Moderne Brettspiele ziehen stetig mehr Menschen in ihren Bann. Dabei hat das Werfen von Würfeln und das Ziehen von Figuren mit Kirchengeschichte auf den ersten Blick nicht viel zu tun. Doch in den Spielsystemen finden sich erstaunlich oft Motive, die zur Auseinandersetzung mit sowohl der Vergangenheit als auch der Gegenwart der Kirchengeschichte anregen – meint Lukas Boch.
Populärkultur als Bestandteil moderner Kirchengeschichtskulturen
Warum sollten sich „seriöse“ (Kirchen-)Historiker:innen mit modernen Brettspielen beschäftigen? Schließlich handelt es sich bei diesen Produkten nicht um Artefakte der Vergangenheit und sie folgen außerdem in den seltensten Fällen dem Standard wissenschaftlichen Arbeitens. Doch die Kirchengeschichtswissenschaft muss dem Umstand ins Auge sehen, dass eben nicht nur in „akademischen Elfenbeintürmen“ und Bildungsinstitutionen über Kirchengeschichte gesprochen und verhandelt wird. In populärkulturellen Medien wie Filmen, Romanen und Spielen (seien es nun analoge oder digitale) finden sich Aspekte, die unweigerlich mit der Kirchengeschichte in Beziehung gebracht werden. Berühmte Beispiele sind der Klosterkrimi Der Name der Rose oder die erfolgreiche Netflix-Serie Warrior Nun.
Leerstelle in der Kirchengeschichte
Während die Geschichtswissenschaft sich bereits seit den 1980er-Jahren mit jenen außeruniversitären Verhandlungen mit Vergangenheit auseinandersetzt und Konzepte wie Geschichtskultur und Public History etabliert hat, findet man im Bereich der Kirchengeschichte eine Leerstelle.
Geschichte in der Öffentlichkeit, also auch in populärkulturellen Medien, hat selten das Ziel, den aktuellen Stand der historischen Forschung darzustellen, sondern es treten neben der Vermittlung von Wissen weitere Zwecke: beispielsweise ein ökonomischer – Stichwort (Church) History Sells – oder auch schlicht der Wunsch, in fremde Welten zu entfliehen. Diese Ziele beeinflussen natürlich die Art und Weise der Darstellungen. Es sind populärkulturelle Produkte der Geschichtskultur, mit denen die meisten Menschen im Alltag konfrontiert werden und die (kollektiven) Vorstellungen der Vergangenheit in modernen Gesellschaften verfestigt und transformiert werden.
Theorie der Kirchengeschichtskultur
Dadurch werden sie für Public Church Historians, also Kirchenhistoriker:innen, die sich schwerpunktmäßig mit den Bildern von Kirchengeschichte in der Öffentlichkeit auseinandersetzen, zu einer wichtigen Quelle. Die Kirchengeschichtswissenschaft hat das Feld bis dato sträflich vernachlässigt und lässt dabei ein enormes Potenzial ungenutzt, mit dem man mit einer säkularen Gesellschaft erneut ins Gespräch kommen kann. Die Theorie der Kirchengeschichtskultur (Vgl. Köster 2023, Zwischen Kulturerbe und Kirchengeschichtskultur) könnte Abhilfe schaffen. Hierbei wird das gesamte Spektrum an Beschäftigungen mit Kirchengeschichte in den Blick genommen und somit auch populärkulturellen Darstellungen und Narrativen der Kirchengeschichte auf den Grund gegangen.
Kirchengeschichte und Games
Moderne Spiele, seien sie nun analog oder digital, zeichnen sich durch ihren interaktiven Charakter aus, der sie von anderen Medien wie Filmen oder Büchern unterscheidet. Für eine fruchtbare Untersuchung von modernen Brettspielen muss dabei beachtet werden, dass aufgrund der Medienspezifika und dem ökonomischen Interesse der Autor:innen und Verlage eine bloße Überprüfung der Triftigkeit oder auch Akkuratesse der in dem Medium konstruierten Bilder der Vergangenheit nicht ausreicht. (Vgl. Boch 2023, Moderne Spiele als Teil populärer Kirchengeschichtskulturen) Es gilt vielmehr zu fragen, welche Aspekte der Kirchengeschichte in Brettspielen behandelt werden, wie diese Mithilfe der Möglichkeiten, die Brettspielen zur Verfügung stehen, inszeniert werden und welche Bedeutung Kirchengeschichte innerhalb des Regelwerks zukommt. (Vgl. Boch 2023, Klosterkultur im modernen Brettspiel) Um es herunterzubrechen, geht es beispielsweise um die Frage: Was bewirkt der Bau einer Kathedrale in dem modernen Klassiker Catan (1995) oder der Einsatz eines Mönches in Orléans (2014)? Im Folgenden sollen diese Überlegungen am Beispiel des Einsatzes von Reliquien in Brettspielen verdeutlicht werden.
Brettspiel-Reliquien
Ein eindrückliches Beispiel für ein klassisches kirchenhistorisches Motiv des Mittelalters in Brettspielen sind dabei Reliquien. Der Zugang zur historischen Bedeutung der sterblichen Überreste von Heiligen ist für heutige Menschen in einer säkularisierten Gesellschaft nicht einfach.
Wunderbare Fähigkeit
In Brettspielen lassen sich dabei verschiedene Funktionen von Reliquien erkennen. Zum einen können sie von Spielenden genutzt werden, um das Regelsystem der Spielwelt zu verändern. So kann man mit Reliquien in Glory: A Game of Knigths (2021) oder der „Heiligen Lanze“ in Fief: France 1429 (2014) den Würfelwurf seiner Kämpfe wiederholen, und damit die Chance auf den militärischen Sieg erhöhen. Im letztgenannten Titel kann man außerdem mit „Den Zähnen des Heiligen Géronce“ eine verstorbene Person zurück ins Spielgeschehen bringen. Eine im wahrsten Sinne des Worts wunderbare Fähigkeit.
