Mutterschaft als Höhepunkt des Frau-Seins? Eine theologisch-feministische Kritik von Maren Bienert und Sarah Jäger.
Die Frau im Profil, in ihrem Arm ein neugeborenes Baby – Weichzeichner, Pastellfarben… dem Kind zugewandt, glücklich, zufrieden, am Ziel ihrer Träume und Wünsche. So sieht das Bild der Mutter häufig aus, das uns in der kommerziellen Werbung ebenso wie in Sozialen Medien begegnet. Kaum eine gesellschaftliche Rolle erfreut sich so großer und anhaltender Beachtung wie die der Mutter, zumindest, wenn es um Erwartungshaltungen und Vorstellungen vom Richtigen und Guten geht. Vieles scheint selbstverständlich, ist es in der Wirklichkeit aber keineswegs. Mütterliche Lebensführung jenseits von Raben- oder Helikopterexistenz als negative Abgrenzungsfolie markiert grob die mehrheitlich gesellschaftlich vorgegebene Zielrichtung. Jedenfalls mangelt es nicht an wirkmächtigen Bildern, Narrativen und eingeübten Praktiken, die dafür sorgen, dass die Gestaltung von Mutterschaft einlädt zu dauernden Fremd- und Selbstbewertungen, die von (ambivalenten) Lobeshymnen bis zu allerlei Marginalisierungen reichen.
jenseits von Raben- oder Helikopterexistenz
Vieles ist in der Forschung zu Mutterschaft in Bewegung gekommen im vergangenen halben Jahrhundert. Das hat auch Bedeutung für das theologische Nachdenken über Mutterschaft. Zugleich hat sich in diesem Zeitraum das Spektrum der Deutungsmuster und mitlaufenden Annahmen in der Alltagswelt enorm erweitert. Erklärungen, die Frau- und Muttersein kaum zu unterscheiden und harte binäre Rollenvorgaben und Aufgabenteilungen nicht aufzugeben bereit sind, treten neben Versuche, durch Historisierung und Reflexion ebendiese Vorstellungen und Erwartungshaltungen aufzubrechen und festzuhalten, dass Elternschaft sich nicht in den Rollen von Vater und Mutter erschöpft.
Elternschaft erschöpft sich nicht in den Rollen von Vater und Mutter.
Im gesellschaftlichen Diskurs sind insbesondere Mutterbilder aus der Romantik bis heute wirksam. So rekonstruiert Sandra Busch in ihrer Studie u.a. eine „Sakralisierung der Mutter-Kind-Beziehung“[i] im Rahmen der romantischen Narrationen von Mutterschaft und Mütterlichkeit u.a. bei Friedrich Daniel Ernst Schleiermacher. „Das ‚Unendliche‘ zeigt sich dabei anschaulich in der Mutterliebe.“ Die Mutterliebe werde als „Grundlage und Vorbild für jene allgemeine Liebe“ aufgefasst.[ii] Der romantische „Kindheitsmythos“ erweise sich wiederum auch als folgenreich für das Mutterbild. Die Nähe von Mutter zu Kind wird, so zeigt Busch, gleich auf mehreren Ebenen aufgeladen: in Bezug auf Religion, Ästhetik, Geschichte und Natur, Anthropologie und Pädagogik.
Mutterbilder aus der Romantik – bis heute wirksam.
In diesen Würdigungen durch normative Aufladung (bzw. normative Aufladung durch romantisierte Würdigung) liegt eine Ambivalenz, die sich lebensweltlich in den Erwartungskulturen sowie in den Fremd- und Selbstbildern von Müttern niederschlägt und die auch heute nicht passé ist. Dazu gehört auch die Vorstellung einer Angeborenheit mütterlicher Sorge bei allen Frauen oder die Annahme, dass Frauen ein „natürliches Begehren“ nach Mutterschaft – eine Art „Mutterinstinkt“ – in sich tragen, was ebenfalls als spezifisch moderne Verdichtung von Zuschreibungen identifiziert werden kann.[iii]
Mutterinstinkt
Die Erwartungshaltung an Frauen, Mütter zu werden, darin das größte Glück und die höchste Erfüllung zu finden, lässt sich auch in der evangelischen Beratungsliteratur der 1950/60er-Jahre der BRD feststellen, was Mütterbilder bis in kirchliche Gegenwartskulturen prägt. Bei Hendrikus A. Vissers heißt es entsprechend: „Eine normale Frau ist zuerst Mutter und dann, vielleicht besser, dadurch Geliebte.“[iv]
Eine normale Frau ist zuerst Mutter.
