Was zeigt sich in gegenwärtigen Konflikten kirchlicher Organisationen über die Veränderungen des Pfarrberufs? Von Friederike Erichsen-Wendt [1]
Wenn es ums Geld geht, wird es kritisch. Spätestens dann ziehen kontroverse Lagen in eine ansonsten eher konsensorientierte Kultur kirchlicher Organisation ein.
Die Evangelische Kirche von Kurhessen-Waldeck hat im Herbst 2023 durch landessynodalen Beschluss entschieden, die Grundgehaltssätze von Pfarrer*innen sowie Kirchenbeamt*innen zukünftig in Höhe von 97% zu übernehmen und damit den Anteil um 3% abzusenken. Da dies zum Stichtag der Übernahme mit einer Besoldungserhöhung einhergeht, sind zum Zeitpunkt der Entscheidung keine realen Einkommenseinbußen zu erwarten. Die Vizepräsidentin der Landeskirche erklärt in einer Pressemitteilung, dass damit genau der Betrag nicht verausgabt werde, der für die Deckung des aktuellen Haushaltsdefizits benötigt werde.
Dieser synodale Tagesordnungspunkt brachte eine bislang kaum gekannte Dynamik an Aufmerksamkeit und innerkirchlicher Kommunikation mit sich. Dabei war das Thema bereits im Rahmen der vorherigen Synodentagung als Prüfauftrag formuliert worden, ist dabei aber weitgehend unbeachtet geblieben.
Pfarrbersoldung berührt eine Reihe von neuralgischen Diskussionspunkten an den Schnittflächen von Pastoraltheologie und Kirchentheorie
Diese bislang faktisch ungekannte Dynamik der Debattenlage samt knappem Abstimmungsergebnis war möglich, weil mit diesem Thema eine Reihe von neuralgischen Diskussionspunkten an den Schnittflächen von Pastoraltheologie und Kirchentheorie berührt wurden.
Die Feststellung der klassischen Pastoraltheologie, dass in Bezug auf den Pfarrberuf nicht über Geld gesprochen werde und die Bezüge sich automatisch, ohne Tarifverhandlungen und Arbeitskampf, anheben,[2] kann gegenwärtig nicht fortgeschrieben werden. Vielmehr zeigt sich, dass inmitten der hybriden Verfasstheit der kirchlichen Organisation auf unterschiedlichen Ebenen argumentiert wird: Während die Kirche Pfarrer*innen alimentiert und sich damit als Institution versteht, die ihre Akteure „versorgt“, deuten Pfarrer*innen ihre Bezüge als Gehalt, das durch verschiedene Begründungen gerechtfertigt wird: die Dauer der Ausbildung, die allgemeine Marktlage in Bezug auf Fachkräfte, gelegentlich auch die Leistungen, die Pfarrer*innen erbringen. Es deutet sich an, dass die Besoldungshöhe Einfluss haben könnte auf die Arbeitsmarktmobilität von Pfarrer*innen – und zwar vor allem dann, wenn Dienstbeschreibungen keine Residenzpflicht mehr vorsehen und Berufsrollenträger*innen perspektivisch nicht mehr verbeamtet würden und damit einer Gehaltslogik unterlägen.
Während die Kirche Pfarrer*innen ‚alimentiert‘, deuten Pfarrer*innen ihre Bezüge als ‚Gehalt‘.
Die synodale Diskussion um die Besoldungshöhe zeigt modellhaft an, wie wechselseitige Sozialisationsprozesse von Organisation und Individuum in Kommunikations- und Aushandlungsprozessen Gestalt gewinnen. Dies zeigt sich vor allem daran, dass in den Diskussionsbeiträgen seltener auf die gegenwärtigen konkreten finanziellen Auswirkungen Bezug genommen wird als auf die eigene oder berufsgenerationelle Erzählung des Verhältnisses von Organisation und Individuum – beispielsweise erwartete „freiwillige“ Gehaltsverzichte oder die Pflicht zur Stellenteilung von Ehepartner*innen, die beide den Pfarrberuf ausübten.
es wird verkannt, dass an Solidarität kaum wirksam appelliert werden kann
Die Debatte tangiert zudem das historische Gedächtnis synodaler Debatten: Angesichts des personellen Überhangs von Kandidat*innen für das Pfarramt in den ausgehenden 1970er-Jahren verlangten Kirchenleitungen freiwillige finanzielle „Opfer“, um die Personallage zu entlasten. Gegenwärtig fungiert als Hauptargument, dass eine Solidarität mit allseitigen Einsparungen erforderlich sei.[3] Dabei wird argumentativ verkannt, dass an Solidarität kaum wirksam appelliert werden kann und der gesetzliche Regelungsrahmen auch blind dafür sein wird, aus welcher Motivation heraus Pfarrer*innen weniger Grundgehalt beziehen werden als es dem Aushandlungsergebnis der Tarifgemeinschaft entspricht. Mit dem Appell an die Solidarität Einzelner geht hier die organisationale Abkehr von einer Tarifgemeinschaft einher, die eine pazifizierende Errungenschaft in unserer Gesellschaft darstellt.
