Sie will sich nicht einstellen in diesem Jahr, die Leichtigkeit des Sommers. Auch der Fußball macht kein Märchen daraus. Exit überall. Naturgewalt oder Netzwerkproblem? Zu klein und eng gedacht? In Spots blickt Birgit Hoyer auf diesen Sommer und auf eine Unternehmensstiftung, die Freude am neu:wagen ins Zentrum ihres globalen Netzwerks stellt.
Zur Zeit des Brexit-Referendums in England: out, leave, democracy, das sind die Stimmen, die ich aus Gesprächen in den Tagen um die Entscheidung zum Brexit erinnere, und Hoffnungen, die damit verknüpft werden, auf echte, sichtbare, transparente Demokratie, auf nationale Identität und Stärke. Ein Landwirt, der sich als „organic“ vorstellt und mit dem Austritt regionale Märkte gestärkt sieht. Ohne die Zentralisierung in Brüssel denken Konsument_innen wieder darüber nach, woher ihre Lebensmittel kommen. Immer wieder Immigration, die „wir“ uns nicht leisten können. Europa ja, EU nein. Was hat die EU für meine Kinder getan? Vergiftungen, Verhärtungen und Spaltungen zwischen Generationen, Nord und Süd, Arm und Reich, Sicherheit und Terror, Wirtschaft und Bevölkerung, Schottland und England, London und dem Rest des Landes.
Zur Zeit der Bundespräsidentenwahl in Österreich: ein gespaltenes Land in Rechts und Links, Nationalismus und Globalisierung, Männer und Frauen, Bildung und Perspektivlosigkeit.
Zur Zeit in Spanien Regierungsbildung ohne Aussicht auf Erfolg, Frankreich in Protestwellen – und Austragungsland einer Fußballeuropameisterschaft, die die Themen der Welt nicht für Wochen ausblendet, nicht im Märchen verklärt.
Zur Zeit in einem Deutschland gespalten zwischen Grenzziehungen und hellem Engagement, „Wir schaffen das“ und populistischem Spiel mit der Angst, in dem wieder von Leitkultur gesprochen wird und von der Forderung, sich in diese zu integrieren, wenig gehaltvoll über das, was die Werte dieser Kultur sein könnten. Dabei gäbe es viel zu, um die Wirklichkeiten der Zeit unter dem Vorzeichen des zentralen christlichen Leitwerts, dem Gebot der Selbst- und Nächstenliebe zu interpretieren.
Ecclexit
Zur Zeit eine finanzstarke und resonanzschwache deutsche Kirche, gespalten zwischen Leitung und Personal, Auftrag und Realität, Papst und Kurie, Nachfolge und Organisation, Evangelium und Kapitalismus. Ausgestiegen aus der Weltverantwortung – unhörbar, ungehört, ohne Resonanz, kein Resonanzkörper für Menschenrechte, Gerechtigkeit, Demokratie, noch nicht einmal für die Angst? Wofür setzt Kirche ihre Ressourcen ein? Ecclexit – aus der christlichen Verantwortung für eine gerechtere Welt? Wie anders ließe sich erklären, dass es den christlichen Kirchen, Parteien, Gesellschaften nicht permanent die Schamesröte ins Gesicht treibt, wenn Menschen im Namen Christi ihrer Menschenverachtung ungeniert Ausdruck verleihen?
Spaltungen, in einem Sommer, in dem sich Europa gerne im Fußball vereint sähe, Sommer 2006 in Deutschland zum Mythos Märchen verklärt, Spaltungen, die dieser für die Fußballnation Deutschland mystische Sommer schon damals nur überstrich, nicht nur die in Deutschland, die Spaltungen der EU, zwischen dem italienischen Lampedusa und dem Rest Europas.
Bedürfnisse des wohlhabenden und nicht wohlhabenden Establishments
Wohin mit den Sehnsüchten und Bedürfnissen des wohlhabenden und des nicht wohlhabenden Establishments, mit der Herausforderung des nackten Überlebens in diesem Sommer? Wo sind die Visionen, die Energie, die Lust am Spiel mit den eigenen Kräften, die Beweglichkeit im Denken, der Mut zu Klarsichten? Spaltungen sind keine Erfindungen dieses Sommers, sie sind seit langem die Normalität postmoderner Modernen. Die Lösungen liegen nicht in der Führung einzelner Politiker, auch nicht des Papstes. Lösungen können nur in Kommunikationen und Netzwerken entstehen, die Brücken schlagen, Konflikte mit Worten austragen, Enttäuschungen wahrnehmen, weitsichtige Perspektiven entwickeln.
Wo wird miteinander gesprochen, wo sind die Kommunikationsforen, in denen Gerechtigkeit und Demokratie verhandelt werden, Nachhaltigkeit erdacht und getan wird, Hoffnung wächst? Wo wird geglaubt, an die Würde des Menschen, die Menschlichkeit? Wer wirft penetrant die einfache und so anspruchsvolle Vision und Mission des Christentums in die gesellschaftlichen Debatten? Wer beharrt gegen das Gebrüll nach Grenzzäunen und Mauern und einen als Schutz nationalen Volkstums nur dürftig versteckten Rassismus bohrend auf dem „Liebe deinen Nächsten wie dich selbst!“
Think big!
Nein, nicht selbstredend die Kirchen, nicht selbstverständlich die Länder des christlichen Abendlands. Unternehmen und deren Stiftungen? Wie wäre es mal, von denen zu lernen, die es anders machen, unternehmerische Prinzipen für gesellschaftlichen Wandel nutzen? Verantwortung unternehmen, nennt das Eberhard von Kuenheim, ehemals Vorstandsvorsitzender der BMW AG. Verantwortung unternehmen als Spiel des Sommers 2016, nicht märchenhaft verklärt, aber doch mit der Lust, groß zu denken von den eigenen Möglichkeiten und den Potentialen der Anderen.
Think big! Wie wär es mal, groß zu denken in diesen aufregenden neuen Zeit, die die Möglichkeit gibt, über die Spaltungen der Vergangenheit und der Gegenwart hinaus zu gelangen zu einer zukünftigen Gestalt von globalen Netzwerken, der Aushandlung tragfähiger Demokratien, neuer Spirits als Rückhalt für Visionen einer lebenswerten Welt. Think big! Mit einem großen Spiel im Sommers 2016 Spaltungen überbrücken. Think big! Großer, göttlicher Gedanke für alle, die über Gräben gehen wollen.
Text: Birgit Hoyer, Praktische Theologin und Geschäftsführerin des Lehrerbildungszentrums der Universität Erlangen-Nürnberg
Bild: privat