Auch wenn sich während des Mittelalters ein Verbot von Lehre und Predigt der Laien nach und nach entwickelte, kann man nicht behaupten, Laien hätten niemals gepredigt. Von Pier Virginio Aimone Braida.
Can. 766 CIC/1983 schreibt vor: “Zur Predigt in einer Kirche oder einer Kapelle können, nach Maßgabe der Vorschriften der Bischofskonferenz und vorbehaltlich von can.767, § 1, Laien zugelassen werden, wenn das unter bestimmten Umständen notwendig oder in Einzelfällen als nützlich angeraten ist. Und Can. 767 § 1 ergänzt: “Unter den Formen der Predigt ragt die Homilie hervor, die Teil der Liturgie selbst ist und dem Priester oder dem Diakon vorbehalten wird…”
CIC/1917: absolutes Verbot
Es ist bekannt, dass im CIC/1917 ein absolutes Verbot für eine Laienpredigt Kirchen (in ecclesiis) bestand. Dieses Verbot hatte vor allem disziplinären Charakter. Der Gesetzgeber hätte den Laien die Möglichkeit der Predigt in den Kirchen auch durchaus zugestehen können, weil die Befugnis zu predigen zur potestas iurisdictionis der Hierarchie gehörte. Die Entscheidung des kanonischen Gesetzgebers war aber in unnachgiebiger Strenge ablehnend, wobei eine lange Tradition aufgenommen wurde, die bereits auf das Mittelalter zurückgeht.
Vom Decretum Gratiani bis zu den Dekretalen Gregors IX., von der Bulle Inter Cunctas Martins V. von 1418 bis zu einer Antwort (responsum) der Propaganda Fide von 1784 ist es den Laien verboten, in den Kirchen zu predigen. Der CIC/1917 greift hier einfach eine sehr lange kanonische und disziplinäre Tradition auf. Es wurde behauptet, dass – ausgenommen die Zeit der Urkirche, in der Amt und Charisma unklar voneinander getrennt gewesen seien – die Laien niemals das Recht besaßen zu predigen. Der CIC/1917 vertritt diese Meinung mit Strenge.
Unter historischen Aspekten ist also die Frage zu stellen, ob Laien tatsächlich niemals gepredigt haben, oder wenn, auf welche Weise, und wie Verbot und Beschränkung eingeführt wurden. Man wird sofort feststellen, dass für das zweite Jahrtausend nicht viele Quellen existieren, die belegen, dass die Laien in den Kirchen gepredigt hätten, vor allem soweit es die spezielle Form der Predigt betrifft, die unter dem Namen Homilie bekannt ist.
Im ersten Jahrtausend: eine andere Situation
Während des ersten Jahrtausends, oder wenigstens während der ersten Jahrhunderte, war die Situation anders. Paul Hinschius, ein preußischer Jurist und Kirchenrechtslehrer des 19. Jahrhunderts, nimmt für das Recht zu predigen (wenngleich nicht bezüglich der Homilie) an, dass dies in der Frühzeit der Kirche nicht allein den Funktionsträgern vorbehalten war: So ziemlich alle Mitglieder der Gemeinschaft partizipierten an diesem Recht.
Mit dem Wandel der historischen Bedingungen, einem besser ausgebildeten Episkopat, größerer Schriftkenntnis und einer geregelteren Feier der Eucharistie schien es weniger notwendig, dass seitens der Laien gepredigt würde. All das scheint sich schon im dritten Jahrhundert herausgebildet zu haben, wenngleich die Laien immer noch das Recht hatten zu predigen, was die gut dokumentierten didaktischen Aktivitäten des Laien Origenes, der im Einverständnis mit dem Bischof lehrte und predigte, belegen.
Als Origenes noch vor seiner Weihe auf Einladung der Bischöfe von Palästina die Heilige Schrift erläuterte und Bischof Demetrios von Alexandrien sich darüber beklagte, erteilten die Bischöfe von Jerusalem und Caesarea Origines dennoch die Erlaubnis zu lehren. Diese Praxis findet sich noch in den Constitutiones Apostolicae des vierten Jahrhunderts, wo die Bedingungen zu lehren festgelegt sind, auch soweit es Laien betrifft: Es werden Rechtschaffenheit und Kenntnis des Gegenstandes gefordert.
