Wie wächst zusammen, was vielleicht erst auf den zweiten Blick zusammengehört? Abdelmalek Hibaoui arbeitet an einer muslimischen Theologie des Zusammenlebens. Dabei stellt er die Menschenfreundlichkeit seiner religiösen Traditionen ins Zentrum.
Wir alle sind der Überzeugung, dass auf dieser Erdkugel, die für uns alle da ist, die Menschen auf unterschiedliche Art und Weise leben und die Kulturen sich voneinander unterscheiden. Die Menschen sprechen verschiedene Sprachen, auch die Religionen leiten die Menschen auf unterschiedliche Art und Weise. Die Menschen werden mit unterschiedlicher Hautfarbe geboren und verschiedene Traditionen geben ihrem Leben auch seine „Farbe“. Die Menschen kleiden sich unterschiedlich und drücken ihre Ansichten und Überzeugungen auf unterschiedliche Art und Weise aus; ihre Musik, ihre Kunst und ihre Literatur haben unterschiedliche Stilrichtungen.
Der Koran bezeichnet weltanschaulich-religiösen Pluralismus als gottgewollt.
Der Islam, als eine monotheistische Religion, hält seinen Anhängern immer wieder vor, dass die Verschiedenheit der Menschen, nicht nur nach Farbe und Vermögen, Geschlecht und Sprache, eine natürliche Sache ist (Koran, 30:22); er bezeichnet sogar weltanschaulich-religiösen Pluralismus als gottgewollt. Ich zitiere aus dem heiligen Buch der Muslime, dem Koran, Sure 11: Vers 118: „Und hätte dein Gott es gewollt, so hätte er die Menschen alle zu einer Gemeinde gemacht“. In einem anderen Vers vom Koran lautet es: „ Für jeden von euch haben Wir eine Richtung und einen Weg festgelegt. Und wenn Gott gewollt hätte, hätte Er euch zu einer einzigen Gemeinschaft gemacht. Doch will er euch in dem prüfen, was Er euch gegeben hat. Wetteifert darum im Guten. Zu Gott werdet ihr allesamt zurückkehren; und dann wird Er euch darüber aufklären, worüber ihr uneins seid.[5:48-49]
Es gibt keinen Zwang im Glauben.
Ein Prinzip, das als Bürgschaft der Religionsfreiheit im Islam gilt, ist der Pluralismus. Der göttliche Wille hat nicht gewollt, alle Menschen zu einer einzigen Religion zu versammeln. Der Koran-Vers mit sinngemäßer Bedeutung „Wenn dein Herr es gewollt hätte, so hätten alle Menschen auf der Erde sich die Wahrheit angeeignet und geglaubt. Willst du etwa Menschen Gewalt anwenden, damit sie glauben.“ (10:99) vgl. (18:19) drückt auch aus, dass der göttliche Wille auf die Wahl des Menschen, die er durch seinen freien Willen bevorzugt, Wert legt, und dass man den Menschen frei handeln lassen sollte, hinsichtlich der Wahl der Religion, die eine lebenswichtige Entscheidung ist. Kernstück dieser umfassenden Haltung intellektueller wie praktischer Duldsamkeit ist die wirklich fundamentale Aussage in 2:256 Tatsachenfeststellung und Verbot zugleich: „Es gib keinen Zwang im Glauben“.
Das heißt, da Glauben das Forum Internum betrifft, ist Zwang dazu ein untauglicher Versuch, doch selbst diesen aussichtslosen Versuch zu unternehmen ist untersagt. Deshalb sollen auch religiöse Streitigkeiten freundlich und friedlich ausgetragen, nämlich in ihrem Ausgang Gott überlassen werden. (Koran 4:59) Alle Menschen sind Gottes Schöpfung. Gott hat sie aus einer Quelle, aus Adam und Eva in verschiedensten Gestalten geschaffen. Der Islam sieht diese Unterscheidungen zwischen Menschen als ein Gotteszeichen. So heißt es im Koran: „Und unter Seinen Zeichen ist die Schöpfung der Himmel und der Erde und die Verschiedenheit eurer Sprachen und Farben. Darin sind Zeichen für die Wissenden.“ (30:23)
… niemand mehr als ein Mensch und niemand weniger als ein Mensch.
