Anlässlich der Installation der stählernen Himmelsleiter auf dem Dorfplatz in Wormbach/ Sauerland kam Birgit Hoyer mit der Seelsorgerin und Akteuren des Ortes über die Präsenz der Kirche/n und des christlichen Glaubens in der Region ins Gespräch.
2007 fegte der Orkan Kyrill übers Sauerland und vernichtete große Flächen Wald. Dem Sturm getrotzt hat die Kreuzbergkapelle bei Wormbach, die aufgrund der umgestürzten Bäume seither weithin sichtbar ist. Von 2012 bis 2013 stand an der Kreuzbergkapelle die “Himmelsleiter” des Künstlers E-Lin. „Als POSITIVES ZEICHEN FÜR DIE MENSCHEN sollte die beleuchtete Stahlskulptur ein Jahr lang Einwohner und Besucher erfreuen. Sie lud Passanten und Besucher ein, innezuhalten und ihren Gedanken zur Verbindung von Himmel und Erde in ihrem eigenen Leben nachzuspüren.“
Wormbach – spiritueller und kultureller Mittelpunkt Südwestfalens.
2019 überzog ein Sturm des Entsetzens das Dorf Wormbach. Im Januar bestätigte das Erzbistum Paderborn die Missbrauchsvorwürfe gegen den langjährigen Pfarrer des Ortes. Zur gleichen Zeit wurde im benachbarten Lenne bekannt, dass ein früherer Pfarrer Mädchen und junge Frauen missbraucht hatte. Aktuell wird der Grabstein des vor 50 Jahren gestorbenen beschuldigten Priesters am Eingang der Kirche auf Beschluss der Gemeinde entfernt, um der ständigen Retraumatisierung von Opfern entgegenzuwirken. Die Forderungen nach einem ebensolchen Vorgehen werden nun auch in Wormbach laut.
Friedhof und Kirche von Wormbach grenzen unmittelbar an den Dorfplatz, der ebenfalls 2019 als Ort der Begegnung für Kommunikation und Kultur feierlich der Dorfgemeinschaft übergeben wurde. Unter anderem Veranstaltungen der Projekte „Wege zum Leben“ mit dem Kunst- und Kulturangebot des Spirituellen Sommers und spirituelle Angebote der Christlichen Wegbegleitung füllen den Platz seither. Für die örtlichen Tourismusmanager:innen ist seit langem ausgemacht: Wormbach ist der spirituelle und kulturelle Mittelpunkt Südwestfalens.
Gläubige betreten Kirche und Pfarrhaus nicht.
Auch die Wallfahrten der Walburga-Woche locken jedes Jahr im Mai alle Generationen in Scharen nach Wormbach, aber Kirche im herkömmlichen Sinne funktioniert im Ort nicht mehr. Teilnehmer:innen der Wallfahrt vertrauen der Leiterin der Christlichen Wegbegleitung und der Wallfahrt, Monika Winzenick, an, dass sie aus Anlass der Wallfahrt jeden Livestream schauen, aber Kirche und Pfarrhaus betreten sie nicht mehr. Ein Pfarrgemeinderat kam in Wormbach nicht zustande.
Sinnbildlich liegen Kirchhof und Dorfplatz nebeneinander. Katholische Kirche und Dorfgemeinschaft sind nicht (mehr) identisch. Spätestens seit dem Öffentlichwerden des Missbrauchsskandals mitten in der Region, in den Familien, Orten und Gemeinden zieht die Kirchenmauer eine Grenze zwischen der Katholischen Kirche und dem (Glaubens-)Leben der Menschen. Das Verbrechen des Missbrauchs schlägt eine Schneise der Vernichtung von Vertrauen und ganzheitlicher Unversehrtheit und schneidet Lebensgeschichten von ihren Wurzeln ab, die Stärke, Nahrung und Schutz geboten haben. Der überwiegend unausgesprochene Schmerz in Wormbach sitzt umso tiefer als von diesem Ort als ältester Urpfarrei des Sauerlands vermutlich bereits seit 754 die Verbreitung der christlichen Botschaft in die Region ihren Ausgang nahm.1 Über Jahrhunderte hinweg brachten die Menschen auf den sogenannten Totenwegen ihre Verstorbenen nach Wormbach.
