Mit Willibald Sandler (Innsbruck) nimmt ein weiterer Theologe Stellung zur aktuellen Debatte um die politische Instrumentalisierung des Gottesnamens durch die FPÖ.
„So wahr mir Gott helfe“ – Mit diesen Worten ergänzt die FPÖ im finalen Wahlkampf auf allen Plakaten die Botschaften ihres Präsidentschaftskandidaten. Und Strache sieht diesen „mit Gottes Hilfe“ bereits in der Hofburg. Dort will Norbert Hofer bei seiner erhofften Angelobung zum Bundespräsidenten den Zusatz „so wahr mir Gott helfe“ verwenden, – im Gegensatz zu seinem Konkurrenten.
Der Gelöbnis-Zusatz „So wahr mir Gott helfe“ – keine Frage des Glaubens
Allerdings: Wenn jemand auf diesen Zusatz verzichtet, muss das nicht heißen, dass er nicht an Gott glaubt, – und schon gar nicht, dass er es mit dem Dienst, den er antritt, moralisch nicht so genau nehmen würde. Das sieht man beim Amtseid zur Einführung des Präsidenten der Vereinigten Staaten. Bereits der erste Präsident George Washington hatte 1789 die Formulierung „So help me God“ freiwillig seinem Eid hinzugefügt. Das verweist auf das erstaunliche Faktum, dass die englische Entsprechung zum „So wahr mir Gott helfe“ in der US-amerikanischen Verfassung von Anfang an nicht verbindlich vorgesehen war, und zwar obwohl alle Entscheidungsträger überzeugte Christen waren. Der Grund lag darin, dass die Quäker sich an das Gebot Jesu aus der Bergpredigt gebunden fühlten: Man solle nicht nur keinen Meineid leisten, sondern überhaupt nicht schwören (Mt 5,34).
Noch lange kein Gottesfeind
Aber auch wenn Van der Bellen den Glauben an Gott eingestandenermaßen verloren hat und deshalb auf den optionalen Zusatz „so wahr mir Gott helfe“ verzichten wird, ist er deshalb noch lange nicht – wie ein österreichischer Weihbischof urteilte – ein Gottesfeind. Zu respektieren ist überdies sein Bekenntnis, dass er „an den Sinn, an die Botschaft, an die Vision des Neuen Testaments“ glaubt und sich der Botschaft des Neuen Testaments ver-pflichtet weiß.
Umgekehrt muss der Umstand, dass jemand die Worte „so wahr mir Gott helfe“ dazusagt, nicht bedeuten, dass er oder sie deshalb in einem höheren Maße gläubig ist. Und was ist nach den Maßstäben des Neuen Testaments davon zu halten, wenn jemand seinen Glauben an Gott tausendfach quer durch Österreich plakatiert?
Gott als Unterscheidungsmarker – ein Missbrauch seines Namens
Er habe ganz einfach auf die die Plakate schreiben wollen, was ihm wichtig sei, erklärte Hofer. Ist solche Naivität glaubhaft? Es ist Wahlkampf, und für die äußerst knapp zu haltende Botschaft auf den Plakaten liegt jedes Wort auf der Goldwaage. Wahlkampfmanager Herbert Kickl erklärte zum Plakattext, dass Hofers Bekenntnis, ein christlicher Mensch zu sein, ihn auch vom grünen Kandidaten Alexander Van der Bellen unterscheide. Das ist wahlkampfstra-tegisch besser nachvollziehbar. Es geht hier also nicht nur darum, dass Hofer gläubig ist und öffentlich dafür einsteht, dass er seine Versprechen im Namen Gottes einzulösen gedenkt, und und dass er die mögliche Ergänzung „So wahr mir Gott helfe“ bei seinem Amtseid einsetzen will. Als Slogan auf den Plakaten eines Wahlkampfs wird Gott zum Unterscheidungsmarker: „Hofer mit Gott“ gegen „Van der Bellen ohne Gott“.
