Mit dem gestrigen Beginn der Weltsynode in Rom geht der weltweite synodale Prozess der Katholischen Kirche in eine zentrale Phase. Johannes Ludwig fragt nach Chancen und Risiken.
In Rom wird sich im Brennglas zeigen, ob das Thema „Für eine synodale Kirche: Gemeinschaft, Teilhabe und Sendung“ bloße Floskel bleibt oder Eingang in kirchliche Prozesse und Strukturen findet und damit die Grundlage für einen neuen Modus des Kirche-Seins gelegt wird. In einer ersten Phase des Prozesses waren zunächst alle Gläubigen weltweit zur Teilnahme aufgerufen und konnten Eindrücke, Chancen und Herausforderungen aus ihrem jeweiligen Kontext schildern. Der Papst scheint es ernst zu meinen mit seiner Forderung nach einer hörenden Kirche. Erstmals in der Geschichte einer zweitausend Jahre alten Institution wurde so ein weltweiter Meinungsbildungsprozess in Gang gesetzt.
Rätselraten um die Synodalität
Was aber bedeutet dieser Prozess nun für die Zukunft der Kirche? Wird es beim einfachen Zuhören bleiben oder werden weiter reichende Reformen ins Auge gefasst, die Lai*innen über die Weltsynode hinaus Beratungs- und Entscheidungskompetenzen einräumen?
Dass diese Frage alles andere als leicht zu beantworten ist, zeigt sich bereits in der unzureichenden inhaltlichen Bestimmung des Begriffs der Synodalität.
Seit der programmatischen Ankündigung einer Ära der Synodalität durch Papst Franziskus wurden unzählige Interpretationen des Begriffs eingeführt. Während die einen den Anspruch der Synodalität bereits im gegenseitigen Zuhören und Beratschlagen eingelöst sehen, fordern andere die Einführung von belastbaren Beratungs- und Entscheidungskompetenzen als notwendige Implikation einer synodalen Kirche, die diesen Namen verdient.
Ist die Synodalität nun ein Führungsstil, eine Grundhaltung oder gar ein Verfassungsprinzip der Kirche? Die Diskussionen um die Interpretation des Begriffs zeigen letztlich vor allem eines: Was genau mit der Synodalität (nicht) gemeint ist, bleibt bisher unbestimmt. Den Begriff mit Leben zu füllen ist insofern eine der größten Herausforderungen, die der Weltsynode bevorsteht.
Erwartungsmanagement
Dieser Aushandlungsprozess beginnt allerdings nicht in Rom, sondern lief bereits im Vorfeld auf Hochtouren. So hat die Beteiligung der Lai*innen weltweit Erwartungen und teils auch Ängste geschürt. Viele der reformorientierten Kräfte innerhalb der Kirche hegten schon früh die Hoffnung, dass sich mit der Weltsynode die Chance bieten würde, jahrzehntelang gehegten Reformanliegen auf gesamtkirchlicher Ebene zum Durchbruch verhelfen zu können. Demgegenüber fürchteten andere, dass die Synodalität das Einfallstor für eine vollständige Demokratisierung der Kirche wäre, die auch vor dem Glaubenskern nicht Halt macht. „Warum sollte der Papst die Gläubigen nach deren Meinung zu Kerninhalten des Glaubens befragt haben, wenn die Ergebnisse dann unberücksichtigt bleiben?,“ so der Tenor.
Dass die Verunsicherung über Ziele und Tragweite des synodalen Prozesses nicht nur Gläubige, sondern auch viele Bischöfe betrifft, zeigt sich in deren unterschiedlichem Erwartungsmanagement im Vorfeld der Weltsynode.
