Beim kinderrettenden Hund handelt es sich um ein weit verbreitetes literarisches Motiv. Dass er auch noch als Heiliger verehrt wurde, wie der Hl. Guinefort, ist schon merkwürdiger. Daniela Feichtinger zu dem, was da war und was es bedeuten könnte.
In den letzten Jahren gab es vermehrt Bestrebungen, eine „Theologie der Tiere“ und eine christliche Tierethik zu formulieren.[1] Damit wandelt sich allmählich und hoffentlich nachhaltig das oftmals unheilvolle Verhältnis des Christentums zu Tieren, das zur Legitimierung von Gewalt gegen sie und zu ihrer Ausbeutung beigetragen hat.[2] Auch Papst Franziskus stellt sich in seiner Enzyklika Laudato Sí gegen eine Anthropozentrik, die zulasten anderer Lebewesen geht.[3]
Tiere in der Geschichte des Christentums
Werfen wir einen Blick in die Geschichte des Christentums, begegnen uns dort allerdings in den seltensten Fällen ausgefeilte theologische Positionen zum Thema. Im Gegenteil: Es wimmelt in unsystematischer Weise allenthalben von Tieren. Sie begegnen als Symbole (z.B. der Pelikan für die Opferbereitschaft Christi), als Heiligenattribute (z.B. das Hündchen des Hl. Rochus), als dämonische Handlanger des Teufels (z.B. Hunde während der Hexenverfolgungen) oder mit hervorragender Gotteserkenntnis gesegnet (beginnend bei Bileams Eselin in Num 22).
Manches aus der reichen Tiertradition passt sehr gut in den unerschöpflichen Strom der heutigen Katzen-Memes und -Videos. So z.B. das irische Gedicht „Pangur Bán“ (9. Jh.), das von einem Mönch und seinem vierbeinigen Freund handelt, der ihm bis tief in die Nacht in seiner Schreibstube Gesellschaft leistet. Der Text, dessen Handschrift im Kärntner Benediktinerkloster St. Paul liegt, erschien vor einigen Jahren in Buchform und wurde von der New York Times als bestes illustriertes Kinderbuch 2016 ausgezeichnet.[4] Die liebevollen Zeilen über die harmonische Beziehung von Mönch und Kater trafen den Nerv der Zeit, und der mehr als tausend Jahre alte Cat-Content kam zu nie dagewesenem Erfolg.
Neben herzerquickenden Erzählungen bietet die Geschichte des Christentums aber auch kuriose Episoden, die theologische Fragen aufwerfen. Eine solche kuriose Geschichte ist die Legende vom Hl. Guinefort, die der Historiker Jean-Claude Schmitt 1979 ausführlich aufgearbeitet hat.[5] Ausgangspunkt seiner Forschung ist ein Text eines Dominikanerpredigers namens Étienne de Bourbon (ca. 1190-1261), der im 13. Jh. in der Diözese Lyon die Beichte hörte und so von einem sonderbaren Kult erfuhr.
Die Legende vom heiligen Hund Guinefort
In einem Wald bei Sandrans im heutigen Département Ain lag der Legende nach ein Windhund namens Guinefort begraben. Er hatte einen Säugling vor einer Schlange gerettet und war, vom Kampf blutverschmiert, an seiner Seite geblieben, bis die Leute des Hauses zurückkamen. Beim Anblick des Hundes meinte der Besitzer, er müsse dem Kind etwas angetan haben, und erschlug ihn. Erst nach der Tötung, als sein Blick auf das wohlbehaltene Kind fiel, sah er seinen Irrtum. Er bestattete das Tier und mit der Zeit wurde aus der Grabstätte des heldenhaften Hundes eine Pilgerstätte. Angeblich brachten Bäuerinnen in Begleitung einer Alten ihre kranken Kinder in den Wald zum Märtyrer Guinefort, wo sie u.a. ein Feuer- und ein Wasserritual vollzogen, bei dem auch Kinder zu Tode kamen. Grundsätzlich erhoffte man jedoch die Heilung bzw. die Rückerlangung des eigenen Kindes, da man einen „Wechselbalg“ zu haben meinte – ein schwächliches Kind, das der Teufel gegen ihr gesundes eingetauscht hatte.