Damit erweist sich der Protest von führenden Vertretern der Evangelischen Kirchen gegen die FPÖ-Plakataktion als berechtigt: „Gott lässt sich nicht für eigene Absichten oder politische Zwecke instrumentalisieren. Dies ist gemeint, wenn es im Gebot der Bibel heißt: Du sollst den Namen des Herrn, deines Gottes, nicht missbrauchen, denn der Herr wird den nicht ungestraft lassen, der seinen Namen missbraucht.“
Raffiniert gestellte Falle
Allerdings setzt ein direkter Angriff gegen den „Gottes-Slogan“ kirchliche Kritiker selber dem Verdacht eines problematischen Gottes- und Politikverständnisses aus. Michael Prüller hat die raffiniert gestellte Falle erkannt und auf den Punkt gebracht: „Will man ausgerechnet von der Kirche hören, dass Gott in der Politik nichts verloren habe?“ Gewiss: Es geht hier nicht nur darum, dass öffentlich von Gott gesprochen wird, sondern wie es geschieht. Aber das sind Nuancen, die in Schlagzeilen oder auf Twitter kaum zu kommunizieren sind. Auf diese Weise ist der Gottesslogan wahlkampfstrategisch brillant. Auch wenn die meisten Gläubigen keine „Pawlow’schen Reflexwähler“ sind, „nach dem Motto: Wo Gott draufsteht, muss Gott drin sein – und mein Kreuzerl dahinter“ (M. Prüller): viele sind es doch; andere werden reflexhaft protestierend in die gestellte Falle laufen und so wieder andere dazu provozieren, aus Protest doch Hofer zu wählen. Und auf jeden Fall wird viel darüber geredet werden, was Gratis-Publicity bringt.
Gerade dadurch bestätigt sich aber nochmals, dass hier der Name Gottes raffiniert in eine Wahlkampagne eingesponnen wurde, – als Unterscheidungsmarker gegen einen Kandidaten, von dem viele denken, er sei „gottlos“.
Die Wahlplakate geben diesem Vorurteil Nahrung, ohne dass sie die Torheit begingen, das auszusprechen. So ist der Kritik der Evangelischen Kirchen, dass hier der Name Gottes instrumentalisiert wird, ebenso Recht zu geben wie ihrem Verweis auf das Zweite Gebot: „Du sollst den Namen des Herrn, deines Gottes, nicht miss-brauchen“ (Ex 20,7). Aber was bedeutet die ebenfalls zitierte Fortsetzung: „Der Herr wird den nicht ungestraft lassen, der seinen Namen missbraucht“? – Auch der katholische Medien-sprecher Michael Prüller, der die gestellten Fallen erkennt und benennt, schließt mit der etwas kryptischen Aussage: „wenn er Gott ins Spiel bringt, tut er das auf eigene Gefahr“. Worin besteht diese Gefahr? Und worin die im Zweiten Gebot angesprochene Strafe Gottes?
Die „Gefahr“ einer verschärften Kritik an eigener Unwahrhaftigkeit
Die Gefahr, in die sich Hofer und die FPÖ mit einer solchen Strategie begeben, besteht nicht primär in einem Protest von Christen und kirchlichen RepräsentantInnen, die ja als Gratis-Publicity willkommen sein könnte. Heikler für Hofer ist folgender Punkt: Wer sich öffentlich auf Gott beruft, setzt sich damit einer strengeren Beurteilung durch andere aus. Die Kirche kann davon ein Lied singen. So wurde Norbert Hofer umgehend gefragt, warum er denn bei solcher Liebe zum christlichen Abendland aus der katholischen Kirche ausgetreten sei. Seine Antwort: Er sei evangelisch geworden, weil dort Frauen Pfarrer werden dürfen. Das ist rhetorisch brillant formuliert und dürfte für viele sympathisch klingen. Wer aber seine Wahlkampfaussagen mit der Eidesformel „So wahr mir Gott helfe“ unterlegt, muss damit rechnen, dass ihm schärfer auf den Zahn gefühlt wird. Hofer hat 2009 seinen Kirchenaustritt bekannt gegeben und begründet, nachdem die Dekane der Theologischen Fakultäten und andere katholische RepräsentantInnen ein Protestschreiben gegen die FPÖ publizierten; – aufgrund einer Vereinnahmung christlicher Symbole für eine kulturenspalterische, islamophobe Botschaft (mit Parolen wie „Abendland in Christenhand“).
