Regina Elsner über die Nihil-Obstat-Verfahren der katholischen Kirche: Ein Erfahrungsbericht.
Stellen Sie sich vor, man beruft Sie zur Professorin, aber ob Sie es jemals werden können, wissen Sie nicht, und wie lange es bis dahin dauern wird, wissen Sie auch nicht. Die Debatten um prekäre Beschäftigungsverhältnisse im deutschen akademischen System haben in den vergangenen Jahren Zeitungsspalten, Bücher und soziale Medien gefüllt. Ungerechte Anstellungsverhältnisse, verhinderte Karriere- und Familienplanungen, unwissenschaftliche „Besten“-Auslese, Machtmissbrauch, geschlechter- und herkunftsspezifische systemische Diskriminierung – all das sind massive Probleme unserer Wissenschaftswelt. Aber wenn man es einmal über all diese Hindernisse geschafft hat und die lang erarbeitete Professur angeboten bekommt – dann ist doch eigentlich alles geschafft?
13 Monate warten auf die Lehrerlaubnis
Zwischen meinem Ruf – also der Anerkennung meiner akademischen Qualifikation und inhaltlichen Passgenauigkeit für den ausgeschriebenen Lehrstuhl – und der Ernennung lagen genau 13 Monate. Die Reaktionen auf diese Tatsache reichen von „das ist ja doch recht schnell gegangen“ bis zu blankem Entsetzen. Die erste spiegelt den systemimmanenten Blick aus einem kirchlichen Umfeld, das an einem maßlosen Machtmissbrauch gewöhnt ist und kleinste Fortschritte zu schätzen weiß. Die zweite spiegelt schlicht den gesunden Menschenverstand eines nicht-kirchlichen akademischen Umfelds. Manchmal scheint mir, dass ich dem letzteren mein Überleben dieser 13 Monate verdanke.
Das Nihil-Obstat-Verfahren – der Prozess, eine amtskirchliche Lehrerlaubnis für Professor*innen der katholischen Theologie an einer (staatlichen) Universität zu erhalten – ist eines der am besten gehüteten Tabus des katholischen Machtsystems. Es ist der Ort, an dem missliebige Theologien aussortiert werden, hochqualifizierte Theolog*innen erpresst werden, Bischöfe ganze Fakultäten an staatlichen Universitäten lahmlegen können, Denunziation und Willkür blühen, und ein enges Netz an aufrichtiger Dankbarkeit, erzwungenen Schuldigkeiten und Abhängigkeiten dafür sorgen, dass niemand darüber spricht.
Eines der am besten gehüteten Tabus des katholischen Machtsystems
Natürlich wusste ich bei der Bewerbung, dass dieses Verfahren auf mich zukommt. Natürlich wusste ich, dass mit diesem Verfahren in der Vergangenheit namhafte Theolog*innen einen Lehrstuhl verweigert bekamen oder ihn verlassen mussten. Und dennoch machte mich das Ausmaß der missbräuchlichen Mechanismen in diesem akademischen Bereich, die ich in diesen 13 Monaten erlebte, fassungslos. Da das Schweigen eines der effektivsten Mittel ist, das Machtsystem zu stabilisieren, steht hier der Versuch, eine erste Einordnung zu formulieren.
Einsamkeit
Der Zusammenhang von Unrechtssystemen und der strategischen Vereinzelung der Menschen ist spätestens mit Hannah Arendt ein gut dargelegtes Phänomen. Im kirchlichen Nihil-Obstat-Verfahren spielen mehrere Faktoren eine Rolle. Die absolute Intransparenz der Entscheidungsprozesse – vom Ortsbischof über ein eigenes Gremium der Deutschen Bischofskonferenz bis zu den römischen Dikasterien für Bildung und für die Glaubenslehre – lassen einen (scheinbar) handlungsunfähig zurück. Ich hatte immer wieder nur sporadisches, teilweise widersprüchliches Wissen, wo genau mein Fall gerade lag, wer genau ihn verhandelte. An keiner Stelle hat jemand in dieser Kette das Gespräch mit mir gesucht. Man steht allein vor einem gesichtslosen System. Gleichzeitig ist es dieser Zustand, in dem einen Kolleg*innen ins Vertrauen ziehen und ihre Geschichten erzählen. Verhalten und bruchstückhaft kommen zutiefst erniedrigende Erfahrungen, Karrierebrüche, persönliche Dramen und Traumatisierungen zum Vorschein, die danach wieder geräuschlos im akademischen Alltag verschwinden. Gestandene Professor*innen erzählen Ereignisse, die häufig Jahrzehnte zurückliegen, und ihnen bis heute keine Ruhe lassen, die ihren Umgang mit der Kirche, mit Kolleg*innen und mit sich selbst prägen. Und von denen niemand weiß.