Zum anderen haben Reliquien in Brettspielen innerhalb der Spielsysteme häufig einen hohen Punktewert, wodurch sie zu besonders begehrenswerten Objekten werden, die die eigene Chance auf den Sieg erhöhen. In der Klostersimulation Ora et Labora (2011), in der wir eine möglichst effektive Klosterwirtschaft errichten müssen, sind „Reliquien“ beispielsweise die Ware mit den zweitmeisten Siegespunkten gleich vor „Wundern“ und entsprechend schwer herzustellen. Eine Möglichkeit, diese herzustellen, ist dabei die Nutzung des Gebäudes „Fälscherwerkstatt“, in der man gegen die Abgabe von Geld Reliquienmarker erhalten kann. Eine Verbindung von Regelwerk und Thema, die für spannende Diskussionen sorgen kann.
Mönch ärgere dich nicht – Klosterkultur im modernen Brettspiel
Innerhalb moderner Brettspiele gibt es eine eigene Gruppe, die als Mittelpunkt der Spielwelt das Kloster setzen. Dies wurde zum Anlass genommen, um 2022 im Museum der ehemaligen Abtei Liesborn eine ganze Ausstellung zu dem Themenbereich zu gestalten. Im Mittelpunkt stand die Frage nach der Darstellung von Klöstern und Klerus in modernen Spielen. Dabei wurden nicht nur Brettspiele thematisiert, sondern alle Arten von Spielen mit einbezogen: digitale Spiele, Sammelkartenspiele, Pen&Paper und Tabletopstrategie-Spiele.
Klöster als Orte der Geheimnisse
Spiele mit reinem Klostersetting lassen sich dabei zwei großen Themenbereichen zuordnen. Zum einen finden wir eine Vielzahl an Spielen, die sich Klöstern als Wirtschaftskomplexen nähern. In Titeln wie Ora et Labora (2011), Monasterium (2020) oder Moesteiro (2022) muss das eigene Kloster zu einem möglichst effektiven und prestigeträchtigen System geformt werden. Zum anderen handelt es sich um Spiele, die Klöster als Orte der Geheimnisse inszenieren. Diese Gruppe an Spielen mit Titeln wie Das Geheimnis der Abtei (1996) oder Abtei der Rätsel (2011) sind maßgeblich durch Umberto Ecos Roman Der Name der Rose und die spätere Verfilmung mit Sean Connery als William von Baskerville beeinflusst.
Fazit: Moderne Brettspiele als Quellen populärer Kirchengeschichtskulturen
Moderne Brettspiele erlauben es den Spielenden, zu Handelnden in der Kirchengeschichte zu werden. Diese Spielsysteme können dabei selbstredend niemals die Vergangenheit so abbilden, wie sie wirklich war. Vielmehr sind sie als Quellen anzusehen, die Rückschlüsse auf die Vorstellungen von Kirchengeschichte in der Gegenwart zulassen. Durch eine adäquate Analyse dieser materialisierten Kirchengeschichtskultur lassen sich Zugänge zum Gespräch mit einer breiten Bevölkerung generieren. Weiterhin kann das in den Spielen zu findende didaktische Potenzial auch für die Lehre in Universität und Schulen genutzt werden. Dafür müssen Brettspiele aber als Quellen ernst genommen werden und deren Narrative im Spiegel des Mediums betrachtet werden.
Lukas Boch (geb. 1993) ist Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Seminar für Historische Theologie und ihre Didaktik an der Universität Münster. Dort promoviert er über „Das Mittelalter auf dem Brett – Moderne Brettspiele als Teil populärer Kirchengeschichtskulturen.“ Ein weiterer Schwerpunkt ist der Einsatz von modernen Spielen in Ausstellungen. Lukas Boch ist Gründungsmitglied des Projekts Boardgame Historian (www.boardgamehistorian.de) und mitverantwortlich für die Website mittelalter.digital (https://mittelalter.digital/).
Literatur zum Weiterlesen:
Mehr über Geschichte und Gesellschaft in analogen Spielen finden Sie unter www.boardgamehistorian.de
Boch, Lukas/Falke, Anna Klara/Püttmann, Yvonne/Steinbach, Sebastian, Von bierbrauenden Mönchen und kriegerischen Nonnen – Klöster und Klerus in analogen Spielen, Stuttgart 2023
Boch, Lukas, Moderne Spiele als Teil populärer Kirchengeschichtskulturen, in: Boch, Lukas/Falke, Anna Klara/Püttmann, Yvonne/Steinbach, Sebastian: Von bierbrauenden Mönchen und kriegerischen Nonnen. Klöster und Klerus in analogen und digitalen Spielen, Stuttgart 2023, 28–40
Boch, Lukas Woven together like a spectacular medieval tapestry“ – Klosterkultur im modernen Brettspiel, in: Boch, Lukas/Falke, Anna Klara/Püttmann, Yvonne/Steinbach, Sebastian: Von bierbrauenden Mönchen und kriegerischen Nonnen. Klöster und Klerus in analogen und digitalen Spielen, Stuttgart 2023, 70–89
Köster, Norbert, Zwischen Kulturerbe und Kirchengeschichtskultur – Neue Ansätze zu einer Didaktik der historischen Theologie, in: Theologische Revue 119, Münster 2023, 1–21
Meyer, Johann, Spiele(n) mit Kirchengeschichte. Geschichtskulturelles Lernen durch die Rezensierung digitaler und analoger Spiele, in: die hochschullehre, Jahrgang 9/2023
Bildquellen: Pixabay, Lukas Boch