In seinem Buch „Der Jargon der Betroffenheit“ geht Erik Flügge mit einem kirchlichen Sprechen ins Gericht, das verklausuliert, wenig konkret und schwer verständlich ist. Aus den Erfahrungen eines pfarrlichen Alltags reagiert darauf Monika Wittmann.
Die mittlerweile 5. Auflage seines Buches innerhalb kurzer Zeit zeigt, dass Flügges Einschätzungen auf große Resonanz stoßen. Doch weiterführende Überlegungen lassen den Schluss zu, dass es nicht einfach darum gehen kann, das (auch zu Recht) kritisierte kirchliche Sprechen durchzustreichen.[1] Vielmehr deuten Flügges Forderungen darauf hin, dass sich in den heutigen und zukünftigen Tradierungsprozessen die Frage neu (und fortlaufend) stellt, wie von Gott gesprochen werden kann, dass aber ein solches Sprechen vorsichtiger und genauer sein und sich selbst zurücknehmen muss.
Die Häufigkeit der Verkündigungsaufgaben geht an das Qualitätslevel
Erik Flügge denkt in seinen Ausführungen nicht nur über die Sprache, die in der katholischen Kirche gesprochen wird, sondern auch über die Kirche als Institution und deren Seelsorgepersonal nach. Flügges Analysen[2] beleuchten Gründe für den Sprachverlust bzw. die Sprachnot in der Verkündigung. Diese sind aus meiner Sicht noch zu ergänzen. So könnte ein weiterer wichtiger Punkt auch in einer pastoralen Praxis liegen, in der Seelsorgerinnen und Seelsorger in einer solchen Häufigkeit Verkündigungsaufgaben wahrnehmen müssen, dass ein gewisses Qualitätslevel oft nicht erreicht oder gehalten werden kann.
Die eigenen geistlichen Prozesse laufen nicht im Turbo
Es ist eben eine wirkliche Aufgabe, eine Sprache zu entwickeln, die von Erfahrung getränkt und gleichzeitig so reflektiert ist, dass sie nachvollziehbar formuliert werden kann. Sich dann in komplizierten Worten zu verlieren, weil man einfach nicht zu fassen bekommt, was man eigentlich sagen will, ist dann leider ziemlich normal. Erfahrungen müssen gemacht werden, sie müssen reflektiert und dann wiederum zur Sprache gebracht werden. Dafür braucht es Ruhe und Zeit, die in der Geschäftigkeit einer Großpfarrei nicht immer vorhanden ist. Die eigenen geistlichen Prozesse laufen nicht im Turbo und sind Schwankungen unterworfen.
Doch die eigentlichen Themen, die unter diesen Herausforderungen liegen, gehen tiefer und sind viel fundamentaler. Natürlich ist es sinnvoll, sich Gedanken darüber zu machen, wie Kirche besser „ankommen“ kann, attraktiver wird und wie eine Sprache aussehen muss, die nicht antiquiert klingt. Überlegungen dieser Art gleichen aber einer Symptombehandlung, die an der eigentlichen Schwierigkeit vorbeigeht: Dass es Gott ist, von dem*der wir da zu sprechen versuchen und dass man von ihm*ihr nicht sprechen kann wie über einen Tisch oder einen Vorfall im Zug.
… tastender und vorsichtiger zur Sprache bringen, was man erfährt…
Analoge Rede[3], negative Theologie – alles keine neuen Themen. In ihrer Bedeutung für das konkrete Sprechen von Gott werden sie jedoch kaum berücksichtigt. Die kirchliche Tradition bietet Sprachformen und Vokabeln an, um von diesem*dieser Gott zu sprechen. Ist man in dieser Sprache groß geworden, ist es naheliegend, auch so zu reden: von der Allmacht, der Liebe, der Dreifaltigkeit, der Auferstehung, dem ewigen Leben oder auch der Transsubstantiation. Diese Vokabeln setzen allerdings voraus, dass ich bestimmte Vorgänge und Erfahrungen mit den sprachlichen Angeboten, die ich vorfinde, beschreiben kann. Ob die Kongruenz dessen, was sich Menschen persönlich zeigt, und bestimmten kirchlichen Formeln und Sprechweisen in früheren Zeiten stärker vorhanden war als heute, das sei dahingestellt.
Möchte ich authentisch von Gott sprechen, braucht es jedenfalls eine Übereinstimmung zwischen dem, was ich in mir ertasten kann, was sich mir zeigt und der Glaubenstradition, auf deren Basis ich diese Erfahrungen deuten kann. Diese Kongruenz kann es geben, es muss sie aber nicht geben. Wenn es sie nicht gibt, dann vielleicht auch, weil es ein unbewusstes Gespür dafür gibt, „daß das Reden von Gott die Reflexion ist, die auf ein ursprünglicheres, unthematisches, unreflexes Wissen von Gott verweist.“[4] Die vermeintliche Eindeutigkeit, Definierbarkeit und Sagbarkeit der „Erfahrung“ Gottes, des „Hören seines Rufes“ oder eines „Gott-Glaubens“ sind in einem hohen Maße exkludierend: Eine solche Rede verkürzt gefährlich, wovon sie spricht und schließt alle aus, die tastender und vorsichtiger zur Sprache bringen, was sie genau erfahren und wie sie das formulieren, was sie erfahren.
Gotteserfahrungen auf welche Weise sprachlich transkribieren?
