In diesen Tagen feiern Juden und Jüdinnen das Fest Chanukka. Rabbi Daniel Fabian erläutert die Hintergründe dieser Festzeit und zeigt, warum es nicht nur ein Fest des Lichts ist, sondern auch ein Fest der Bildung und des Studiums.
Man kann durchaus die Meinung vertreten, jüdische und christliche Feiertage seien einander ähnlich oder teilten zumindest ihren Ursprung. Dies trifft ganz besonders auf das Lichterfest Chanukka zu, welches traditionell in die Weihnachtszeit fällt. Eine Gemeinsamkeit ist wohl das Bestreben, in der dunklen Jahreszeit, wo die Tage kürzer und die Nächte länger sind, die Dunkelheit mit Licht symbolisch zu vertreiben und dadurch die Herzen mit Hoffnung zu füllen. Eine genauere Betrachtung offenbart jedoch auch wesentliche Unterschiede. Chanukka hat einen historischen Hintergrund, der auf den ersten Blick alles andere als herzerwärmend romantisch daherkommt.
Historischer Hintergrund
Seit der Eroberung durch Alexander den Großen befand sich das Heilige Land unter hellenistisch-griechischer Herrschaft: Auf die ägyptischen Ptolemäer folgten im zweiten Jahrhundert v.d.Z., in welchem die Chanukkageschichte sich ereignete, die Seleukiden unter der Herrschaft von Antiochus IV. Ganz im Sinne der Vereinheitlichung von Gesinnung und um die Hellenisierung voranzutreiben, wurde der Tempel der Juden in Jerusalem mit einer Zeus-Statue entweiht und es wurden viele jüdische rituelle Handlungen und Praktiken verboten. Untersagt waren unter anderem die Beschneidung männlicher Nachkommen (Vereinheitlichung des Körpers) sowie das Recht auf die Bestimmung des Monatsanfangs Rōʾš ḥōd̲eš, nach dem sich normalerweise auch die Daten der anderen Feiertage festlegten (Vereinheitlichung des Kalenders). Als die Zustände unhaltbar wurden und das Praktizieren des jüdischen Glaubens unmöglich wurde, revoltierte eine Gruppe jüdischer Einwohner unter der Führung des Priesters Mattatias und seiner Unterstützer, den Makkabäern. Im folgenden Guerillakrieg besiegten die wenigen jüdischen Soldaten den übermächtigen Feind und drängten die Herrschaft der Hellenisten zurück.
Zwei Chanukkawunder
Dies wird als eines von zwei Chanukkawundern interpretiert, welches sogar Erwähnung in der Feiertagsliturgie findet. Das zweite, und wohl bekanntere Wunder handelt von einem einsamen Ölkännchen. Nachdem der militärische Sieg den Zugang zum geschändeten Tempel ermöglichte, fand man für das Entzünden des siebenarmigen Leuchters (der Mənôrāh) nur ein Ölkännchen mit dem intakten Siegel des Hohepriesters. Nachdem man damit die Mənôrāh entzündete, brannte diese statt einen Tag ganze acht Tage; genug Zeit, um neues reines Öl zu beschaffen.
Bedrohung erzwungener Assimilation
Doch zurück zum Anfang. Um die Assimilation der jüdischen Bevölkerung zu erreichen, wurden alle Register gezogen: erzwungene Anpassung der Bräuche an die Mehrheitsgesellschaft, Verbote ritueller Praxis, Unterwanderung der Moral durch Schändung von Heiligtümern und Kompromittieren der Heiligkeit der Ehe, wie in der Judithlegende beschrieben. Die Makkabäerrevolte war keine vorwiegend militärische Auseinandersetzung, obwohl auch die physische Befreiung eine große Rolle spielte. Es war ein Kampf der Kulturen. Wie begegnen Juden der Gefahr der Assimilation, der Hellenisierung und der Gefahr, dass der eigene Glaube in die Bedeutungslosigkeit verschwinden könnte?
Auf die Antwort zu dieser Frage verweist ein weiterer Chanukkabrauch. Neben dem öffentlichen Chanukkaleuchterzünden gibt es noch eine weitere, viel weniger bekannte Chanukkatradition: das Dreidelspiel. Dreidel ist jiddish für einen kleinen, viereckigen Kreisel, auf dem die hebräischen Buchstaben נ (Nûn), ג (Gîmēl), ה (Hēʾ) und ש (Šîn) dargestellt sind. Es ist ein kindergerechtes Glücksspiel, bei dem man z.B. Süßigkeiten gewinnen kann. Interessant ist hier der Ursprung. Der Legende nach umgingen die Juden das Verbot des Thorastudiums, indem sie sich in Höhlen zurückzogen, um dort heimlich zu lernen. In der Zwischenzeit sollten die Kinder vor den Eingängen der Höhlen Dreidel spielen, um die Erwachsenen im Inneren warnen zu können, sollten sich griechische Truppen nähern.
Assimilation begegnen Juden mit Bildung. Die Verbindung zu den Schriften vereint Juden und Jüdinnen und füllt das Leben mit Bedeutung. Die Übersetzung des Wortes Chanukka lautet zwar „Einweihung“ – nach dem Öl-Wunder wurde der Tempel erneut geweiht, der Šōreš (die hebräische Stammwurzel) von „Chanukka“ ist aber Ḥêt̲-Nûn-K̲ap̲: „Erziehung, Bildung“. Es wurde damals nicht nur der Tempel wieder geweiht, sondern auch die Hingabe zum Studium der heiligen Schriften erneuert, und damit die innere Stärke, um der Assimilation zu widerstehen. In den Worten des verstorbenen britischen Oberrabbiners Sacks: „Um ein Land zu verteidigen, bedarf es einer Armee; um eine Zivilisation zu verteidigen, bedarf es der Bildung und Erziehung“. Sie prägt die Moral, die Sitte und den Anstand.
Das Licht der Verbindung mit der eignen Tradition
Der achte und letzte Tag von Chanukka hat einen besonderen Namen: Zōʾt̲ ḥănukkah. Interessanter als der Ursprung des Namens, nämlich die Anfangsworte des Thoraabschnitts, der an diesem Tag in Synagogen gelesen wird, ist die Übersetzung: „DAS ist Chanukka.“ Der letzte Tag von Chanukka – das ist der Höhepunkt der Festzeit. Dies jedoch nicht, weil der Leuchter nun mit acht Kerzen vollständig brennt. Sicherlich, ein schönes Symbol, wenn es darum geht, die Finsternis durch das Licht des geistlichen Lebens zu ersetzen. Aber am achten Tag ist Chanukka doch quasi vorbei. Was bleibt noch, wenn die Kerzen heruntergebrannt sind? Die Antwort lautet: alles, was durch Erziehung und Lernen verinnerlicht und vermittelt wurde. Die neu entzündete Verbundenheit mit der eigenen Tradition und ihren Werten begleitet und bewahrt einen in der Dunkelheit und erfüllt den Menschen mit Licht.
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Bildnachweise:
Beitragsbild – Chanukkaleuchter: unsplash (Gary Sankary)
Dreidel: pexels (cottonbro studio)
Daniel Fabian hat Biologie studiert und das Orthodoxe Rabbiner-Seminar zu Berlin absolviert. Er ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Katholische Theologie der HU Berlin und Landesrabbiner für Sachsen-Anhalt.