Étienne de Bourbon war sehr erstaunt über das Gehörte und beschloss, ihm auf den Grund zu gehen. Tatsächlich fand er, wie er später schriftlich darlegte, in besagtem Wald die Pilgerstätte für den Heiligen Windhund. Zweierlei war problematisch an ihr: Erstens das Risiko der Kindstötung, das bei den Ritualen zumindest in Kauf genommen wurde. Zweitens die unmögliche Heiligsprechung eines Hundes, der als Tier nicht für eine solche Auszeichnung qualifiziert war. Obwohl der Hund also kein Heiliger sein konnte, so war er doch ein Häretiker, wie Laura Hobgood-Oster nicht ohne Schmunzeln feststellt.[6] Étienne de Bourbon ging von der Historizität des Hundes aus und hielt nicht nur seinen Kult, sondern auch ihn selbst für dämonisch.
Étienne de Bourbon: ein Prediger gegen den Guinefort-Kult
Also machte er sich an die Beseitigung des Kults, indem er gegen ihn predigte, sowie den Hund exhumieren und den Hain abholzen ließ. Seinen kuriosen Fund hielt er später in einer Handreichung zur Predigtvorbereitung unter der Rubrik „Aberglauben“ fest. Andere Priester waren eingeladen, sein – wie er meinte: gelungenes – exemplum zu zitieren. Im Lauf der Zeit sollte sich allerdings herausstellen, dass der Guinefort-Kult seinen größten Kritiker um Jahrhunderte überlebte. Wallfahrten zu seinem Grab lassen sich noch 1826 belegen. Die Rituale der Frauen hatten sich gewandelt – sie banden nun Zweige zusammen, um das Fieber ihrer Kinder zu „binden“ – aber sie hofften ungebrochen auf die Intervention des heiligen Windhunds Guinefort.
Beim kinderrettenden Hund handelt es sich um ein weit verbreitetes literarisches Motiv. Dementsprechend dürfte dem Heiligenkult auch eine lokale Sage vorangegangen sein, die sich in einem weiteren Schritt mit einer Märtyrerlegende verband. Tatsächlich wurde zeitgleich in vielen Teilen Europas auch ein (menschlicher) Guinefort verehrt, dessen Kult in der relevanten Region von den Mönchen von Cluny gefördert wurde. Die Legende vom menschlichen Guinefort hatte davor schon eine Vielzahl von Elementen aus anderen Heiligenleben aufgesogen. In Sandrans in der Diözese Lyon verschmolz sie nun mit der Sage vom Hund: aus dem Bischof wurde ein Tier.
Ist der Heilige Windhund Guinefort bloß ein seltenes Kuriosum aus grauer Vorzeit? Ein aktueller Heiligenkult rund um einen Hund ist mir nicht bekannt. Das liegt jedoch, so meine These, weniger am Fehlen von hochverehrten, sagenhaft heldenmütigen Hunden als am obsolet gewordenen Prädikat „heilig“. Wer einem Tier (bis über den Tod hinaus) Heilkräfte zuschreiben will, wird am spirituellen Markt einen Rahmen dafür finden, ohne auf die amtskirchlich regulierte Heiligkeit zurückgreifen zu müssen. Étienne de Bourbon würde davon heute nicht mehr aus Beichtgesprächen, sondern nur noch aus Internetforen erfahren.
Wie verhalten sich volkstümliche Praktiken, Amtskirche und Theologie zueinander?
