehende Mütter oder Geschiedene zu erwähnen. Für diesen Änderungsantrag setzen sich Teilnehmerinnen quer durch alle Kontinente ein, da die Geschiedenen oder Alleinerziehenden „unsere Kinder sein könnten“. Letztlich wird er jedoch mehrheitlich abgelehnt, weil es aktuell bereits genügend „Verwirrung“ um den Begriff der Familie gebe. Die Teilnehmerinnen selbst leben wohl zum größten Teil in „regulären“ Beziehungen: In Kenia und weiteren afrikanischen Ländern können Frauen nur dann eine Leitungsposition in der Catholic Women Association übernehmen, wenn sie kirchlich verheiratet sind oder sich als Alleinerziehende überdurchschnittlich in der Pfarrei engagieren und die Kommunion empfangen – also öffentlich demonstrieren, dass sie den Normen der Kirche entsprechend leben. Das Anliegen einiger Delegierter, dass sich die Mütter wieder verstärkt ihren Familien widmen sollten, kann auch als Schrei nach Gerechtigkeit gelesen werden, denn angesichts von ökonomischen Krisen und Korruption sind die Frauen gezwungen, mehr als je zuvor für den Unterhalt ihrer Familien zu sorgen. Wo private Schulen zunehmend die öffentlichen Schulen ersetzen, stellt das Schulgeld eine immense Belastung dar.
Schwer auszuhalten ist die teilweise starke Ablehnung von „same sex marriages“ und LGBTQ+-Personen.
WUCWO-Frauen verstehen sich als Akteurinnen des Wandels. Sie engagieren sich vor Ort etwa gegen Beschneidung und andere Formen der Diskriminierung und Gewalt gegen Frauen. Alle eint das Handeln gegen den Klimawandel, für das die Enzyklika „Laudato sí“ ein unhintergehbarer Referenzpunkt ist. Doch es könnte noch mehr sisterhood geben, denn immer wieder deuten Teilnehmerinnen die mangelnde Solidarität unter Frauen an. Da gibt es Frauen, die bei der Kommunionausteilung lieber beim Priester als bei der Ordensschwester anstehen. Witwen werden in vielen Regionen von ihrem gesamten Umfeld auf eine lebensfeindliche Weise diskriminiert; sie können mit dem Tod des Mannes das Recht auf Erwerbsarbeit und Ehrenamt verlieren. Mehrfach erzählen Frauen, dass Priester die Frauensolidarität unterminieren. So hat eine Teilnehmerin ihre Stiftung für Priester und Ordensfrauen im Alter wieder aufgegeben, weil sie von Priestern gedrängt wurde, das Geld ausschließlich ihnen zukommen zu lassen. Das wäre jedoch den Spender*innen nicht zu vermitteln gewesen. Klerikalismus ist auf allen Kontinenten ein Problem.
Klerikalismus ist auf allen Kontinenten ein Problem.
Nach sechs erfüllten Tagen treten wir wieder die Heimreise an. Bei der Vollversammlung der WUCWO ist sehr konkret geworden, dass die synodale Kirche eine Kirche des Zuhörens und Voneinander-Lernens ist. Im Gepäck sind die Lebensgeschichten von Frauen aller Kontinente. Die Verbundenheit mit Katholikinnen aus der ganzen Welt wird bleiben.
Dr. Regina Heyder ist Theologin mit Schwerpunkt Kirchengeschichte und Dozentin des Theologisch-Pastoralen Instituts in Mainz. Sie publiziert zu Missbrauch an erwachsenen Frauen und zur Geschichte von Frauen im Christentum. Ehrenamtlich ist sie Vorsitzende der Theologischen Kommission des KDFB und Mitglied des ZdK.
Link zu ihren Publikationen
Fotografin: Ruth Lehnen.
Beitragsbild: Regina Heyder und Kolleginnen aus Kenia.
[1] Vgl. https://press.vatican.va/content/salastampa/it/bollettino/pubblico/2023/05/13/0366/00788.html (alle Links am 21.05.2023 abgerufen).
[2] Vgl. auch Papst Franziskus, Nachsynodales Apostolisches Schreiben Christus vivit, Nr. 42 (https://www.vatican.va/content/francesco/de/apost_exhortations/documents/papa-francesco_esortazione-ap_20190325_christus-vivit.html).
[3] Vgl. https://www.osservatoreromano.va/en/news/2023-05/ing-019/the-cry-of-women-around-the-world.html; https://www.wucwo.org/index.php/en/activities/world-women-observatory/1982-photography-exhibition-women-s-cry-s.
[4] Vgl. https://www.vaticannews.va/en/church/news/2023-05/invisibles-documentary-wucwo-interview-lia-zervino-beltrami.html.
[5] Vgl. dazu auch das Vorbereitungsdokument für die kontinentale Phase der Synode 2021–2024, „Mach den Raum deines Zeltes weit“, Nr. 39 (https://www.dbk.de/fileadmin/redaktion/diverse_downloads/presse_2022/2022-172a_Mach-den-Raum-deines-Zeltes-weit-Synode_2021-2024_Arbeitsdokument-kontinentale-Etappe.pdf).