Ein erstes Verbot: Leo I.
Im 5. Jahrhundert finden wir ein erstes Verbot der Laienpredigt. Es wurde von Leo dem Großen eingeführt. Der entsprechende Rechtstext von Leo I., durch verschiedene Kanoneskollektionen überliefert, findet schließlich seinen Platz im Decretum Gratiani (C.16 q.1 c.19): Außer den Priestern des Herrn sollte niemand wagen zu predigen, weder Mönch noch Laie. Can. 1342 § 2 des CIC/1917 wiederholt dasselbe Verbot acht Jahrhunderte später, wobei noch die Worte „in ecclesiis“ zugefügt worden sind.
Allerdings kann, im Gegensatz zum CIC/1917, das Verbot des Papstes Leo nicht in einem strikten Sinne verstanden werden – es rührt eher aus der gültigen kanonischen Disziplin der Epoche. Simon von Bisignano (circa 1177) betont in einem Kommentar zum Text des Dekretes die Begrenztheit des Verbots. Die Begründung des Verbots sollte nämlich nur in der ungenügende Vorbereitung (improbitas) der Mönche bestehen. Besitzt ein Kleriker, obwohl noch nicht Priester, eine ausreichende Vorbereitung, darf er mit der Erlaubnis der zuständigen Autorität dem Klerus und dem Volk predigen.
Die Meinung des Kanonisten aus Kalabrien muss zur Zeit der klassischen Kanonistik sehr verbreitet gewesen sein, wenn der spanische Kollege Laurentius ohne weiteres sagen kann, dass der Bischof einem Laien bestimmte Kirchenämter anvertrauen kann – und sei es nur vorübergehend. Der Bischof kann außerdem einem Laien auch zivile Streitsachen anvertrauen. Darf aber ein Laie, kraft bischöflicher Vollmacht, etwas in der Kirche bestimmen? Ohne weiteres, lautet die Antwort. Ein Laie, der von der zuständigen Autorität eingeladen wird, darf nämlich das Predigtamt ausüben, obwohl es sich um eine spezielle Angelegenheit handelt.
Die Statuta Ecclesiae Antiqua aus der zweiten Hälfte des 5. Jahrhunderts gehen noch von einer Lehrtätigkeit der Laien aus: Insofern die Statuta diesen verbieten zu lehren (und damit auch zu predigen) – wenn sie nicht durch einen anwesenden Priester dazu beauftragt sind. Im Osten dagegen wurde das Verbot explizit eingeführt und verfestigt durch can. 64 des Konzils in Trullo von 692. Für den Westen war ein solches Verbot gar nicht so notwendig, aufgrund der praktischen Unmöglichkeit zu lehren und zu predigen: Den Laien aus den germanischen Ländern fehlte Kultur und Ausbildung dazu.
Erst im 13. Jahrhundert finden sich wieder verstärkt juristische Quellen, welche die Laienpredigt verbieten. Die Laien werden direkt angesprochen in der Konstitution Innozenz‘ III. Cum ex iniuncto von 1199, die ihnen verbietet, ohne Autorisation des Bischofs oder des Apostolischen Stuhles zu predigen. Andererseits erlaubte derselbe Innozenz III. im Jahre 1209 den Brüdern des heiligen Franz von Assisi, dessen Gemeinschaft in jener Zeit aus Laien und Klerikern bestand, das Reich Gottes zu predigen und die Menschen zur conversio evangelica auf Straßen und Plätzen einzuladen.
Das Laterankonzil
Die dritte Konstitution des IV. Laterankonzils von 1215 verbietet Laien und Ordensleuten ohne Erlaubnis des Bischofs oder des Papstes zu predigen. Trotz der zahlreichen Armuts- und Spiritualitäts-Bewegungen der Zeit, die in ihrer Gestalt oft extrem und häretisch waren, kann man einmal mehr feststellen, dass das Verbot der Laienpredigt nicht ganz so absolut galt. Die dritte Konstitution hat auch weniger die Laien als solche als Adressaten, denn vielmehr Kleriker und Ordensleute, die aus einer Art von Frömmigkeit (sub specie pietatis) sich das Recht anmaßten zu predigen.
