Auf der Suche nach spiritueller Orientierung werden Menschen immer weniger bei Kirchen fündig. Das „Netzwerk Wege zum Leben. In Südwestfalen.“ reagiert darauf. Ein Bericht von Susanne Falk
Spirituelle Suche und Erfahrung gehören für viele Menschen zum Leben dazu. Die Suche schließt das Bedürfnis nach Stille und Zu-Sich-Kommen, nach Orientierung und (Lebens-)Sinn ein. In Südwestfalen arbeitet das Netzwerk Wege zum Leben daran, auf diesen Bedarf mit konkreten Angeboten zu antworten und dabei Neues zu erproben, aber auch etwas vom Reichtum der überlieferten spirituellen Praxis zu vermitteln. Dazu haben sich Tourismusinstitutionen und Kulturinitiativen, Heimatarbeit und Regionalentwicklung, die Kirchen und Vertreter:innen der anderen großen Weltreligionen zusammengetan und mit der Veranstaltungsreihe Spiritueller Sommer und den Sauerland-Seelenorten dauerhafte, inspirierende Angebote geschaffen.
Gemeinsam wollen sie spirituelles Denken und Handeln in der Region fördern, in der Überzeugung, dass darin eine große Kraft liegt, mit der sich auch die existenziellen Fragen der Gegenwart bewegen lassen. Inzwischen ist dadurch in Südwestfalen, einer ländlichen, gleichwohl wirtschaftsstarken Region im Süden von Nordrhein-Westfalen, eine einzigartige, lebendige und vor allem vielseitige spirituelle Kultur entstanden, die viele Menschen anspricht und zusammenbringt. Zielgruppen sind die Bewohner:innen und Gäste der Region, die spirituell Suchenden mit und ohne religiöse Bindung.
Vom Tanz des Derwisch bis hin zur Familien-Wanderung.
Als sich 2010/2011 in Schmallenberg erstmals Vertreter:innen von Tourismus, Katholischer und Evangelischer Kirche trafen, um neue Wege der Zusammenarbeit zu gehen, hat sich wohl noch niemand vorstellen können, dass daraus mit dem Spirituellen Sommer eines der großen Kulturevents der Region entstehen würde. Der Plan war mehr als verwegen, aber er ging auf: Aus den Spirituellen Tagen entwickelte sich in kurzer Zeit der Spirituelle Sommer mit über 200 Veranstaltungen in drei Monaten in den Kreisen Olpe, Siegen-Wittgenstein und Soest, im Märkischen Kreis und im Hochsauerlandkreis.
Dass der Begriff Spiritualität heute in Südwestfalen neu gedacht und gelebt wird, ist der Verdienst von über 500 Akteur:innen in Kulturinitiativen, Kirchengemeinden und Heimatarbeit, in Bildungshäusern und Tourismusorganisationen, die sich im Netzwerk ehrenamtlich und hauptamtlich engagieren. Damit ist eine hohe Authentizität gegeben, die das „von unten“ gewachsene Projekt besonders auszeichnet und nachhaltig stärkt. Umgekehrt erhalten die Akteur:innen über die Aktivitäten im Netzwerk neue Impulse und erhöhen die Wahrnehmung ihrer Angebote.
Grundlage und Voraussetzung dieser gemeinsamen Arbeit sind die Offenheit für zeitgemäße Formen von Spiritualität und die Akzeptanz ganz unterschiedlicher Zugänge dazu. So steht im Spirituellen Sommer eine Installation internationaler Künstler:innen gleichberechtigt neben dem Tanz eines Derwischs in einer Kirche, die Baummeditation einer Gesundheitspraxis neben einer philosophischen Matinee, die Einführung in die Zen-Meditation neben der Familien-Wanderung einer Kirchengemeinde, ein Tag zum Thema „Kraft der Rituale“ neben dem Ney-Flötenkonzert in einer Moschee.
