Am Weltflüchtlingstag beschreibt Josephine Furian die Situation von Geflüchteten in einer sich verschärfenden Lage. Wenn man mehr hat, als man braucht – baut man einen längeren Tisch oder höhere Mauern?
Liebe Josephine, du bist Seelsorgerin in der Zentralen Erstaufnahmeeinrichtung des Landes Brandenburg in Eisenhüttenstadt. Aus welchen Situationen kommen die Menschen, die dort gelandet sind und worauf müssen sie sich einstellen?
Nach Europa zu fliehen ist teuer und gefährdet Leib, Seele und Rechte. Und trotzdem nehmen die Menschen Grenzzäune, Polizeistationen, Schlagstöcke, offene oder geschlossene Einrichtungen und viele „Taxis“, die bezahlt werden müssen, und persönliche Abhängigkeiten auf sich, um in Sicherheit zu leben. Wenn die Menschen nicht schon traumatisiert sind durch Krieg und bewaffnete Konflikte, dann schafft das eine verrohte Europäische Asyl- und Migrationspolitik.
Wenn die Menschen nicht schon traumatisiert sind durch Krieg und bewaffnete Konflikte, dann schafft das eine verrohte Europäische Asyl- und Migrationspolitik.
Andererseits haben die Menschen, die in der Erstaufnahme ankommen unterwegs auch Unterstützung erfahren und werden erstmal aufgenommen und untergebracht. Damit haben sie einen großen Streckenabschnitt geschafft. Wahrscheinlich ist beim Ankommen also auch Erleichterung und Stolz dabei.
In der Erstaufnahme geben sich viele Angestellte Mühe, die Menschen gut aufzunehmen. Meine muslimische Kollegin in der Seelsorge und ich tun das auch dort. Aber das ändert wenig an der bedrängenden Situation: Die Menschen wohnen auf dem Gelände, wo auch die Büros derer sind, die über ihren Antrag entscheiden oder ihre Abschiebung organisieren. Zudem macht das Leben in Mehrbettzimmern auf Dauer und mit ungewisser Perspektive krank. Wie löst du Konflikte ohne gemeinsame Sprache oder wenn ihr im Heimatland schon auf unterschiedlichen Seiten standet? Wie lebst du deine Sexualität in einem 5 Bett Zimmer? Welche Gerüche, Schreie im Traum oder nächtlichen Gebete erträgst du von den Anderen? Erträgst du es bis zu 18 Monate und dann geht es in Mehrbettzimmern in Gemeinschaftsunterkünften so weiter? Wie findest du Ruhe? Findest du Schutz vor Queerfeindlichkeit? Oder dem alltäglichen Rassismus auf der Straße?
Welche Gerüche, Schreie im Traum oder nächtlichen Gebete erträgst du von den Anderen?
Außerdem berätst du Gemeinden zu Kirchenasylen und bist Teil des Abschiebebeobachtungsforums. Was bedeutet der sich verschärfende politische Ton gegenüber Migrant:innen in Deutschland und Europa konkret für diejenigen, die abgeschoben werden sollen?
Die neuen Regelungen für mehr und schnellere Abschiebungen erhöhen den Druck auf die Geflüchteten enorm. Sie verstärken auch die gesellschaftliche Verrohung. Das zeigt sich auf der Straße in steigender Gewalt gegen Menschen of Color zeigt oder in autoritären Reaktionen, wie im extrem rechten Wahlverhalten. Ich vermute, dass Abschiebungen auch eine Belastung für die Beamten sind, die diese durchführen. Für mich sind Abschiebungen ein potentiell traumatisierendes, kostspieliges und unwürdiges migrationspolitisches Mittel. Zum Einen sind nach ein paar Tagen die Menschen nach einer Dublin-Überstellung eh wieder in Deutschland, denn Bewegungsfreiheit gehört zum Menschsein und sie wird sich genommen. „Sichere Grenzen“ sind eine regressive Illusion und Allmachtsvorstellung, die die gefährdet, die sie trotzdem überwinden und die manche Regionen in demütigende, gewaltvolle Orte verwandeln (vgl. Volker M. Heins und Frank Wolff, Hinter Mauern – Geschlossene Grenzen als Gefahr für die offene Gesellschaft, Berlin 2023, S. 150ff).
„Sichere Grenzen“ sind eine regressive Illusion und Allmachtsvorstellung, die die gefährdet, die sie trotzdem überwinden.
Abschiebungen sind zudem mit Zwang verbunden. 1999 wurde dies besonders deutlich. Amir Ageeb starb durch eine unzulässige und gefährdende Fesselungsmethode durch den Bundesgrenzschutz im Flieger von Frankfurt am Main nach Khartum. Die Kirchen und die Länder etablierten daraufhin Abschiebungsbeobachtungsstellen und -foren. In dem Forum erarbeiten wir Berichte und versuchen Menschenrechtsverletzungen bei Abschiebungen präventiv zu verhindern. Bald erscheint der Bericht für Berlin-Brandenburg für das Jahr 2023 im Internet unter www.caritas-berlin.de und www.caritas-brandenburg.de. Ich freue mich, wenn er von der Presse aufgenommen wird.
