Was man tun kann – in und jenseits der Kirche. Verena Schneider skizziert unter Rückgriff auf Matthias Quent sieben Ansätze, wie die Normalisierung rechtsextremer Positionen unterbunden werden kann.
In den vergangenen Monaten haben sich Negativ-Schlagzeilen zur AfD, zu Rechtsextremismus und gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit geradezu aneinandergereiht: Die neue Mitte-Studie[1], veröffentlicht am 21. September, konstatiert einen starken Anstieg rechtsextremer und menschenfeindlicher Einstellungen in der deutschen Bevölkerung. Am 14. September setzten CDU und FDP im Thüringer Landtag erstmals mithilfe der AfD ein Gesetz gegen die Stimmen der rot-rot-grünen Minderheitsregierung durch. Im Sommer entschied die AfD im Thüringischen Sonneberg erstmals eine Landratswahl für sich. Kurz darauf wurde in Raguhn-Jeßnitz (Sachsen-Anhalt) erstmals ein AfD-Politiker zum hauptamtlichen Bürgermeister gewählt.
Bundesweit scheinen sich mehr und mehr Menschen von AfD-Positionen angesprochen zu fühlen: Während das Institut für Demoskopie Allensbach im April 2023 erstmals Zustimmungswerte von über 15% für die AfD ermittelte, würden inzwischen sogar 19% der Befragten ihr Kreuzchen bei der selbsternannten „Alternative“ machen, wenn am kommenden Sonntag Bundestagswahl wäre. Damit wäre die AfD zweitstärkste Kraft – nach der Union mit 30% und knapp vor der SPD mit 18%.
die AfD wäre zweitstärkste Kraft
In seinem 2021 erschienenen Buch „Deutschland rechts außen“[2] beschreibt der Rechtsextremismusforscher Matthias Quent Ziele und Strategien der radikalen Rechten und benennt zugleich Maßnahmen, wie Staat und Zivilgesellschaft diesen Plänen effektiv entgegentreten können. Seine Analysen und Empfehlungen sind vor dem Hintergrund der aktuellen Entwicklungen hochrelevant. Daher sollen einige zentrale Ergebnisse hier kurz skizziert werden.
Zu den Wähler:innen der AfD, ihren soziodemografischen Merkmalen sowie möglichen Gründen für ihre Wahlentscheidung gibt es zahlreiche Untersuchungen. Sie entlarven den Mythos, Rechtsextremismus sei in erster Linie ein Problem der wirtschaftlich Benachteiligten, als unzutreffend. Eine deutlich stärkere Erklärungskraft als z.B. eine hohe Arbeitslosenrate in einer bestimmten Region hat der „NPD-Effekt“, den Christoph Richter und Lukas Bönsch in ihrer Analyse „Demokratieferne Räume“[3] zur Bundestagswahl 2017 beschreiben. Demnach schnitt die AfD in denjenigen Gegenden besonders gut ab, wo schon 2013 die NPD stark war. Dies ist explizit kein Effekt von Wähler:innenwanderung, denn die NPD-Ergebnisse wurden von denen der AfD abgezogen.
der NPD-Effekt
„Der Grund für den Zusammenhang ist das langsame Einsickern rechtsradikaler Ideologien in den Mainstream dort, wo sich die Gesellschaft nicht klar nach rechts außen abgrenzt“, schreibt Quent (2021: 166-167). „Offenheit gegenüber rechtsradikalen Akteuren führt zur Verrohung der politischen Kultur. […] Eine Verankerung und Normalisierung des offenen Rechtsradikalismus vor Ort schafft nachhaltig ein politisches Klima, in dem die Menschen eher bereit sind, rechtsradikale Parteien zu unterstützen.“
„Einsickern rechtsradikaler Ideologien in den Mainstream“
Mittel und Strategien, um die Normalisierung rechtsextremer Positionen und gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit zu unterbinden, sind für Quent fortschrittliche Bewegungen, entschlossene zivilgesellschaftliche Gegenwehr sowie Widerspruch und Protest gegen jede Form von Ungleichwertigkeitsvorstellungen. Konkret wären sieben Maßnahmen sinnvoll:
Erstens: Eine Offensive des Rechtsstaats erfordert eine demokratische Polizeikultur, den Willen, die radikalen Rechten zu stoppen, sowie die entsprechenden Mittel und das Know-How. Das Wissen über die jeweils aktuellen Strategien, Ideologien, Begriffe und Codes der Rechten ist unabdingbar, um deren Handlungsspielräume nachhaltig einschränken zu können.
Wissen über die jeweils aktuellen Strategien, Ideologien, Begriffe und Codes der Rechten
Zweitens: Hassverbrechen und vorurteilsgeleitete Gewalt müssen besonders verfolgt werden. Sensibilität gegenüber Diskriminierung, Abschreckung von potenziellen Tätern und solidarische Zeichen seitens der Gesellschaft sind essentiell.
Drittens: Die politische Bildung in und außerhalb von Schulen sollte ausgebaut und erweitert werden, um bei der Aufklärung über Strategien, Mechanismen und Folgen von Rechtsextremismus auch Menschen jenseits des Bildungsbürgertums zu erreichen.
Viertens: Der Rechtsstaat sollte mehr finanzielle Mittel für (nichtrechte) Jugend- und Kulturarbeit im ländlichen Raum bereitstellen. Dadurch kann sichergestellt werden, dass rechte Akteur:innen nirgends die einzigen sind, die jungen Menschen „soziale Angebote“ machen.
