Die Leiterin der Katholischen Hochschulgemeinde in Nürnberg, Monika Tremel über Hochschulpastoral zwischen innerkirchlichen Zuschreibungen und gesellschaftlichen Veränderungen an den Hochschulen
27 goldene Koffer gefüllt mit Scherben. An jedem hängt ein Namensschild in hebräischer Schrift. Neben den Koffern ein schwarzer Rucksack und darin die Bilder der drei Nürnberger Opfer des NSU. Die Koffer und der Rucksack stehen in der Aula der wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät der Uni in Nürnberg. Studierende gehen vorüber. Sie werden gebeten, die Koffer durch die Aula zu tragen. Während sie diese vom Boden aufheben, hört man das Klirren der Scherben. In den Vorlesungspausen tragen Studierende der Musikhochschule Lieder von Bertolt Brecht und Georg Kreisler vor. Im Gang fünfzehn Meter weiter werden die Texte von Autorinnen und Autoren, die die Nazis verboten haben, gelesen: Erich Kästner, Kurt Tucholsky, Bertolt Brecht, Nelly Sachs, Mascha Kaléko, Erich Mühsam und Oskar Maria Graf. Es ist der 9. November 2014.
Geschichte, die zu Bruch ging
Der NSU-Prozess ist seit eineinhalb Jahren im Gange. Die Koffer mit den Scherben erinnern an die Nürnberger Jüdinnen und Juden, die am 9.11.1938 von den Nazis deportiert und ermordet wurden. Existenzen, die man ausgelöscht hat. Leben, das in Scherben liegt. Geschichte, die zu Bruch ging, und die Frage nach unserer Verantwortung heute. Dieses Projekt haben wir zusammen mit einer Kunststudentin aus dem Iran entwickelt …
Dezember 2014. Das Friedenslicht aus Bethlehem wird von Pfadfinderinnen und Pfadfindern in St. Lorenz in Nürnberg weitergegeben. Wir von evangelischer und katholischer Hochschulgemeinde nehmen es entgegen. Wir tragen es weiter an einen der Orte unserer pastoralen Tätigkeit: in die Universität. Dort laden wir ein, sich um das Licht zu versammeln und schweigend für den Frieden zu beten. Anschließend geben wir das Licht in der Universität weiter: an die Studierenden, die Lehrenden und die Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in der Verwaltung. Wir verbinden damit den Wunsch nach Segen, und einer besinnlichen Advents- und Weihnachtszeit.
Eine kamerunische Studentin kommt in die Beratung. Sie ist verzweifelt. Ihr Leben hat eine grauenvolle Wende genommen. Denn sie musste ihre fünfjährige Tochter beerdigen. Zu ihrer Trauer kommt die Sorge, dass sie nicht weiß, womit sie die Kosten der Beerdigung finanziert. Sie kann die Rechnung über mehrere tausend Euro nicht bezahlen. Sie weiß nicht, wie es weitergehen soll. Prüfungen stehen an. Sie muss lernen, aber die Trauer überlagert alles. Sie könnte sich befreien lassen, aber das würde das Studium in die Länge ziehen. Es würde nur mehr Kosten verursachen, die sie nicht stemmen kann. Sie hat eigentlich keine Kraft mehr, aber es muss weitergehen, wenn sie nicht ihre Aufenthaltsgenehmigung verlieren will …
Als Kirche an der Hochschule präsent
Drei exemplarische Situationen aus der Arbeit der KHG in Nürnberg. Drei von vielen ganz unterschiedlichen Erfahrungen, die zeigen, dass Hochschulgemeinden längst nicht mehr nur Orte sind, an denen religiös sozialisierte Studierende eine Heimat finden und ihren Glauben reflektieren können – so wichtig diese Aufgabe natürlich ist. Die Herausforderungen jedoch haben sich in den letzten Jahren stark verändert. Obgleich das religiöse Interesse groß ist, und die spirituellen Ansprüche hoch, zeigen die meisten Studierenden eine geringe Affinität zu den beiden etablierten Kirchen. Und obgleich die Hochschulpastoral innerkirchlich vor einem Legitimationsdruck steht, dem eigenen katholischen Milieu Rechnung zu tragen, und dabei vor allem katholische Studierende als zukünftige engagierte Gläubige im Blick zu behalten, ist dies als alleinige Aufgabenbeschreibung zu kurz gegriffen.
