Viele westliche Demokratien bewegen sich derzeit nach rechts. Angesichts dieser Dynamik nimmt Sarah Rosenhauer das christliche Verhältnis zur Herrschaft in den Blick. Sie plädiert für eine „Subversion der Domninanz“ im Zeichen der Gastfreundschaft.
Kurz vor der Wahl liegt die AfD aktuellen Umfragen zufolge bei rund 20% und ist damit nicht nur die zweitstärkste Partei. Sie setzt auch zentrale Debattenthemen und kann so im Metapolitischen viele Siege feiern. Es steht – betrachtet man die immer deutlicher werdenden Krisenerscheinungen liberaler Gesellschaften und Demokratien – viel auf dem Spiel.
Was das ist, möchte ich durch zwei Ereignisse der jüngeren Vergangenheit konstellieren, die Eckpunkte einer politisch-theologischen Matrix der derzeitigen gesellschaftlichen Entwicklungen bilden.
Erstes Ereignis: Trumps Amtseinführung
Das erste ist die Amtseinführung Donald Trumps. Es ist kein böser Traum. Es ist amtlich. Trumps Wahlsieg ist ein weiteres Glied in der unseligen Kette einer autoritären, identitären, nationalistischen Revolte, die sich quer durch die sog. westliche Welt liberaler Demokratien zieht. Mit Viktor Orbans Aushöhlung grundlegender demokratischer Institutionen in Ungarn fing es an, es folgten analoge antiliberale und antidemokratische Aktionen durch die Peace Partei in Polen, nationalistische Regierungen in den Niederlanden und Italien, die schwedische Regierung arbeitet mit den rechtspopulistischen Schwedendemokratischen zusammen, in Frankreich wurde eine Regierung unter Marine Le Pen gerade noch verhindert, in Österreich hat es nicht geklappt, die FPÖ wird bald den Kanzler stellen.
Die neuen Autokrat:innen sägen an den Institutionen freiheitlich-demokratischer Gesellschaften. Trump hat schon vor seinem Amtseintritt einen „kulturellen Wendepunkt“ (Mark Zuckerberg) bewirkt. Erste Errungenschaften einer Regulation sozialer Medien durch Faktenprüfer:innen werden von einem Tag auf den anderen gekippt – im vollen Bewusstsein, dass dadurch Desinformation und „weniger schöne Dinge“ (Zuckerberg) auf den Plattformen zunehmen werden. „Den USA droht eine bewusste Ausschaltung demokratischer Kontrollmechanismen und die systematische Verankerung von Desinformation als Instrument der Staatsführung.“[1] Unternehmen schrauben ihre DEI Ziele (den Einsatz für Vielfalt, Chancengerechtigkeit, Inklusion) zurück, Trump will sie auf Bundesebene „alle … beenden“. Und auch ESG Ziele, durch die sich Unternehmen auf gewisse Nachhaltigkeitsstandards verpflichten, sind zunehmend umstritten. Direkt nach seiner Amtseinführung läutet Trump mit zahlreichen präsidialen Dekreten einen radikalen Politikwechsel ein: Das Aussetzen jeder Entwicklungshilfezahlungen, Militär an der Grenze zu Mexiko, den Ausstieg Amerikas aus dem Pariser Klimaabkommen und der WHO etwa. Stattdessen: „Drill, Baby, drill!“. Mühsamen Errungenschaften einer multilateralen internationalen Politik droht mit Trumps „America first“-Politik der Todesstoß.
