Das 40jährige Jubiläum des ersten Themenhefts einer theologischen Zeitschrift zur Feministischen Theologie nimmt Stefanie Maria Höltgen zum Anlass für eine grundlegende Situationsbestimmung von Frauen in Theologie und Kirche. Sie diagnostiziert noch immer wirksame strukturelle Unterdrückungs- und Ausbeutungsmuster.
Vor 40 Jahren, im Jahr 1985, veröffentlicht die Internationale Zeitschrift für Theologie Concilium ein Heft zum Thema der Unsichtbarkeit von Frauen in Theologie und Kirche.[1] Zum ersten Mal widmet eine theologische Fachzeitschrift damit ein eigenes Heft der Feministischen Theologie und gründet zugleich eine Fachsektion für Feministische Theologie. Ein Ereignis, das bis heute von entscheidender Relevanz ist und dessen Frage nach der Sichtbarkeit von Frauen eine Relecture des Heftes wertvoll, wenn nicht unerlässlich macht. Theologie und Kirche stehen dabei paradigmatisch für eine radikale Gleichberechtigung der Frauen in allen Bereichen der Kultur, Politik, Religion und Gesellschaft. Erstaunlicherweise ist die Forderung nach einem Systemwandel heute notwendiger denn je. Aktuelle Entwicklungen, wie der Rückgang der Demokratien, das Erstarken rechtspopulistischer, faschistischer Strömungen und die weltweiten Einschränkungen von Frauenrechten zeigen die alarmierende Brisanz der Anliegen einer vor 40 Jahren gegründeten Fachsektion. Sie zeigen, wie feministische Diskurse und ihre Interessen von Männern zunehmend nicht als ihr eigener Diskurs wahrgenommen und verhandelt wird, wie patri-kyriarchale Strukturen wieder Stabilisierung erfahren. Der Begriff Kyriarchat ist eine Wortschöpfung von Elisabeth Schüssler Fiorenza und meint ein Herrschaftssystem kultureller, sozialer, politischer und religiöser Art von Menschen über Menschen.
Die entscheidenden Fragen dieser Relecture liegen also auf der Hand. Wie ist die Situation von Frauen in Theologie und Kirche heute, 40 Jahre später? Welche Fragen und Themen waren damals von Interesse? Welche sind es heute? Wer schrieb von welchem Ort aus? Gab es aus heutiger Perspektive blinde Flecken? Oder müssen wir unsere Perspektive heute mit Hilfe von damals korrigieren?
Wie ist die Situation von Frauen in Theologie und Kirche heute?
Auffallend, den Herausgeberinnen aber bewusst, ist das Fehlen von Stimmen aus Ländern in denen die Gleichberechtigung der Frau weitaus weniger fortgeschritten ist als im euro-amerikanischen Raum. Die Verfasserinnen der Beiträge gehören einer privilegierten Mittel- bis Oberschicht des euro-amerikanischen Raums an. Geplant war es anders, doch die aus Lateinamerika gewonnene Kollegin konnte den Redaktionsschluss des Heftes nicht einhalten. Ein Umstand, der die Benachteiligung lateinamerikanischer Frauen bezeichnend illustriert. Von Frauen aus dem asiatischen oder afrikanischen Raum ist keine Rede. Das eigene Bewusstsein über die dem Heft selbst innewohnende patriarchalische Verhaftung, ist wohl der größte Clou. Das Heft selbst kann nicht leisten, wofür es kämpfen möchte: die Unsichtbarkeit der Frauen umfassend beseitigen. In ihm selbst bleiben Frauen unsichtbar, in ihm selbst werden die Unterschiede der Möglichkeit zur Durchbrechung des Patriarchats offensichtlich.
