«Zwischen herausgefordert und herausfordernd» – so umschreibt Luisa Fischer die Situation der Gen Z, über die in der pastoralen Fortbildung viele mehr erfahren wollen.
Ausgangspunkt: ein gestiegenes Fortbildungsinteresse
Seit drei Jahren werde ich als Dozentin am TPI, einem überdiözesanen Fortbildungsinstitut für pastorale Mitarbeiter*innen in vier südwestdeutschen Diözesen, auffallend häufig für Fortbildungen zum Thema Gen Z angefragt: Personalabteilungen, Ausbilder*innen, Priester der Weltkirche, Bildungsreferent*innen in der Begleitung von Freiwilligen – sie alle haben Interesse daran, mehr über diese Generation zu erfahren.
Über die Gen Z wird viel geschrieben, diskutiert und gestritten
Das Interesse im Fortbildungskontext korrespondiert mit dem gesellschaftlichen Interesse an der Gen Z. Über sie wird (nicht nur) medial viel geschrieben, diskutiert und gestritten. Besonders im Fokus und stark umworben sind sie als (zukünftige) Arbeitskräfte, auch in der katholischen Kirche und erst recht in der Pastoral. Dabei scheint diese Generation gerade im Hinblick auf Arbeit und berufliches Engagement so anders zu ticken als andere Generationen. Von ihrer Kirchenbindung gar nicht erst zu sprechen. Ältere Generationen befürchten, dass sie die Arbeitswelt und das berufliche Miteinander auf den Kopf stellen. Generationenkonflikte scheinen vorprogrammiert1.
Doch wer ist diese Generation überhaupt? Was macht junge Erwachsene der Gen Z aus? Von welchen gesellschaftlichen Kontexten sind sie geprägt? Welche Werte sind ihnen wichtig? Und sind diese Werte so anders als die Werte bisheriger Generationen?
Ein soziologischer Blick
Für das soziologische Sprechen über Generationen ist der Rekurs auf Karl Mannheims Konzept einer „Generationenlagerung“ bedeutsam. Es schreibt ungefähr gleichaltrigen Personen ähnliche Perspektiven und Einstellungen zu. Die Generationenforschung geht in dieser Tradition stehend davon aus, dass sich durch die Geburt in einem bestimmten Zeitraum und die Sozialisation in einem ähnlichen gesellschaftlichen Kontext Gemeinsamkeiten in den Einstellungen und Verhaltensweisen von Personen ausbilden. Die Jugendphase ist für diesen Prozess von besonderer Bedeutung.
Die Aussagekraft des Generationenbegriffs mittlerweile soziologisch höchst umstritten
Dennoch bleibt der Generationenbegriff ein soziologisches Konstrukt. Das wird schon daran deutlich, dass je nach Soziolog*in und je nach Studie zur Gen Z unterschiedliche Geburtsjahrgänge gezählt werden. Eine Überschneidung gibt es bei den Jahrgängen 2000-2015. Entsprechend ist die Aussagekraft des Generationenbegriffs mittlerweile soziologisch höchst umstritten. Soziologen wie Markus Schröder verweisen unter Rekurs auf neueste Daten des sozio-ökonomischen Panels darauf, dass kaum Generationeneffekte bleiben, wenn man Alters- und Periodeneffekte in Rechnung stellt2.
Trotz dieser Kritik hat der Generationenbegriff Bedeutung für die Art und Weise, wie Menschen heute ihre Wirklichkeit konstruieren. Aus dieser Perspektive lohnt sich ein Blick auf das gesellschaftliche und wissenschaftliche Sprechen über „die Gen Z“ und Aussagen, die etablierte soziologische Jugendstudien über die Jungen Erwachsenen heute treffen, über gesellschaftliche Kontexte, von denen ihr Erwachsenwerden geprägt ist, und über soziale und ökologische Lebensbedingungen, die für ihre Sozialisation Relevanz gewinnen.
Bewältigungsoptimismus – «es wird schon werden»
Neben der Shell-Jugendstudie3, von der im Oktober 2024 eine nächste Ausgabe erscheinen soll, ist eine der bedeutendsten Studien in diesem Zusammenhang die SINUS-Jugendstudie4. Ihre Stärke ist es, die große soziokulturelle Unterschiedlichkeit von Jugendlichen einzufangen und sie modellhaft zu verdichten. Über die Ausdifferenzierung unterschiedlicher Milieus hinweg lässt sie aber auch einige allgemeinere Aussagen über die Jungen Erwachsenen der Gen Z zu: Junge Erwachsene der Gen Z sind demnach eher ernst und problembewusst. Im gesellschaftlichen Gesamtgefüge fühlen sie sich zu wenig gehört und ernst genommen und sind besonders beunruhigt angesichts des Problemkomplexes Klimawandel. Dennoch prägt sie eine Art „Bewältigungsoptimismus“ im Sinne eines „Es wird schon werden“5.