Das Arbeitsfeld der Hochschulpastoral besteht aus einem breiten Portfolio unterschiedlichster Tätigkeiten. Von liturgischen und spirituellen Angeboten, über Beratung und Begleitung, hin zu gesellschaftspolitischem Engagement, wie auch Networking im „Netzwerk Hochschule“, in Kirche und Politik. 1 Hochschulpastoral steht heute vor der Herausforderung, als Kirche an der Hochschule präsent zu sein. Das heißt, Kirche in einem säkularen akademischen Milieu zu sein, und diese Aufgabe qualitativ zu füllen. Sie steht im Spannungsfeld, die Entwicklungen und Trends zu erkennen, die sich an den Hochschulen zeigen, sowie die eigenen religiösen Traditionen in diesen Entwicklungen zur Sprache zu bringen und für Hochschulangehörige offen zu halten. Darüber hinaus sieht sich die Hochschulpastoral einer Vielzahl von religiösen Gruppierungen gegenüber, die im studentischen Milieu existieren.
Religiöse Neutralität wird mit religiöser Neutralisierung verwechselt.
Mit anderen Worten: sie ist herausgefordert, die kirchliche Komfortzone zu verlassen. Dies ist zuweilen nicht einfach und ist oftmals auch mit Schwierigkeiten und Ohnmächten verbunden, aber genau deshalb hat dieses Arbeitsfeld einen spezifischen Reiz. Denn es ist längst keine Selbstverständlichkeit mehr, dass Hochschulleitungen die Präsenz von Kirche an der Hochschule akzeptieren. Und wo diese mit der Frage nach Religion konfrontiert sind, weichen sie auf eine formal-administrative Ebene aus. Die akademisch-intellektuelle Auseinandersetzung bleibt an dieser Stelle vage. Was bisweilen dazu führt, dass der Bezug auf die sogenannte religiöse Neutralität oftmals mit religiöser Neutralisierung verwechselt wird.
Der Bologna-Prozess und die Einführung des Bachelor-Master-Systems haben zu einer beispiellosen Veränderung der Hochschullandschaft geführt, was sich auch in der Bereitschaft von Studierenden niederschlägt, sich über eine längere Zeit in der KHG zu engagieren. Heutige Studierende zeigen sich oftmals wenig bereit, über den eigenen Tellerrand zu blicken, sich anderen Fragen zuzuwenden als den Aufgaben, die das Studium an sie stellt.
Ein weiteres Kennzeichen ist die von politischer Seite gewollte Internationalisierung der Hochschulen, die sich in einer enormen Erhöhung der Zahl ausländischer Studierender zeigt. Das hat natürlich auch Auswirkungen auf die Arbeit und das Beratungsangebot der Hochschulgemeinden. Viele ausländische Studierende brauchen gezielte Unterstützung und Beratung, die die Hochschulpastoral leistet. Hochschulgemeinden tragen in nicht unerheblichem Maße bei zur Unterstützung und Integration dieser Studierenden, die auch ein erklärtes weltkirchliches Ziel ist.
Präsenz der Kirche in einer sich dynamisch urbanisierenden Gesellschaft
Diesen Dynamiken und gesellschaftlichen Herausforderungen an den Hochschulen steht die eher geringe Bedeutung gegenüber, die der Hochschulpastoral im Kanon der kirchlichen Aufgabenbereiche von vielen Verantwortlichen in den Bistümern beigemessen wird. 2 Dabei bringt die Hochschulpastoral durch ihre Arbeit in einem säkularen akademischen Milieu wichtige Erfahrungen ins Spiel, die für kirchliche Entwicklungsprozesse interessant sind. Vor allem im Hinblick auf die Frage, was es heißt, Kirche in einer sich dynamisch verändernden, säkularen und pluralen Gesellschaft zu sein. Indes, mit diesen Erfahrungen im Gepäck ist die Hochschulpastoral in jedem Fall ein Seismograph für die Kirche. Ihr Know how darf man nicht gering schätzen. Weder was innerkirchliche Entwicklungsprozesse betrifft, noch für die Präsenz der Kirche in einer sich dynamisch urbanisierenden Gesellschaft. 3
Text und Bild: Monika Tremel
- Hochschulpastoral als Dienst der Kirche am öffentlichen Leben Deutschlands. Status quo und Zukunftsperspektiven, hrsg. Vom Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz, Bonn 2013 (Die deutschen Bischöfe – Kommission für Wissenschaft und Kultur, Nr. 36) ↩
- Rölli, Lukas, Diakonische Präsenz. Hochschulpastoral als Dienst an der Gesellschaft, in: Wort und Antwort, 56. Jahrgang, Heft 1, 2015, S. 5-9. ↩
- Sander, Hans-Joachim, Eine sich dynamisch urbanisierende Bevölkerung und ein migrierender Gott. Theologische Relativierungspotentiale aus der globalen Verstädterung, in: Lebendiges Zeugnis, 71. Jahrgang, Heft 2, 2016, S. 94-103. ↩