Wir wollen unsere Himmelsleiter wieder haben.
Es sind Parallelwelten, Parallelkirchen entstanden, ein Nebeneinander und auch Gegeneinander, das sich in Abkehr, Kirchenaustritten bis hin zu Grabschändungen äußert. Auf diese Grenze, diesen Graben, vielleicht auch in diese offene Wunde trifft der Wunsch der Wormbacher:innen. „Wir wollen unsere Himmelsleiter wieder haben.“ Und diese Himmelsleiter soll in der Mitte des Ortes auf dem Dorfplatz stehen – zwei Holme mit sieben Sprossen für die sieben Dörfer des ehemaligen Kirchspiels Wormbach. Alle Vereine, Politik und Verwaltung haben an einem Strang gezogen, um das Kunstwerk zu ermöglichen. Ein Kunstwerk, schmückender Ausdruck des Tourismusengagements und der Regionalentwicklung? Die Zuschreibungen in den Ansprachen zur „Einweihung“ der Himmelsleiter gehen weit darüber hinaus: „Möge dieser Ort ein großer ‚Seelenort‚ für die Menschen werden, an dem sie Ruhe und Kraft tanken können und an dem sie bei geöffnetem Himmel ihre Sehnsüchte und Hoffnungen aussprechen können“, sagt Werner Schauerte, vielfach engagierter Diplomingenieur.
Pater Abraham Fischer OSB, Künstler und Schmied im Kloster der Benediktiner in Meschede, schreibt in seinem Impulstext zur Wormbacher-Himmelsleiter: „Die Holme der Himmelsleiter stehen fest im Fundament verankert schon seit der Eröffnung des spirituellen Sommers. Wie die Eichen ringsherum mit den knorrig gewachsenen Ästen ragen die beiden Holme aus dem Boden und fügen sich ihrer Form nach zwar abstrakter in den Kontext des Waldes ein. Es wird noch einige Zeit dauern, dann wird der Cortenstahl patiniert sein und seine schöne rostrote Farbe hervorbringen. […] Zu den Holmen sind nun auch die Sprossen der Leiter gekommen. Sie sind aus glänzendem Edelstahl gefertigt und strahlen Licht aus.
Engel als heilende Gedanken Gottes.
Jakob träumt, dass er den Himmel sieht und er erkennt ein Gebilde, das aussieht wie eine Treppe. Die Tradition hat daraus das Bild der Jakobsleiter entwickelt. Diese steht auf der Erde und ragt in den Himmel. Die Engel steigen darauf auf und nieder. Engel sind im Alten Testament die Lichtwesen Gottes. Sie sind aus meiner Sicht die guten und heilenden Gedanken Gottes. Sie machen deutlich, dass unser Leben begleitet und geführt ist, sie zeigen uns einen Gott, der mit uns zutiefst verbunden ist und der sich zeigt.“
Die Himmelsleiter als Ort der Heilung, das Grab des Pfarrers als Ort des Unheils? Die Nähe macht die beiden Gedenkorte zwangsläufig zu Antipoden. „Jakob zeigt allen, die dort vorbeikommen: ich habe erlebt, dass Gott unter uns Menschen lebt und dass er sich erfahrbar macht. Jeder und jede, die dort vorbeigehen und vielleicht nur einen kurzen Blick darauf werfen, stärken den Ort und der Ort stärkt sie.“ Mit diesen Worten stellt Pater Abraham die Brücke von der alttestamentlichen Erzählung zur Gegenwart her. Der Missbrauch durch Priester zerstört Leben von der Wurzel her, setzt das Messer an das Liebesband Gottes. Vernichtung und Tod sind die Folge.
Jakob hat mehr gesehen als den geöffneten Himmel.