Familienmitglieder sind von besonderer Relevanz
Gerade im Hinblick auf Werte lässt sich eine große Stabilität über alle Generationen hinweg feststellen. Junge Erwachsene der Gen Z haben eine Sehnsucht nach Sicherheit, Halt und Geborgenheit, sie betonen soziale Werte wie Familie, Freunde, Vertrauen, Ehrlichkeit und Treue und sind weniger extrovertiert und autozentrisch als frühere Jugendgenerationen. Für ihre Orientierung haben Vorbilder eine große Bedeutung und Familienmitglieder sind von besonderer Relevanz, auch das unterscheidet sie von früheren Jugendgenerationen.
Die Ambivalenz dieser Generation: herausgefordert und herausfordernd
Die Jungen Erwachsenen der Gen Z sind gesellschaftlich und medial dabei vor allem als zukünftige Arbeitskräfte im Blick – als Auszubildende, Personal und Kolleg*innen. Dass ihnen in diesem Hinblick eine besondere Bedeutung zukommt, hat nicht zuletzt mit dem demographischen Wandel zu tun. Man kann die Jungen Erwachsenen der Gen Z nicht verstehen, ohne einen Blick auf Krisenphänomene wie den Klimawandel und Corona sowie gesellschaftliche Trends einer zunehmenden „Singularisierung“6 und Digitalisierung.
Sie wollen nicht den gleichen Lebensrhythmus und Lebensstil,
sondern eine größere Lebensqualität
Aber man kann sie und ihre gesellschaftliche Relevanz, das gesellschaftliche Ringen um diese Generation erst recht nicht verstehen, ohne einen Blick auf den demographischen Wandel. Wenn sich Generationenverhältnisse so massiv verändern, dass im Bild des Altersstrukturdiagramms gesprochen aus einer Pyramide eine Urne geworden ist7, dann hat dies Auswirkungen auf eine Jugendgeneration, die als verhältnismäßig kleine Generation einer übergroßen „Baby-Boomer“-Generation gegenübersteht, die sich in diesen Jahren nach und nach in den Ruhestand verabschiedet. Als Arbeitnehmer*innen werden sie sehnlichst erwartet, auch wenn sich der Arbeits- und Ausbildungsmarkt für sie immer schwerer koordinieren lässt. Gleichzeitig treffen sie auf eine Arbeitsweise, die „durch die nach wie vor dominierende Baby Boomer-Generation geprägt wird. Und die jungen Leute wollen sich hiervon absetzen. Sie wollen nicht den gleichen Lebensrhythmus und Lebensstil haben, sondern eine größere Lebensqualität. Da sie zwar in Krisenkonstellationen groß geworden sind, jedoch trotzdem nie in eine wirtschaftliche Existenzkrise geraten sind und jetzt auch deutlich ihre Chancen spüren, sind sie in dieser für uns Älteren verwöhnten Position und können sich das auch leisten“8. In dieser Position werden die Jungen Erwachsenen auch als „Game Changer“9oder „Change Treiber“10 glorifiziert.
Eine systemische Frage
Würde man systemisch fragen, wie eigentlich das Problem heißt, für das das Reden über die Gen Z und das Ringen mit ihr eine Lösung ist, könnte man zur Beantwortung hier ansetzen:
Die Arbeitswelt wird sich in den nächsten Jahren wandeln müssen
2022 war mit Blick auf die Gesamtwirtschaft laut Daten des Statistischen Bundesamtes gut jede*r vierte Erwerbstätige (26 %) 55 Jahre oder älter. Die Überalterung ist in einzelnen Berufsgruppen unterschiedlich stark ausgeprägt, mit Blick auf die Kirche als Arbeitgeberin bei den pastoralen Berufsgruppen vergleichsweise hoch. Diese Entwicklung führt gesellschaftlich zu massiven Herausforderungen. Für Unternehmen ist es in dieser Situation bedeutsam, Organisationswissen zu sichern, weiterzugeben und gleichzeitig Weiterentwicklung zu ermöglichen. Die Arbeitswelt wird sich in den nächsten Jahren wandeln müssen. Die Gen Z scheint mir an dieser Stelle zum „Attributionsopfer“11 geworden zu sein. Auf sie werden die mit diesen notwendigen Transformationen einhergehenden Herausforderungen und Erwartungen projiziert. Hier findet mit Torsten Groth gesprochen ein „kommunikativer Erschaffungsprozess“ statt.