Auch wenn sich der Aberglaube des 13. Jh. heute also nicht in derselben Weise wiederholen wird: Es bleibt die Frage nach der Verhältnisbestimmung von volkstümlichen Praktiken, den Ansichten der Amtskirche und der theologischen Reflexion, sowie die Frage nach dem rechten Status von Tieren. Hier erinnert die Legende von Guinefort bleibend daran, dass nicht nur eine Abwertung, sondern auch eine Glorifizierung von Tieren kein Weg sein kann. Während die mittelalterlichen Bäuerinnen dem Hund nicht aufgrund überbordender Tierliebe huldigten, sind heute viele bereit, Unsummen in die Anschaffung, Pflege, medizinische Versorgung und Bestattung ihres Vierbeiners zu investieren. Beim Zerbrechen von Paarbeziehungen kommt es zu regelrechten Sorgerechtsstreitigkeiten um die Tiere, die damit in die Nähe von Kindern rücken. Wie im Kult um Guinefort erweist sich die Überhöhung aber letztlich als Verkennung des Tiers – es droht, für die Bedürfnisse des Menschen verzweckt zu werden.
Die Kirchen kommen den Bedürfnissen der Menschen verstärkt pastoral entgegen, indem sie beispielsweise rund um den Welttierschutztag Segensfeiern anbieten. Christliche Bestattungsrituale werden vonseiten der Kirchen noch nicht angeboten, aber diskutiert,[7] was konfessionell ungebundene professionelle Tierbestatter natürlich nicht daran hindert, eine Kirche zu erwerben und dort mit großer Resonanz Bestattungen anzubieten.[8]
Étienne de Bourbon würde sich auch darüber wundern. Antworten für die Gegenwart kann er uns allerdings keine geben – nicht zuletzt, weil er schon mit den Antworten für seine Zeit gescheitert ist.
P.s.: Wer auf eine Ikone von einem Heiligen mit Hundekopf stößt, hat übrigens nicht den Hl. Guinefort vor Augen, sondern den Hl. Christophorus. Der nach wie vor beliebte Patron der Reisenden war der Legende nach ein Kanaanäer (cananeus). In der Ostkirche dürfte er durch einen Übersetzungsfehler zum Hundemenschen (canineus) geworden sein. Einige Darstellungen haben sich erhalten, auch wenn sie mittlerweile nicht mehr gebräuchlich sind. Darstellungen von St. Guinefort zeigen hingegen einen vollständigen Windhund.
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Daniela Feichtinger ist promovierte Alttestamentlerin und Autorin.
Beitragsbild: L. Bower (Creative Commons CC0 1.0 Universal Public Domain Dedication)
[1] Siehe z.B. Horstmann, Simone u.a. (Hg.): Alles, was atmet. Eine Theologie der Tiere, Regensburg: Pustet 2018; Linzey, Andrew: Christianity and the Rights of Animals, Eugene: Wipf & Stock 2016; Hagencord, Rainer: Die Würde der Tiere. Eine religiöse Wertschätzung, Gütersloh: Gütersloher Verlagshaus 2011; ders.: Gott und die Tiere. Ein Perspektivenwechsel, Regensburg: Pustet 2008.
[2] Siehe dazu auch den feinschwarz-Beitrag von Henrike Herdramm anlässlich des Welttierschutztages 2023: https://www.feinschwarz.net/die-tiervergessenheit-der-theologie/ [abgerufen am 20.10.2024].
[3] Siehe z.B. Laudato Sí 69.
[4] Bogart, Jo Ellen: The White Cat and the Monk. Illustrations by Sydney Smith, Groundwood Books 2016.
[5] Deutsch: Schmitt, Jean-Claude: Der heilige Windhund. Die Geschichte eines unheiligen Kults, Stuttgart: Klett-Cotta 1982.
[6] Vgl. Hobgood-Oster, Laura: Holy Dogs and Asses. Animals in the Christian Tradition, Chicago: University of Illinois 2008. 104.
[7] Siehe dazu den feinschwarz-Beitrag von Martin M. Lintner, https://www.feinschwarz.net/ein-kreuz-fuer-hund-und-katz/ [abgerufen am 20.10.2024].
[8] Röther, Christian: „Eine Kirche für verstorbene Tiere“, Deutschlandfunk 12.01.2024, https://www.deutschlandfunk.de/eine-kirche-fuer-verstorbene-tiere-interview-mit-tierbestatterin-ellen-weinmann-dlf-c7f5a2b2-100.html [abgerufen am 20.10.2024].