Das ganze Feld theologischer Überlegungen, was überhaupt Gotteserfahrungen sind, wie sie sich äußern, wie Erfahrungen sprachlich transkribiert werden, wie sich überhaupt eine solche Sprache entwickelt, tut sich hier auf. Daher nur drei Anmerkungen:
1. Wenn das Sprechen von Gott seine Wurzel in einem eigenen Getroffensein (einer eigenen „Erfahrung“) haben und nicht nur eine Widergabe von theologischen Floskeln oder feststehenden Glaubensformeln sein soll, dann muss man diese Erfahrungen zunächst einmal machen und deuten. Dafür muss ich wahrnehmen, was mir widerfährt und dann möchte ich verstehen, was das ist, was mir da widerfahren ist – und das geht nicht ohne Sprache. Was mir von einem*einer anderen gesagt wird, kann mir dabei helfen und Verstehensmöglichkeiten für meine eigenen Erfahrungen eröffnen (ohne dass es der*die andere wissen kann). Um selbst sprechen zu können, muss ich also auf ein Repertoire zurückgreifen können, das ich mir nur im Laufe der Zeit aneignen kann. Dann kann ich darin erfahren werden, von Gott zu sprechen, sodass die einzelnen Ereignisse „zu einer Disposition [integriert werden], die einem ‚Gespür‘, einem gefühlten Wissen und Können gleichkommt.“[5]
2. Würden die Prediger*innen jedoch nur darauf zurückgreifen, was ihnen widerfährt, würde es vermutlich sehr still werden in den Kirchen. Denn so viele Erfahrungen macht niemand, dass er*sie davon jede Woche berichten könnte. Insofern würde ich dafür plädieren, die Sprache der christlichen Tradition als Angebot zu verstehen: Sie bietet mir Worte an, damit ich reden kann, auch dann noch, wenn mir die Erfahrungen fehlen oder ich sie nicht vor mich bringen kann. Und sie bietet mir ein Vokabular, dass ich mir aneignen kann und weiterentwickeln muss.
3. Religiöse (Sprach)Handlungen sind – mit Rahner verstanden – der „nachträgliche“ Ausdruck eines Vorgangs, der schon stattgefunden hat, nämlich des Wahrnehmens der eigenen Verwiesenheit, die wir im christlichen Kontext als die Verwiesenheit auf Gott deuten. In einem solchen expliziten Tun „im Gebet und in der metaphysischen Reflexion bringen wir nur ausdrücklich vor uns, was wir im Grunde unseres personalen Selbstvollzugs immer schon von uns selber ungesagt wissen.“[6] Alles Sprechen von Gott und von Gotteserfahrungen wird nur verständlich, „wenn alle Worte, die wir dabei machen, Verweise auf die unthematische Erfahrung unserer Verwiesenheit in das unsagbare Geheimnis hinein sind.“[7]
Nicht nur die anderen reden lassen, sondern es auch selbst versuchen.
Bei diesen Überlegungen geht es nicht darum, sie in genau dieser Weise in Predigten, Ansprachen o. ä. wiederzugeben. Sie können jedoch als eine Basis jedes*jeder Christen*Christin gedacht werden, der*die sich der Schwierigkeit aussetzt, von Gott zu sprechen. Dahinter steht die simple Erkenntnis, dass Gott nicht erkannt werden kann wie anderes in unserem Alltag und dass es diese Formen der Erkenntnis auch nie geben wird.[8] Man kann dies als Manko begreifen und dann eine Gotteskrise oder Kirchenkrise feststellen. Muss man aber nicht.
Mit dem Gesagten wird die Aufgabe nicht leichter. Das Sprechen von Gott wird ungenügend bleiben, das Scheitern notwendig sein. Die nahe liegende Lösung ist aber nicht, es dann einfach zu lassen, sondern radikal authentisch das Stammeln, das Nach-Worten-Suchen, das Sprachlos-bleiben auszuhalten. Und vor allem: Nicht nur die anderen reden lassen, sondern es auch selbst versuchen.
[1] Vgl. Arnd Bünkers Analyse auf feinschwarz.net: https://www.feinschwarz.net/jargon-der-betroffenheit-zum-hype-um-das-buch-von-erik-fluegge/ (12.9.16).
[2] Vgl. Flügge, Erik: Der Jargon der Betroffenheit. Wie die Kirche an ihrer Sprache verreckt, München 2016, 46-49, hier 48: Weil man nach dem kirchlichen Lehramt predigen müsse, sei „[m]an […] im Grunde gezwungen, gegen sich selbst zu predigen und Positionen zu vertreten, die man selbst nicht lebt. Heraus kommt verschwurbelte Unverständlichkeit, weil man das, woran man glaubt, nicht sagen darf und das, was man gegen sich sagt, möglichst nicht verstanden wissen will.“ Außerdem z. B. 52-54, hier kritisiert Flügge starre Hierarchien, das theologische Aufladen verschiedener Themen oder das „sich selbst ständig reproduzierende System“ (53) Kirche, wodurch die Mitarbeiterschaft wenig heterogen ist.
[3] Vgl. die Feststellung des IV. Laterankonzils (1215), in dem es heißt, dass „[man] zwischen dem Schöpfer und dem Geschöpf […] keine so große Ähnlichkeit feststellen [kann], daß zwischen ihnen keine noch größere Unähnlichkeit festzustellen wäre.“ (DH 806)
[4] Vgl. Rahner, Karl: Grundkurs des Glaubens, Freiburg i. Br. 2008 (Neuausgabe), 56.
[5] Fuchs, Thomas: Was ist Erfahrung?, in: Ders.: Leib und Lebenswelt. Neue philosophisch-psychiatrische Essays (Die Graue Reihe; 51), Kusterdingen 2008, 241-259, 244.
[6] Rahner: Grundkurs, 56.
[7] Ebd., 57.
[8] Vgl. ebd.
Monika Wittmann arbeitet in einer Münsteraner Pfarrei und promoviert im Fach Pastoraltheologie an der Universität Münster.