So bemühte sich etwa Bischof Stefan Oster, die Hoffnungen jener zu dämpfen, die sich von der Weltsynode weitreichende doktrinäre Veränderungen erhofften: „Wer meint, nach der Synode wird zum Beispiel das Frauenpriestertum eingeführt, der wird mit Sicherheit enttäuscht werden.“[1] Auch der Präfekt des Dikasteriums für die Glaubenslehre, Kardinal Víctor Manuel Fernández forderte die Medien auf, die „Erwartungen herunterzuschrauben.“[2] Noch weiter gingen fünf konservative Kardinäle, die den Papst unmittelbar vor dem Beginn der Synode durch ein publik gewordenes Dubia-Schreiben dazu bringen wollten, die Befassung der Synode mit zentralen inhaltlichen Fragestellungen gänzlich zu verhindern.[3] Bereits der verzweifelte Versuch, im Vorfeld Einfluss auf das synodale Agenda-Setting nehmen zu wollen, zeugt davon, dass die Synode in ihrer Tragweite längst nicht so unbedeutend zu sein scheint, wie manche glauben machen wollen.
Demgegenüber betonte Bischof Bertram Meier, die Weltsynode sei ein Experiment mit offenem Ausgang und auch Bischof Georg Bätzing äußerte sich ähnlich: „Ich glaube, niemand weiß wirklich, was dann da herauskommen wird.“[4]
Vorboten der Revolution?
Die Weltsynode in Rom wird sicherlich nicht alle inhaltlichen Fragen beantworten können, die im Rahmen des Prozesses aufgeworfen wurden. Entscheidender, als Antworten zu geben, wird vielmehr sein, ob es gelingt, der Synodalität ein strukturelles Upgrade zu verpassen, um sich künftig mit drängenden Fragen auseinandersetzen zu können.
Schon im Ablauf der Weltsynode in Rom wird sich zeigen, ob dafür die notwendigen Voraussetzungen geschaffen sind. Es wäre vermessen, die Weltsynode als ein „Konzil auf Raten“ zu bezeichnen. Im besten Falle haben die Teilnehmenden das inhaltliche Anliegen der Synodalität schon so weit internalisiert, dass in Rom Beratungs- und Entscheidungsprozesse von Klerikern und Lai*innen auf Augenhöhe möglich sind. Fatal wäre hingegen, wenn das Treffen eher einem bischöflichen Klassentreffen mit Beteiligung einiger Außenseiter*innen statt einem gleichberechtigten Miteinander gliche.
Unabhängig davon, wie man den Erfolg der Weltsynode definieren bzw. deren Erfolgsaussichten einschätzen mag, hat der Prozess durch die Vielfalt der zutage geförderten Themen und Herausforderungen bereits jetzt eine ungeheure Sprengkraft erreicht.
In der politikwissenschaftlichen Forschung hat sich über lange Zeit die Hypothese von einer ‚revolutionary gap‘ bewährt. Dieser zufolge zeichnen sich vorrevolutionäre Phasen durch ein starkes Wirtschaftswachstum aus, das dann durch eine plötzliche Rezession unterbrochen wird. Weil den ökonomischen Ansprüchen der Bevölkerung dann nicht mehr Rechnung getragen wird, entsteht eine ‚revolutionary gap‘, die sich schließlich in einem Umsturz politischer Verhältnisse entlädt.[5]
Auch bei vielen Gläubigen und gerade in der Kirche in Deutschland ist mit der Zeit eine Art ‚revoultionary gap‘ entstanden. In manchen Bistümern wurden bereits vor Jahrzehnten synodale Strukturen eingeführt und spätestens der Synodale Weg hat der Einsicht, dass die Gläubigen an zentralen Beratungs- und Entscheidungsprozessen unbedingt zu beteiligen sind, endgültig zum Durchbruch verholfen. In Deutschland herrscht, um im Konzept zu bleiben, hinsichtlich der Beteiligung der Gläubigen ein konjunktureller Aufschwung. Wenn diesem Trend auf der Weltsynode durch eine ‚römische Rezession‘ ein Ende gesetzt werden sollte, würde – nicht nur bei Gläubigen in Deutschland – eine massive ‚revolutionary gap‘ zwischen Erwartungshaltung und gesamtkirchlicher Performance entstehen. Die sich anschließende Revolution würde sich allerdings vermutlich nicht in Umsturzversuchen, sondern als ‚leise‘ Revolution in der endgültigen Abkehr von der Kirche manifestieren. Die Tendenz mancher Bischöfe in Deutschland und weltweit, die Erwartungen zu dämpfen, bevor der Prozess überhaupt begonnen hat, ist insofern als Versuch der Entschärfung der ‚revolutionary gap‘ einzuordnen. Wenn die Hoffnungen im Vorfeld nicht zu groß sind, so die Stoßrichtung, wird man mögliche Enttäuschungen hinterher besser abfedern können.