Trotz all dieser Unterschiede haben die Menschen eine grundsätzliche Gemeinsamkeit. Sie sind alle Menschen; niemand mehr als ein Mensch und niemand weniger als ein Mensch. Die Verschiedenheit der menschlichen Gruppierungen darf uns nicht davon abhalten, sie näher kennen zu lernen und ihnen nötige Toleranz zu gewähren – denn sonst können wir ja unsere Aufgabe als stellvertretende Regenten auf dieser Erde nicht erfüllen. Ja, darüber hinaus gesehen ist es gerade diese Verschiedenheit der anderen Gruppierungen der Menschen, die uns die Erfüllung unserer humanen Aufgabe ermöglicht. Denn durch die Anstrengungen, die erforderlich sind, die anderen zu verstehen, wozu aber auch eine echte Verwurzelung in der eigenen Kultur gehört, nicht zuletzt durch die zu übende Toleranz ihnen gegenüber, erhalten wir die Chance zur Selbstbildung, ohne die ein selbstverantwortliches Verhalten und Handeln nicht möglich ist. Der Koran sagt hierzu: „O ihr Menschen, Wir haben euch aus einem männlichen und einem weiblichen Wesen erschaffen und euch zu Verbänden und Stämmen gemacht, auf daß ihr einander kennenlernt. Wahrlich, vor Gott ist von euch der Angesehenste, welcher der Gottesfürchtigste, der Frömmste, der Gerechteste ist….“ (49:13)
Wegen dieser Notwendigkeit, daß die Menschen, ungeachtet ihrer Verschiedenheit und darüber hinaus, gerade ihretwegen einander kennenlernen, hat der Islam zu einem unparteiischen Religionsdialog aufgerufen und sagt darüber: „Rufe zum Weg deines Herrn mit Weisheit und schöner Ermahnung, und streite (d.h. disputiere) mit ihnen auf die beste Art. Wahrlich, dein Herr weiß besser, wer von Seinem Wege abgeirrt ist; und Er kennt jene besser, die der Rechtleitung folgen„. (16:1259
Das Urteil über unsere Mitmenschen sollten wir besser Gott überlassen.
Das Urteil über unsere Mitmenschen sollten wir also besser Gott überlassen. Stattdessen sollten wir uns um ein gerechtes und tolerantes Verhalten ihnen gegenüber bemühen. Es geht bei der Religion um unsere Taten, die wir zu verantworten haben. Daher heißt es auch in einer anderen Koranstelle: „… und mir ist befohlen worden, Gerechtigkeit unter euch zu üben. Gott ist unser Herr und euer Herr. Wir haben unsere Werke und ihr habt eure Werke (zu verantworten)! Es gibt keinen Streitgrund zwischen uns und euch. Gott wird uns zusammenbringen, und zu Ihm führt der Lebensweg.“ (42:159)
Alle Offenbarungsreligionen gelten nach der islamischen Lehre prinzipiell als gültige Wege zu Gott.
Damit kommen wir zu der Frage nach Toleranz im engeren Sinne, d.h. der religiösen Toleranz. Sie gehört zu den religiösen Geboten im Islam, denn alle Offenbarungsreligionen gelten nach der islamischen Lehre prinzipiell als gültige Wege zu Gott. Daher müssen die Muslime auch sämtliche Propheten Gottes, die seit dem Beginn der Menschheitsgeschichte von Zeit zu Zeit aufgetreten sind, wie z.B. auch MOSES und JESUS in gleicher Weise respektieren.
Unterschiedliche Kulturen und Religionen haben auch grundsätzliche Gemeinsamkeiten. Die Menschen haben überall auf der Welt, ob im Osten oder im Westen, jeder Hautfarbe und Rasse, jeder Religion und Überzeugung, gemeinsame und gleiche Bedürfnisse. Ein Beweis für diese Behauptung ist die erstaunliche Ähnlichkeit der Ethik unterschiedlicher Religionen. Nicht töten, nicht stehlen, nicht lügen, nicht hassen. Diese sind in der Tat Grundlage für den Islam wie auch für das Christentum.
Für eine Welt, in der wir und unsere Kinder ohne Angst vor Bomben und ohne Rassismus leben können
Der größte muslimische Gelehrte Al Ghazali (ges.1111 n. Chr.) sagte: „Diese irdische Welt ist eine Karawanserei auf dem Wege zu Gott und alle Menschen finden sich in ihr als Reisegenossen zusammen. Da sie aber alle nach demselben Ziel wandern und gleichsam eine Karawane bilden, so müssen sie Frieden und Eintracht miteinander halten und einander helfen und ein jeder die Rechte des anderen achten„[1]
Sowohl die Welt des Islam als auch des Christentums sollten sich um eine genauere Kenntnis voneinander bemühen. Das halte ich für den besten Weg, um friedliches Zusammenleben zu leisten und Feindbilder auf beiden Seiten abzubauen. In diesem Sinne wünsche ich uns allen eine friedliche Welt ohne Terror und Krieg, in der wir und unsere Kinder ohne Angst vor Bomben und ohne Rassismus leben möchten. Eine Welt, in der wir und unsere Kinder keinen Hunger erleiden müssen und mit Freude in die Zukunft blicken.
[1] Al-Gazzali: Das Elixier der Glückseligkeit. Aus den persischen und arabischen Quellen in Auswahl übertragen von Hellmut Ritter. 5. Aufl. München: Diederichs, 1993, S. 75.
—
Der in Marroko geborene Abdelmalek Hibaoui arbeitet als Post-Doc am Zentrum für Islamische Theologie der Universität Tübingen. Er ist Mitglied der deutschen Islamkonferenz und Imam in Reutlingen.
Bild: Salih Ucar / pixelio.de