Kein Gespräch, ein gesichtsloses System
Das Erkennen der Einsamkeit dieser Erfahrungen hat mich genauso erschüttert, wie der fehlende Aufschrei gegen dieses zutiefst missbräuchliche System. Diese Gespräche waren wie ein kurzes Erkennungszeichen in einem Meer aus Schweigen. Systemimmanent scheint es vielleicht bereits das Maximum einer Solidarisierung. Für mich aber wuchs die Einsamkeit mit jedem dieser Gespräche durch den Eindruck, dass alle sehenden Auges hinnehmen, dass neue Kolleg*innen eben durch dieses System müssen, wie „wir alle“. Der Aufschrei, den es beim Scheitern von Verfahren – manchmal – gibt, wie in den Fällen Lintner oder Wucherpfennig, macht nur noch deutlicher, wie sehr die persönlichen Folgen des Prozesses davor, während des Wartens oder auch während der öffentlich unsichtbaren Lehrentzugsverfahren, unterschätzt werden. Das Ausgeliefert-Sein auf unbestimmte Zeit, die Zweifel an der eigenen Eignung, die permanente Selbstzensur, die Herausforderungen für den familiären Zusammenhalt durch die Ungewissheit, die Schuldgefühle gegenüber Kolleg*innen und Familie, die Existenzangst angesichts einer möglichen Verweigerung – all dies hinterlässt tiefe Spuren, die gleichzeitig kaum zu verarbeiten sind. Denn es betrifft ja „irgendwie“ alle, und man hatte es ja vorher wissen können, und auch sonst spricht ja keine*r davon. Die Verlassenheit in der eigenen Verletzungserfahrung lähmt und verhindert gemeinsame Aktion, sie (zer)stört kollegiale Solidarität – beides kann dem Machsystem nur Recht sein.
Täter-Opfer-Umkehr
Über „die Römer“, und auch über das inquisitorische System der Prüfung, ob jemand nach von Rom definierter Lehre und Moral eines Lehrstuhls der katholischen Theologie würdig ist, besteht ein weitgehender Konsens. Es ist leicht, die Schuld nach Rom zu schieben, wo sie zu einem großen Teil auch tatsächlich sitzt. Aber das Problem des Machtsystems beginnt früher, in der Entwaffnung der kritischen Auseinandersetzung, die – von außen betrachtet – so natürlich wie notwendig ist. Die Sätze „Kann man da nicht vor Gericht gehen?“ oder „Wollen Sie uns ein Interview geben, damit wir das öffentlich machen?“ habe ich oft, aber nicht aus dem theologischen Umfeld gehört. In diesem Umfeld waren es Aussagen, die mir immer zuerst absolut logisch und nachvollziehbar erschienen, und sich wenig später als Fallen entpuppten. Etwa der Satz „Du wusstest doch, worauf du dich eingelassen hast!“ Oder die Bitte, „keinen Druck auf die Bischöfe auszuüben“ durch „zu viel Öffentlichkeit“. Oder „es nicht persönlich zu nehmen.“ Oder auch der Hinweis, „man muss ja nicht alles sagen.“ Nichts von all diesen Aussagen war böse gemeint, ganz im Gegenteil waren Menschen aufrichtig bemüht, die Lage, meine Verzweiflung und Fassungslosigkeit, zu entschärfen.
Nicht zu viel Öffentlichkeit, nicht persönlich nehmen?
Und doch suggerieren all diese Sätze, dass ich das Problem bin, meine Einstellung, meine Entrüstung, meine Offenheit, nicht das Machtsystem. Hinzu kommt, dass sich einige Menschen mit großem Aufwand, persönlichem Einsatz und viel Zeit für mich, für meinen Fall, einsetzen, sich bemühen, dass es klappt, Informationen erarbeiten, Wege suchen, einflussreiche Netzwerke aktivieren, Gespräche am Rande von Konferenzen führen usw. „Wenn du möchtest, könnte ich einmal mit Bischof XY sprechen…“ Wäre es nicht angemessen, dankbar zu sein, oder zumindest nicht durch unangemessene Öffentlichkeit dieses Bemühen zu torpedieren? Die Falle dieser Logik besteht in der vollständigen Lähmung der eigenen Orientierung und Widerstandskraft. Ich will nicht denen schaden, die sich für mich einsetzen, ich will auch das Verfahren nicht gefährden, ich will auch nicht zwei Jahre harte Arbeit und schwere familiäre Kompromisse in den Wind schreiben. Was bleibt mir dann, außer zu schweigen?