Erfolgsfaktor Netzwerk
Die Resonanz darauf ist beeindruckend. Der Spirituelle Sommer erreicht Jahr für Jahr fast 10.000 Menschen, die das Angebot mit großem Interesse aufnehmen und sich immer wieder für Experimentelles und Unvermutetes öffnen. Für diese Offenheit und seine Innovationskraft wird das Netzwerk in der Region und darüber hinaus sehr geschätzt.
Zur organisatorischen und finanziellen Absicherung der Netzwerkarbeit wurde im Oktober 2016 eine Fördergemeinschaft gegründet. Deren Mitglieder sind aktuell die Schmallenberger Sauerland Tourismus GmbH, das Erzbistum Paderborn samt den sechs südwestfälischen Dekanaten, der Evangelische Kirchenkreis Soest-Arnsberg sowie der Sauerländer Heimatbund. Die Aktivitäten des in dieser Form wohl einzigartigen Netzwerks werden im Rahmen des Regionalen Kultur Programms vom Ministerium für Kultur und Wissenschaft des Landes Nordrhein-Westfalen gefördert. Außerdem unterstützen Banken, Unternehmen, Stiftungen, die Kreise in Südwestfalen und weitere Institutionen die Arbeit des Netzwerks.
Die Zusammenarbeit fällt leicht, weil es den Beteiligten vor allem um die Sache geht und es nicht die eine Institution gibt, die die Richtung bestimmt. Die im ländlichen Raum etablierten Strukturen mit ihrem hohen Grad an informeller Vernetzung, der weit entwickelten Einsicht in die Notwendigkeit eines Miteinanders und der Fähigkeit zur Improvisation und pragmatischem Denken, wirken sich sehr positiv auf die Arbeit aus. Hilfreich ist auch die enge Zusammenarbeit mit Institutionen der Regionalentwicklung wie der Südwestfalen Agentur und dem Strukturprogramm REGIONALE des Landes NRW, die die Vernetzung in der Region und Konzepte für deren Weiterentwicklung fördern.
Spiritualität und regionale Entwicklung.
Die Arbeit des Netzwerks Wege zum Leben nimmt bewusst Bezug auf die Voraussetzungen und Bedarfe der ländlichen Region. Zu den Voraussetzungen gehört zum einen das große Potential der Kulturlandschaft in Südwestfalen mit ihrer beeindruckenden Natur und zahlreichen traditionsreichen spirituellen Orten. Zum anderen die Tatsache, dass es – trotz des auch hier weit fortgeschrittenen Abbruchs christlicher Traditionen – immer noch eine relevante Zahl spirituell gebildeter und interessierter Menschen gibt, die Angebote machen und suchen. Der Bedarf ergibt sich, wie in anderen Regionen auch, aus dem Mangel an spirituellen Angeboten, die die Menschen wirklich erreichen, bei gleichzeitig wachsender Sehnsucht nach Sinn und Orientierung.
Die Angebote des Spirituellen Sommers laden die Menschen ein, innezuhalten, bewusst Momente der Stille und Entschleunigung zu erleben und auf unterschiedliche Weise mit sich, mit der Welt und ihrer spirituellen Suche in Kontakt zu kommen. Sie beziehen sich auf die Traditionen der großen Weltreligionen und Weisheitsschulen sowie auf das Erleben von Natur, Kunst und Gemeinschaft: Meditationen, spirituelle Wanderungen, Pilgerangebote und besondere Gottesdienste, Übungen zur Achtsamkeit, Konzerte, Performances, Tanzworkshops, Kunstinstallationen, kulturgeschichtliche Führungen und Wanderungen, Ausstellungen, Vorträge und Lesungen.
Die jährlich über 200 Veranstaltungen an mehr als 80 Orten in ganz Südwestfalen füllen ein 100 Seiten starkes, hochwertig gestaltetes Programmheft mit einem weiterführenden redaktionellen Teil. Höhepunkte der Veranstaltungsreihe sind Kunstprojekte, Konzerte und Lesungen mit internationalen Künstler:innen sowie hochrangig besetzte Gesprächsformate zum Verhältnis von spirituellem Denken und Handeln und gesellschaftlicher Verantwortung.