Die eigentliche Absicht der Herausgeberinnen ist deutlich radikaler und wird – anders als in den meisten theologischen Schriften, so der Vorwurf der Herausgeberinnen – klar formuliert.[2] Es geht um eine grundlegende Umgestaltung des theologischen Diskurses; interdisziplinär und ökumenisch. Die Fachsektion reiht sich damit ein in das Anliegen der Frauenbewegung überhaupt. Es geht nicht um eine Integration von Frauen in eine weiterhin von Männern dominierte Gesellschaft und Kirche oder gar nur um die „Rolle“ der Frau. Es geht um eine Abschaffung des Patriarchalismus, eine völlige Neu- und Umgestaltung theologischer und akademischer Diskurse und Institutionen. Nur unter diesen Bedingungen – wenn das grundlegende Problem patri-kyriarchaler und androzentrischer Missbildungen unterbrochen wird – können Frauen wirklich zu Subjekten akademischer Forschung werden. Die Aufmerksamkeit des Heftes richtet sich auf das System wissenschaftlicher, akademischer Forschung und dessen Bedingungen. Ziel der Beiträge ist die Suche nach dialogischen, partizipatorischen, nicht-hierarchischen Stilen der Forschung und Lehre.
Es geht um eine Abschaffung des Patriarchalismus, eine völlige Neu- und Umgestaltung theologischer und akademischer Diskurse und Institutionen
Dabei hat Feministische Theologie ihren Ursprung in der Erfahrung von Frauen. Diese Erfahrungen sind so vielseitig wie die Frauen selbst und erschöpfen sich bei weitem nicht in Erfahrungen von Sexismus, sondern berichten ebenfalls von Rassismus, Klassenherrschaft und Kolonialismus. Die Vielfalt der Beiträge und ihr aufrüttelnder Ton zeigen die weite Perspektive der Autorinnen und ihre Leidenschaft für sich und andere Frauen einzustehen. Ihr Blick ist scharf, klug und beschönigt nichts. Vor allem aber ist ihr Blick inklusiv und fordert die volle Beteiligung der Frau in Gesellschaft und Kirche.
So stellt Mary Collins beispielsweise heraus, wie durch männliche Autorität die Verehrung von Teresa von Avila, Thérèse von Lisieux und Mutter Teresa von Kalkutta derart gefördert wird, dass hier ein bestimmter Stereotyp der idealen Kirchenfrau verinnerlicht wird. Ihm eigen sind: Loyalität gegenüber der Kirche, Gehorsam gegenüber den Kirchenmännern und der Dienst an Gott und den Mitmenschen. Das Auftreten Theresa Kanes dagegen führt zu einem Bruch mit der traditionellen Rolle einer Tochter der Kirche. In der Sache nicht viel anders agiert männliche Autorität durch Canon 667, § 3, wenn sie Nonnenklöster zur Klausur verpflichtet und keine vergleichbare Regelung Männerklöstern auferlegt, so Margaret Brennan. Auch das ernüchternde Ergebnis von Marie Zimmermann ist männlicher Denk- und Handlungsautorität anzurechnen. Frauen können im kirchlichen Recht nicht nur nicht Kleriker sein, sie sind auch nicht Laie im eigentlichen und vollen Sinne. Denn dem Frausein haftet nach kirchenrechtlicher Deutung ein Mangel an. Kari Vogt deckt anhand urchristlicher Literatur auf: Die anthropologische Voraussetzung für Vollkommenheit ist Männlichkeit, sie ist der Vollkommenheit näher. Eine Frau, die Vollkommenheit erlangen will, muss sich vermännlichen – auch und vor allem in der Nachfolge Christi. Und Marga Bürig stellt die Frage, ob die Ordination der Frau zum Amt des Priesters ein Hindernis für die Einheit der Kirchen ist. Ihr Ergebnis: Ja, und zwar vor allem deshalb, weil in dieser Frage nicht in erster Linie das Amt im Spiel ist, sondern das Frauen- und das Gottesbild. Über allem schwebt das Konzept des Kyriarchats von Elisabeth Schüssler Fiorenza.