Durch die Jahrzehnte hinweg zeigen sich Parallelen: Strukturelle Probleme werden an betroffene Akteure adressiert. Die Haltung von Pfarrer*innen zu persönlichen Auswirkungen allgemeiner Reformvorhaben wird als paradigmatisch angesehen für das Gelingen und die Ernsthaftigkeit des Projekts im Ganzen. Die Pfarrberufsrolle wird damit in einer Weise symbolpolitisch aufgeladen, die zwar institutionell stimmig, berufstheoretisch aber längst überholt zu sein scheint. Durch Verzicht doch möglichst viele (Menschen, Arbeitsbereiche, Themen, Reichweiten) „mitzunehmen“ im kirchlichen Leben, folgt weiterhin einem volkskirchlich-parochialgemeindlich gedachten Schema. Von Pfarrer*innen wird demnach erwartet, Konsequenzen einer Logik zu folgen, an deren Überwindung zu arbeiten von ihnen tagtäglich erwartet wird.
Strukturelle Probleme werden an betroffene Akteure adressiert, die Pfarrberufsrolle symbolpolitisch überhöht.
Weitere Asynchronitäten und Dilemmata schließen sich an: In der allgemeinen Erwerbslogik bedeutet eine niedrigere Besoldung, entweder weniger zu arbeiten oder Tätigkeiten auszuüben, die weniger anspruchsvoll sind. Diese Deutung läuft der allgemeinen und oft kommunizierten Einschätzung entgegen, dass es sich beim Pfarrberuf um eine herausfordernde Leitungstätigkeit in immer komplexeren und dynamischeren Umfeldern handele. Es stellt sich die Frage, ob nicht doch – mindestens untergründig – Deprofessionalisierungstendenzen Vorschub geleistet wird.
Dass Pfarrberuflichkeit entlohnt wird, markiert eine der zahlreichen Anbindungen kirchlicher Organisation an das gesellschaftliche System. Pfarrer*innen sprechen sich tendenziell eher dafür aus, die Organisation dagegen – vermutlich tun beide dies (auch) aus pragmatischen Gründen: Während die damit verbundene Flexibilität von Pfarrer*innen als Vorteil bewertet wird, bedeutet dies für die Organisation vor allem Mehraufwände, auch im Bereich der Personalentwicklung und -bindung, die die ökonomischen Einsparungen voraussichtlich übertreffen werden. Für die Organisation ist der Glaubwürdigkeitsverlust allerdings deswegen gravierender, weil sie sich durch sozialräumliche Orientierung und zivilgesellschaftliche Rollenübernahme gerade als gesellschaftlicher Netzwerkplayer inszeniert, sich aber ausgerechnet in Bezug auf die eigenen Berufsrollenträger*innen davon abkoppelt.
Erstaunlich ist, dass das theologische Paradigma als Begründungsfigur in der Debatte weitgehend ausfällt.
Erstaunlich ist, dass das theologische Paradigma als Begründungsfigur in der Debatte weitgehend ausfällt. Gingen in den 1970er-Jahren rechtliche und theologische Argumente eher durcheinander und sorgten so für eine schwierige Entscheidungslage[4], geht es gegenwärtig vor allem darum auszumitteln, ob Berufsrollenträger*innen oder Organisation die legitimen Akteure sind. Die annähernde Pattsituation in der landessynodalen Entscheidung macht deutlich, dass beide Legitimitätsansprüche derzeit mit vergleichbar viel Macht- und Durchsetzungsvermögen ausgestattet sind.
Diese breite Debattenlage berührt allerdings weiterhin nicht die Tabus, die mit der Frage pfarrberuflicher Besoldung verbunden sind. Leistung (und vor allem ihre Messbarkeit) pfarrberuflichen Handelns gilt weiterhin als Tabu. Die Höhe der Besoldung gilt auch unter gegenwärtigen Bedingungen nicht als begründungspflichtig; selbst Pfarrbilder, die dem – etwa im Blick auf komplexe Leitungs- und Managementanforderungen – entsprächen, werden nur selten in Anschlag gebracht. Tabuisiert bleibt weiterhin auch der unaufgelöste Grundwiderspruch zwischen Sicherheit des öffentlich-rechtlichen Anstellungsverhältnisses einerseits und der Botschaft des Evangeliums andererseits.
Die Debatte berührt allerdings weiterhin nicht die Tabus, die mit der Frage pfarrberuflicher Besoldung verbunden sind.
In der Diskussion um Konflikt und Konsens in der Gegenwartsgesellschaft zeigt sich in der aufgezeigten Debattenlage eine große Solidarität im gemeinsamen Anliegen. Dieses Anliegen wird dahingehend formuliert, dass es darum gehe, die kirchliche Organisation auch zukünftig handlungsfähig aufzustellen. Freilich mit unterschiedlichen Folgerungen: Während dies zum einen durch Einsparungen von Ressourcen geschehen soll, wird dies auf der anderen Seite durch Investition in die Entscheidungsprämisse Personal verfolgt. Die derzeitige Aushandlungssituation macht – gerade in ihrem synodalen Kontext – deutlich, dass sie keine Polarisierung aus sich heraussetzt, sondern durch das ernsthafte Ringen um eine gemeinsame, nachhaltige Lösung geprägt ist.
