Anlässlich des heutigen „Internationalen Tages zur Beseitigung von Gewalt gegen Frauen“ berichtet Lena John über die Arbeit von Frauenhäusern und deren Notwendigkeit als Schutzort für Frauen und Kinder.
In der Schweiz ist häusliche Gewalt ein weit verbreitetes und ernstzunehmendes Problem. Dies lässt sich mit einigen Zahlen verdeutlichen: Im Jahr 2023 registrierte die Polizei in der Schweiz 19’918 Straftaten im häuslichen Bereich. Im gleichen Jahr wurden in diesem Zusammenhang 11’479 geschädigte Personen polizeilich registriert, davon 70,1% weibliche Personen (Bundesamt für Statistik (BFS) 2023). Es handelt sich also um ein Problem, das Frauen in besonderem Masse betrifft. Viele Fälle häuslicher Gewalt bleiben zudem unentdeckt oder werden aus Angst und Scham nicht gemeldet.
Die Zahlen zeigen auch, dass häusliche Gewalt nicht auf bestimmte Altersgruppen, Nationalitäten oder soziale Schichten beschränkt ist. Frauen aus allen Lebensbereichen sind betroffen. Besonders besorgniserregend ist, dass jede fünfte Frau in der Schweiz mindestens einmal in ihrem Leben physische oder sexualisierte Partner:innengewalt erlebt hat (Amnesty International 2019). Neben physischer Gewalt sind psychische und sexualisierte Gewalt, Stalking und wirtschaftliche Abhängigkeit häufige Gewaltformen.
Frauen aus allen Lebensbereichen sind betroffen.
Im Jahr 2023 suchten 1’261 Frauen und über 1’166 Kinder Zuflucht in den Frauenhäusern der Schweiz, so die Dachorganisation der Frauenhäuser Schweiz und Liechtenstein (DAO) (2024). Diese Zahlen verdeutlichen die anhaltend hohe Nachfrage nach sicheren Unterkünften und den Schutz, den Frauenhäuser bieten. Die DAO setzt sich auf nationaler Ebene für von häuslicher Gewalt betroffene Frauen und Kinder ein. Mitglieder sind 22 Frauenhäuser und ein Mädchenhaus. Aufgaben der DAO sind die politische Arbeit, die Koordination unter den Mitgliedern, die Förderung der Visibilität der Frauenhäuser, das Sichtbarmachen des Themas häusliche Gewalt und Frauenhäuser sowie das Vernetzen auf nationaler Ebene. Die DAO arbeitet hierbei mit einer feministischen Grundhaltung. Das heisst, ihre Mitglieder engagieren sich für eine gewaltfreie Gesellschaft, die auf der Gleichstellung aller Menschen beruht.
Die Arbeit der Frauenhäuser
Frauenhäuser erfüllen eine wichtige Funktion im Kampf gegen häusliche Gewalt. Sie bieten nicht nur Schutz vor weiteren Gewaltformen, sondern auch umfassende Unterstützung, um den betroffenen Frauen und ihren Kindern einen Weg aus der Gewalt zu ermöglichen. In der Schweiz gibt es derzeit 22 Frauenhäuser. Ihre Arbeit ist vielfältig und reicht weit über die Bereitstellung eines sicheren Zufluchtsortes hinaus.
In der Morgenrunde wird festgelegt, was am entsprechenden Tag anfällt.
Auch sind die Geschichten von Frauen und Kindern in den Frauenhäusern unterschiedlich. Die Gründe für die Aufnahme in ein Frauenhaus variieren sowie auch die Abläufe während des Frauenhausaufenthaltes. So gestaltet sich auch die Arbeit der Mitarbeiterinnen in Frauenhäusern äusserst vielfältig. Morgens ist selten klar, was diese heute erwartet. Eruiert wird dies in der Morgenrunde zwischen den Frauen und den Mitarbeiterinnen. Hierbei wird festgelegt, was am entsprechenden Tag anfällt. Während eine Frau einen Besuch bei der Psychotherapeutin wahrnimmt, hat eine andere einen Termin bei ihrer Anwältin und wieder eine andere hat ein Gespräch mit ihrer Bezugsperson im Frauenhaus. Die beherbergten Kinder erhalten häufig ein Spielangebot. Aber auch sie werden oft psychotherapeutisch begleitet, denn viele von ihnen haben selbst Gewalt erlebt oder wurden Zeug:innen von Gewalt. Diese traumatischen Erlebnisse können schwerwiegende Folgen für die psychische und emotionale Entwicklung der Kinder haben. Frauenhäuser bieten daher spezielle Unterstützung für Kinder an, um ihnen zu helfen, die erlebte Gewalt zu verarbeiten und eine gesunde Entwicklung zu ermöglichen.
- Schutz und Sicherheit
Die Hauptaufgabe der Frauenhäuser ist es, Frauen und deren Kinder vor akuter Gewalt zu schützen. Sobald eine Frau in ein Frauenhaus eintritt, erhält sie sofort Zugang zu einem sicheren Raum. Frauenhäuser sind in der Regel anonyme Orte, um die Sicherheit der Bewohner:innen zu gewährleisten. Der Schutz vor dem:r Täter:in ist oberste Priorität. Es werden alle notwendigen Sicherheitsvorkehrungen getroffen, um die Frauen vor möglichen Verfolgungen oder Übergriffen zu schützen. Dazu gehört auch, dass die Adressen der Frauenhäuser nicht öffentlich gemacht werden. Die Kontaktaufnahme erfolgt häufig über Beratungsstellen, die Polizei oder durch eigene Meldung via Telefon.
