Das Essay „Die Durchquerung des Unmöglichen. Hoffnung in Zeiten der Klimakatastrophe“ machte Corine Pelluchon zum Star der Kulturszene! Annette Edenhofer begegnete der Autorin auf einem Podium der Katholischen Akademie Berlin und kritisiert vor allem deren Klimaaussagen.
Corine Pelluchon ist Professorin für Ethik in Paris. Auch meine Aufmerksamkeit im Fach der Religionspädagogik gilt dem Zentralthema des Essays, persönlicher und politischer Hoffnung. Mehr tätige Hoffnung pro Schöpfung in einer gewaltgeschüttelten Welt! Pelluchons Lesart von gewaltfrei erlittenen Verlusten als Quelle der Verwandlung finde ich zukunftsweisend. Gerade aber das prominente Klimakapitel erscheint mir realitätsfern: Extinction Rebellion angesichts von komplettem Politikversagen, sonst nichts?(94) Für junge Menschen will sie schreiben und „von den Sachen“ ausgehen im Denken, nicht von Doktrinen.(72). Wo sind die Klima-Sachen? Das Klimakapitel weist ganze vier Fußnoten aus, zwei zu Derrida, eine zu Aristoteles und zur Etymologie des deutschen Begriffs „Angst“. Hätte der Fokus aufs Unmögliche am Ende doch doktinär den Blick fürs Vorhandene verstellt?
Kolonialismus wider Willen.
In Wirklichkeit nämlich schaffen es politische Institutionen, die Emissionen zu reduzieren und dabei die sozialen Verwerfungen in Schach zu halten. Änderungen des persönlichen Lebenstils à la Pelluchon helfen, aber machen nicht den Unterschied. Ihre Option für Degrowth ist kontraproduktiv (96) und atmet wider Willen jenen Kolonialsmus, dem sie entkommen will (72). Denn gerade arme Länder fordern vorenthaltenes Wachtum ein auf den Sektoren Bildung und Gesundheit. Ausdifferenzierte Gesellschaften aber schaffen die Transformation nur durch gute Institutionen, das ist wissenschaftlicher Konsens. Hoffnung macht die Conference of Parties (COP 28) im Dezember 2023 in Dubai. Die Konferenz von 194 Staaten, einem säkularen Konzil vergleichbar, einigt sich zumindest auf den Ausstieg aus den fossilen Energieträgern und beschließt einen Reparationsfond für arme Länder, die übermäßig unter Klimafolgen leiden, die reiche Länder verursachen.
Die Europäische Union ringt sich inmitten großer geopolitischer Krisen einem ambitionierten Klimaschutz durch: Bis 2040 sollen die europäischen Emissionen gegenüber 1990 auf 90% sinken, bis 2050 auf netto Null – eine gewaltige Herausforderung. Seit 2022 investieren die USA 400 Milliarden Dollar im Inflation Reduction Act (IRA) in neue Technologien. Große Carbon-Player wie Indien und China könnten folgen. Die Welt befindet sich noch nicht auf einen Pfad, der den gefährlichen Klimawandel eindämmt, aber immerhin wagen die Demokratien und nicht Autokratien eine Klimapolitik, die diesen Namen verdient.
Ein Versuch, Pelluchons Denken vom Kopf auf die Füße zu stellen.
Die mediale Aufmerksamkeit dafür könnte größer sein, damit auch das kollektiv geteilte Wissen um Wandel, der stattfindet. Ja, es geht zu langsam! Es fehlt an Committment für faire Umverteilung! Inseln in Ozeanien versinken jetzt, führt der weltweite Laudato-Si‘-Transformationsprozess schmerzlich vor Augen. Echte Sorge gepaart mit der „neuen Unübersichtlichkeit“ über faktische Szenarien scheint Pelluchons Befund der Totalkatastrophe zum Erfolg zu machen.1 Auf dem Podium bleiben unsere Antithesen neben einander stehen. Dabei hätten wir freundlich verbunden gewirkt, bemerkt ein Zuhörer. Für ihn sei beides gut gewesen: Pelluchons ergreifende Auslotung des Absurden als Hoffnungsgrund und mein Versuch, ihr Denken vom Kopf auf die Füße zu stellen, bereits beschrittene Wege aufzuzeigen. Was aber ist Corine Pelluchons Kernargument?