Die Verhaftung der Beiträge auf den westlichen Dualismus von weiblich-männlich ist auffallend. Erst mit Judith Butlers Epistemik in Gender Trouble, 1990 erschienen[3], stellt sich etwas um. Menschen mit queer-Identität bringen sich zunehmend in den Diskurs mit ein und stellen die selbstverständliche Zweiteilung der Welt in männlich und weiblich in Frage.[4] Doch auch diese Perspektive lässt sich mit dem Befund von Mary Collins am Ende des Heftes verlesen. Sie konstatiert: Es gibt kein Frauenproblem. Das Problem sind Androzentrik und Patriarchalismus, denn beides greift tief in die Gestalt der Kirche ein und verzerrt das Evangelium. Wer sich von dieser Sichtweise her der Frauenfrage nähert, vollzieht einen Perspektivwechsel, der eine Einbeziehung aller Geschlechter eröffnen kann. Es findet eine Umkehr des Bewusstseins statt. Nach Meinung der Herausgeberinnen gelingt den Autorinnen diese kritische und konstruktive Offenlegung patriarchaler Strukturen mittels professioneller Fachkenntnisse auf herausragende Weise. Ungemein nötig, denn mehr als zwei Jahrzehnte nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil spüren sie bereits den abflachenden Willen zum aggiornamento, die Ressentiments gegenüber Umgestaltungsprozessen und die aktiven Bestrebungen, Frauen weiterhin in eine erzwungene Unsichtbarkeit zu drängen.
Und bis heute ist die Situation von Frauen prekär. Umso höher es die Karriereleiter hinauf geht, umso mehr Verantwortung und Wirkmacht eine Position auszeichnet, desto schwindender der Frauenanteil, desto auffälliger der Androzentrismus des Systems. Am Ende bleibt der ungute Eindruck einer zunehmenden Integration von Frauen in das vorherrschende patri-kyriarchale und androzentrische System, dessen Strukturen selbst sich aber nicht verändern und etwas Neues schaffen. Böse wird von „Alibi-Frauen“ gesprochen, eine kleine privilegierte Schar, die es geschafft hat. Für die Mehrzahl an Frauen legen sich weiterhin allzu viele unterdrückende, lähmende oder gar zerstörende, durch den Patriarchalismus verursachte Hindernisse in den Weg. Ob also tatsächlich, wie im Heft gefordert, ein Umgestaltungsprozess im Gang ist oder ob die Entwicklungen der letzten Jahrzehnte doch nur einen Eingliederungsprozess abbilden, muss dringend diskutiert werden.
Die Beiträge des Heftes wollen und leisten jedenfalls einiges mehr. Eine subtile Fortschreibung männlicher Perspektiven und ihre unreflektierte Diskursgestaltung wird unterbrochen und eine deutliche Benennung des eigenen Rahmens und eigener Interessen vorgenommen: nämlich das grundlegende Problem patriarchalischer Missbildungen in der Theologie ungetrübt zu kommunizieren und Frauen die volle Partizipation am theologischen und kirchlichen Diskurs zu ermöglichen.
Eine subtile Fortschreibung männlicher Perspektiven und ihre unreflektierte Diskursgestaltung wird unterbrochen.
Die Fragilität dessen, was sich Frauen in den letzten beiden Jahrhunderten erkämpft haben, ist offensichtlich – nicht nur in Theologie und Kirche. Systemische Kyriarchalität schafft weiterhin vielfältige Orte von Unterdrückung und Ausbeutung, die zu analysieren und zu unterbrechen Aufgabe Feministischer Theologie ist.
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Beitragsbild: pixabay.com
[1] Concilium: Internationale Zeitschrift für Theologie 21 (6/1985) 383-466 [Themenheft zur Feministischen Theologie hrsg. von Mary Collins und Elisabeth Schüssler Fiorenza].
[2] Vgl. das Vorwort von Elisabeth Schüssler Fiorenza, Frauen – unsichtbar in Theologie und Kirche, in: Concilium: Internationale Zeitschrift für Theologie 21 (6/1985) 383-386.
[3] Judith Butler, Das Unbehagen der Geschlechter, Frankfurt a.M. 1991.
[4] Zum Gewinn Judith Butlers für die Theologie siehe z.B. die Arbeiten Gunda Werners.