Hilft mehr Transparenz? Nur bedingt
Es wurde oft, zuletzt in einem offenen Brief der Arbeitsgemeinschaft Katholische Dogmatik und Fundamentaltheologie an den neuen Vorsitzenden des Dikasteriums für die Glaubenslehre, gefordert, das Nihil-Obstat-Verfahren müsse vor allem transparenter gestaltet werden, um die Missbräuchlichkeit einzuschränken. Hätte mir eine größere Transparenz geholfen? Nur bedingt. Natürlich ist die römische Intransparenz die Möglichkeitsbedingung für den missbräuchlichen Umgang mit dem Verfahren an sich. Aber diesen missbräuchlichen Umgang setzt nicht Rom um. Es sind Strukturen eines Machtsystems, das bis auf die Ebene der Fakultäten selbst Solidaritäten unterbindet, Unrechtsbewusstsein verwischt und Resilienzen zerstört. Das kollegiale Verschweigen der eigenen Verletzungsgeschichte ist in meinem Empfinden ein Verrat an der kommenden Generation von Theolog*innen, die wir mit viel Aufwand zum hochqualifizierten akademischen Arbeiten ausbilden und dann in ein System schicken, von dem wir genau wissen, welche Brüche es zusätzlich zu den prekären Arbeitsverhältnissen an den deutschen Universitäten verursacht.
Massiver Eingriff der Kirche in die akademische Freiheit
Eine größere römische Transparenz stellt den massiven Eingriff der Kirche in die akademische Freiheit nicht grundsätzlich in Frage, der durch die Verstrickung von klerikaler Macht und theologischer Wissenschaft manifestiert ist. Es ist nicht die notwendige Forderung nach Freiheit, sondern die Bitte um bessere Haftbedingungen. In einigen Fällen, auch in meinem, kommen die Prozesse gar nicht bis Rom, sondern werden vorher durch deutsche Bischöfe gelenkt, entschieden, oder blockiert. Fakultäten sind in extremen Abhängigkeitsverhältnissen von Bischöfen. Diese Verstrickung stellt natürlich sehr schnell die grundsätzlichere Frage, wer wir als Theologie an staatlichen Universitäten sein wollen, wenn das Kooperationsverhältnis von Staat und Kirche an dieser Stelle kippen sollte?
Wer wollen wir als Theologie an staatlichen Universitäten sein?
Was mir tatsächlich geholfen hat, ist die Transparenz nach außen, die Reaktionen der Kolleg*innen und Freund*innen außerhalb des kirchlichen, theologischen Kontexts auf die Schilderungen dieses Verfahrens. Sie haben mir geholfen, den Kompass über das akademisch Zulässige und das akademisch und menschlich Unverantwortliche nicht zu verlieren. Mein vorheriger Arbeitgeber, das Zentrum für Osteuropa- und internationale Studien, ist im vergangenen Jahr durch die russische Staatsanwaltschaft zu einer „unerwünschten Organisation“ ernannt worden, d.h. ihr wurde der wissenschaftliche Zugang nach Russland, auch in Form von Kooperationen mit russischen Wissenschaftler*innen, verboten. Seit Jahren arbeite ich in und über einen Kontext, in dem Wissenschaftsfreiheit mit Füßen getreten wird und autoritäre Staaten alles dafür tun, die Menschen zu vereinzeln und Solidaritäten zu zerstören. Kaum etwas ermöglicht totalitäre Herrschaft so sehr, wie in ihrer Unrechts-Erfahrung verlassene Menschen. Eines der wirkmächtigsten Mittel dagegen sind öffentliche Solidaritäten. Vielleicht hätte ich die Verlassenheit im kirchlich-theologischen Kontext nicht so schmerzhaft wahrgenommen, wenn ich nicht zeitgleich die große kollegiale und menschliche öffentliche Solidarität in den Osteuropawissenschaften angesichts der Bedrohung durch das russische Regime erlebt hätte. Es geht eben doch auch anders…
_________
Bild: Niek Verlaan auf Pixabay
Regina Elsner ist seit Januar 2024 Professorin für Ostkirchenkunde und Ökumenik an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Münster, und affiliierte Wissenschaftlerin am Zentrum für Osteuropa- und internationale Studien (ZOiS) in Berlin.