Die AfD plant einen ähnlichen Richtungswechsel – Schluss mit „lächerlicher“ Klimapolitik, stattdessen: Kohle, Remigration, Leitkultur – „Jetzt sind wir mal dran“, „Zeit für unsere Kultur“, „Zeit für Deutschland“.[2]
Begleitet sind diese politischen Akte und Programme von einem metapolitischen Kulturkampf, der im Liberalismus den „Hauptfeind“ (Martin Sellner) identifiziert hat. Alain de Benoist, Vordenker der Nouvelle Droite und Ideengeber vieler neurechter Bewegungen in Europa, sieht im Liberalismus ein Verfallsprodukt, das zu einer Gleichmachung aller Menschen, zu Entwurzelung und Identitätsverlust, und vor allem: zu unsolidarischem Egoismus führt. Sein Heilsrezept liegt in einer verwurzelten, gewachsenen, ethnokulturellen Identität, die dem Einzelnen organisch seinen und ihren Platz im Ganzen der Gemeinschaft weist – begleitet von einer Politischen Theologie eines nietzscheanischen Vitalismus mit dezisionistischer Willensmetaphysik, die keine Einschränkung der Willkürfreiheit durch übergeordnete Normen dulden will.[3] Übergeordnete Normen politischen Entscheidens werden als Feigenblätter ökonomischer Interessen diffamiert, universelle Werte (allen voran: die Menschenrechte) als Mittel der Gleichmachung und vitalitätsfeindlichen Repression.
Ein metapolitischer Kulturkampf
Angesichts dieser metapolitischen Aushöhlungen und realpolitischen Vernichtungen freiheitlicher Errungenschaften, die über Generationen erkämpft und mühsam habitualisiert und institutionalisiert werden mussten, wünscht man sich, dass es so etwas wie den listigen Weltgeist wirklich gibt, dass Hegel recht hat und Geschichte ein dialektisch vermittelter Fortschrittsprozess in Bewusstsein und Vollzug der Freiheit ist: dass diese skurrilen und, wären sie nicht so gefährlich, lächerlichen Figuren das letzte Aufgebot einer sterbenden, patriarchalen Herrschaftsform sind, ein letztes Aufbäumen des Prinzips der Dominanz und Überwältigung, bevor sie endgültig einer Durchsetzung matriarchaler Formen weichen werden: einer Macht, die nicht zwingt, sondern auf dialogische Kooperation setzt, darauf, anderen Raum zu geben, achtsam zu sein und Lösungen zu finden, die alle in ihren Bedürfnissen einschließen. Ob diese Dialektik aufgeht, ist angesichts der politischen Entwicklungen der jüngeren Vergangenheit aber hoch fraglich. Mehr kämpferisches Postulat als automatische Entwicklung. Viel spricht dafür, dass Trump und Konsorten den demokratischen Institutionen und Tugenden nachhaltig Schaden zufügen werden.
Angesichts dessen wächst in mir die Sehnsucht nach einem messianischen Triumphator, einer Heilsgestalt, die diesen Abbau und Rückschritt in Humanität und Freiheit verhindert. Die dieses gefährliche Treiben aufhält und nicht zulässt, dass nationale Egoismen kultiviert, freiheitssichernde Institutionen zerstört, Aufbrüche zu mehr Gerechtigkeit und Sensibilität zurückgenommen werden.
Zweites Ereignis: Weihnachten
Das bringt mich zum zweiten Ereignis, vor dessen Hintergrund ich den derzeitigen Kulturkampf und die kommende Wahl in Deutschland wahrnehme. Dieses zweite Ereignis ist Weihnachten, die Heilige Nacht, in der wir das Kommen Gottes, den Anbruch des Gottesreiches in unserer Wirklichkeit vor mehr als 2000 Jahren erinnern. Das Reich Gottes bricht an – aber statt eines Triumphators, der dem Schlechten und Ungerechten endgültig ein Ende setzt, kommt ein wehrloses Kind. Geboren in einem Stall, besteht seine erste „Aktion“ nicht in irgendwelchen Macht- oder Wundertaten, sondern darin, zu flüchten und sich zu verstecken vor Kaiser Herodes und seinem eifersüchtig-paranoiden Vernichtungswahn. Und auch als Erwachsener wird dieses Kind kein Triumphator sein. Es wird am Kreuz enden. Schändlich, hingerichtet wie ein Verbrecher, sterbend ohne Schuld, und ohne das Unrecht, das ihm angetan wurde, mit einer Machtgeste zu richten.
Statt eines Triumphators kommt ein wehrloses Kind.
Was ist von dieser Heilsgestalt zu erwarten? Was kann so einer bzw. wir, die wir uns an ihm zu orientieren versuchen, dem Dominanztrieb der Autokraten und der sie stützenden Kultur entgegensetzen?