Ihre wissenschaftliche Arbeit widmete die Ethikerin zu einer Zeit den Tierrechten, als das Thema fachlich noch einsam machte, sagt sie. Verbunden war sie damals mit jungen Tierrechtsaktivist*innen. Wenn neuerdings Ökoangst in der Klimakatastrophe ihr Thema ist, will sie die Angst junger Menschen als jene Empfindsamkeit würdigen, die der Welt des Erfolgs fehle. Den Tieren gebühre weiter die Hauptrolle. Unsere Verwandten ohne Wortsprache seien unsere Retter aus der Ökokrise. Sie könnten uns Empathie lehren für alles Verletzliche. Fürsorglichkeit statt Raubbau rette Tiere, ja den Planeten – und uns selbst vor unserer Unmenschlichkeit, unserer Gier. Wer sich Erfahrungen von Verlust und Ohmacht ehrlich stelle, begreife Herrschaftsgesten als armselige Gewalt am Lebendigen, wo Lebensrettung nötig sei.
Humansierungschance der Menschheit durch Mitleid mit den Tieren.
Gewalt sei nie souverän, sondern eine Kompensationstrategie tiefer, niedergehaltener Hilflosigkeit und Verzweiflung (107-127). Wie Lösungen des Klimaproblems aussehen könnten?, lautet die Schlussfrage aus dem Publikum an Pelluchon. Sie wisse es nicht! Aber sie habe Hoffnung, dass Reparaturen am Ökosystem möglich seien. Denn sie kenne die entscheidende Bedingung, nämlich die Durchquerung des Unmöglichen: Wer den Mut hat, die Verzweiflung nicht zu verdrängen, sondern zu durchleben, könne leben lassen! Das Ja zu allem Lebendigen erwecke tätige Hoffnung! Damit zu den Argumentationschritten des Essays.
Corine Pelluchon konfrontiert mit der existentiellen Frage, warum wir Menschen es noch immer nicht schaffen, zu schützen, wovon wir leben: die Natur. Ihr poetisches Essay ist zugleich Exerzitienbuch und politische Klageschrift. Es gibt sechs Akte: Die ersten beiden Kapitel bieten Anleitung zu persönlicher Transformation im Stil einer meditativen Existenzphilosophie: Achtsam zeichnet Kapitel 1 die Krisendynamik der Verweiflung nach. Kapitel 2 beschreibt das Annehmen des Absurden als unterschätzte, existentielle Chance. Kapitel 3 „Volk ohne Hoffnung“ schwenkt auf die politische Bühne. Das Erstarken von Autokratien in Europa sei ein Epiphänomen der humanökologischen Gesamtkrise, Resultat unserer grundsätzlichen Gewaltbereitschaft. So verheerend die Krise, beschwört Pelluchon darin doch den Reichtum menschlicher Kreativität!
Ihre Simultanphilosophie von Destruktivität und kreativer Hoffnung wird in der zweiten Hälfte des Buches auf drei Themenfelder angewendet: Wie gesagt, Kapitel 4 attestiert das politische Komplettversagen in der Klimakatastrophe mit dem Hoffnunsgzeichen Extinction Rebellion; Kapitel 5 optiert für die Humansierungschance der Menschheit durch Mitleid mit den Tieren. Schließlich deutet Kapitel 6 die Menopause als Initiationserfahrung in ein neues Erleben von Fruchtbarkeit, von Schaffenskraft auf neuem Terrain, frei von familiären Pflichten. Nicht die Unmöglichkeit, sondern darin das Erleben neuer Möglichkeiten sei zu fokussieren: Hoffnung!
Das Zulassen der Verzweiflung bringe in Kontakt mit der Tragfähigkeit des Lebens.
Am Podium präsentiert die Französin ihre These in elegantem Deutsch. Die Sprache lernte sie kürzlich während eines Forschungsaufenthalts am New Institute in Hamburg mit dem Ergebnis dieses Essays. Der französische Akzent verleiht ihrer Rede Musikalität. Ihre Metaphorik bannt. „Ich liebe Paradoxe!“, denn das Zulassen der Verzweiflung bringe in Kontakt mit der Tragfähigkeit des Lebens selbst, schließt sie ihre Rede mit Charles Peguy: Dann nämlich erscheine die Hoffnung sehr real, nur nie spektakulär, wie eine kleines Mädchen, das Glaube und Liebe an den Händen halte (70). Viele Zuhörer*innen haben die Augen geschlossen. Pelluchons Sprache sei ein Genuss, helfe tatsächlich, Ohnmachtserfahrungen nicht zu verdrängen, sondern zu meditieren. Das ist die Resonanz des Abends.
