In Netzwerken gemeinschaftlichen Wohnens kommen kirchliche Immobilien momentan stärker in den Blick. Birgit Kasper aus Frankfurt beschreibt die Potentiale.
Feinschwarz: Wie wollen Menschen heutzutage wohnen?
Birgit Kasper: Deutlich vielfältiger als noch vor 30 oder 40 Jahren! Heutzutage haben beispielsweise Frauen, die über ihren Ruhestand nachdenken, ganz andere Perspektiven als noch ihre Müttergeneration. Wohnbiographien differenzieren sich zunehmend aus, denn Wohnen ist mehr als ein Dach über dem Kopf und mehr als nur der Start- oder Endpunkt von Alltagsmobilität. Vor allem Menschen, die Lebenszeit in der Wohnung verbringen wie Haushalte mit Kindern, ältere Menschen oder Personen, die zuhause arbeiten, erkennen die wichtige Bedeutung von guter Nachbarschaft und aktivem sozialem Umfeld.
Wohnen ist mehr als ein Dach über dem Kopf
Und warum ist das für Kirche eine interessante Frage?
Kirchliche Liegenschaften, also Kirchen, Gemeindezentren, Gemeindehäuser, Pfarrhäuser und andere Gebäude, sind sogenannte Dritte Orte, also nach dem Wohnen und dem Arbeiten die Räume für Begegnung und Kommunikation im sozialen Nahraum. Verständlicherweise müssen die Kirchen Strategien entwickeln für den Umgang mit Gebäuden, die sie nicht mehr benötigen und nicht mehr bewirtschaften wollen. Aber wenn sie abgegeben werden müssen, ist die Frage, ob man in die Zukunft der Liegenschaft investiert und Nutzungen ermöglicht, die dem Bedarf von Gemeinden oder Nachbarschaften entsprechen oder die Räume für Begegnung schaffen. Veräußert man Liegenschaften lediglich zum höchsten Preis, zerstört man den sozialen Raum, weil die Folgenutzung diesen höchsten Preis natürlich wieder möglichst renditeträchtig erwirtschaften muss.
Veräußert man Liegenschaften lediglich zum höchsten Preis, zerstört man den sozialen Raum.
Haben Sie ein konkretes Beispiel, wie es gut laufen kann?
Ja, es gibt bundesweit mittlerweile gute Beispiele für gemeinwohlorientierte Folgenutzungen von Kirchenliegenschaften, und das Netzwerk Frankfurt hat 2024 mit Unterstützung der Stadtkirche Frankfurt und dem Haus am Dom eine kleine Wanderausstellung entwickelt mit fünf ganz unterschiedlichen, guten Beispielen der Umnutzung von Kirchenliegenschaften zu gemeinschaftlichem Wohnen. Das reicht vom Pfarrhaus in Nordhessen bis zur Klosteranlage am Kochelsee, vom Neubau auf dem Grundstück des zu groß gewordenen Gemeindehauses bis zum Umbau einer Kirche für einen sozialen Trägerverein. Die Beispiele der Wanderausstellung sind auch in unserer kleinen Broschüre online zu finden. Wir haben bei der Recherche Wert gelegt auf die Rechtsform der Projekte, denn damit kann man die dauerhaft gemeinwohlorientierte Nutzung sichern.
Welche Modelle gemeinschaftlichen Wohnens gibt es?
Es gibt eigentlich keine zwei Projekte, die identisch sind. Aber man kann sie grob kategorisieren: die selbstorganisierten, gemeinwohlorientierten Projekte, die sich als Gruppe zusammenfinden, sich ein Leitbild geben, Finanzierung und Rechtsform klären und für ihre künftige Gemeinschaft ein Haus bauen, vorzugsweise als Genossenschaft oder im bundesweiten Verbund des Mietshäuser Syndikats. Diese Häuser zeichnen sich dadurch aus, dass sie meist neben den privaten Wohnungen mehrere gemeinschaftliche Räume haben nach dem Motto „Luxus liegt im Teilen“. Neben Veranstaltungsräumen, Dachterrasse, Waschsalon, Sauna oder Garten werden oft auch Alltagsgegenstände geteilt wie Autos, Werkzeug oder Kinderspielsachen.
Luxus liegt im Teilen.
Zum anderen gibt es Gruppen, die sich die Entwicklung eines Bauprojekts nicht zutrauen wollen, sondern buchstäblich ein Dach suchen. Das kann die städtische Wohnungsbaugesellschaft sein, eine Traditionsgenossenschaft oder eine Stiftung, die mit der Gruppe den Neubau diskutiert, aber dann in eigener Verantwortung finanziert und baut. In dieser Kooperation mieten die künftigen Bewohner:innen die Wohnungen im neuen Haus und verfügen meist auch über einen gemeinsamen Garten und einen Gemeinschaftsraum, der beispielsweise auch durch die Nachbarschaft im Quartier gemietet werden kann.
Was diese Modelle eint, sind die künftigen Bewohner:innen, die ihre Nachbarschaft nicht dem Zufall überlassen wollen, sondern Freude am sozialen Miteinander und an Engagement haben – und dafür braucht es die empathische Mitstreiter:innen sowie den geeigneten Standort – und Kirchenliegenschaften eignen sich dafür besonders gut.
Bewohner:innen mit Freude am sozialen Miteinander und an Engagement
GEMEINSCHAFTLICHES WOHNPROJEKT: Apfelbutze in Simmershausen
Die evangelische Kirchengemeinde Simmershausen im Landkreis Kassel verkaufte 2021 ihr Pfarr- und Gemeindehaus an das gemeinschaftliche Wohnprojekt „Apfelbutze“. Mit dem Verkaufserlös wird die Kirche zum multifunktionalen Raum umgebaut. Unterhalb der Empore entsteht ein durch eine Glaswand abgetrennter Gemeinderaum.