Dieses Narrativ wird zumeist mit dem Anspruch verbunden, dass auch die Pflege und Versorgung des Babys und Kleinkindes vor allem bei der Mutter liegen solle – mit allen Möglichkeiten des schuldhaften Versagens. So konstatiert Theodor Bovet: „Das Kind erkältet sich nicht am Durchzug, sondern bei der kalten Mutter.“[v] Bilder und Metaphern wie diese dokumentieren die konzeptionelle Überfrachtung mütterlicher Sorge. Und auch wenn solche Vorstellungen auch damals schon keineswegs gesellschaftlich unumstritten waren und der „Mythos von der hingebungsvollen Mutter […] bröckelt“, gilt, dass das „überzogene Bild der guten – perfekten – Mutter […] für Frauen erdrückend sein kann“.[vi]
konzeptionelle Überfrachtung mütterlicher Sorge
Bis in unsere Gegenwart hinein wird über den Sinn (oder Unsinn) von Dekonstruktionen in Bezug auf Familie debattiert, etwa bei Ulrich Eibach, Systematischer Theologe aus Bonn, der „bestimmte[] Gendertheorien“ verurteilt, „in denen […] alle sozialen und viele grundlegend biologisch bedingte psychosoziale Lebensordnungen (z.B. Polarität der Geschlechter, Frau und Mann) nur noch als von Menschen selbst geschaffene und daher durch ihn auch veränderbare soziale Konstruktionen ausgegeben werden […].“[vii]
„Mutterliebe“ als entgrenzte Form des Zugewandtseins oder Erfundenheit der Mutterliebe?
Mutterschaft und Mütterlichkeit und besonders auch das Gefühl der „Mutterliebe“ als entgrenzte Form des Zugewandtseins reflektierte die geschlechterhistorische Forschung seit den späten 1970er-Jahren kritisch, u.a. durch Historisierung. Dies ging u.a. aus von den provokanten und zustimmend wie ablehnend diskutierten Thesen Élisabeth Badinters. Diese hatte energisch auf die Konstruiertheit, schärfer gesagt, auf die Erfundenheit der Mutterliebe hingewiesen.[viii] Dabei zeigt sich bis in unsere Gegenwart: „Unter Druck gesetzt fühlen und fühlten sich aber nicht nur Frauen, die keine Kinder haben wollten, sondern auch jene, die sich Kinder wünschen und leidenschaftlich gerne Mütter sind oder wären. Die reproduktiven Entscheidungen werden nie im luftleeren Raum, sondern stets vor dem Hintergrund gesellschaftlicher Erwartungen und sozialer Rollen gestellt und getroffen – und zwar eben insbesondere im Fall von Frauen.“[ix]
In der Theologie wäre eine wachsende Anzahl von Konzeptionen wünschenswert, deren Fokus weiter eingestellt ist als auf den heterosexuell-kernfamilialen ‚Normalfall‘.
Woran diese Theoriefiguren sich abarbeiten und worauf sie sich kritisch beziehen, lässt sich reichlich illustrieren. Einschlägige Statistiken zu Vereinbarkeitsthemen sind da besonders aufschlussreich: Aktuell sind es vor allem Fragen nach intersektionaler Reflexion, die dringlich sind. In der Theologie wäre eine wachsende Anzahl von Konzeptionen wünschenswert, deren Fokus weiter eingestellt ist als auf den heterosexuell-kernfamilialen ‚Normalfall‘. Dies nimmt die Orientierungshilfe zu Familie von 2013 auf (und ist dafür scharf kritisiert worden): „Dabei hat unser Bild von Familie in den letzten Jahren eine Erweiterung erfahren: Familie – das sind nach wie vor Eltern (ein Elternteil oder zwei) mit ihren leiblichen, Adoptiv- oder Pflegekindern, vielleicht erweitert um die Großelterngeneration. Familie, das sind aber auch die so genannten Patchwork-Familien, die durch Scheidung und Wiederverheiratung entstehen, das kinderlose Paar mit der hochaltrigen, pflegebedürftigen Mutter und das gleichgeschlechtliche Paar mit den Kindern aus einer ersten Beziehung. Die Menschen, die wir zur Familie zählen, leben nicht unbedingt gemeinsam unter einer Adresse – das heißt aber nicht, dass es nicht liebevolle Zuwendung, vielfältigen Austausch, Unterstützung, Hilfeleistung, Gespräche, kurz: familiales Zusammengehörigkeitsgefühl gibt.“[x]
Breit gedachte und intersektional anschlussfähige Familienvorstellungen.