Um die Angebote zu fokussieren, richtet sich der Spirituelle Sommer seit 2016 jeweils für drei Jahre an einem Leitthema aus. Nach „Licht“, “Wasser“ und „Himmel und Erde“ folgt 2025-2027 – vorbehaltlich einer Förderung durch das Land NRW – ein Spiritueller Sommer zum Thema „Sinn und Sinne“. Darin soll es u.a. um (Lebens)sinn, sinnliche Wahrnehmung, Sinnsuche, Sinnquellen, offene Sinne gehen. Wie und worin finden wir Sinn? Suchen oder brauchen wir überhaupt Sinn? Und welche Rolle spielen unsere Sinne dabei, wenn wir unserem Leben Sinn geben wollen?
Sauerland-Seelenorte und COM.UNITY
Im Leitbild für einen Spirituellen Tourismus, das das Netzwerk 2015 entwickelt hat, wurde die Forderung nach einem ganzjährig verfügbaren spirituellen Angebot formuliert. 2017 bis 2019 beteiligten sich die Akteur:innen des Netzwerks darum als Partner der Sauerland-Wanderdörfer an der Entwicklung der Sauerland-Seelenorte, 42 Orte lebendiger Stille in der Region, die die Menschen berühren, in Resonanz bringen und zu spiritueller Erfahrung einladen. Die Felsen und Steinbrüche, Kirchen und mächtigen Bäume, Stollen und Berggipfel wurden in einem moderierten Prozess mit den Menschen vor Ort ausgesucht. Sie sind heute fest im touristischen Angebot der Region verankert und werden u.a. im Spirituellen Sommer für Veranstaltungen genutzt.
Um sich zukunftsorientiert weiterzuentwickeln und neue Partner unter Unternehmen und jungen Erwachsenen zu finden, hat das Netzwerk im Rahmen der REGIONALE 2025 mit COM.UNITY ein weiteres wegweisendes Projekt entwickelt: In einer Ära der Beschleunigung, Überlastung und medialen Entfremdung in der digitalen Transformation setzt sich das Netzwerk dafür ein, dass in Südwestfalen digitale Vernetzung und menschliche Verbundenheit zusammengehen: Verbundenheit mit sich selbst, mit der Natur und mit anderen Menschen. In Zusammenarbeit mit verschiedenen Partnern wurden Angebote entwickelt und erprobt, die die Bedeutung von Verbundenheit vermitteln und diese (spirituelle) Qualität erlebbar machen. So z.B. bei einem Tag der Verbundenheit oder dem dreitägigen COM.Festival. Hier vermitteln Expert:innen in innovativen Formaten den Stand der Wissenschaften zum Thema, Künstler:innen geben Impulse und in der Natur wie in moderierten Diskurs- und Erlebnisräumen können die Teilnehmenden Erfahrungen des Verbundenseins machen. Beide Formate stehen interessierten Institutionen, Unternehmen und Gruppen auf Nachfrage ganzjährig zur Verfügung.
Das Beispiel Südwestfalen zeigt die innovative Kraft des – nicht nur in den Metropolen – oftmals unterschätzen ländlichen Raums. Was die Möglichkeiten einer Kultur des zeitgemäßen spirituellen Denkens und Handelns betrifft, möchte das Netzwerk Wege zum Leben. In Südwestfalen auch in Zukunft Vorreiter sein und freut sich auf alle, die diesen Weg in einem inspirierenden, lebendigen Miteinander mitgehen wollen.
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Kontakt
Netzwerk Wege zum Leben. In Südwestfalen.
c/o Schmallenberger Sauerland Tourismus GmbH
Poststr. 7, 57392 Schmallenberg
02972-974017
info@wege-zum-leben.com
Susanne Falk, 02721-840335
info@susannefalk.de
Bild: Klaus-Peter Kappest