Pater Abraham ruft am Ende seines Impulses mit dem Gedicht zum „Licht“ von Rainer Maria Rilke auf: „Nur nicht im Dunkel Schmählich erschlaffen! Im Lichtgefunkel Leben und schaffen. Nur im Verstecke Nicht müd’ versiechen, Kränkeln und kriechen — Nur das nicht! Richte und recke Auf dich zum Licht!“ Die Himmelsleiter als Symbol der Auferstehung? Das Grab, Tod und Vernichtung haben nicht das letzte Wort? Die andere Seite der Jakobsgeschichte ist die eines Betrügers. Jakob hat sich das Erstgeborenenrecht erschlichen. „Gott spricht zu Jakob, diesem Betrüger. Er verurteilt ihn nicht. Im Gegenteil: Er verheißt ihm Segen und Begleitung.“ Darauf weist Alfons Grobbel, Theologe und pensionierter Gymnasiallehrer angesichts der Himmelsleiter hin. Der geöffnete Himmel strahlt für ihn Hoffnung, Zuversicht und Frieden aus:
„Jakob erfährt im Traum Gottes Wort: Ich bin bei Dir und behüte Dich. […] Ich kann mir das nur so erklären, dass Jakob mehr gesehen hat als den geöffneten Himmel: Gott hat nicht nur sich gezeigt, wer er ist. Gott öffnet den Himmel, um Jakob selbst zu öffnen, um ihn zur Selbsterkenntnis zu bringen: Wer bin ich und was habe ich getan? Diese schonungslose Fragen stellen sich dem Betrüger Jakob. Und er erschrickt. Er sieht sich jetzt selbst als Betrüger. Er merkt, dass er sich nicht verstecken und nicht wegrennen kann. Die Geschichte seines Betruges bleibt seine Geschichte sein Leben lang.“ Für Grobbel symbolisieren die Holme der Leiter die Kirche, die die sieben Dörfer als Sprossen umschließt. „Ohne die sieben Orte mit ihren Menschen kann diese Kirche kein lebendiger Ort sein und ohne diese Kirche sind die Menschen in den sieben Orten ohne religiöses Fundament.“
Kein Sonderweg für Priester.
Es sind zwei Gestalten von Kirche, die mit der Himmelsleiter am Dorfplatz und der romanischen Kirche auf dem Friedhof gegeneinander stehen. Die Brücke scheint noch nicht geschlagen, die Metarmophose zum Licht noch verborgen. Mit der Himmelsleiter setzen die Menschen in Wormbach ein starkes Zeichen, wie sie aussehen könnte, die gewandelte Kirche, die sich radikal in den Dienst der Menschen stellt, um allen ohne Unterschied das Licht des Himmels offen zu halten. Nun muss die Brücke von der anderen Seite des Platzes begangen werden, nicht mit offensiven Proklamationen, sondern gerade im Zurücknehmen und der großzügigen Unterstützung des Engagement der Menschen in der Mitte des Dorfes.
Ein wichtiges Signal wäre die strikte Gleichbehandlung aller Verstorbenen inklusive der Priester auf dem Wormbacher Friedhof. Die einheitlichen Kreuze stehen bei allen Gräbern an den Füßen der Toten als Zeichen, dass sie der Auferstehung entgegengehen. Nur bei den Priestergräbern am Eingang der Kirche stehen sie am Kopf der Begrabenen, so dass die Namen auf den davor liegenden Steinplatten gut sichtbar sind. Eine Hürde, die Kirche wieder betreten zu können, wäre ausgeräumt, wenn auch diese Kreuze wie alle anderen gesetzt sind.
Ob verletzte und traumatisierte Menschen über die Schwelle gehen können, ist ganz und gar nicht garantiert. Vielleicht wird es möglich, die offene Wunde und den abgrundtiefen Schmerz des Missbrauchs in der Mitte des Ortes zu betrachten und zuzulassen.
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Birgit Hoyer, Dr. habil., Bereichsleiterin Bildung im Erzbistum Berlin, Honorarprofessorin für Pastoraltheologie und Homiletik an der Phil.-Theol. Hochschule St. Georgen, Frankfurt a.M.
- Friedrich Albert Groeteken: Geschichte der uralten Pfarrei Wormbach, S. 15 ff. aus der Buch-Reihe Geschichte der Pfarreien des Dekanates Wormbach im Kreise Meschede, Band II, I. Teil, Rheinische Verlagsanstalt und Buchdruckerei, Bad Godesberg, 1939. ↩