Einerseits nichts. Kind, Stall, Kreuz – alles eher Zeichen der Ohnmacht, denn der Stärke. Und andererseits alles. Denn gerade und nur in dem schwer Hinnehmbaren an Jesu Person und Leben – in der Wehrlosigkeit, dem Verzicht auf Dominanz – ist dieses Ereignis heilshaft, ist es der Einbruch des Gottesreiches in unsere Wirklichkeit.
Die Heilung, die in Jesus in die Welt kam, liegt nicht darin, eine triumphalistische Stärke zu verkörpern, die siegt, weil sie quantitativ stärker ist als die Stärke der Autokraten. Die Heilung liegt darin, dass in der Menschwerdung Gottes in Jesus von Nazareth eine andere Form von Macht geboren wurde – eine Macht, deren Stärke nicht in der je größeren Dominanz, sondern in der Allmacht ohnmächtiger Liebe liegt.
Jesus kontert Herrschaft nicht mit Herrschaft. Seine wahrhaft revolutionäre Bedeutung liegt vielmehr darin, dass er das Prinzip der Herrschaft – die Logik der Dominanz – subvertiert. Revolutionär ist diese Subversion nicht, weil sie einer jüdischen Gesetzesobservanz das ganz Andere und Neue einer christlichen Liebesethik entgegensetzen würde. Das christliche Liebesgebot ist jüdisch. Revolutionär ist Jesu Subversion der Dominanz im Blick auf die – wieder zunehmend hegemoniale – Vorstellung, Macht läge in der Dominanz des Anderen.
Jesus kontert Herrschaft nicht mit Herrschaft.
Jesus zeigt: Autokraten und ihre patriarchalisch-identitäre Gewalt lassen sich nicht dadurch überwinden, dass man ihre Dominanz dominiert. Die Logik der Dominanz muss als solche unterlaufen werden. Es ist die Beharrlichkeit gastfreundschaftlicher Liebe, die dem lächerlichen Potenzgehabe auf die lange Sicht ein Ende bereiten wird, weil sie ihm das Fundament entzieht: die Angst, ohne Selbstbehauptung verloren zu gehen, das Missverständnis, das man durch die Dominierung und Ausgrenzung des Anderen Freiheit und Leben für sich selbst gewinnt. Freiheit und Lebensmöglichkeiten gewinnt man nicht dadurch, dass man andere dominiert, ihnen den eigenen Willen aufzwingt, sondern, indem man Räume der Gastfreundschaft öffnet und sich auf sie einlässt. Der „Triumph“ des Reichs Gottes kündigt sich an in den leisen, zerbrechlichen, kleinen und alltäglichen „Transformationen unserer Beziehungen in einen Raum heiliger Gastfreundschaft“[4], die Gast wie Gastgeber:in zum Geschenk von Leben werden.
Auf dieser Basis und in dieser Form ist die gewaltförmige Politik der Dominanz und der identitären Freund-Feind-Unterscheidungen auf Dauer zu unterlaufen. Denn das wirksamste Gegenmittel dazu liegt darin, „so viel Freundschaft wie möglich zu stiften“[5] um so zum Kommen einer Demokratie beizutragen, „die nicht länger ein Hohn auf jene Freundschaft wäre“, die „jenseits des homo-fraternalistischen und phallozentrischen Schemas“ liegt.[6]
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[1] Daniel Voelsen (Koord.), Trump II und die Folgen für die internationale Politik, Berlin: Stiftung Wissenschaft und Politik, 03.12.2024 (360 Grad).
[2] Vgl. AfD, Zeit fuer Deutschland – Alternative für Deutschland.
[3] Vgl. Alain de Benoist, Heide sein. Die europäische Glaubensalternative, aus dem Französischen von Patrik de Trevillert, Beltheim-Schnellbach 2023.
[4] Christoph Theobald, Christentum als Stil. Für ein zeitgemäßes Glaubensverständnis in Europa. Freiburg i.Br. 2018, 45.
[5] Jacques Derrida, Politik der Freundschaft, Frankfurt a.M. 2002, 27.
[6] Ebd., 409.
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