Was gibt dir Hoffnung in einer Zeit, in der Geflüchtete v.a. zu Problemen gemacht werden?
Ich glaube der, die den Armen aus dem Abfall zieht und die Schwachen aus Kriegstrümmern (Psalm 113). Ich hoffe also, dass das wächst, was Frieden und Solidarität unter allen (!) Geschöpfen wirkt. Zudem steigt meine Hoffnung mit der Stärke der Beziehungen, die sich nicht trennen und spalten lassen. Kurz nach den Correctiv-Enthüllungen der umfassenden Abschiebepläne Pläne der AfD entschlossen sich mehrere Gemeinden in Südbrandenburg und Sachsen zum ersten Mal dafür abschiebebedrohten Geflüchteten Schutz durch Kirchenasyl zu geben. Das ist ein mutiges und starkes Signal der Gemeinden in Regionen wo die AfD größte Kraft ist. Trotz schwindender Gemeindemitglieder und Überforderung angesichts der vielen Aufgaben für die Verbliebenen, wird nicht davon abgelassen eine Ethik der Fülle zu leben.
Ich glaube der, die den Armen aus dem Abfall zieht und die Schwachen aus Kriegstrümmern (Psalm 113).
Oft wird von einer Überforderung der Gesellschaft bei der Aufnahme von Geflüchteten gesprochen. Die damalige Ratsvorsitzende der EKD, Annette Kurschus, hat in ihrem letzten Ratsbericht gesagt, dass die Kirchen nicht so weltfremd seien, wie viele ihnen vorwerfen, sondern über ihr Engagement in der Flüchtlingshilfe die Probleme sehr genau sehen würden. Wo siehst du diese Überforderung und welche Gründe hat diese aus deiner Sicht?
Wenn sich für militärische Sicherheit und Reichtum der Wenigen eingesetzt wird, leiden die anderen. Krankenhäuser, Bildung, Kitas – die soziale Infrastruktur, die so wichtig für eine Gesellschaft und damit für soziale Sicherheit aber auch Erfahrungen von Glück sind. Das überfordert.
Auch ich bin überfordert von den vielen Anfragen für Kirchenasyle. Denn die Abschiebeinitiative zeigt Wirkung: Mich erreichen an Werktagen 1-3 Kirchenasylanfragen und nur den Wenigsten kann ich gerecht werden.
Mich erreichen an Werktagen 1-3 Kirchenasylanfragen und nur den Wenigsten kann ich gerecht werden.
Die Flüchtlingsbeauftragten der beiden großen Kirchen und die Ökumenische Bundesarbeitsgemeinschaft „Asyl in der Kirche“ werfen der CDU im Blick auf die Drittstaatenregelung vor, sich im Widerspruch zu christlichen Werten zu bewegen. Warum ist aus deiner Sicht der Protest von kirchlichen Vertreter:innen wichtig?
Die CDU nennt sich christlich, aber agiert flüchtlingspolitisch nicht nach dem christlichen Menschenbild, wenn sie darauf zielt den Zugang zum individuellen Recht auf Asyl abzuschaffen. Das passt nicht zusammen. Wer wenn nicht wir als Christ*innen sollten auf diese Diskrepanz aufmerksam machen? Und klar: Auch die Kirchen und wir Mitarbeitenden haben Fehler begangen und werden es weiter tun. Christlich bedeutet nicht, frei von Schuld zu sein. Aber den Anspruch nach Umkehr, Widergutmachung und die Suche nach einem guten Leben für alle in einer beschädigten Welt dürfen wir nicht aufgeben. Wenn die CDU entsprechend handeln würde, eben weil sie sich christlich nennt, wäre ich die Letzte, die ihnen das C abspricht.
Die Suche nach einem guten Leben für alle in einer beschädigten Welt dürfen wir nicht aufgeben.
Welches Engagement würdest du dir an einem Tag wie dem Weltflüchtlingstag im Raum der Kirche noch wünschen?
Wir sind gerufen „die Vertriebenen zu verstecken und die Geflüchteten nicht zu verraten“ (Jesaja 16,3). Das bedeutet Kritik in Wort und Tat gegenüber der Flüchtlingspolitik der Europäischen Union und der Bundesregierung, die die Zugänge zum Asyl immer weiter einschränken. An diesem Tag aber können wir feiern, dass wir gegen die Abschiebungsinitiative der Bundesregierung eine ganz andere Initiative im großen Stil durchführen: Kirchenasyle. Und ich denke, dass wir in der kommenden Zeit mit anderen eine Infrastruktur aufbauen sollten, die es ermöglicht, die Bezahlkarte zu umgehen. Bis diese, wie ihr Vorgänger, der Gutschein, überwunden ist.
—
Pfrn. Josephine Furian ist Seelsorgerin in der Erstaufnahme Eisenhüttenstadt und Pfarrerin für Flüchtlingsarbeit im Sprengel Görlitz der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg-Schlesische Oberlausitz.
Interview: Kerstin Menzel
Bild: Ehemalige Flüchtlingsunterkunft in der Gnadenkirche Baesweiler-Setterich, Foto: Kerstin Menzel