Wenn es um Texte geht, ist Partizipation eine Frage der Sprache. Das gilt auch für Heilige Texte. Im Stuttgarter Bibelwerk entstehen deswegen barrierefreie Bibelübersetzungen. Lara Mayer gibt Einblicke in diese Werkstatt.
Einmal kommt auf der Erde ein Tag.
Das ist der letzte Tag auf der Erde.
An diesem letzten Tag steht das Haus von Gott wie ein Berg.
So klingt Micha 4,1, nach der Erstübertragung in Leichte Sprache. Doch ist das noch lange nicht die Endversion, denn der Text durchläuft nun verschiedene Prüfprozesse. Zuerst wird diese Erstübertragung an eine Prüfgruppe geschickt. Die Prüfgruppe besteht aus Menschen mit kognitiven Einschränkungen. Sie geben Rückmeldung, ob der Text so für sie verständlich ist – denn das ist der entscheidende Punkt, um den es einer Bibel in Leichter Sprache geht.
Zur Übertragung von Micha 4,1 hat die Prüfgruppe zwei Fragen und eine Anregung: „Was ist der letzte Tag? Ist das der Todestag?“ und: „Ist das Haus von Gott der Himmel? Dann sollte da auch Himmel stehen.“
Nachdem die Rückmeldungen der Prüfgruppe eingegangen sind, wird der Text von Exeget:innen theologisch geprüft und die wichtigen Verständnisfragen beantwortet: „Vielleicht könnte man statt des letzten Tages auf der Erde auch Ende der Welt sagen?“ Und zum Haus von Gott: „Nein, Himmel passt hier nicht. Das Bild des Berges ist wichtig und muss bleiben. Könnte man statt Haus von Gott nicht auch ‚Tempel‘ schreiben?“
Der Text wird nun mit den Kommentaren an die Person zurückgeschickt, die die Erstübertragung angefertigt hat. Nach der Einarbeitung der Rückmeldungen sieht der Text nun so aus:
Eines Tages wird etwas Groß-artiges geschehen.
Das Groß-artige geschieht am Ende der Welt.
Das Haus für Gott steht auf einem hohen Berg.
Der Berg ist fest und stabil.
Auch das Haus für Gott ist fest und stabil.
Der Berg mit dem Haus für Gott ist der höchste von allen Bergen.
Diese Version wird nun nochmals von einer Mitarbeiterin des Caritas-Pirckheimer-Hauses in Nürnberg, die das Downsyndrom hat, auf Verständlichkeit geprüft. Ist der Text dann fertig, wird ein Bild dazu angefertigt, damit das Sprachverständnis zusätzlich durch eine bildliche Umsetzung gestützt wird.
Wofür ist „Leichte Sprache“ gut?
Beim Thema Barrierefreiheit denken die meisten Menschen an Rampen für Menschen im Rollstuhl, an Brailleschrift oder an Gebärdensprache. Doch bereits unsere alltägliche Sprache stellt für viele Menschen eine Barriere dar, wenn sie z.B. nicht gut Deutsch sprechen oder kognitive Einschränkungen haben. Für diese Menschen ist Leichte Sprache wichtig.
Leichte Sprache ist ein Konzept, das aus der Praxis heraus von und für Menschen mit kognitiven Einschränkungen entwickelt wurde. Die Hauptmerkmale von Leichter Sprache sind einfache, klare Sätze und ein übersichtliches Schriftbild. Ziel ist es, dass alle die Texte ohne Hilfe von anderen verstehen können.
Folgende Regeln tragen dazu bei:
- kurze Wörter, kurze Sätze
- Trennen von langen Wörtern, z.B. durch Trennungsstrich
- gleiche Wörter für gleiche Dinge benutzen
- keine Fremdwörter und Fachbegriffe
- keine Kindersprache
- Passiv vermeiden
- positive Formulierungen – Verneinungen möglichst vermeiden
- Verben verwenden – keine Substantivierungen
- keine Abkürzungen
Leichte Sprache hilft dabei, dass alle Menschen, unabhängig von ihren kognitiven und sprachlichen Voraussetzungen, an der Gesellschaft teilhaben können. In der UN-Behindertenrechtskonvention, die 2006 verabschiedet und 2009 in Deutschland ratifiziert wurde, ist diese Teilhabe am öffentlichen Leben sogar rechtlich geregelt. Hier heißt es in Artikel 21 (in Leichter Sprache):
„Menschen mit Behinderung bekommen alle wichtigen Informationen.
So kann jeder alles wissen, was für ihn wichtig ist.
Die Informationen müssen zugänglich sein.
Die Informationen müssen so sein,
dass Menschen mit Behinderung die Informationen verstehen können.
Zum Beispiel muss es Informationen in Blinden-Schrift
oder in Leichter Sprache geben.“
Die Themen Teilhabe, Barrierefreiheit und Inklusion spielen auch in der Kirche eine immer wichtigere Rolle. Biblische Texte in Leichter Sprache leisten hierfür einen wichtigen Beitrag.