Bis zu dessen Fertigstellung nutzt die Kirchengemeinde das alte Gemeindehaus noch mietfrei für fünf Jahre. Im Gegenzug verkaufte sie die beiden Gebäude nicht zum Höchstpreis.
Im Herbst 2023 zogen 13 Erwachsene und ein Kind in das ehemalige Pfarrhaus. Das Wohnprojekt entstand aus einer Kerngruppe von sechs Personen, die nach einem Ort im Umland von Kassel suchten, den sie gemeinsam gestalten können.
Verbindend waren soziale und ökologische Ziele und der Wunsch, einen Lebensraum zu schaffen, der nach einer anderen Logik als der des maximalen Gewinns funktioniert. Dazu gehört zum Beispiel, dass der Wohnraum dauerhaft bezahlbar bleibt und der Gebäudebestand zukunftsorientiert saniert wird. Die aufwendige energetische Sanierung des Pfarrhauses ist bereits abgeschlossen.
Die Apfelbutze plant, ein Wohnprojekt nach dem Modell des Mietshäuser Syndikats zu werden – einem bundesweiten Verbund selbstverwalteter Hausprojekte. Ziel des Verbundes ist, Wohnraum dem spekulativen Immobilienmarkt zu entziehen. Wohnprojekte unter diesem Dach können ihre Gebäude nicht mehr veräußern, weil der Verbund dazu ein Vetorecht hätte.
Für das alte Gemeindehaus hat die „Apfelbutze“ noch keinen Umbau geplant. Bis zum Auszug der Kirchengemeinde wolle man mit den Menschen in Simmershausen über mögliche Nutzungen ins Gespräch kommen. Eins steht für die Bewohner:innen fest: „Der Gemeindesaal soll als Saal und damit auch als Veranstaltungsort erhalten bleiben.“
Welche konkreten Schritte können Kirchengemeinden gehen, wenn sie ihr Gebäude abgeben, aber noch einen sozialen Auftrag erfüllen wollen?
Sofern klar ist, dass keine kirchliche oder anderweitige Nutzung durch Diakonie und Caritas oder einen anderen sozialen Träger stattfinden wird, ist der erste Schritt die Frage in Richtung kirchlicher sowie weltlicher Gemeinde nach dem Bedarf. Auch wenn eine Liegenschaft abgegeben werden soll, stehen noch verschiedene Varianten im Raum. Will man zum Beispiel in die Gemeinde investieren, indem langfristig bezahlbarer alternsgerechter Wohnraum entsteht, sollte die Betrachtung eines realistischen Ertrags und ein Konzeptverfahren die erste Wahl sein. Dadurch erhält nicht das Gebot mit dem höchsten Preis, sondern das Gebot mit dem besten Konzept den Zuschlag.
der erste Schritt: die Frage in Richtung kirchlicher sowie weltlicher Gemeinde nach dem Bedarf
Was kann man in einem Konzeptverfahren vorgeben? In welche Richtung kann man also die neue Nutzung ausschreiben?
Sofern die planungsrechtlichen Rahmenbedingungen geklärt sind, sollte man vom Ergebnis her denken: Was für ein Projekt mit welchen Nutzungen sollte bestenfalls an dem Ort entstehen. Wenn in einer Gemeinde z.B. besonderer Bedarf nach alternsgerechtem Wohnraum für engagierte Leute besteht, die für ihre Aktivitäten generationenübergreifenden und bezahlbaren Wohnraum brauchen und der neu gebaut werden muss, sollte man überschlägig rückwärts rechnen und Kriterien definieren. Dann wird zum Festpreis ausgeschrieben und die Bewerbungen von interessierten Gruppen können danach bewertet werden, inwieweit sie die Kriterien erfüllen oder sogar ein noch besser passendes Konzept umsetzen wollen. Es gibt zu Konzeptverfahren einen Leitfaden, der die Orientierung erleichtert: https://wohnprojekte-hessen.de/veroeffentlichung-zukunft-statt-leerstand/
vom Ergebnis her denken
Wo findet man Beratung?
Empfehlenswert ist, sich mit lokalen Netzwerken, Agenturen oder Planungsbüros in Verbindung zu setzen, die Erfahrung haben mit gemeinschaftlichen Wohnprojekten und meist auch mit Konzeptverfahren. In mehreren Bundesländern gibt es inzwischen auch Landesberatungsstellen (z.B. in Hessen) oder man nutzt das bundesweite Beratungsangebot WIN oder das Netzwerk der Berater:innen bei der Stiftung trias, wo man Kontakte zu lokaler oder regionaler Unterstützung finden kann. Wichtig ist, derartige Unterstützung zu Beginn der Überlegungen einzubeziehen, damit aus der Vielfalt der Handlungsoptionen die gewünschte Entwicklung konkret werden kann.
Birgit Kasper leitet als Stadtplanerin und Verwaltungswirtin seit 2009 die Geschäftsstelle des Netzwerks Frankfurt für gemeinschaftliches Wohnen e.V. mit einem ehrenamtlichen Vorstand und einem Team aus sechs Personen.
Interview: Kerstin Menzel
Beitragsbild: Apfelbutze Simmershausen
Zum Weiterlesen hier auf Feinschwarz: Sozial verantwortliche Immobiliennutzung