Äbtissinnen werden unter kanonischem Gesichtspunkt als Ordensfrauen zu betrachtet und sind damit nicht unter die Kleriker zu rechnen und deswegen im allgemeineren Sinn als Laien zu betrachten. Es ist freilich bekannt, dass manche Äbtissinnen eine gewisse Jurisdiktionsgewalt ausübten, und ihnen manchmal auch Kleriker jurisdiktionell unterstandenen.
Gewisse Rechte der Äbtissinnen
Wegen des Wunsches einiger Äbtissinnen, ihre Jurisdiktionsgewalt auf bestimmte Handlungen wie die Segnung von Ordensfrauen, ihre Lossprechung von kanonischen Strafen im Fall von physischen Gewalttaten von Ordensfrauen gegen andere Ordensfrauen, die Exkommunikation von ihnen unterstehenden Klerikern, die Beichte von Ordensfrauen und die Lossprechung von Sünden, sowie die Predigt in der Öffentlichkeit auszuweiten, überliefern die kanonischen Quellen, dass die Päpste einige Maßnahmen getroffen haben, um die Jurisdiktionsgewalt der Äbtissinnen zu begrenzen.
Für die Möglichkeit, mit Erlaubnis der Hierarchie zu predigen, auch was die Laien betrifft, kann auch das Konzil von Tarragona von 1317 angeführt werden. Can. 2 verbietet denen, die dem Dritten Orden des heiligen Franziskus angehören, in Kirchen zu lehren und zu predigen, so wie es für die anderen gläubigen Laien vorgesehen ist. Ein wesentlich strengeres Verbot zeigt das 14. Jahrhundert mit der Konstitution Martins‘ V. Inter cunctas von 1418. Dort wurde unter den Fragen, die denjenigen gestellt wurden, die der Ketzerei beschuldigt wurden, folgende aufgeführt wird: “Wenn man für beide Geschlechter beibehält, frei das Wort Gottes zu predigen“. Unterstreicht man den Ausdruck „das Wort Gottes zu predigen“, wird das Verbot deutlicher. Wenn man aber den Ausdruck „frei“ unterstreicht, stellt man fest, wie die Disziplin des vorhergehenden Jahrhunderts, die das Predigen der Laien zwar klar verbat, aber in Übereinstimmung mit der Hierarchie doch möglich machte, bedeutend verschärft wird.
Alle diese Dokumente und Verbote zeigen, dass das Predigtamt kanonistisch vor allem mit der potestas iurisdictionis zusammenhängt, mehr als mit der potestas ordinis. Unter diesem Gesichtspunkt kann man auf zwei besonders bedeutungsvolle Fälle hinweisen.
Auf dem Konzil von Trient: zwei prominente Laienpredigten
Auch wenn während des Mittelalters Lehre und Predigt der Laien verboten waren, bzw. die kanonische Disziplin sich immer mehr zu einem absoluten Verbot hin entwickelte, kann man nicht behaupten, Laien hätten niemals gepredigt. In seiner Geschichte des Konzils von Trient berichtet Hubert Jedin vom Pontifikalamt am Fest der Unschuldigen Kinder am 28. Dezember 1561. Es wurde in Anwesenheit der Konzilsväter gefeiert, die Predigt hielt ein in Diensten des Kardinals Madruzzo stehender Arzt namens Paolo Guidello.
Dieses Ereignis ist nicht einzigartig, es findet sich vielmehr eine – wesentlich bedeutendere – Parallele, ebenfalls im Dom von Trient, ebenfalls auf dem gleichen Konzil, nur 15 Jahre früher. Während der Messe vom 28. Dezember 1545, wieder am Fest der Unschuldigen Kinder, wurde die Predigt vom Grafen Ludovico Nogarola gehalten. Ein ziemlich wichtiges Faktum dabei ist, dass diese Predigt vor dem erst kurz vorher eröffneten Konzil gehalten wurde.
Trotz dieser beiden Episoden erklärte die Konzilskongregation am 23. Juni 1580 explizit, dass der Bischof das Predigtamt einem Kleriker zuweisen kann, der lediglich über die niederen Weihen verfügt, doch niemals einem Laien. Insofern die Erlaubnis zur Laienpredigt in die potestas jurisdicitionis der Hierarchie fällt, wäre aus kanonistischer Sicht eine Änderung des geltenden Rechts möglich.
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