An solche Familienvorstellungen, die breit gedacht und intersektional anschlussfähig sind, gilt es anzuknüpfen und weitergehend zu untersuchen, welche theologischen Grundannahmen sich in bestimmte einengende Vorstellungen von Mutterschaft und Mütterlichkeit übersetzen. Zu denken ist hier an Gottesbilder ebenso wie an klassische Sündenkonzeptionen, welche die Rolle der demütigen und opferbereiten Mutter festschreiben. Hier kann feministische Theologie zwei wichtige Spuren legen: Ansätze der Care-Ethik betonen die grundlegende Abhängigkeit des Menschen von anderen und ihrer Fürsorge nicht nur am Anfang des Lebens und entgrenzen diese Sorge von ihrer Engführung als mütterliche Aufgabe, indem sie die gesellschaftliche Relevanz von Care-Arbeit aufzeigen. Zugleich treten feministische Theologieansätze für ein Leben in Fülle für alle und ‚menschliches Blühen‘ ein – dies gilt es für Fragen nach Mütterlichkeit, Väterlichkeit – kurz: nach Sorge füreinander – theologisch weiterzuentwickeln.
Freiheit bedeutet auch: Veränderbarkeit von gesellschaftlichen Strukturen hin zum Lebensdienlichen.
Wenn es in der Theologie um ein Nachdenken über diese Fülle und über Freiheit als Zentralbotschaft des Evangeliums geht, dann lässt sich hier für das hochpolitische Feld der Mutterschaft in theologischer Reflexion festhalten: „Freiheit bedeutet […] gerade die Möglichkeit (oder Fähigkeit), über das bereits Gedachte und für möglich Gehaltene hinauszugehen, sich ‚hinauszulehnen‘ aus der gegebenen Realität (Luisa Muraro).“[xi] Diese Form der Freiheit zeigt ein Doppeltes: Sie markiert die Hoffnungshorizonte der Veränderbarkeit von gesellschaftlichen Strukturen hin zum Lebensdienlichen. Und sie zeigt zugleich auf, welcher Umgang mit der vorfindlichen Lebensrealität in solidarischen Räumen des Miteinanders schon jetzt möglich ist.
Maren Bienert ist Professorin für Systematische Theologie an der Stiftung Universität Hildesheim.
Sarah Jäger ist Juniorprofessorin für Systematische Theologie/Ethik an der Fridrich-Schiller-Universität Jena.
Foto: Anne Günther, Universität Jena
[i] Sandra Busch: Mütter der Romantik – Romantik der Mütter: Über Kontinuitäten romantischer Mutterbilder im 20. Jahrhundert, Bielefeld 2022 (= Pädagogik: Perspektiven und Theorien Bd. 33), S. 140.
[ii] A. a. O., S. 118.
[iii] Vgl. Barbara Bleisch/Andrea Büchler: Kinder wollen. Über Autonomie und Verantwortung, München 2020, S. 66.
[iv] Hendrikus A. Visser: Der Ring um Mann und Frau, Berlin 31956, S. 90.
[v] Theodor Bovet: Ehekunde. Die jüngste Wissenschaft von der ältesten Lebensordnung. Ein Grundriß für Ärzte, Seelsorger, Eheberater und denkende Eheleute, I. Allgemeiner Teil, Tübingen 21961, S. 117.
[vi] Bleisch/Büchler: Kinder wollen (wie Anm. 3), S. 68.
[vii] Ulrich Eibach: Ethische Normativität des Faktischen? Kritische Stellungnahme zur Orientierungshilfe der EKD „Zwischen Autonomie und Angewiesenheit: Familie als verlässliche Gemeinschaft stärken“, in: epd-Dokumentation Nr.30/2013, S. 35–43, S. 40f.
[viii] Vgl. Busch: Mütter der Romantik (wie Anm. 1), S. 25; Badinters Thesen sind nachzulesen in ihrer Studie: Die Mutterliebe. Geschichte eines Gefühls vom 17. Jahrhundert bis heute, München 31987.
[ix] Bleisch/Bühler: Kinder wollen, S. 69.
[x] Zwischen Autonomie und Angewiesenheit. Familie als verlässliche Gemeinschaft stärken. Eine Orientierungshilfe des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Gütersloh 2013, S. 22.
[xi] Ursula Knecht u.a.: ABC des guten Lebens, Darmstadt 32015, S. 65.
Beitragsbild: Anuja Tilj, unsplash.com