Dass sie dennoch Kräfte bindet und Energien freisetzt, kann so gedeutet werden, dass sie sog. „Triggerpunkte“[5] berührt: Augenscheinlich ist, dass ein sozio-ökonomischer Verteilungskonflikt („oben“-„unten“) thematisiert ist, und zwar zwischen den divergierenden Interessenlagen mit ihren deutlich unterschiedlichen tariflichen Eingruppierungen, zwischen Pfarrer*innen und den Menschen in ihren Gemeinden, zwischen Pfarrer*innen und anderen kirchlichen Berufsgruppen, zwischen Pfarrer*innen und Synodalen in anderen Anstellungsverhältnissen. Insbesondere in der Differenzierung kirchlicher Berufe werden auch identitätspolitische Anerkennungskonflikte aktualisiert („wir“ – „sie“), die eine jahrzehntelange, oft auch emotional aufgeladene Geschichte mit sich bringen. Die Breite der Debatte durch alle Berufsgenerationen hingegen lässt sich vor allem dadurch verstehen, dass das Feld von Nachhaltigkeitsauseinandersetzungen betreten ist („Heute-morgen-Ungleichheiten“), und zwar sowohl aus der Vergangenheit herkommend als auch in die Zukunft reichend: Während die einen heute für morgen sparen wollen, ist es Anderen ein Anliegen, heute Fachkräfte zu binden, um auch in Zukunft Akteure kirchlichen Handeln vorzuhalten.
Die Aushandlung berührt „Triggerpunkte“.
Die Debatte zeigt grundsätzlich, dass die Organisation die Wirksamkeit struktureller Innovation unterschätzt und die Fähigkeiten von Personen zur individuellen Verhaltungsänderung und ‑anpassung überschätzt. Das ist wenig überraschend. Obsolet geworden scheint die Debatte, die das 20. Jahrhundert zentral geprägt hat, dass sich das Primat der Ökonomie auch in der Kirche nach und nach durchsetze, indem Personen sich dem beugten. Vielmehr scheint das Verhältnis religiöser Organisation zur Ökonomie heute gar nicht mehr explizit verhandelt zu werden. Der Status von Kirchen in unserer Gesellschaft verändert sich allerdings rasant, wird kleinräumlich unterschiedlich gelesen, ist vielfach Resultat eines Getriebenseins von außen und lässt sich nicht zweifelsfrei beschreiben, sondern lediglich augenblickshaft konsentieren. All diese Widersprüchlichkeiten zeigen sich in der Arena kirchlicher Debattenkultur, die durch die Dringlichkeit von Entscheidungsnotwendigkeiten angetrieben wird.
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Oberkirchenrätin Dr. Friederike Erichsen-Wendt, Theologin und Organisationsentwicklerin, leitet das Referat für Strategische Planung und Wissensmanagement im Kirchenamt der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD).
[1] Der Arbeitskreis Pastoraltheologie hat über einen längeren Zeitraum an der Frage gearbeitet, wie Konfliktlagen kirchlicher Organisationen Berufsverständnisse beeinflussen – und umgekehrt. Im Folgenden sind an einem Beispiel eine Reihe von grundsätzlichen Beobachtungen aus diesem Feld ausgeführt, die auch für andere Bereichslogiken Geltung beanspruchen könnten. Der Beitrag entstand für eine Tagung im November 2023 – spätere Entwicklungen in der Sache wurden nicht berücksichtigt. Ich danke den Kolleg*innen der Arbeitsgruppe herzlich für vielfältige Anregungen und die anhaltend produktive Atmosphäre unserer Zusammenarbeit.
[2] Manfred Josuttis, Der Pfarrer ist anders. Aspekte einer zeitgenössischen Pastoraltheologie, 4. Auflage, München 1991, 147.
[3] In der Diskussionslage 2023 geht es um eine Debatte im Kontext einer rechtlichen Vorlage. Der Vorschlag, einen freiwilligen Verzicht zu ermöglichen, wird zwar erwähnt, aber nicht weiterverfolgt.
[4] Der Grundduktus lässt sich so zusammenfassen, dass man durch einen Anschluss an geltendes staatliches Recht den Anschluss an allgemeine Regelungen suchte, gleichzeitig aber oft eine theologische „Brechung“ proklamiert wurde: Man habe zwar diese Rechte, sei aber (vor allem unter Bezug auf die Haltung des Apostels Paulus) dazu gerufen, diese Rechte nicht in Anspruch zu nehmen.
[5] Steffen Mau / Thomas Lux / Linus Westheuser, Triggerpunkte. Konsens und Konflikt in der Gegenwartsgesellschaft, Berlin 2023.