Corine Pelluchon bietet eine geistliche Übung in postsäkularen Zeiten, ist meine erste Replik am Podium. Als erklärte Atheistin ist sie für mich Brückenbauerin für eine mehrsprachige Religionspädagogik. Bewusst setzt sie auf die existentielle Kraft biblischer Bilder. Mit Abraham, Hiob, mit Ezechiels Bild vom Totengebein, dem unerwartert Fleisch aufwächst, macht sie die Erfahrung des Absurden fruchtbar: Im Abgrund lauert nicht der Tod! Der Grund trägt das Leben selbst! Für manche sei es Gott. Um diese Transformationserfahrung geht es auch angewandter Theologie: Im Tod ist das Leben. Das Weizenkorn muss sterben. Sinndeutungen mit und ohne Gott aber stehen im Einklang mit der Wissenschaftstheorie, möchte ich hervorheben. Es gibt mehrere Modelle, Fakten zu erklären. Und es gibt echte Alternativen, Fakten zu verstehen, religiös oder säkular.2
In pluralen Zeiten aber schafft Pelluchons Beschreibung existentiellen Erlebens bei unterschiedlicher Positionierung in letzten Fragen die Verständigung, die Fundamentalismen aller Art gefährden. Wichtig ist mir der Hinweis, auch beherzt intelligentes Streben nach Gewaltfreiheit muss mit dem Dilemma der Gewalt ringen: zwischen legitimer Selbstverteidigung und der damit verbundenen Eskalationsgefahr einerseits und andererseits des radikalen Pazifismus‘ und seiner unterlassenen Hilfeleistung für die Gewaltopfer.3 Zurecht aber berührt Pelluchons grundsätzlicher Ruf zum „sanften Begehren“, um das „beherrschenden Begehren“ überwinden zu können, die Gewaltszenarien der Klimakatastrophe und autokratischer Ideologien (75).
Die Moral liegt mehr im Bruch als in der Konsequenz.
Die Suggestivkraft der locker verknüpften Bilder ist die Stärke des Essaystils. Darin liegt zugleich die Schwäche mangelnder Auskunft. Am Abend bleibt keine Zeit für den Blick auf Pelluchons Exegese des Isaaksopfers (Gen 20,1-19). Sie hantiert mit dem philosophisch-theologischen Stolperstein, worin Gehorsam mit Rückgrat bestehen könnte. Mit Bezug auf Kierkegaard betont Pelluchon, die Szene sei aus einem Guss: Nur weil sich Vater und Sohn dem Leben oder Gott hätten willenlos überlassen können, sei ihnen Rettung widerfahren (37,42,49). Die Moral aber liegt mehr im Bruch als in der Konsequenz, ist mein Einwand. Die beste Erklärung scheint mir die des bekehrten Arbaham: Er kommt von der Spur ab. Gemäß der Menschenopferpraxis der Umwelt glaubt Abraham zunächst an die Besänftigung der hungrigen Gottheit. Die Unterbrechung des Gewaltopfers durch den Engel Gottes ist eine 180-Grad-Wende.
Abaraham lernt komplett um. Gott ist kein menschenfressender Moloch, sondern Schöpfergott. Gott will Leben, nicht den Tod! Gott rettet Isaak vor Abrahams Irrglaube. Ab jetzt führt wahrer Gottesglaube zum Exodus aus der eigenen Gewalt. Das einzig gottgefällige Opfer ist das Aufgeben des Tötungswunsches.4 Deshalb kritisiert Martha Nussbaum Kierkegaards Opfer-Exegese von Abrahams transvernünftigem Überlassen an Gott als unethischen Gewalttrigger. Die Mentalität gewaltaffiner Opferreligionen steht nach Nussbaum in unheiliger Allianz mit Autokratien, fatal vereint in der Freund-Feind-Dynamik.5 Auch Pelluchons Politikkapitel warnt vor dem Freund-Feind-Denken und falschem Vertrauen in autokratische Ideologien. Umso mehr irritiert die Deutung des Isaaksopfers vom Rettungsszenario als Sich-Überlassen durch Logikverzicht.
Tod ist nicht nur Tod, sondern kann Leben geben.