Letzte Generation
Selbst wenn auch nach der Weltsynode viele ‚heiße Eisen‘ unbehandelt bleiben werden, muss ihr ein struktureller Quantensprung gelingen. Ob die Synodalität für die Kirche von heute wirklich ein zukunftsweisendes Konzept werden kann, entscheidet sich daran, ob sie im Stande ist, die Ungleichzeitigkeit ortskirchlicher Prozesse in einem gesamtkirchlichen Strukturprinzip zu bündeln.
Angesichts des durch den Synodalen Weg gestarteten Reformprozesses in Deutschland könnte ein Scheitern der Weltsynode an dieser Herausforderung fatale Konsequenzen haben. Die Kombination aus steigenden Kirchenaustrittszahlen, demographischem Wandel und dem sinkenden innerkirchlichen Engagement insbesondere jüngerer Menschen verleihen der Debatte in Deutschland eine besondere Dringlichkeit.
Man muss es so drastisch formulieren: Wenn der Paradigmenwechsel in den kirchlichen Beteiligungsstrukturen nicht konsequent weitergeführt wird, so droht der verbliebene Rest zur ‚letzten Generation‘ zu werden. Der entscheidende Unterschied zur Klimabewegung ist allerdings, dass nicht die Austretenden die Institution blockieren, sondern das „Festkleben“ Alteingesessener an überkommenen Strukturen die eigentliche christliche Botschaft zunehmend überlagert. Spätestens dann aber wäre das Abdriften der Kirche in die gesellschaftliche Bedeutungslosigkeit ohnehin nicht mehr zu beklagen.
Der besonderen Dringlichkeit der Situation sind sich denn auch die deutschen Teilnehmenden an der Weltsynode bewusst. Im Schlussteil ihrer Erklärung zum offiziellen Arbeitsdokument der Weltsynode konstatieren sie: „Diese Themen sind drängend und können von einer synodalen Kirche nicht mehr sehr lange aufgeschoben werden.[6]
[1] Stefan Oster 2023, zitiert in: Christoph Brüwer, Oster zur Weltsynode: Unter Franziskus hat sich schon vieles verändert, 29. September 2023, online unter: https://katholisch.de/artikel/47297-oster-zur-weltsynode-unter-franziskus-hat-sich-schon-vieles-veraendert, letzter Zugriff: 02.10.2023.
[2] Kardinal Víctor Manuel Fernández 2023, zitiert in: katholisch.de, 02.10.2023, online unter: https://www.katholisch.de/artikel/47386-glaupenspraefekt-fernandez-daempft-erwartungen-an-weltsynode, letzter Zugriff: 02.10.2023.
[3] Vgl. die Dubia und die jeweiligen Antworten des Papstes im Original online unter: https://www.vatican.va/roman_curia/congregations/cfaith/documents/rc_con_cfaith_risposta-dubia-2023.pdf, letzter Zugriff: 02.10.2023.
[4] Georg Bätzing 2023, zitiert in: Stefanie Stahlhofen, DBK zu Weltbischofssynode: Niemand weiß wirklich, was da herauskommen wird, 27. September 2023, online unter:
https://www.vaticannews.va/de/kirche/news/2023-09/kirche-deutschland-bischofskonferenz-dbk-zu-welt-synode-vatikan.html, letzter Zugriff: 02.10.2023.
[5] Vgl. etwa James C. Davies 1962, Toward a Theory of Revolution, in: American Sociological Review 27 (1), 5-19, 6.
[6] Deutsche Bischofskonferenz 2022, Erklärung der deutschen Synodenteilnehmer, Pressemeldung Nr. 101, 20. Juni 2023, online unter: https://www.dbk.de/presse/aktuelles/meldung/instrumentum-laboris-zur-weltsynode-in-rom-veroeffentlicht, letzter Zugriff: 02.10.2023.
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Bild: Wolfgang Dirscherl / pixelio.de