Fünftens: Gesellschaft und Politik sollten sich produktiv mit vorhandenen Missständen auseinandersetzen. Ein falsch verstandenes Harmonie-Ideal kann verhindern, dass Konflikte ausgetragen werden – diese sind allerdings ist essentiell für eine widerstandsfähige politische Kultur. Eine Auseinandersetzung zu verschleppen, verfestigt und verstärkt womöglich sogar vorhandene Problemlagen. Demokrat:innen sollten also offen miteinander über kontroverse Themen streiten und zugleich gemeinsam jede Form von Menschenfeindlichkeit entschieden ablehnen.
Unterstützung für Menschen, die sich dem Druck von rechts außen stellen
Sechstens: Engagierte Menschen, die sich gegen den Druck von rechts außen stellen, brauchen mehr Unterstützung durch Gesellschaft und Politik, vor allem außerhalb der großen Städte und auch gerade in Ostdeutschland, wo die Bedrohung durch rechte Gewalt besonders groß ist. Hierzu passt die im Buch beschriebene Initiative des Bloggers Stefan Krabbes, der unter dem Hashtag #DerAndereOsten Menschen sichtbar macht, die trotz schwieriger Bedingungen und hohem Druck rechten Tendenzen entgegentreten.
nicht in die Themen und Argumentationsmuster der Rechten drängen zu lassen, sondern eigene, optimistische Positionen stark machen
Siebtens: Rechtsradikale Akteur:innen müssen in der Öffentlichkeit isoliert werden. Nur eindeutige Abgrenzung gegenüber und Verurteilung von rechten Positionen können dazu beitragen, einen Teil derjenigen, die mit radikalen Rechten sympathisieren, wieder für die Demokratie zu gewinnen. Hierfür sind klare und unmissverständliche Positionierungen erforderlich. Antisemitismus, Rassismus, Nationalismus und auch Organisationen, die diese Ideologien vertreten, müssen beim Namen genannt werden. Zentral ist dabei, sich nicht in die Themen und Argumentationsmuster der Rechten drängen zu lassen, auf deren Propaganda und Begriffe nicht einzugehen und sie vor allem nicht weiterzuverbreiten – auch dann nicht, wenn man sich explizit davon distanzieren möchte. Denn auch das führt zu Gewöhnungseffekten und lässt letztlich die extreme Rechte die Agenda setzen. Stattdessen sollten Demokrat:innen eigene, optimistische Positionen und Anliegen stark machen, z.B. Europa, Umweltschutz oder soziale Gerechtigkeit, und positive Werte wie Offenheit, Toleranz, Freiheit, Solidarität und Gleichberechtigung offensiv vertreten. Eigene Zukunftsthemen zu setzen, mit denen Menschen sich identifizieren können, hebelt zugleich mediale Provokationsdynamiken aus.
Kirche im Einsatz gegen Rechtsaußen
Kirchliche Bildungs- und Jugendarbeit, Gemeinden und Schulen sind gut geeignet, um die Angebote der politischen Bildung sowie staatlichen Sozialarbeit zu unterstützen und zu ergänzen. Gerade im ländlichen Raum können Kirchen Gelegenheitsstrukturen für Begegnungen schaffen und jungen Menschen attraktive Möglichkeiten der Freizeitgestaltung anbieten. Darüber hinaus können sich Kirchengemeinden vor allem bei den letzten beiden hier genannten Punkten – als Teil einer starken Zivilgesellschaft – gut einbringen und beteiligen.
Beispiele, wo dies bereits geschieht und wo Kirchen sich erfolgreich gemeinsam mit Gewerkschaften, Vereinen, Verbänden, Schulen, Parteien, zivilgesellschaftlichen Initiativen und vermehrt auch Unternehmen gegen Rechtsradikalismus einsetzen, sind vielerorts zu finden. Für kirchliche Mitarbeitende anderer Regionen, die ihr Engagement ausweiten möchten, wäre denkbar, Kontakt zu engagierten Kolleg:innen aufzunehmen, sich über die jeweilige Situation vor Ort auszutauschen und von gelungenen und positiven Erfahrungen im Einsatz gegen Rechtsaußen zu profitieren.
Dr. Verena Schneider ist wissenschaftliche Mitarbeiterin in der Abteilung für Religions- und Kirchensoziologie an der Theologischen Fakultät der Universität Leipzig. Sie beschäftigt sich im Rahmen verschiedener Forschungsprojekte u.a. mit Populismus, Radikalisierungs- und Co-Radikalisierungsprozessen sowie mit dem Zusammenhang zwischen Religiosität und Vorurteilen. Aktuell ist sie in den Projekten „Radikaler Islam versus radikaler Anti-Islam“ (RIRA) und „Wissensnetzwerk Rechtsextremismusforschung“ (Wi-REX) beschäftigt, die durch das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) gefördert werden.
Bild: Francesco Luca Labianca / unsplash.com
[1] Zick, Andreas; Küpper, Beate; Mokros, Niko: Die distanzierte Mitte. Rechtsextreme und demokratiegefährdende Einstellungen in Deutschland 2022/23, Bonn, J.H.W. Dietz Nachf. 2023.
[2] Quent, Matthias: Deutschland rechts außen. Wie die Rechten nach der Macht greifen und wie wir sie stoppen können, München, Piper 2021.
[3] Richter, Christoph; Bösch, Lukas: Demokratieferne Räume? Wahrkreisanalyse zur Bundestagswahl 2017, Institut für Demokratie und Zivilgesellschaft 2017. Online verfügbar unter https://www.idz-jena.de/fileadmin/user_upload/Demokratieferne_Raeume_AfD_Bundestagswahl_2017.pdf