- Psychosoziale Unterstützung
Neben der physischen Sicherheit ist die psychosoziale Unterstützung ein zentraler Bestandteil der Arbeit in Frauenhäusern. Die Betroffenen leiden oft unter schweren psychischen und physischen Belastungen durch die erlebte Gewalt. Psychologische Beratung und Gespräche mit Sozialarbeiterinnen helfen den Frauen dabei, das Erlebte zu verarbeiten und neue Perspektiven zu entwickeln. Aus diesem Grund arbeiten viele Frauenhäuser mit Psycholog:innen und Therapeut:innen zusammen, die auf Traumabewältigung spezialisiert sind.
- Rechtliche Beratung
Frauenhäuser bieten auch rechtliche Unterstützung an, um den Frauen in ihrer schwierigen Lage zu helfen. Oft wissen die Betroffenen nicht, welche rechtlichen Schritte sie unternehmen können, um sich und ihre Kinder zu schützen. Frauenhäuser vermitteln daher Anwält:innen, die auf das Thema häusliche Gewalt spezialisiert sind. Sie unterstützen die Frauen bei der Beantragung von Schutzmassnahmen, der Regelung des Sorgerechts oder bei der Durchsetzung von Unterhaltsansprüchen. Auch in Fragen des Aufenthaltsrechts stehen Frauenhäuser beratend zur Seite.
- Hilfe bei der Reintegration
Ein weiterer wichtiger Aspekt der Arbeit der Frauenhäuser ist die Unterstützung bei der Reintegration in ein selbstbestimmtes Leben. Viele Frauen, die in einem Frauenhaus Zuflucht suchen, stehen vor der Herausforderung, sich ein neues Leben aufzubauen – sei es durch die Suche nach einer neuen Wohnung, die Aufnahme einer Erwerbstätigkeit oder die Regelung der Kinderbetreuung. Frauenhäuser unterstützen die Frauen dabei, wieder Fuss zu fassen, und bieten Hilfestellung bei der Kinderbetreuung und der sozialen Wiedereingliederung.
Die Wichtigkeit der Frauenhäuser
Die Arbeit der Frauenhäuser ist von enormer gesellschaftlicher Bedeutung. Sie bieten nicht nur Schutz vor unmittelbarer Gewalt, sondern spielen auch eine zentrale Rolle bei der Prävention und langfristigen Bekämpfung von häuslicher Gewalt. Durch die Bereitstellung von sicherem Wohnraum und umfassender Betreuung schaffen Frauenhäuser die Grundlage dafür, dass betroffene Frauen die Kraft und den Mut finden, sich aus einer Gewaltbeziehung zu lösen und ein eigenständiges Leben aufzubauen.
- Gesellschaftlicher Wandel
Indem Frauenhäuser häusliche Gewalt sichtbar machen und die Gesellschaft für dieses Thema sensibilisieren, leisten sie einen wesentlichen Beitrag zum gesellschaftlichen Wandel. Sie arbeiten eng mit anderen Organisationen wie Polizei, Spitälern und sozialen Einrichtungen zusammen, um ein Netzwerk der Unterstützung zu schaffen. Zudem sind Frauenhäuser oft in Präventions- und Aufklärungskampagnen aktiv, die das Bewusstsein für häusliche Gewalt in der Gesellschaft stärken und langfristig dazu beitragen, Gewalt zu reduzieren.
Der 25. November: Internationaler Tag zur Beseitigung von Gewalt gegen Frauen
Am 25. November wird weltweit der „Internationale Tag zur Beseitigung von Gewalt gegen Frauen“ begangen. Dieser Tag wurde von den Vereinten Nationen im Jahr 1999 offiziell ausgerufen und erinnert an die Notwendigkeit, Gewalt gegen Frauen in all ihren Formen zu bekämpfen.
Bewusstsein für häusliche Gewalt und Solidarität mit den Opfern
Mit zahlreichen Veranstaltungen und Demonstrationen wird in der Schweiz am 25. November darauf aufmerksam gemacht, wie dringlich es ist, das Bewusstsein für häusliche Gewalt zu schärfen und Solidarität mit den Opfern zu zeigen. Viele Organisationen, darunter Frauenhäuser, rufen unter dem Motto «16 Tage gegen Gewalt an Frauen» zu Aktionen auf, um die Öffentlichkeit zu sensibilisieren und politische Massnahmen zur Bekämpfung von Gewalt zu fordern.
Der 25. November ist eine Mahnung an die internationale Gemeinschaft, dass der Kampf gegen Gewalt an Frauen noch lange nicht gewonnen ist. Frauenhäuser sind dabei ein unverzichtbarer Teil der Lösung, doch es bedarf weiterer gesellschaftlicher und politischer Anstrengungen, um eine Welt zu schaffen, in der Frauen frei von Gewalt leben können.
Quellen und weiterführende Informationen:
Amnesty International (2019): Factsheet Sexuelle Gewalt an Frauen in der Schweiz.
BFS (2023): Häusliche Gewalt.
DAO (2024): Jahresbericht der DAO.
Lena John ist Co-Geschäftsleiterin der Dachorganisation der Frauenhäuser Schweiz und Liechtenstein (DAO). Vor ihrer Anstellung bei der DAO im Mai 2020 hat sie während mehrerer Jahre in verschiedenen Funktionen in zwei Frauenhäuern gearbeitet.
Porträtfoto: Nathalie Jufer
Beitragsbild: Frauenhaus beider Basel