Egbert Ballhorn über Weihnachten als ein Ereignis vom rechten Suchen – und einem heilsamen Fund.
Wer die Antworten hat, muss nicht suchen. Wer am lautesten ruft, dass alles ganz einfach sei, zieht Blicke und Wählerstimmen auf sich. Wer bei anderen die Probleme verortet, geht selbst frei aus. – Wir erleben eine Gesellschaft, die sich mit der Orientierung schwertut und der es lieber zu sein scheint, Lösungen gefunden zu haben, als sich auf eine mühsame Suche zu begeben.
Wer wirklich finden will, muss beim Suchen offen sein und findet dann vielleicht anderes als zuerst erwartet.
Die Hirten und die Botschaft
Im Weihnachtsevangelium nach Lukas ist die Spannung von Suchen und Finden geradezu das Leitmotiv. Der Engel verkündet den Hirten die Geburt des Retters, und allein dies ist schon etwas Unerwartetes. Der Retter ist niemand, der strahlend und offensichtlich in der Welt erscheint. Er muss verkündet werden, denn sonst erkennt man ihn gar nicht. Und darauf folgt die nächste Merkwürdigkeit: Dieser Retter ist ein Säugling in Windeln, nun wirklich kein Zeichen, das ihn von anderen Kindern unterscheidet. Nur der Futtertrog, in dem es liegt, ist etwas Außergewöhnliches. Nicht das Kind ist in der Weihnachtsgeschichte vom Glanz umgeben, sondern die Botschaft, die die Engel in die Welt bringen: Dort strahlt es.
Nun können die Hirten sich auf den Weg machen. Gerade darin liegt die Botschaft: der Retter ist jemand, der von Anfang an gesucht werden muss. Hierzu reichen die eigenen Augen nicht aus, denn sie sehen nur – ein Kind. Was hinzutreten muss, ist die Botschaft „Dieses Kind ist Gottes Zukunft für die Welt“. Teil der Weihnachtsbotschaft ist auch, dass die Erlösung von Gott her in die Welt kommen muss. Daher die Engel als Boten und die Hirten als Suchende.
Nicht das Kind ist in der Weihnachtsgeschichte vom Glanz umgeben, sondern die Botschaft, die die Engel in die Welt bringen.
Dabei hat jede Einzelheit Gewicht: Erst nachdem die Boten Gottes verschwunden sind und der Himmel wieder dunkel geworden war, machen sich die Hirten auf die Suche. Nun haben sie die Botschaft und sind durch sie in der Lage, das Kind zu finden. Die Boten haben den Hirten Augen des Glaubens geschenkt, denn jetzt können sie beides zusammen bringen: das Kind als „das Ereignis, das geschehen ist“ und die Botschaft „die der Herr uns kundgetan hat“ (Lk 2,15). In dem, was jeder sehen kann, können sie das ganz Außergewöhnliche entdecken. Auf diese Weise wird ihnen die Erfüllung ihrer Sehnsucht geschenkt. „Und sie kamen und fanden“ (2,16).
Aber selbst damit ist die Geschichte der Hirten noch nicht beendet. Nachdem sie das Kind gefunden haben, kehren sie nicht in ihren Alltag zurück, sondern klären die Eltern über die Bedeutung ihres eigenen Kindes auf: „Als sie es sahen, erzählten sie von dem Wort, das ihnen über dieses Kind gesagt worden war“ (2,17). Und schließlich heißt es: „Sie rühmten Gott für alles, was sie gehört und gesehen hatten“ (2,20). Suchen und Finden, Hören und Sehen, Botschaft und Kind gehören zusammen. Freilich müssen sie erst zusammengebracht werden. Damit werden die einfachen Hirten zu Engeln, denn sie übernehmen die beiden Aufgaben der himmlischen Boten: sie verkünden die Botschaft, und sie loben Gott.
In dem, was jeder sehen kann, können die Hirten das ganz Außergewöhnliche entdecken.
Die Hirten sind bei Lukas Idealgestalten des Glaubens. Sie lassen sich auf die göttliche Botschaft ein und können daher das, was sie finden, auslegen und verstehen: es mit Gottes Zuwendung zur Welt zusammen bringen.
Die Frauen und die Botschaft
Mit dem gefundenen Kind ist das große Thema vom Suchen und Finden nicht an sein Ende gelangt. Es ist erst der Anfang. Wer sich auf den Gottesweg bringen lässt, lernt nicht aus.
Auch am Ende des Lukasevangeliums steht eine Erzählung vom rechten Suchen und Finden. In der Frühe des ersten Wochentags kommen die Frauen zum Grab. Das erste, was berichtet wird, ist eine Irritation: Sie finden nur den weggewälzten Stein (die Einheitsübersetzung ist hier ungenau, wenn sie „sehen“ schreibt). Die Irritation steigert sich noch, denn den Leib des Herrn finden sie nicht (Lk 24,3). Eine Geschichte vom missglückten Suchen und Finden? So könnte es zuerst scheinen. Aber ganz im Gegenteil; als die Frauen verwirrt sind, erhalten sie die Botschaft: „Was sucht ihr den Lebendigen unter den Toten?“. Das Gesuchte nicht zu finden, ist der Anfang der Erlösung. Und die Boten fügen noch hinzu: „Erinnert euch, wie er zu euch geredet hat“ – also die Rede Jesu von seinem Tod und seiner Auferstehung. Die ihnen schon längst bekannten Worte treffen sie plötzlich neu und bringen die Frauen zum Glauben: „Und sie erinnerten sich seiner Worte und kehrten vom Grab zurück und verkündeten dies alles den Elfen und allen anderen“ (Lk 24,9).
Das Gesuchte nicht zu finden, ist der Anfang der Erlösung.
Was mit bloßen Augen zu sehen ist, das leere Grab, enthält noch keine Botschaft, die Glauben hervorbringt; es verwirrt vielmehr. Auch der Glanz der Boten bewirkt aus sich noch nichts. Erst die Erinnerung an die Botschaft Jesu bringt die Frauen zum Glauben. Nun werden sie selber zu Botinnen des Auferstandenen und übernehmen die Rolle der himmlischen Boten.
Suchen. Und Finden
Die Frauen und die Hirten. Zweimal eine ähnliche Geschichte, zweimal lässt Gott seinen Retter finden, und beide Male braucht es die Erinnerung an die Botschaft, um recht zu suchen und im Unerwarteten und Unscheinbaren das den Weltenlauf Umstürzende zu finden.
… recht zu suchen …
Darin liegt der ganze Trost der Erzählungen bei Lukas: Weder die Hirten an der Krippe noch die Frauen am leeren Grab sind uns in dem, was sie erfahren, voraus, denn sie sehen ja nur einen Säugling im Futtertrog und einen weggewälzten Stein. Erst von der Botschaft kommt der Glanz, es sind die Worte, die Augen des Glaubens schenken, in der unscheinbaren Wirklichkeit Gottes überwältigendes Handeln zu erkennen. Mit neuen Augen sehen, Gottes Wort vertrauen. Die Botschaft, dass Gott die Welt nicht allein lässt, lässt auch uns in dem, was wir sehen, etwas ganz Neues finden.
Egbert Ballhorn ist Professor für Exegese und Theologie des Alten Testaments am Institut für Katholische Theologie der TU Dortmund und Vorstandsvorsitzender des Katholischen Bibelwerks e.V.
Beitragsbild: „Überraschte Maria“ von Ursula Eberhard