Hexenjagd von Linkskatholiken gegen FPÖ
Norbert Hofer verurteilte dies als „dumme, heuchlerische und politisch motivierte Hexenjagd“ von Linkskatholiken gegen die FPÖ und reklamierte seine Partei gleich als jüngstes Opfer einer immer schon mordenden Kirche: „Hunderttausende unschuldige Frauen wurden von den moralisch impotenten Inquisitoren der katholischen Kirche als Hexen auf dem Scheiterhaufen – bei lebendigem Leib und vor den Augen ihrer Kinder – verbrannt.“ In einem Rundumschlag beschuldigte Hofer die katholische Kirche für Hexenverbrennungen, Inquisition, Kolonialismus, Finanzskandale, massenhaften Kindesmissbrauch und – nicht zuletzt – eine zunehmend linkskatholische Tendenz, der diese „widerliche Aktion“ entspräche. Deshalb sei er schon vor Monaten aus der katholischen Kirche ausgetreten. „Die katholische Amtskirche hat mich aufgrund der scheinmoralischen Aktivitäten ihrer linken Neo-Inquisitoren, falscher Frömmler und wahrer Heuchler endgültig verloren.“2
Ein Selbstgericht der Unbarmherzigkeit
Die eigentliche Gefahr einer politischen Instrumentalisierung Gottes ist aber noch abgründiger: Dass „der Herr den nicht ungestraft lässt, der seinen Namen missbraucht“ (Ex 20,7), ist als Dynamik eines Selbstgerichts zu begreifen, vor welcher die Bibel immer wieder warnt. Die Kritik der biblischen Propheten wendet sich vor allem gegen jene, die selbstgewiss meinen, Gott schon für sich gepachtet zu haben; zuletzt im Neuen Testament durch Johannes den Täufer (vgl. Mt 3,9f). Worin dieses Gericht besteht, machen die Evangelien in der Folge deutlich. Wer meinte, Gott ohnehin auf seiner Seite zu haben, lief Gefahr, ihn zu verkennen und – zu seinem eigenen Unheil – zurückzuweisen, wo er einem in anderer Gestalt als der durch solche Vereinnahmung vermeinten begegnete. Die Gefahr besteht hier in einer Verken-nung Gottes, die sich nicht erst im fernen Jüngsten Gericht auswirkt, sondern bereits in der Gegenwart: In der selbstgerechten Vereinnahmung Gottes für sich und die eigene Gruppe verkennt man die barmherzige Seite Gottes, auf die man doch auch selber angewiesen ist.
Besonders deutlich wird das in eben jenem Sonntagsevangelium vom Pharisäer und dem Zöllner, das zwei Tage nach der Präsentation der neuen FPÖ-Wahlplakate in den katholischen Kirchen gelesen wurde: „Der Pharisäer stellte sich hin und sprach zu sich dieses Gebet: Gott, ich danke dir, dass ich nicht wie die anderen Menschen bin, die Räuber, Betrüger, Ehebrecher oder auch wie dieser Zöllner dort“ (Lk 18,11). Im Gegensatz dazu steht der Zöllner mit seinem Gebet „Gott, sei mir Sünder gnädig“. Jesus sagt, dass „dieser gerecht gemacht in sein Haus zurück[kehrte], der andere nicht“ (Lk 18,14). Der Zöllner begegnete einem Gott, der sich als barmherzig erwies, indem er ihn gerecht machte und so gewiss auch Barmherzigkeit in ihm weckte. So konnte der Zöllner als Träger von Gottes Segen in sein Haus zurückkehren.
Selbstgerechtigkeit
Von dem Pharisäer heißt es hingegen, dass er nicht gerechtfertigt in sein Haus zurückkehrte. Das geschah deshalb, weil trotz seiner Gebete eine Begegnung mit Gott nicht wirklich zustande kam. Statt zu Gott sprach er „zu sich“ und blieb im Dunstkreis seiner Selbstgerechtigkeit befangen. Weil er auf diese Weise nicht erfahren konnte, wie Gott auch ihn barmherzig anschaut und solcherart „gerecht macht“, blieb auch sein Blick auf sich und andere getrübt. Das zeigt sich in der Weise, wie der Pharisäer den Zöllner wahrnahm bzw. als Person gerade nicht wahrnahm. Er schaute zu ihm hin, aber alles was er sah, waren Kategorien von Räubern, Betrügern, Ehebrechern oder eben Zöllnern, – die er als von Gottes Gesetz verurteilt ansah.