Logisch vorgefertigte Denkverbote hielten oberflächlich-rationalistisch Machbarkeitsideologien am Laufen, die nicht mehr trügen (87). Hilfreich dagegen ist die Einsicht, dass es mehere Logiken gibt. In der Genesis prallt die Logik von Gewalt und Tod auf die Logik des Lebens. Pelluchon müsste also Logik nicht per se als lebensfeindlich dispensieren. Nach der Logik paradoxaler Transformation ist es nur logisch, dass Tod nicht nur Tod ist, sondern Leben geben kann. Organisch rettet uns der Zelltod im Siebenjahresrhythmus unmerklich vor maglingnem Lebenswucher, vor Krebs.6 Dagegen ist der Taumel des Kontrollverlust Risiko und Stress pur. Das Erlebnis der Hoffnung am Tiefpunkt ist kein schneller Lohn, wie Pelluchon so gut beschreibt.
Deshalb hätte ein differenzierter Blick auf den bewusst erzählten Bruch von ‚Opferbefehl und Opferstop‘ Pelluchons Liebe zum Paradox mit Logik gestärkt. Und der Verdacht, sie animiere zu blindem Vertrauen, müsste nicht aufkommen. Zu unterscheiden ist: Die Überwindung alter Siegspiele ist ein Bruch. Aus einem Guss aber ist die Treue zur Gewaltfreiheit – gerade in steigendem Stress. Peacemaker*innen berichten vom Absurditätserlebnis der Hilflosigkeit, das Vertrauen in die Kraft der Gewaltfreiheit nicht zu verlieren. Blut und Wasser schwitzen am Ölberg (Lk 22,44). Das Gegenteil von Fatalismus! Auferstehung vor und nach dem Tod! Durch hoffende Angstbereitschaft erringen Gandhi, King, Mandela, die Ostdeutschen und alle gewaltfreien Proteste den Sieg ihrer friedlichen Revolutionen.7
Bei allen Einwänden, Corine Pelluchons Beitrag ist – Gott sei Dank – ein Erfolg. Denn es geht um Leben und Tod. Ihre Anleitung zur Durchquerung von Angst hilft, auf Gewaltstrategien zu verzichten, die derzeit weltweit gefährlich Konjunktur haben.
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Bild: Ausschnitt aus dem Buchcover „Die Durchquerung des Unmöglichen. Hoffnung in Zeiten der Klimakatastrophe“ von Corine Pelluchon, erschienen im Verlag C.H.Beck 2023.
Annette Edenhofer, Dr., Professsur für Religionspädagogik, Katholische Hochschule für Sozialwesen Berlin (KHSB).
- Vgl. Edenhofer, Jacob/Edenhofer, Ottmar: „Die Welt retten geht nur demokratisch“, Publik Forum, 17. November 2023, Nr. 22, 13-16; Laudato Si‘ Action Platform; Habermas, Jürgen: Die neue Unübersichtlichkeit. Kleine Politische Schriften, Suhrkamp Verlag, Franfurt/M., 1985. ↩
- Vgl. Löffler, Winfried: Einführung in die Religionsphilosophie, Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt 2006, S. 68-114. ↩
- Vgl. Schockenhoff, Eberhard: “Die ethische Beurteilung von militärischen Interventionen zu humanitären Zwecken”, in: Ders.: Kein Ende der Gewalt?“, Verlag Herder, Freiburg 2018, S. 673-695. ↩
- Vgl. Palaver, Wolfgang: “Abrahamitic Revolution”, in: Mimetic Theory and World Religions, Wolfgang Palaver / Richard Schenk (Ed.), Michigan State University Press, East Lansing 2018, S. 259-278. ↩
- Vgl. Nussbaum, Martha: “Judaism and the Love of Reason”, in: Ruth E. Groenhout and Marya Bower (Ed.): Philosophy, Feminism, and Faith, Indiana University Press, Bloomington 2003, S. 16. ↩
- Raihani, Nichola: The Social Instinct. What Nature Can Teach Us About Working Together, Penguin Books, Dublin 2022, S. 38. ↩
- Vgl. Edenhofer, Annette: Die Schule der Feindesliebe. Martha Nussbaums Ethik des Übergangszorns, Leopold-Franzens-Universität, Innsbruck 2020, S. 195-278; vgl. Weidenfeld, Ursula: Das doppelte Deutschland, Verlag Rowohlt, Berlin 2024. ↩