Eine Idee wird Wirklichkeit…
Bereits im Jahr 2013 startete das Projekt „Evangelium in Leichter Sprache“, bei dem die Evangelien der Sonn- und Feiertage in Leichte Sprache übertragen wurden. Das Projekt wurde geleitet von Sr. Paulis Mels, einer Franziskanerin aus Thuine, die als Schulleiterin einer Schule für Kinder mit Lernschwierigkeiten schon seit langem biblische Texte in Leichte Sprache überträgt, zusammen mit Claudio Ettl vom Caritas-Pirckheimer-Haus in Nürnberg und Dieter Bauer vom Katholischen Bibelwerk e.V. Mittlerweile sind alle Evangelien der Sonn- und Feiertage in Leichter Sprache sowohl auf der Homepage www.evangelium-in-leichter-sprache.de zugänglich als auch in Buchform erhältlich.
Auch das Nachfolgeprojekt „Das Alte Testament in Leichter Sprache“ wird in einem Projektteam erarbeitet. Innerhalb von drei Jahren entsteht im Rahmen dieses Projekts eine Auswahl an Texten aus dem Alten Testament in Leichter Sprache. Die Kooperation der bisherigen Projektträger wird fortgeführt und ergänzt durch eine Gruppe Ehrenamtlicher aus ganz Deutschland, die Erstübertragungen von Texten in Leichter Sprache erarbeiten. Die zu übertragenden Texte werden im Team verteilt. Die einzelnen Übertragungen werden dann von den anderen Teammitgliedern kommentiert, bevor sie die oben genannten Prüfprozesse durchlaufen. Alle drei Monate trifft sich das Team digital, um Fragen zu klären. So kam z.B. bei einem Treffen die knifflige und komplexe Frage auf, wie man eigentlich „Opfer“ in Leichter Sprache ausdrücken kann. Trifft „Geschenk“ die theologische Bedeutung korrekt? Die Gruppe diskutiert darüber. Sowohl Menschen, die im bibelwissenschaftlichen Bereich tätig sind als auch Menschen, die in der Praxis mit Menschen mit Behinderung arbeiten, sind Teil des Teams und bringen ihre Sichtweisen ein. Beim Opfer-Begriff ist sich die Gruppe schnell einig: Er ist so zentral für das Alte Testament, dass er in den Texten stehen bleiben sollte. Doch er muss erklärt werden. Zwei Teammitglieder übernehmen die Aufgabe, gemeinsam eine Erklärung zu „Opfer“ in Leichter Sprache anzufertigen.
Eine eindeutige Sprache für nicht immer eindeutige Texte
Leichte Sprache ist eine sehr klare, eindeutige Sprache – das muss sie sein, damit sie verständlich ist. Biblische Texte sind jedoch nicht klar und eindeutig – das können sie auch nicht sein, denn sie versuchen, etwas eigentlich nicht Fassbares in Sprache zu fassen. Wie kann das also zusammen gehen? Wie kann ein biblischer Text in Leichter Sprache auch theologisch verantwortet sein? Diese Balance zu finden, gehört zu den größten Herausforderungen bei der Übertragung biblischer Texte in Leichte Sprache. Oft müssen die Texte stark verändert werden: Es werden Aspekte weggelassen oder Dinge ergänzt, die zum Verständnis wichtig sind. Manche Begriffe werden durch leichtere ersetzt. Ist das dann wirklich noch der Bibeltext?
Bibeltexte in Leichte Sprache zu übertragen, darf niemals leichtfertig geschehen. Schon diejenigen, die die Erstübertragung des Textes anfertigen, beschäftigen sich zuvor intensiv mit dem Text und der Frage nach seinem theologischen Aussagegehalt und analysieren die wichtigen Aspekte – bevor, wie oben beschrieben, im Erstübertragungsteam diskutiert wird, ob der Text für die Zielgruppe passt und theologisch verantwortet ist. Die Stufen, die der Text durchläuft, gewährleisten die Qualität des Bibeltexts in Leichter Sprache.
Das Übertragen von Bibeltexten in Leichte Sprache bietet viele Chancen – und das nicht nur für Menschen der primären Zielgruppe, denen damit ein eigenständiger Zugang zur Bibel ermöglicht wird. Es profitieren auch die, die die Texte erarbeiten: Die intensive Auseinandersetzung mit einer Perikope führt oft zu einer anderen und neuen Sichtweise – auch für bibelwissenschaftlich „alte Hasen“. Und auch Menschen, die nicht zur primären Zielgruppe gehören, haben die Chance, den Bibeltext noch einmal ganz neu wahrzunehmen. Es lohnt sich also, einen Bibeltext in Leichte Sprache zu übertragen – und ihn in Leichter Sprache zu lesen.
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Lara Mayer ist beim Katholischen Bibelwerk e.V. für das Projekt „AT in Leichter Sprache“ zuständig. Daneben arbeitet sie als wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl für Exegese des Alten Testaments an der Theologischen Fakultät Trier und promoviert dort zum Buch Ester.