Tragisch ist in diesem Zusammenhang, dass seine ausgeprägte und offen präsentierte Fröm-migkeit ihm nicht nur nicht half, sondern immer tiefer in seine Verblendung hineintrieb. Damit wird er zum Schaden für andere und verfängt sich in eine Dynamik des Selbstgerichts: Unvermeidlich wird seine urteilende Nicht-Wahrnehmung früher oder später auch auf ihn selbst zurückfallen.
Welcher Gefahr eines Selbstgerichts setzen sich demgemäß eine Partei und ein Wahlkandidat aus, wenn sie Gott zu einem Unterscheidungsmarker instrumentalisieren, der die eigene Gruppe bestätigen und die anderen disqualifizieren soll? Sie riskieren, dass Gott und seine Barmherzigkeit ihnen fremd bleiben und sie sich so in eine Unbarmherzigkeit verstricken, mit der sie nicht nur die fremden Anderen treffen, sondern die auch auf die eigenen Reihen und unter Umständen auf die eigene Person zurückschlägt. Wer bestimmte Normen und Erwartungen nicht erfüllt und den Interessen der Partei schadet, kann nicht darauf hoffen, angehört und als Mensch wahrgenommen zu werden. In einer von Grenzen und Ausgrenzung gepräg-ten Gesellschaft setzen die Ausgrenzer auch einander und sich selber dem gnadenlosen Druck aus, bei Nichtentsprechen von der eigenen Gruppe gefeuert zu werden.
Ein Gott, der Grenzen transzendiert
Die vorausgehende biblische Analyse sollte verdeutlichen, dass es beim christlichen Gottes-glauben in einem hohen Maß um die Problematik von Blick und Verblendung geht. Christlich verstandene Barmherzigkeit steht und fällt mit dem Blick auf Menschen in ihren konkreten Nöten, Bedürfnissen und Verstrickungen. Daran, wie weit dieser konkrete Blick geöffnet oder getrübt wird, sind Politik, Politiker und politische Bewegungen aus christlicher Perspektive zu beurteilen. Es gibt einen Zusammenhang zwischen einer rechtspopulistischen Rhetorik, die z.B. Flüchtlingsströme als abzuwehrende Naturkatastrophen (z.B. „Asylantenflut“ oder „Flüchtlingstsunami“) benennt, und einem exkludierenden Gebrauch des Namens Gottes. Dieser Zusammenhang besteht in einem getrübten Blick auf die konkreten Menschen – und damit auf Gott.
Der biblische, von Jesus Christus vergegenwärtigte Gott ist transzendent auch in dem Sinn, dass er jene Grenzen, die Menschen zur kollektiven Identitätssicherung aufrichten, überschreitet. Er erweist sich als je größerer Gott auch dadurch, dass er uns in den ungenehmen Anderen begegnen will. Wer Gott zu einem Identitäts- oder Unterscheidungsmarker funktionalisiert, verfehlt deshalb den christlichen, biblischen Gott und beschwört unter ebendiesem Namen Dynamiken der Unbarmherzigkeit herauf.
Missbrauch des Namens Gottes
Dagegen haben sich christliche RepräsentantInnen immer wieder gewehrt: 2009 – zu Hofers großem Missfallen – aus der katholischen Kirche und nun aus den evangelischen Kirchen Österreichs. Missverständnis und Missbrauch des Namens Gottes muss von den Kirchen kritisch aufgezeigt werden, was aber gerade nicht bedeutet und niemals bedeuten darf, das man Gottes Heilswirken bestimmten Menschen, die einer bestimmten politischen Partei anhängen, schlechthin abspricht. Wer das täte, würde unter der Hand selber den Namen Gottes zu einem Unterscheidungsmarker degradieren.
Willibald Sandler ist Ao.Prof. für Systematische Theologie in Innsbruck.
Bildquelle: http://www.gmx.at/magazine/politik/wahlen/bundespraesidentenwahl-oesterreich/bundespraesidentenwahl-norbert-hofers-wahr-gott-helfe-plakate-sorgen-kritik-31975054