Und jetzt?
Die bleibenden Veränderungsprozesse in Gesellschaft und Arbeitswelt stellen massive Herausforderungen an Unternehmen, nicht zuletzt an die katholische Kirche. Mitarbeitende aller Generationen brauchen mehr denn je die Kompetenz, in unüberschaubaren Situationen handlungsfähig zu bleiben. Das erfordert transformative Kompetenzen und nicht zuletzt auch Ambiguitätstoleranz über alle Generationen hinweg. Mit Blick auf pastorale Mitarbeiter*innen scheint mir darüber hinaus bedeutsam, dass sich die in den nächsten Jahren ausscheidenden Mitarbeitenden trotz der notwendigen großen Veränderungen wirksam erfahren, ihrer Arbeit – auch in der Rückschau – Sinn beimessen und „gut gehen können“.
Ihr Potential entfaltet die neue Grundordnung nicht schon dadurch, dass es sie gibt
Für die katholische Kirche ist mit der Neuformulierung der Grundordnung eine gute – und notwendige – Grundlage geschaffen worden, auf der sich die Arbeitskultur in den nächsten Jahren weiterentwickeln kann. In ihr heißt es unter anderem: „Vielfalt in kirchlichen Einrichtungen ist eine Bereicherung. Alle Mitarbeitenden können unabhängig von ihren konkreten Aufgaben, ihrer Herkunft, ihrer Religion, ihres Alters, ihrer Behinderung, ihres Geschlechts, ihrer sexuellen Identität und ihrer Lebensform Repräsentantinnen und Repräsentanten der unbedingten Liebe Gottes und damit einer den Menschen dienenden Kirche sein“ (Grundordnung Art. 3 Abs. 2). Ihr Potential entfaltet die neue Grundordnung aber nicht schon dadurch, dass es sie gibt. Hier müssen Organisations- und Personalentwicklung ansetzen und Fortbildung kann ihren Beitrag dazu leisten.
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Luisa Fischer (*1988), Dr. phil.; Studium der Soziologie, Katholischen Theologie und Pädagogik von 2007-2012 in Mainz. Von 2012-2021 Wissenschaftliche Assistentin in der Abteilung Christliche Anthropologie und Sozialethik an der Katholisch-Theologischen Fakultät an der Uni Mainz. Von 2009-2015 Ausbildung zur Erlebnispädagogin. 2020 Promotion im Fach Soziologie mit dem Thema „Mehrgenerationenfamilie als Praxis. Eine qualitative Analyse der Herstellungsleistungen multilokaler Mehrgenerationenfamilien“. Seit 2021 Dozentin am Theologisch-Pastoralen Institut.
Beitragsbild: SplitShire auf Pixabay
- Einen Einblick in die Debatte vermittelt z.B. Nickel, Susanne (2024): Verzogen, verweichlicht, verletzt: Wie die Generation Z die Arbeitswelt auf den Kopf stellt und uns zum Handeln zwingt. Finanz Buch Verlag. ↩
- Schröder, Martin (2018): Der Generationenmythos. In: KZfSS 70/2018, S. 469-494; ders. (2023): Warum es keine Generationen gibt. ↩
- Eine Zusammenfassung der Studie von 2019 ist online abrufbar. ↩
- Calmbach, Marc u.a. (2020): SINUS-Jugendstudie 2020. Lebenswelten von Jugendlichen im Alter von 14 bis 17 Jahren in Deutschland. ↩
- Calmbach u.a. (2020), S. 230. ↩
- Vgl. Reckwitz, Andreas (2019): Die Gesellschaft der Singularitäten: Zum Strukturwandel der Moderne. Suhrkamp. ↩
- S. bspw. https://www.destatis.de/DE/Themen/Querschnitt/Demografischer-Wandel/_inhalt.html. ↩
- Hurrelmann, Klaus (2022): Jugend macht Zukunft. Die Veränderungskraft der jüngeren Generationen. In: OrganisationsEntwicklung. Zeitschrift für Unternehmensentwicklung und Change Management. Ausgabe 4/22: Die Nächsten, bitte. Millennials als Change-Treiber, S. 6-11 ↩
- Scholz, Christian (2014): Generation Z: Wie sie tickt, was sie verändert und warum sie uns alle ansteckt. Wiley. ↩
- Hurrelmann, Klaus (2022). ↩
- Groth, Torsten (2022): 66 Gebote systemischen Denkens und Handelns in Management und Beratung. Carl Auer. ↩